Hans Driesch, Philosophische Gegenwartsfragen. Leipzig: Emmanuel Reinicke 1933.
Die Antworten, die Driesch auf Fragen der offiziellen gegenwärtigen Diskussion erteilt, sind wesentlich zu verstehen als Epilegomena zu seiner eigenen philosophischen Systematik. Es bindet sie der Impuls: jene Resultate, denen er Wirkung, Ruhm und den Namen eines ›Vitalisten‹ verdankt, für einen Standpunkt zu retten, den er in Wahrheit nie verließ, gegen den jedoch die von Driesch mit-inaugurierte Bewegung rasch genug sich wandte: den einer szientifischen Philosophie, sei es im Sinne der »strengen Wissenschaft« Husserls, sei es des Empiriokritizismus und seiner modernen Fortführung durch die Wiener Schule. Negativ gewandt: die Geister des Intuitionismus, des Organizismus und der Existentialphilosophie, die Driesch ohne Willen herbeirief, möchte er bannen, indem er die Befunde, auf denen als ihrem ›Seinsgrund‹ die neuen Metaphysiken basieren, als solche der kritischen Erkenntnistheorie oder der positiven Forschung zu sichern und zu begrenzen trachtet. Dem dient vorab der »Erste Hauptteil«, der »Intuition und Positivismus« behandelt. Der Intuitionsbegriff wird als »Erfassung von Ordnungstypen« empirisch begrenzt; als Verfahren, »gegebene Data zuzuordnen zu den originär erfaßten Schemata der Urordnungslehre«; Ontologie wird, übrigens in Übereinstimmung mit Husserl, auf Bedeutungslehre reduziert; »das Sein, was in dem Worte ›On‹ steckt, ist uns also nur das in seiner Bedeutungshaftigkeit Gehabt-sein«; negiert wird aus empiristischen Gründen freilich auch die allgemeine Relativitätstheorie, soweit sie als »Naturtheorie« anstatt bloß als »Relationstheorie« gemeint ist (cf. insbes. S. 47ff.). Von hier aus grenzt Driesch sich gegen die Wiener ab, denen er mathematisierenden Mechanismus als Vernachlässigung der tatsächlichen Gegebenheiten vorwirft. Für Drieschs ›rationalistischen‹ Ansatz des Vitalismusproblems ist bezeichnend dabei die Aussage, daß von ihm »doch gerade dem Kausalschema zuliebe der Begriff der Entelechie als eines wirkenden Agens eingeführt ist, da mechanische Kausalität eben nicht genügt«. All das ist in einem ausdrücklichen Bekenntnis zu »rationalem Positivismus« zusammengefaßt. – Die »Studien zur Ganzheit« werden eingeleitet mit einer tapferen Apologie des heute verfemten Begriffs der Analyse, die allgemeinste Beachtung verdient (S. 82f.). Drieschs Kritik des psychophysischen Parallelismus wird mit neuen Argumenten weitergeführt; aus dem Begriff der Ganzheit der des »Zweckes« vorsichtig eliminiert (S. 116); statt dessen die Kategorie des »Zieles« eingeführt. – Logische Betrachtungen, ausgehend vom Solipsismusbegriff der Empiriokritizisten, machen den Schluß. – Das Buch bietet mehr Exkurse als neue Theorien, verdient aber besonderen Respekt als moralische und philosophie-politische Leistung. Ein Denker, dem es die Zeitstimmung sehr bequem machen könnte, distanziert sich von den Folgerungen, die sie aus seiner Arbeit zieht, um der Sachen willen; auf die Gefahr hin, von ihr als überholt beiseitegeschoben zu werden. Sehr weit gehen die Übereinstimmungen mit Cornelius; auch mit Husserl, dessen späte Entwicklung zu Driesch recht parallel verläuft. Was freilich Driesch zur Kritik des ›Soziologismus‹ und historischen Materialismus beibringt, hat, als Randprodukt seines Denkens, nicht eben große Überzeugungskraft.