Editorische Nachbemerkung
Die erste Auflage der »Negativen Dialektik« erschien 1966 im Suhrkamp Verlag in Frankfurt a.M. Bereits im nächsten Jahr folgte – als fünftes bis siebentes Tausend – eine zweite Auflage; über ihre Veränderungen berichtet Adorno in der »Notiz« zur zweiten Auflage. Der in der »Notiz« erwähnte Vortrag »Die Idee der Naturgeschichte« von 1932, der damals unveröffentlicht war, ist im ersten Band der »Gesammelten Schriften« abgedruckt. – Der vorliegende Abdruck der »Negativen Dialektik« bedient sich des Stehsatzes der zweiten Auflage, eine Anzahl von Druckfehlern ist jedoch berichtigt worden.
Der »Jargon der Eigentlichkeit« wurde zuerst 1964 als Band 91 der »edition suhrkamp« veröffentlicht. Adorno ließ den Band, von wenigen Korrekturen abgesehen, unverändert nachdrucken. Die letzte Auflage zu Lebzeiten des Autors – das 24. bis 30. Tausend – kam im Februar 1969 heraus, ihr folgt unser Abdruck.
Anders als beim »Jargon« beabsichtigte Adorno, zur »Negativen Dialektik« weitere Einfügungen zu schreiben. Ihren Inhalt hat er auf dem Vorsatzblatt seines Handexemplars der zweiten Ausgabe notiert.
Die erste dieser Notizen – »November 1968« datiert – lautet: Bei einer etwaigen Neuauflage eine Fußnote zum Freiheitskapitel einfügen zur Kantischen Religionsphilosophie, wo das radikal Böse auf eine Maxime zurückgeführt und als Möglichkeit des intelligiblen Charakters gedacht wird. Dies widerspricht meiner im Text gegebenen Interpretation, führt allerdings auf eine Antinomie. Denn wenn das Sittengesetz das reine Prinzip der Vernunft sein soll, ist unerfindlich, wie das radikal Böse ein reines Vernunftprinzip sein soll. K[ant] wird zur Annahme eines bösen Prinzips – Nachfolge der von ihm kritisierten Erbsünde – genötigt, etwa wie Shakespeares Jago. Das Böse wird zu einem rein Geistigen. In Kant ersteht der Teufel wieder auf: der Aufklärer wird zum Manichäer. – Aber auch die Vorstellung vom unauslöschlich Guten in der Menschennatur ist mystisch. Zur Selbsttranszendierung des Kantischen Formalismus.
Eine zweite Einfügung – ursprünglich wohl dem Hegel-Exkurs zugedacht – findet sich in der folgenden Notiz skizziert, die am 30. Januar 1969 niedergeschrieben wurde: Die entscheidende Kritik der Weberschen Lehre von der Zweckrationalität, der Irrationalität der Zwecke und der Wertfreiheit ist entworfen im Notizbuch a, ganz am Schluß, S. 144–45. Die Passage in dem erwähnten Notizbuch lautet: Zum soziologischen Trend. – Kritik an Webers Theorie der Wertfreiheit vom Begriff der Rationalität her. Diese bei W[eber] als Zweckrationalität, d.h. eine der Relation von Mitteln und Zwecken bestimmt. Die Zwecke sollen davon ausgenommen sein. Das aber ist die pure Willkür. Denn Rationalität ist – wie ihre subjektive Instanz, das Ich, von Selbsterhaltung nicht zu trennen. Ratio qua Realitätsprüfung steht in deren Dienst. Das Moment der Allgemeinheit der ratio aber hebt sie über ihren subjektiven Träger. Ihr sich selbst erhaltendes Subjekt ist allgemein, die Gesellschaft als Menschheit. Rationalität ist deren eigene Erhaltung, d.h. der Zweck ihrer vernünftigen Einrichtung. Diese ist vernünftig nur wenn sie die vergesellschafteten Subjekte erhält. Irrational ist, daß zwar, etwa, die Angemessenheit von Zerstörungsmitteln an den Zweck der Zerstörung rational sein soll, der Zweck des Friedens und der Beseitigung der Antagonismen aber irrational. – Tatsächlich schlägt bei W[eber] selbst die Zweck-Mittel-Rationalität um, ohne daß er – so wenig wie auf andere dialektische Momente in Wirtschaft und Gesellschaft – darauf reflektierte. Die von ihm prognostizierte Entwicklung der Bürokratie als der reinsten Form rationaler Herrschaft in eine Gesellschaft des Gehäuses ist irrational. Begriffe wie Gehäuse, Verfestigung der Apparatur sagen nichts anderes, als daß sie sich zum Selbstzweck werden anstatt ihre Zweck-Mittel-Rationalität zu erfüllen. Diese wird irrational wenn, wie W[eber] es will, die Zwecke es bleiben. Das Abbrechen der Zweck-Mittel-Rationalität ist pure Ideologie, gerichtet gegen den Marxismus. Sie demaskiert sich als untriftig, widerspruchsvoll in sich. (Ratio darf nicht weniger sein als Selbsterhaltung; durch Selbsterhaltung hindurch muß sie diese transzendieren.) Während die Einfügung über Kant unausgeführt blieb, hat Adorno die Weber-Kritik ausgeführt und den »Marginalien zu Theorie und Praxis«, einem Epilegomenon zur »Negativen Dialektik«, inkorporiert (vgl. Theodor W. Adorno, Stichworte. Kritische Modelle 2, Frankfurt a.M. 1969, S. 184ff. [GS 10.2, s. S. 774ff.]).
Auf eine dritte geplante Einfügung verweist die letzte, undatiert gebliebene Notiz in Adornos Handexemplar der »Negativen Dialektik«: In die Einleitung noch den Gedanken von der idealistischen Vorentscheidung einfügen, s[iehe] Notizbuch U, S. 102f. Die angezogene Stelle des Notizbuchs U hat den Wortlaut: Dialektikbuch, Einleitung. – Alle Philosophie trifft, vermöge ihrer Verfahrungsweise, eine Vorentscheidung für den Idealismus. Denn sie muß mit Begriffen operieren, kann nicht Stoffe, Nichtbegriffliches, in ihre Texte kleben (vielleicht ist in der Kunst das Prinzip der Collage seiner selbst unbewußt der Protest eben dagegen; auch Thomas Manns Klebetechnik). Dadurch ist aber bereits dafür gesorgt, daß den Begriffen, als dem Material der Philosophie, der Vorrang verschafft wird. Selbst Materie ist eine Abstraktion. Aber Philosophie vermag dies ihr notwendig gesetztes peydos selbst zu erkennen, zu nennen; und wenn sie von dort weiterdenkt, zwar nicht es zu beseitigen aber so sich umzustrukturieren daß alle ihre Sätze ins Selbstbewußtsein jener Unwahrheit getaucht sind. Eben das ist die Idee einer negativen Dialektik. Zentral. – Diese Notiz wurde schon im Mai 1965 geschrieben, blieb aber unausgeführt. Verwandte Formulierungen finden sich noch in der »Ästhetischen Theorie« (vgl. Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. 1970 [= GS 7], s. S. 382f.).