Vorbemerkung zu »Dogmatismus, Intoleranz und die Beurteilung moderner Kunstwerke« von Christian Rittelmeyer

Institutionell habe ich kein Recht, den Bericht von Christian Rittelmeyer über seine Studie in die Öffentlichkeit zu geleiten*. Sie ist im Marburger Institut für Psychologie entstanden, völlig unabhängig von mir und ohne daß ich auch nur von dem Plan Kenntnis gehabt hätte; Herr Rittelmeyer ist nicht mein Schüler. Wenn ich gleichwohl auf seine Studie aufmerksam mache, so ist der unmittelbare Anlaß, daß er eine von mir verschiedentlich in theoretischem Kontext geäußerte These empirisch überprüft hat: die vom Zusammenhang zwischen autoritärer Charakterstruktur und Feindschaft gegen moderne Kunst, insbesondere Musik. Rittelmeyer hat dabei besonderen Wert auf die von meiner verstorbenen Kollegin Else Frenkel-Brunswik in der »Authoritarian Personality« entwickelte Kategorie der »intolerance of ambiguity« gelegt.

Die Absicht, Feindschaft gegen moderne ästhetische Ausdrucksformen soziologisch zu untersuchen, hegte ich bereits, als wir vor 24 Jahren die Authoritarian Personality konzipierten. Ich sah davon, auch bei der Wiederaufnahme der einschlägigen Untersuchungen am Frankfurter Institut für Sozialforschung, ab, weil die Problemstellung, und die aus ihr gewonnenen Fragebogen-items, sich als zu ›bildungsanfällig‹ erwiesen; bei einer einigermaßen repräsentativen Stichprobe fehlte es so sehr selbst an der oberflächlichsten Bekanntschaft mit moderner Kunst, daß Trennschärfe kaum zu erzielen gewesen wäre. Durch die Konstruktion seiner Stichprobe ist Rittelmeyer dieser Schwierigkeit entgangen und hat eine, wie immer auch einstweilen bescheidene, empirische Bestätigung der These gewonnen.

Nicht darum jedoch geht es mir, sondern um etwas Grundsätzlicheres. Die Studie ist eine der ersten, in denen ernsthaft und unter strikten Bedingungen versucht wird, von mir entfaltete Theoreme, wie sie insbesondere die »Einleitung in die Musiksoziologie« enthält, zu Gegenständen empirischer Forschung zu machen. Die gern verbreitete Behauptung von deren Inkommensurabilität mit jenen Theoremen ist dadurch widerlegt. Es könnte, anschließend an Rittelmeyer, eine ganze Reihe ähnlicher ›testbarer‹ Thesen aus meinen musiksoziologischen Abhandlungen auskristallisiert und überprüft werden. Unmittelbar anschließen ließe sich etwa das zugespitzte Thema, daß Feindseligkeit gegen moderne Kunst zusammenzugehen pflegt mit mangelnder Kenntnis des abgelehnten Materials und mit mangelndem Verständnis seiner Implikationen. Aus der »Einleitung in die Musiksoziologie« könnte eine Liste derartiger Thesen ausgezogen werden, die systematisch in Forschungen umzusetzen wären. Dabei müßte freilich die Aufmerksamkeit ebenso dem Zusammenhang der einzelnen Thesen wie der Verifizierung oder Falsifizierung jeder einzelnen zugekehrt werden. Im Rahmen des Instituts für Sozialforschung habe ich Versuche in dieser Richtung deshalb bisher nicht unternommen, weil sie so eng mit meinen sehr persönlichen Sachinteressen zusammenhängen, daß sie leicht als den Forschungszwecken fremd angesehen werden könnten, denen das Institut gewidmet ist, obwohl ihr Bezug auf die Erforschung weit über das Ästhetische hinausgehender Ideologien nicht zu übersehen ist.

Wo ich die gängigen musiksoziologischen und musikpsychologischen Untersuchungen kritisierte, wollte ich nicht die Empirie diskreditieren, mit deren wissenschaftlicher Behandlung meine eigene Arbeit jahrzehntelang verknüpft war und es heute noch ist. Vielmehr handelt es sich um den Unterschied administrativer und kritischer Sozialforschung; weiter um den zwischen lediglich auf subjektive Meinungen gerichteten Untersuchungen und solchen, in welche die qualitative Bestimmung dessen mit eingeht, was einer bereits veralteten Anschauungsweise als bloßer ›Stimulus‹ gilt. Der Untersuchung von Rittelmeyer messe ich darum erhebliche Tragweite bei, weil sie dartut, daß prinzipiell empirische Methoden auf Fragestellungen anwendbar sind, die einer kritischen Theorie der Gesellschaft entspringen.

1969

Fußnoten

* Vorbemerkung und Bericht erschienen in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 21 (1969), S. 93ff. (Heft 1).