Editorischer Nachtrag zu Band 15
Der Herausgeber der »Gesammelten Schriften« Adornos hat in seiner »Editorischen Nachbemerkung« zu Band 15, der auch die gemeinsam mit Hanns Eisler geschriebene »Komposition für den Film« enthält, drei Sätze aus zwei Briefen zitiert, die Adorno 1964 und 1965 schrieb und in denen er zu der Verteilung der Arbeit an dem Buch Stellung nimmt. Beide Äußerungen besagen, daß der weit überwiegende Teil des Filmmusikbuches – in einem Brief ist von »95 percent«, in dem anderen von »neun Zehnteln« die Rede – von Adorno verfaßt sei.
Georg Eisler, der Sohn Hanns Eislers, hat gegenüber Verlag und Herausgeber diese Erklärungen Adornos nachdrücklich bestritten. Nach seinem Urteil »stammt mindestens die Hälfte des Werkes von [seinem] Vater«. Georg Eisler stützt sich auf das Zeugnis von Louise Eisler-Fischer, die 1944, als die »Komposition für den Film« entstand, mit Hanns Eisler verheiratet war und bei der Entstehung des Buches zugegen gewesen sei. Georg Eisler legt ferner Wert auf die Feststellung, daß die vom Herausgeber zitierten Briefe Adornos privater Natur seien und nach dem Tod Hanns Eislers geschrieben wurden. – So selbstverständlich es für den Herausgeber war, dem Leser den Widerspruch Georg Eislers mitzuteilen, so nötigte diese Mitteilung ihn doch auch, den Leser darüber zu informieren, was ihn zu jenen Zitaten aus Adornoschen Briefen bewogen hat.
Das Interesse der Forschung an einer Identifizierung der Anteile Adornos und Eislers an dem Gemeinschaftswerk der »Komposition für den Film« ist unstreitig. Für eine solche Identifizierung sind jedoch weder briefliche Stellungnahmen eines der Autoren noch gar Erklärungen dritter Personen maßgeblich. Sie könnte allenfalls sprach- und stilkritischen Analysen und einem Vergleich der »Komposition für den Film« mit den früher verfaßten Arbeiten Adornos und Eislers gelingen; solche Untersuchungen gibt es bislang nicht. Da die Frage, wer im einzelnen was und wieviel geschrieben hat, in dem Filmmusikbuch selbst von den Autoren nicht berührt wird, gab es an sich auch für den Herausgeber keinen Grund, sie aufzuwerfen. Wenn er es gleichwohl – durch die erwähnten Briefzitate – getan hat, dann bedurfte es eines zwingenden Anlasses. Er ist im ersten Band der dritten Serie von Hanns Eislers »Gesammelten Werken« nachzulesen. Günter Mayer, der Editor des 1973 unter dem Titel »Musik und Politik. Schriften 1924–1948« im VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig, erschienenen Bandes bezeichnet auf Seite 489 »die 1969 von Adorno beanspruchte Mitautorschaft [scil. an der ›Komposition für den Film‹] als äußerst fragwürdig«. Diese desolate Äußerung stammte von dem Herausgeber einer sich »textkritisch« nennenden Ausgabe; Eislers »Gesammelte Werke« wurden von seiner Witwe und dem Leiter des Hanns-Eisler-Archivs verantwortet, sie erschienen »im Auftrag der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik«. Und in der Bundesrepublik wurde der Band, der die fragliche Äußerung Mayers enthält, vom Verlag Rogner & Bernhard in einer Parallelausgabe vertrieben: von jenem Verlag, der von Adorno und den Erben Hanns Eislers das Verlagsrecht an dem Filmmusikbuch erworben und es 1969 unter den Namen beider Verfasser veröffentlicht hatte. Angesichts der – wie immer scheinbaren, so doch nicht ohne weiteres als solche erkennbaren – Autorität, die derart der Mayerschen Behauptung verschafft wurde, schien es dem Herausgeber der »Gesammelten Schriften« Adornos geboten, ihr Adornos eigene Stellungnahme über den Charakter seiner ›Mitautorschaft‹ gegenüberzustellen.