Moments musicaux

Neu gedruckte Aufsätze

1928–1962

 

Vorrede

Nachdem der Autor in die beiden Bände seiner musikalischen Schriften erstmals frühere Arbeiten hineingezogen hatte, lag es nahe, einen Querschnitt seiner musikalisch-literarischen Produktion zu geben; Aufsätze aus den verschiedensten Zeiten zu sammeln, die in keinem seiner Bücher sich finden. Sie waren durchweg in Zeitschriften erschienen; das meiste ist schwer oder gar nicht mehr zugänglich. Angeordnet wurden sie nicht chronologisch, sondern sachlich. Geändert hat der Autor nur, wo er alter Unzulänglichkeiten gar zu sehr sich schämte.

Ein Gesichtspunkt der Auswahl war, ob ein Aufsatz vielleicht bewahrt werden sollte um der Wirkung willen, die er ausübte; auch, ob erstmals Motive angemeldet sind, die erst später durchgeführt wurden und denen etwas von der Durchschlagskraft der ersten Formulierung zukommt. Derlei Momente schleifen nur allzu leicht sich ab. Schließlich enthält das Buch manches, was typisch war für die Intentionen des Autors zu der Zeit, als er den Wiener ›Anbruch‹ redigierte.

Das meiste von dem, was er je über Musik schrieb, ist bereits in seiner Jugend, vor 1933, konzipiert. Zahlreiche Aufsätze aus jener Phase aber gingen während der Emigrationsjahre verloren. Für die Publikation gerettet wurden sie von Rudolf Komarnicki in Wien. Er hat mit einer Anteilnahme, die der Autor als unverdient empfindet und die ihn darum um so tiefer berührt, alles Einschlägige, das ihm seit den zwanziger Jahren erreichbar war, gesammelt und zur Verfügung gestellt. Der öffentliche Dank an ihn gibt nur ein Geringes wieder von dem, was der Autor ihm schuldet.

Zu den einzelnen Beiträgen sei soviel gesagt:

›Spätstil Beethovens‹, geschrieben 1934, gedruckt 1937, dürfte einige Aufmerksamkeit erwarten wegen des VIII. Kapitels des ›Doktor Faustus‹.

Der Aufsatz über Schubert galt dem hundertsten Todestag. Als erste umfangreichere Arbeit des Autors zur Deutung von Musik ließ er ihn passieren trotz manchen Unbeholfenheiten, und obwohl die philosophische Interpretation allzu unmittelbar, unter Vernachlässigung der technisch-kompositorischen Tatbestände, sich vorwagt. Kraß ist das Mißverhältnis zwischen dem großen Anspruch, auch dem des Tons, und dem Erfüllten; vieles bleibt, ebenso wie in der kurz danach entstandenen ›Nachtmusik‹, schlecht abstrakt. Keine andere captatio benevolentiae hätte der Autor vorzubringen, als daß seine spätere Anstrengung zentriert war in der Korrektur solcher Mängel; insofern sind sie ein Moment seines Denkens selber.

Die nächsten vier Beiträge, zeitlich weit voneinander entfernt, tasten nach Erfahrungen mit der Oper, die den Autor seit seiner Kindheit begleiten.

›Nachtmusik‹ war als Programm für die geistige Tendenz des ›Anbruch‹ gedacht. Viele der späteren Bemühungen des Autors um die geschichtliche Dynamik der Musik, die Veränderung der Werke in sich ebenso wie die Theorie der musikalischen Reproduktion, gehen darauf zurück.

Das Porträt Ravels und ›Reaktion und Fortschritt‹ vermitteln eine Vorstellung von dem, was der Autor dann im ›Anbruch‹ zu realisieren trachtete. Der Text über Fortschritt war das antithetische Seitenstück zu einem Beitrag Ernst Kreneks über den gleichen Gegenstand. Die für die ›Philosophie der neuen Musik‹ zentrale Kategorie der musikalischen Materialbeherrschung zeichnet darin sich ab.

›Neue Tempi‹ ist ein Modell jener Texte, welche ästhetische und geschichtsphilosophische Überlegungen mit praktisch-musikalischen Anweisungen verbinden. Die meisten Aufsätze solcher Art brachte ›Pult und Taktstock‹, eine Fachzeitschrift für Dirigenten, deren Herausgeber, der Schönbergschüler Erwin Stein, für die Versuche des Autors von Anbeginn großes Verständnis zeigte.

Die Jazzarbeit von 1936 ist das erste Ausführlichere, was der Autor, nach der Erstarrung der ersten Jahre unterm Faschismus, zustande brachte. In mehr als einer Hinsicht markiert die Abhandlung einen Durchbruch: künstlerisch-technologische und gesellschaftliche Erwägung setzt sie in eins. Die unpublizierten, unmittelbar darauf entstandenen Nachträge bezeugen den Willen, den Gehalt nicht in der Distanz von der Sache, sondern in der äußersten Nähe zu ihr aufzusuchen. Beides datiert vor die amerikanische Zeit des Autors zurück; Einzelinformationen trug der unterdessen tödlich verunglückte Komponist Mátyás Seiber bei, der vor 1933 die Jazzklasse des Hoch'schen Konservatoriums in Frankfurt leitete. Der Mangel an Kenntnis der spezifisch amerikanischen Aspekte des Jazz, zumal der Standardisierung, ist ebenso empfindlich wie die Überholtheit einiger Charakteristika des Jazz der dreißiger Jahre in Europa. Je weniger die Gattung sich wesentlich verändert, desto mehr Wesens machen die Fans aus ihrem geschichtlichen Wandel. Der Autor gestände als erster zu, daß manches von ihm Beschriebene in der Mode veraltet, manches zu unmittelbar sozialpsychologisch, ohne Rücksicht auf institutionelle gesellschaftliche Mechanismen interpretiert ist. Was in der ursprünglichen Konzeption versäumt ward oder noch nicht gesehen werden konnte, ist in dem ›Fetischcharakter‹ aus den ›Dissonanzen‹, der Jazzarbeit aus den ›Prismen‹ und dem Kapitel über leichte Musik aus der ›Einleitung in die Musiksoziologie‹ nachgeholt.

Die Artikel über Krenek, Weills ›Mahagonny‹ und Zilligs Verlainelieder sind physiognomischer eher als analytischer Art.

Zu dem Aufsatz über Schönbergs Bläserquintett (1928) seien Sätze aus einem viel späteren Brief des Komponisten an Rudolf Kolisch, vom 27. Juli 1932, angeführt: »Die Reihe meines Streichquartetts hast Du richtig (bis auf eine Kleinigkeit: der zweite Nachsatz lautet: 6. Ton cis, 7. gis) herausgefunden. Das muß eine sehr große Mühe gewesen sein, und ich glaube nicht, daß ich die Geduld dazu aufbrächte. Glaubst Du denn, daß man einen Nutzen davon hat, wenn man das weiß? Ich kann es mir nicht recht vorstellen. Nach meiner Überzeugung kann es ja für einen Komponisten, der sich in der Benützung der Reihen noch nicht gut auskennt, eine Anregung sein, wie er verfahren kann, ein rein handwerklicher Hinweis auf die Möglichkeit, aus den Reihen zu schöpfen. Aber die ästhetischen Qualitäten erschließen sich von da aus nicht, oder höchstens nebenbei. Ich kann nicht oft genug davor warnen, diese Analysen zu überschätzen, da sie ja doch nur zu dem führen, was ich immer bekämpft habe: zur Erkenntnis, wie es gemacht ist; während ich immer erkennen geholfen habe: was es ist! Ich habe das dem Wiesengrund schon wiederholt begreiflich zu machen versucht, und auch dem Berg und dem Webern. Aber sie glauben mir das nicht. Ich kann es nicht oft genug sagen: meine Werke sind Zwölfton-Kompositionen, nicht Zwölfton-Kompositionen: hier verwechselt man mich wieder mit Hauer, dem die Komposition erst in zweiter Linie wichtig ist.«1 Tatsächlich jedoch war der Autor stets gänzlich desinteressiert am Reihen-Zählen. Er hatte längst vorher, in Übereinstimmung mit Schönberg, dessen Zwölftonwerke als Kompositionen: unter dem Gesichtspunkt des musikalischen Zusammenhangs analysiert. Die Abhandlung über das Bläserquintett, welche die Idee der »Auskonstruktion der Sonate« anmeldet, wollte genau dem dienen. Das Gedruckte war lediglich ihre Einleitung; der Hauptteil war bis ins einzelne der motivisch-thematischen und formalen Struktur des großen Scherzos aus jenem op. 26, ohne Rücksicht auf die Reihe, gewidmet. Er ging verloren; nicht unmöglich, daß er doch noch im Archiv von ›Pult und Taktstock‹ ausgegraben wird. Übrigens ist kein Zweifel mehr daran, daß Berg und Webern ebenfalls keinen Augenblick lang die Reihenkomposition als Selbstzweck betrachteten, sondern einzig als Darstellungsmittel des Komponierten. Zu einem Zeitpunkt, da die Frage des Fetischismus der Mittel alle anderen kompositorischen überschattet, hat die Kontroverse eine Aktualität gewonnen, die vor dreißig Jahren nicht abzusehen war.

›Verfremdetes Hauptwerk‹ schließlich gehört in den Komplex des schon seit 1937 projektierten philosophischen Werkes über Beethoven. Bislang kam es nicht zur Niederschrift, vor allem, weil die Anstrengungen des Autors immer wieder an der Missa Solemnis scheiterten. Er hat darum wenigstens versucht, den Grund jener Schwierigkeiten zu benennen, die Frage zu präzisieren, ohne sich anzumaßen, er hätte sie etwa schon gelöst.

 

Weihnachten 1963

 
Fußnoten

 

1 Arnold Schönberg, Briefe, ausgewählt und hrsg. von Erwin Stein, Mainz 1958, S. 178f.

 

 

Spätstil Beethovens

Die Reife der Spätwerke bedeutender Künstler gleicht nicht der von Früchten. Sie sind gemeinhin nicht rund, sondern durchfurcht, gar zerrissen; sie pflegen der Süße zu entraten und weigern sich herb, stachlig dem bloßen Schmecken; es fehlt ihnen all jene Harmonie, welche die klassizistische Ästhetik vom Kunstwerk zu fordern gewohnt ist, und von Geschichte zeigen sie mehr die Spur als von Wachstum. Die übliche Ansicht pflegt das damit zu erklären, daß sie Produkte der rücksichtslos sich bekundenden Subjektivität oder lieber noch »Persönlichkeit« seien, die da um des Ausdrucks ihrer selbst willen das Rund der Form durchbreche, die Harmonie wende zur Dissonanz ihres Leidens, den sinnlichen Reiz verschmähe kraft der Selbstherrlichkeit freigesetzten Geistes. Damit wird das Spätwerk an den Rand von Kunst verwiesen und dem Dokument angenähert; tatsächlich pflegt denn auch bei Erörterungen über den letzten Beethoven der Hinweis auf Biographie und Schicksal selten zu fehlen. Es ist, als wolle angesichts der Würde menschlichen Todes die Kunsttheorie ihres Rechtes sich begeben und vor der Wirklichkeit abdanken.

Nicht anders kann verstanden werden, daß man an der Unzulänglichkeit jener Betrachtungsweise kaum je ernstlich Anstoß genommen hat. Die erweist sich, sobald man anstatt der psychologischen Herkunft das Gebilde selber im Auge behält. Denn dessen Formgesetz gilt es zu erkennen, wofern man nicht die Grenzlinie zum Dokument überschreiten mag – jenseits von welcher dann freilich jedes Konversationsheft Beethovens mehr zu bedeuten hätte als das cis-moll-Quartett. Das Formgesetz der Spätwerke ist aber jedenfalls von der Art, daß sie nicht im Begriff des Ausdrucks aufgehen. Vom letzten Beethoven gibt es höchst »ausdruckslose«, distanzierte Gebilde; darum mochte man von seinem Stil eben so gern auf neue, polyphonisch-objektive Konstruktion schließen wie auf jenes rücksichtslos Persönliche. Seine Zerrissenheit ist nicht stets die von Todesentschluß und dämonischem Humor, sondern oftmals rätselhaft schlechthin, fühlbar in Stücken heiteren, selbst idyllischen Tones. Der unsinnliche Geist meidet nicht Vortragsbezeichnungen wie »Cantabile e compiacevole« oder »Andante amabile«. Keinesfalls ist seiner Haltung das Cliché »Subjektivismus« plan zugeordnet. Wirkt doch in Beethovens Musik insgesamt Subjektivität, ganz im Sinne der Kantischen, nicht sowohl formdurchbrechend denn ursprünglich formerzeugend. Dafür mag exemplarisch die Appassionata einstehen: gewiß dichter, geschlossener, »harmonischer« als die letzten Quartette, aber um eben so vieles auch subjektiver, autonomer, spontaner. Trotzdem behaupten diese letzten Werke vor ihr den Vorrang ihres Geheimnisses. Wo ist es gelegen?

Zur Revision der Auffassung vom Spätstil könnte allein die technische Analyse der in Rede stehenden Werke verhelfen. Sie hätte sich vorab an einer Eigentümlichkeit zu orientieren, die von der landläufigen Auffassung geflissentlich übersehen wird: der Rolle der Konventionen. Die ist beim alten Goethe, beim alten Stifter bekannt; ebensowohl aber bei Beethoven als dem vorgeblichen Repräsentanten radikal persönlicher Haltung festzustellen. Damit schärft sich die Frage. Denn keine Konventionen zu dulden, die unvermeidlichen umzuschmelzen nach dem Drang des Ausdrucks ist das erste Gebot jeglicher »subjektivistischen« Verfahrungsweise. So hat gerade der mittlere Beethoven die herkömmlichen Begleitfiguren durch Bildung latenter Mittelstimmen, durch ihren Rhythmus, ihre Spannung und welches Mittel auch immer in die subjektive Dynamik hineingezogen und nach seiner Intention verwandelt, wo er sie nicht gar – wie im ersten Satz der Fünften Symphonie – aus der thematischen Substanz selber entwickelt und kraft deren Einmaligkeit der Konvention entreißt. Ganz anders der späte. Überall sind in seine Formensprache, auch dort, wo sie einer so singulären Syntax sich bedient wie in den fünf letzten Klaviersonaten, Formeln und Wendungen der Konvention eingesprengt. Sie sind voller schmückender Trillerketten, Kadenzen und Fiorituren; oftmals wird kahl, unverhüllt, unverwandelt die Konvention sichtbar: das erste Thema der Sonate op. 110 zeigt eine unbefangen primitive Sechzehntelbegleitung, die der mittlere Stil kaum geduldet hätte; die letzte der Bagatellen bringt Einleitungs- und Schlußtakte wie das verstörte Vorspiel einer Opernarie – all dies mitten in den härtesten Gesteinschichten der vielstimmigen Landschaft, den verhaltensten Regungen abgeschiedener Lyrik. Keine Auslegung Beethovens und wohl jeglichen Spätstils langt zu, die die Konventionstrümmer nur psychologisch, mit Gleichgültigkeit gegen die Erscheinung motivierte. Hat doch Kunst allemal bloß in der Erscheinung ihren Gehalt. Das Verhältnis der Konventionen zur Subjektivität selber muß als das Formgesetz verstanden werden, aus welchem der Gehalt der Spätwerke entspringt, wofern sie wahrhaft mehr bedeuten sollen als rührende Reliquien.

Dies Formgesetz wird aber gerade im Gedanken an den Tod offenbar. Wenn vor dessen Wirklichkeit das Recht von Kunst vergeht: dann vermag er gewiß nicht unmittelbar ins Kunstwerk einzugehen als dessen »Gegenstand«. Er ist einzig den Geschöpfen, nicht den Gebilden auferlegt und erscheint darum von je in aller Kunst gebrochen: als Allegorie. Das verfehlt die psychologische Deutung. Indem sie die sterbliche Subjektivität zur Substanz des Spätwerkes erklärt, hofft sie bruchlos im Kunstwerk des Todes innewerden zu können; das bleibt die trügende Krone ihrer Metaphysik. Wohl gewahrt sie die sprengende Gewalt von Subjektivität im späten Kunstwerk. Aber sie sucht sie in der entgegengesetzten Richtung als der, nach welcher sie drängt; sucht sie im Ausdruck von Subjektivität selber. Diese jedoch, als sterbliche und im Namen des Todes, verschwindet in Wahrheit aus dem Kunstwerk. Die Gewalt der Subjektivität in den späten Kunstwerken ist die auffahrende Geste, mit welcher sie die Kunstwerke verläßt. Sie sprengt sie, nicht um sich auszudrücken, sondern um ausdruckslos den Schein der Kunst abzuwerfen. Von den Werken läßt sie Trümmer zurück und teilt sich, wie mit Chiffren, nur vermöge der Hohlstellen mit, aus welchen sie ausbricht. Vom Tode berührt, gibt die meisterliche Hand die Stoffmassen frei, die sie zuvor formte; die Risse und Sprünge darin, Zeugnis der endlichen Ohnmacht des Ichs vorm Seienden, sind ihr letztes Werk. Darum der Stoffüberschuß im zweiten Faust und in den Wanderjahren, darum die Konventionen, die von Subjektivität nicht mehr durchdrungen und bewältigt, sondern stehen gelassen sind. Mit dem Ausbruch von Subjektivität splittern sie ab. Als Splitter, zerfallen und verlassen, schlagen sie endlich selber in Ausdruck um; Ausdruck jetzt nicht mehr des vereinzelten Ichs, sondern der mythischen Artung der Kreatur und ihres Sturzes, dessen Stufen die späten Werke gleichwie in Augenblicken des Einhaltens sinnbildlich schlagen.

So werden beim letzten Beethoven die Konventionen Ausdruck in der nackten Darstellung ihrer selbst. Dazu dient die oft bemerkte Verkürzung seines Stils: sie will die musikalische Sprache nicht sowohl von der Floskel reinigen als vielmehr die Floskel vom Schein ihrer subjektiven Beherrschtheit: die freigegebene, aus der Dynamik gelöste Floskel redet für sich. Jedoch nur im Augenblick, da Subjektivität, entweichend, durch sie hindurchfährt und mit ihrer Intention sie jäh erleuchtet; daher die Crescendi und Diminuendi, die, scheinbar unabhängig von der musikalischen Konstruktion, diese beim letzten Beethoven oftmals erschüttern.

Er sammelt nicht mehr die Landschaft, verlassen jetzt und entfremdet, zum Bilde. Er überstrahlt sie mit dem Feuer, das Subjektivität entzündet, indem sie ausbrechend auf die Wände des Werkes aufprallt, treu der Idee ihrer Dynamik. Prozeß bleibt noch sein Spätwerk; aber nicht als Entwicklung, sondern als Zündung zwischen den Extremen, die keine sichere Mitte und Harmonie aus Spontaneität mehr dulden. Zwischen Extremen im genauesten technischen Verstande: hier der Einstimmigkeit, dem Unisono, der bedeutenden Floskel, dort der Polyphonie, die unvermittelt darüber sich erhebt. Subjektivität ist es, welche die Extreme im Augenblick zusammenzwingt, die gedrängte Polyphonie mit ihren Spannungen lädt, im Unisono sie zerschlägt und daraus entweicht, hinter sich lassend den entblößten Ton; die Floskel einsetzt als Denkmal des Gewesenen, worin versteint Subjektivität selber eingeht. Die Zäsuren aber, das jähe Abbrechen, das mehr als alles andere den letzten Beethoven bezeichnet, sind jene Augenblicke des Ausbruchs; das Werk schweigt, wenn es verlassen wird, und kehrt seine Höhlung nach außen. Dann erst fügt das nächste Bruchstück sich an, vom Befehl der ausbrechenden Subjektivität an seine Stelle gebannt und dem voraufgehenden auf Gedeih und Verderb verschworen; denn das Geheimnis ist zwischen ihnen, und anders läßt es sich nicht beschwören als in der Figur, die sie mitsammen bilden. Das erhellt den Widersinn, daß der letzte Beethoven zugleich subjektiv und objektiv genannt wird. Objektiv ist die brüchige Landschaft, subjektiv das Licht, darin einzig sie erglüht. Er bewirkt nicht deren harmonische Synthese. Er reißt sie, als Macht der Dissoziation, in der Zeit auseinander, um vielleicht fürs Ewige sie zu bewahren. In der Geschichte von Kunst sind Spätwerke die Katastrophen.

 

1937

 

Schubert

 

Tout le corps inutile était envahi par la transparence. Peu à peu le corps se fit lumière. Le sang rayon. Les membres dans un geste incompréhensible se figèrent. Et l'homme ne fut plus qu'un signe entre les constellations.

Louis Aragon

 

Wer die Schwelle zwischen den Todesjahren Beethovens und Schuberts überschreitet, den ergreift ein Schauer, wie ihn ähnlich empfinden mag einer, der aus rollendem, aufgestülptem, erkaltendem Krater ins schmerzhaft feine und weiß behangene Licht kommt und vor den Lavafiguren der schutzlos gebreiteten Höhe dunkler Pflanzengespinste gewahr wird, um endlich, nah dem Berg schon und dennoch weit über seinem Haupte, die ewigen Wolken in ihrer Bahn zu erkennen. Aus dem Abgrund betritt er die Landschaft, die jenen umgibt und seine bodenlose Tiefe einzig sichtbar macht, indem sie sie mit der gewaltigen Stille ihrer Lineatur umzieht und in Bereitschaft das Licht empfängt, dem blind zuvor die glühende Masse entgegenschlug. Mag immer Schuberts Musik nicht in sich selber die Macht des tätigen Willens enthalten, der vom Schwerpunkt der Beethovenschen Natur sich erhebt: die Schlünde und Schächte, die sie durchfurchen, leiten in die gleiche chthonische Tiefe, in der jener Wille seinen Ursprung hat, und machen ihr dämonisches Bild offenkundig, das die Tat der praktischen Vernunft je und je wieder zu meistern vermochte; die Sterne aber, die ihr sichtbar leuchten, sind die gleichen, nach deren unerreichbarem Schein die eifernde Hand griff. So muß strengen Sinnes von Schuberts Landschaft die Rede sein. Nichts könnte gründlicher die Gehalte seiner Musik verfälschen, als der Versuch, ihn, da er sich schon einmal nicht wie Beethoven aus spontaner Einheit der Person verstehen läßt, als Persönlichkeit zu konstruieren, deren Idee, ein virtuelles Zentrum, die disparaten Züge ordnete. Je weiter vielmehr von solchem innermenschlichen Bezugspunkt die Züge der Schubertschen Musik sich entfernen, um so besser bewähren sie sich als Zeichen einer Intention, die allein sich durchsetzt über den Bruchstücken der trügenden Totalität des Menschen, wie er als selbstbestimmter Geist von sich aus bestehen möchte. Jeglicher idealistischen Synopsis ebensowohl wie der vorschnellen phänomenologischen Erforschung von »Sinneinheit« enthoben, geschlossenes System so wenig wie zweckvoll wachsende Blume, gibt Schuberts Musik den Schauplatz des Miteinander von Wahrheitscharakteren ab, die sie nicht erzeugt, sondern empfängt und die nur empfangen von Menschen ausgesagt werden können. Es ist das freilich nicht so zu denken, als sei der Anteil des personellen Komponierens in Schuberts Musik rundweg getilgt, und so sehr die landläufige Vorstellung die Realität verfehlt, Schubert habe, Lyriker seiner selbst, umstandslos und ohne Zäsur ausgedrückt, was er als psychologisch bestimmtes Wesen gerade eben fühlte, so irrig wäre eine Auffassung, die den Menschen Schubert aus seiner Musik streichen möchte und ihn, nach dem Muster der Bruckner-Phraseologie, zum Gefäß göttlicher Eingebungen oder vollends Offenbarungen machen; wie denn die Rede von künstlerischer Intuition, aus schlechter psychologischer Deutung des Produktionsprozesses und wahlloser Metaphysik des fertigen Gebildes trüb gemischt, die Einsicht in Kunst stets nur versperrt. Beide Vorstellungen sind identisch eigentlich, obschon sie an der Oberfläche heftig kontrastieren, und mit der einen entfällt zugleich die andere. Beide wurzeln in einem falschen Begriff vom Lyrischen, das sie, der frevelnden Überhöhung von Kunst im neunzehnten Jahrhundert getreu, für Wirkliches nehmen; für Teilstück des wirklichen Menschen oder Splitter transzendenter Wirklichkeit, während als Kunst auch Lyrisches Bild des Wirklichen bleibt, bloß darin von anderen Bildern unterschieden, daß sein Erscheinen mit dem Einbruch des Wirklichen selber in seiner Möglichkeit verknüpft ist. Damit wird der Anteil des Subjektiven und Objektiven am Lyrischen, das Schuberts Landschaft ausmacht, neu bestimmt. Die lyrischen Gehalte werden nicht erzeugt: es sind die kleinsten Zellen der seienden Objektivität, als deren Bilder sie stehen, nachdem die großen Formen objektiven Bestandes in ihrem autoritären Recht längst verfielen. Diese Bilder indessen fallen nicht in die Seele des lyrisch geöffneten Menschen ein wie Strahlen ins Pflanzengewebe: nirgends sind Kunstwerke Geschöpfe. Sie werden vielmehr vom Menschen gleich Schießscheiben getroffen: wird die richtige Nummer erreicht, so schlagen sie um und lassen das Wirkliche selber durchscheinen. Die Kraft, die sie trifft, ist menschlich, nicht künstlerisch: Gefühl des Menschen bewegt sie. Nicht anders ist die Indifferenz des Subjektiven und Objektiven im lyrischen Gebilde zu begreifen. Nicht bildet der Lyriker im Gebilde unvermittelt sein Gefühl ab, sondern sein Gefühl ist das Mittel, Wahrheit in ihrer unvergleichlich kleinen Kristallisation ins Gebilde zu ziehen. Nicht fällt Wahrheit selber ins Gebilde, sondern stellt sich dar in ihm, und die Enthüllung ihres Bildes bleibt Werk des Menschen. Der Bildner enthüllt das Bild. Das Bild von Wahrheit aber steht allemal in Geschichte. Die Geschichte des Bildes ist sein Zerfall: Zerfall des Scheines von Wahrheit all der Gehalte, die es von sich aus meint, und Aufdeckung seiner Transparenz zu den Wahrheitsgehalten, die mit ihm gemeint sind und rein erst in seinem Zerfall hervortreten. Der Zerfall des lyrischen Gebildes nun ist der Zerfall seines subjektiven Gehaltes zumal. Die subjektiven Gehalte des lyrischen Kunstwerkes sind durchaus nur seine Stoffgehalte. Mit ihnen werden die abgebildeten Wahrheitsgehalte getroffen bloß; zwischen beiden die Einheit gehört der geschichtlichen Stunde und löst sich auf. So sind denn bleibend an lyrischen Gebilden nicht, wie naturgläubige Statik es will, konstante menschliche Grundgefühle, sondern jene objektiven Charaktere, an die im Ursprung des Kunstwerks jeweils jene Gefühle, die vergänglich sind, rührten; die subjektiv vermeinten und reproduzierten Gehalte indessen haben das gleiche Schicksal wie nur die großen materialbestimmten Formen, die die Zeit erweicht. Der dialektische Aufprall beider Mächte: der Formen, die in trügender Ewigkeit aus den Sternen abgelesen werden, und der Stoffe der Bewußtseinsimmanenz, die als unableitbare Gegebenheiten schlechthin sich setzen, zertrümmert beide und mit ihnen die vorläufige Einheit des Werkes: eröffnet das Werk als Schauplatz ihrer Vergänglichkeit und legt endlich frei, was an Bildern der Wahrheit zur brüchigen Decke des Kunstwerks sich erhob. Heute erst ist der Landschaftscharakter von Schuberts Musik evident geworden, wie heute erst das Lot die luziferische Senkrechte der Beethovenschen Dynamik ermessen kann. Die dialektische Befreiung der eigentlichen Gehalte Schuberts vollzieht sich nach der Romantik, der er selber kaum jemals blank zurechnet. Sie hat sein Werk als Zeichensprache des subjektiv Vermeinten gelesen, das Problem seiner Form in banaler Kritik unterdrückt; die psychologischen Mitteilungen, die sie aus ihm zog, hat sie dynamisch überboten und so schnell erschöpft, wie sich nur die schlechte Unendlichkeit erschöpfen läßt. Doch ließ sie als besseren Teil des Werkes dessen Rest zurück, und die Hohlräume der ausgebrochenen Subjektivität darin, die Sprünge der poetischen Oberfläche erfüllen sich sichtbar mit dem Metall, das unter den faßlichen Aussagen des Seelenlebens vordem sich verkapselt hatte. Zum Zeugnis des Untergangs der bewegenden Subjektivität im Wahrheitscharakter des Werkes steht die Verwandlung des Menschen Schubert in jenen abscheulichen Gegenstand kleinbürgerlicher Sentimentalität, dessen literarische Formel zwar Rudolf Hans Bartsch in der Figur des Schwammerl gefunden hat, die aber geheim das heutige Schubert-Schrifttum aus Österreich insgesamt beherrscht; und vollends als Schlußstück aller romantischen Schubert-Imagination deren Vernichtung im Dreimäderlhaus. Denn so klein muß ja wohl der Mensch werden, um nicht länger die Perspektive zu verstellen, die er aufgetan hat und aus deren Bannkreis er doch nicht ganz vertrieben werden darf, sondern die er als geringste Staffage am Rande beleben muß; und wieder stimmt die Gestalt jenes unstimmigen Schubert, der, ein Gelächter für Ladenmädchen unter ihresgleichen und selber ein Stück ihresgleichen, in erotischer Hilflosigkeit sich ergeht, wahrhaft besser zum genuinen Bilde seiner Musik als der vormärzliche Träumer, der immerzu am Bächlein sitzt, das er rauschen hört. Mit großem Recht auch schließt das Dreimäderlhaus an Schubert, nicht an Mozart oder Beethoven an, und die sozial determinierte Affinität des Biedermeiers zu Genrepostkarten, die den Impuls jeglicher Verkitschung Schuberts entbindet, weist sich im Werke selber aus als Fortbestand des Vereinzelten, wie es die Schubertsche Landschaft besetzt. Mag selbst der Bestand der Schubertschen Form enden, während die Beethovensche und Mozartsche unzerbrochen stumm dauert – worüber freilich, ehe nach jener Form die Frage nur ernstlich gestellt wurde, nicht entschieden werden darf –, die wirre, banale, quere und sozial der bestehenden Ordnung höchst inadäquate Welt der Potpourris garantiert seinen Themen ein zweites Leben. Im Potpourri rücken die Züge des Werkes, die mit dem Untergang der subjektiven Einheit in ihm zerstreut sind, zu einer neuen Einheit zusammen, die zwar als solche nicht sich zu legitimieren vermag, die aber einzig die Unvergleichlichkeit der Züge erweist, indem sie sie unvermittelt konfrontiert. Der Fortbestand des Themas als Thema wird vom Potpourri garantiert, das Thema an Thema fügt, ohne aus einem verändernde Konsequenzen ziehen zu müssen. Kein Thema, das vergangen wäre, könnte solche abgesetzte Nachbarschaft eines anderen ertragen; furchtbar liegt Totenstarre über den Opernpotpourris des neunzehnten Jahrhunderts. Bei Schubert aber drängen sich die Themen, ohne zur medusischen Figur zu gerinnen. Dennoch legt erst ihre blindlings unternommene Sammlung den Weg frei zu ihrem Ursprung und zugleich rückwärts den Zugang zur Schubertschen Form. Denn als die Zusammenlegspiele der Musik wollen Potpourris auf gut Glück die verlorene Einheit von Kunstwerken wiederfinden. Nur dann ist ihnen Chance zu geben, wenn jene Einheit nicht selber eine subjektiv erzeugte war, die im Glücksspiel nimmer sich heimbringen ließe, sondern wenn sie aus der Konfiguration der getroffenen Bilder aufstieg. Damit scheint nun allerdings einer Schubertauffassung umständlich das Wort geredet, wie sie herkömmlich und in ihrer Meinung vom Lyrischen falsch ist: jener nämlich, die Schuberts Musik als pflanzenhaft sich entfaltendes Wesen sieht, das ohne Rücksicht auf jede vorgedachte Form und aller Form vielleicht bar aus sich heraus wächst und erquickend blüht. Allein es ist mit der Konstruktion aus dem Potpourri gerade jene organologische Theorie strikt verneint. Solche organische Einheit wäre notwendig teleologisch: jede Zelle in ihr machte die nächste notwendig, und ihr Zusammenhang wäre das bewegende Leben der subjektiven Intention, das erstarb und dessen Restitution gewiß nicht im Sinne des Potpourris gelegen ist. Wagners Musik, nach dem Bilde des Organischen errichtet, läßt wesentlich das Potpourri nicht zu; wohl aber die von Weber und Bizet, die Schubert tatsächlich verwandt sind. Die Zellen, die das Potpourri zusammenschichtet, müssen nach anderem Gesetz ineinander verwoben gewesen sein als dem der Einheit von Lebendigem. Zugestanden selbst, es sei vergleichsweise Schuberts Musik überall mehr gewachsen als gemacht: ihr Wuchs, bruchstückhaft durchaus und niemals sich selbst genügend, ist vegetabilisch nicht, sondern kristallinisch. Indem der bewahrende Übergang zum Potpourri die ursprüngliche konfigurative Vereinzelung der Schubertschen Züge und damit den konstitutiv fragmentarischen Charakter seiner Musik bestätigt, klärt er vollends die Schubertsche Landschaft auf. Kein Zufall darf darin gesehen werden, daß im neunzehnten Jahrhundert das Potpourri zur gleichen Zeit als Surrogat musikalischer Form aufkam, zu der die Miniaturlandschaft als bürgerliches Gebrauchsobjekt jeglicher Art bis zur Ansichtskarte sich bildete. Alle jene Landschaftsintentionen konvergieren in dem Motiv, plötzlich aus Geschichte aufzuspringen, um sie wie mit einem Scherenschlag abzuschneiden. Sie haben ihr Schicksal fernerhin in Geschichte, aber allein als deren Schauplatz: niemals ist Geschichte ihr Gegenstand. In ihnen bildet die Idee einer zeitlosen mythischen Realität dämonisch depraviert sich ab. So sind auch Potpourris ohne Zeit in sich. Die vollständige Vertauschbarkeit alles thematisch Einzelnen dort zeigt an die Gleichzeitigkeit aller Ereignisse, die ohne Geschichte aneinanderrücken. Aus jener Gleichzeitigkeit läßt sich die Kontur der Schubertschen Landschaft ablesen, die sie infernalisch widerspiegelt. Jede wahrhaft legitime Depravation ästhetischer Gehalte wird inauguriert von Kunstwerken, in denen die Enthüllung des Bildes so weit gelungen ist, daß die durchscheinende Macht von Wahrheit im Bilde sich nicht mehr bescheidet, sondern ins Wirkliche eindringt. Jene Transparenz, für die das Kunstwerk mit seinem Leben zu zahlen hat, eignet den Kristallen der Schubertschen Landschaft. Dort ruhen ungeschieden Schicksal und Versöhnung beieinander; ihre zweideutige Ewigkeit wird vom Potpourri zerschlagen, damit sie erkannt werden kann. Es ist die Landschaft des Todes zuvor. So wenig Geschichte zwischen dem Eintreten eines Schubertschen Themas und einem zweiten konstitutiv waltet, so wenig ist Leben intentionales Objekt seiner Musik. Dem Problem der Hermeneutik nun, das Schubert unabweisbar stellt, wurde bislang allein in der Polemik wider den romantischen Psychologismus und nicht in der geforderten Schärfe nachgegangen. Die Kritik aller musikalischen Hermeneutik vernichtet zu Recht jegliche Deutung von Musik als poetischer Reproduktion psychischer Gehalte. Nicht aber ist sie legitimiert, den Bezug auf die getroffenen objektiven Wahrheitscharaktere zu eliminieren und die schlechte subjektivistische Betrachtung von Kunst durch den Glauben an deren blinde Immanenz zu ersetzen. Keine Kunst hat sich selbst zum Gegenstand; nur tritt ihr symbolisch Gemeintes nicht in abstrakter Sonderung von seiner materialen Konkretion auf. Es ist in seinem Ursprung unabtrennbar an jene gebunden, um sich mit Geschichte erst von ihr abzuscheiden. In Geschichte entsteigen wechselnde Gehalte dem Werk, und allein das verstummte Werk besteht für sich selber. Wenn Schuberts Werk, in Depravationen heute noch beredter als irgend andere seines Zeitalters, nicht zu versteinen brauchte, so darum gerade, weil es sein Leben nicht der vergänglichen subjektiven Dynamik in konformer Abbildung verdankt. Zu seinem Ursprung ist es das unorganische, sprunghafte, brüchige Leben von Steinen bereits, und zu tief ist ihm der Tod eingesenkt, als daß es den Tod zu fürchten hätte. Keinesfalls ist da an die psychologischen Reflexe, die Todeserlebnisse zu denken, und die zahllosen Anekdoten, die von Todesahnungen des Menschen Schubert berichtet werden, haben kaum anderen Wert als den von schwachen Zeichen. Höher schon ist die Wahl der Texte einzuschätzen, deren Kraft die Schubertsche Landschaft in Bewegung bringt, mag sie auch rasch genug unter ihrer Masse verschüttet werden. Besonders ist daran zu erinnern, daß die beiden großen Zyklen an Gedichte anknüpfen, in denen stets wieder die Bilder des Todes vor den Menschen sich stellen, der so klein zwischen ihnen wandert wie nur Schubert im Dreimäderlhaus. Bach, Mühle und schwarze winterliche Einöde, im Zwielicht der Nebensonnen ohne Zeit wie im Traum sich erstreckend, sind die Zeichen der Schubertschen Landschaft, trockene Blumen ihr trauriger Schmuck; die objektiven Todessymbole lösen sie aus, und ihr Gefühl kehrt in die objektiven Todessymbole zurück. So ist die Schubertsche Dialektik geartet: sie saugt die verbleichenden Bilder der seienden Objektivität mit der Macht subjektiver Innerlichkeit an, um sie in den kleinsten Zellen der musikalischen Konkretion wiederzufinden. Das allegorische Bild vom Tod und dem Mädchen geht unter in ihr; aber nicht um sich im Gefühl des Individuums zu lösen, sondern um nach seinem Untergang aus der musikalischen Gestalt der Trauer gerettet sich zu erheben. Sie ist damit freilich qualitativ verändert. Aber erst im kleinsten glückt die Veränderung. Im großen herrscht der Tod. Allein der zyklische Charakter der Disposition der beiden Liederreihen vermöchte es zu erweisen: denn der kreislaufhafte Umgang der Lieder ist der zeitlose zwischen Geburt und Tod, wie blinde Natur ihn diktiert. Der ihn durchmißt, ist der Wanderer. Niemals wurde die Kategorie des Wanderers in ihrer bestimmenden Dignität für die Struktur des Schubertschen Werkes erörtert; während sie doch um so tiefer in Schuberts mythischen Gehalt Einsicht eröffnet, als sie von der handgreiflichen Symbolik Wagners sich gänzlich fernhält und wahr in sich begreift, was dort scheinhaft zitiert wird. Wenn die Psychoanalyse Reise und Wanderschaft für die objektive Todessymbolik als archaisches Residuum beschlagnahmt, so sind beide in der Landschaft des Todes füglich zu suchen. Der exzentrische Bau jener Landschaft, darin jeder Punkt dem Mittelpunkt gleich nah liegt, offenbart sich dem Wanderer, der sie durchkreist, ohne fortzuschreiten: alle Entwicklung ist ihr vollkommenes Widerspiel, der erste Schritt liegt so nahe beim Tod wie der letzte, und kreisend werden die dissoziierten Punkte der Landschaft abgesucht, nicht sie selber verlassen. Denn Schuberts Themen wandern nicht anders als der Müller oder der, den im Winter die Geliebte verließ. Nicht Geschichte kennen sie, sondern perspektivische Umgehung: aller Wechsel an ihnen ist Wechsel des Lichtes. Es erklärt sich damit Schuberts Neigung, das gleiche Thema zwei-, dreimal in verschiedenen Werken, und verschieden, zu exponieren; am denkwürdigsten wohl in der Wiederholung jener unvergangenen Melodie, die als Thema von Klaviervariationen, als Variationenthema im a-moll-Quartett und in der Rosamunde-Musik steht. Töricht, jene Wiederkehr aus der Unersättlichkeit des Musikanten zu erklären, der doch bei seinem bis zum Überdruß ausgeschrienen Melodienreichtum hundert andere Themen hätte finden können; dem Wandernden allein begegnen unverändert, aber anderen Lichtes die gleichen Partien wieder, die ohne Zeit sind und unverbunden vereinzelt sich darstellen. Dies Schema befaßt nicht bloß die wiederholte Anwendung des gleichen Themas in verschiedenen Stücken, sondern wesentlich die Konstitution der Schubertschen Formen in sich. In ihnen auch bleiben die Themen ohne dialektische Geschichte; und wenn Schuberts Variationenwerke nirgends, wie Beethovens, das Gefüge des Themas angreifen, sondern es umspielen und umgehen, so ist zumal dort die kreisende Wanderschaft Schuberts Form, wo ihr nicht ein vordergründig zugängliches Zentrum gegeben ward, nein, wo dies Zentrum allein in der Kraft sich kundtut, alles, was erscheint, auf sich hin zu richten. Derart sind sowohl die Impromptus und Moments musicaux, als auch vollends die Werke in Sonatenform gefügt. Nicht allein die gründende Negation aller thematisch-dialektischen Entwicklung stellen sie disparat zur Beethovenschen Sonate, sondern ebensowohl auch die Wiederholbarkeit unveränderter Charaktere. Daß in der ersten a-moll-Sonate etwa zwei Einfälle den Satz anlegen, die nicht als erstes und zweites Thema gegeneinander stehen, vielmehr beide in der ersten sowohl wie in der zweiten Themengruppe enthalten sind, ist nicht einer motivischen Ökonomie zuzuschreiben, die um der Einheit willen haushält mit dem Material, sondern der Wiederkehr des Gleichen in der ausgebreiteten Vielfalt. Man kann hier den Ursprung jenes Begriffes von Stimmung aufsuchen, wie er für die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts und die Landschaftsmalerei zumal seine Geltung behielt: Stimmung ist, was wechselt an dem, was zeitlos sich selber gleichbleibt, ohne daß Wechsel Macht hätte darüber. Es bedarf allein der Lockerung dessen, was gleich bleibt, um Stimmung alsogleich in Schein zu verwandeln. Darum haftet die Echtheit von Schuberts perspektivischen Stimmungen unabtrennbar an der Echtheit des identischen Gehaltes, den sie umkreisen; und wenn sie dem Verfall von Stimmungskunst entrannen, haben sie es den getroffenen Charakteren selber zu verdanken. Wiederholbar ist das ansichseiende Einzelne, nie das subjektiv Erzeugte, das in Zeit notwendig verläuft. Nicht die Wiederholungen als solche sind es, die die Formen Schumanns und Wagners gefährden, sondern bloß die Wiederholung von Unwiederholbarem, das allein an jenem Ort der Form sein Recht hat, wo es der innerzeitlichen subjektiven Dynamik entsteigt. Anders bei Schubert. Seine Themen sind Erscheinungen von Wahrheitscharakteren, und das Vermögen des Künstlers ist darauf beschränkt, ihr Bild mit Gefühl zu treffen, und nachdem es einmal erschienen, es wieder und wieder zu zitieren. Kein Zitat aber geschieht zur gleichen Zeit, und darum wechselt die Stimmung. Schuberts Formen sind Formen der Beschwörung des einmal Erschienenen, nicht der Verwandlung des Erfundenen. Dies gründende Apriori hat die Sonate vollständig ergriffen. Da treten anstelle von entwickelnden Vermittlungssätzen harmonische Rückungen als Umbelichtungen und führen in ein neues Landschaftsbereich, das in sich so wenig Entwicklung kennt wie der vorige Teil; da wird in Durchführungen verzichtet, die Themen motivisch zu zergliedern, um aus ihren kleinsten Teilen den dynamischen Funken zu schlagen, sondern die unabänderlichen Themen werden fortschreitend enthüllt; da werden rückschauend Themen wieder aufgenommen, die durchmessen, nicht aber vergangen sind; und über allem liegt gleich einer dünnen knisternden Hülle die Sonate, die die wachsenden Kristalle überzieht, um bald zu zerbrechen. Eine wahrhafte Formanalyse Schuberts, wie sie bislang noch nicht in Angriff genommen wurde, wie sie aber programmatisch völlig klar steht, hätte vor allem der Dialektik nachzugehen, die zwischen dem vorgesetzten Sonatenschema und Schuberts zweiter, kristallinischer Form waltet und jene Form erst ergibt, indem sich der Einfall über die trügende Dynamik der Sonate hinaus zu behaupten und zu bekräftigen hat; nichts könnte die Themen mehr stärken als der immanente Zwang, eine Form zu beherrschen, die sie von sich aus als Themen nicht dulden möchte. Der fundierende Unterschied von Einfall und Erfindung, der nicht mit der Mainlinie zwischen Gnade und Willen gezogen werden darf, sondern beide mitten durchschneidet, ist mit Schubert exemplarisch fixiert. Zu den Formobjektivitäten nämlich verhalten sich beide gleichermaßen dialektisch. Erfindung durchdringt mit konstruktiver Macht deren Sein vom Subjekt aus und löst es auf in der Behauptung der Person, die die Form frei nochmals aus sich heraus erzeugt; Einfall sprengt sie durch Dissoziation, indem er ihre konstitutive Würde, die im großen verging, im kleinsten Rest bewahrt, wo sie mit der subjektiven Intention kommuniziert. Erfindung baut in den Dimensionen der unendlichen Aufgabe und trachtet Totalität zu errichten; Einfall zeichnet die Figuren der Wahrheit ab und wird belohnt durchs endliche Gelingen im kleinsten. Das erst legt die Rede vom getroffenen Bild ganz klar. Es ist getroffen zugleich wie jene Schießscheibe vom Schützen und wie das Wirkliche vom Abbild; wie eine Photographie »gut getroffen« ist, wenn sie einer Person ähnelt, so gut getroffen sind die Schubertschen Einfälle nach ihrem unvergänglichen Vorbild, von dessen Ewigkeit sie oft genug die Spuren noch bewahren, als seien sie selbst stets schon dagewesen und nur aufgedeckt; zugleich aber hat in ihnen der Mensch den Einbruch in die Region der Wahrheit so sicher vollzogen wie nur ein Schütze mit scharfen Augen. Beides Getroffensein geschieht im Augenblick, blitzhaft erhellt, nicht in der ausgebreiteten Zeit; ihr kleinstes Teil steht als Signal ihrer Aufhebung selber. Zum Zeichen des Getroffenseins; Loch im Vordergrund der Form, auf die gezielt ward, und zugleich durchscheinend zur unerreichbaren wahren Form sind Schuberts Themen asymmetrisch, in frühem Hohn auf die Architektur der Tonalität. In ihrer Unregelmäßigkeit setzt die Autonomie des getroffenen Bildes über dem abstrakten Willen zur puren Formimmanenz sich durch; ins Gefüge der subjektiven Intentionen und ihrer geschichtlich gesetzten Stilkorrelate jedoch legt sie rechtmäßig Brüche: so muß das Werk Fragment bleiben. Am Schubertschen Finale erweist sich der fragmentarische Charakter seiner Musik material. Der Kreisgang der Liedergruppen verbirgt, was in jeder zeitlichen Folge zeitloser Zellen evident werden muß, sobald sie umstandslos der Entwicklungszeit der Sonate sich zu nähern bestrebt sind; daß das Finale der h-moll-Symphonie nicht geschrieben werden konnte, ist mit der Unzulänglichkeit des Finales der Wandererphantasie etwa zusammenzudenken; nicht der Dilettant des vollen Herzens versagt vorm gefügten Schluß, sondern die Tartarusfrage, »ob noch nicht Vollendung sei«, herrscht weit und bannend über Schuberts Region, und vor ihr verstummt Musik. Darum sind die geglückten Finali, die von Schubert blieben, vielleicht die mächtigsten Signa der Hoffnung gerade, die sein Werk enthält.

Davon ist freilich in der Wandererphantasie noch nichts zu finden. Ihr helles Waldgrün sogar zieht sich im zitierenden Adagio zur finsteren acherontischen Schlucht zusammen. Die Hermeneutik des Todes, die in so viele Bilder der Schubertschen Musik eindringt und ihren objektiven Charakter anrührt, erschöpft ihn nicht. Der Affekt des Todes – denn der Affekt des Todes wird in Schuberts Landschaft nachgebildet, die Trauer über den Menschen, nicht der Schmerz in ihnen – ist allein das Tor zur Unterwelt, in die Schubert hinabgeleitet. Vor ihr versagt das hermeneutische Wort, das eben noch dem Übergang des Todes zu folgen vermag. Keine Metapher mehr kann einen Weg bahnen durch die Eisblumenwälder, die jäh anschießenden Kristalle, die gleich erstorbenen Drachen daher stürzen; die helle Oberwelt, von der immer wieder der Weg in dies Reich beginnt, ist wenig mehr als perspektivisches Mittel, der dritten Dimension die erste und zweite vorauszuschicken; so dünn als vegetabilische Decke wie eben die organisch-dialektische Sonate über Schuberts zweiter Form. Seine blinde Neigung, in der Textwahl mythologischen Gedichten zu folgen, ohne da zwischen Goethe und Mayrhofer noch viel Unterschied zu machen, markiert aufs drastischeste das Versagen allen Wortes in jenem Tiefenraum, darin das Wort allein noch Stoffe abwirft, nie aber die Macht hat, sie wahrhaft zu erleuchten. Den leer fallenden Worten, nicht ihrer erhellten Intention folgt der Wanderer in die Tiefe, und selbst seine menschliche Leidenschaft wird zum Mittel des schauenden Abstiegs, der nicht in den Grund der Seele, sondern ins Gewölbe seines Schicksals führt. »Ich will den Boden küssen / durchdringen Eis und Schnee / mit meinen heißen Tränen / bis ich die Erde seh.« Dort hinunter zieht die Harmonik, das rechte Prinzip musikalischer Naturtiefe: Natur ist aber da nicht der sinnige Gegenstand innermenschlichen Naturgefühls, sondern die Bilder der Natur sind Gleichnisse des cthonischen Tiefenraums selber, so unzulänglich als solche wie je das poetische Wort. Nicht umsonst sind Schuberts Stimmungen, die nicht kreisen bloß, sondern auch stürzen, an die harmonische Rückung, den Durchblick der Modulation geknüpft, der aufs Gleiche aus wechselnder Tiefe Licht fallen läßt. Wie Blenden verstellen jene plötzlichen, entwicklungsfremden, niemals vermittelnden Modulationen das Oberlicht; die Einführung der zweiten Themengruppe im ersten Satz der großen B-Dur-Sonate; der gewaltsame chromatische Gang etwa in dem des Es-Dur-Trios; endlich auch der Beginn des Seitensatzes der C-Dur-Symphonie haben die Überleitung des Sonatenmodells ganz zum perspektivischen Einbruch in die harmonische Tiefe verwandelt, und daß in jenen drei Durstücken die zweiten Themengruppen nach Moll gerichtet erscheinen, bedeutet nach der Symbolik der Tongeschlechter, die bei Schubert ungebrochen noch gilt, sinnfällig den Schritt ins Dunkle. Die dämonische Funktion der Tiefe erfüllt sich am alterierten Akkord Schuberts. In der nach Dur und Moll geschiedenen Landschaft steht er zweideutig wie die mythische Natur selber, nach oben und unten weisend zugleich; sein Glanz ist fahl und der Ausdruck, mit dem ihn die Konfiguration der Schubertschen Modulatorik belädt, ist der der Angst: der Angst vorm tödlichen Erkennen der Erde und vorm vernichtenden Erkennen des bloßen menschlichen Selbst: so wird der Spiegel des Doppelgängers zum Gericht über den Menschen auf dem Grunde seiner Traurigkeit. Nur daß Modulatorik und Alteration in das Idiom der tonalen Ordnung eingesprengt sind, verleiht ihnen zur geschichtlichen Stunde solche Macht. Als Widerspiel der naturalen Oberwelt unterhöhlen sie jene; nach deren Einsturz werden auch Modulatorik und Alteration in den qualitätslosen Fluß der subjektiven Dynamik eingezogen, und erst Schönberg hat mit der nachdrücklichen Bestimmung der Fundamentschritte die Schubertsche Kraft des harmonischen Prinzips nochmals gewonnen, um es endgültig zu tilgen. Ihren tiefsten Ort erreicht die Schubertsche Harmonik, der noch der Kontrapunkt als plastischer Schatten der Melodie bis hinunter folgt, im reinen Moll der Trauer. War der Affekt des Todes das Tor zum Abstieg, so ist die Erde selber, die endlich erreichte, die leibhafte Erscheinung des Todes, und vor ihr erkennt die sinkende Seele sich selbst als Weib, unentrinnbar in den Naturzusammenhang eingetan. Im letzten großen allegorischen Gedicht der deutschen Sprache, dem Bilde des Matthias Claudius vom Tod und vom Mädchen, erreicht der Wanderer den Schwerpunkt seiner Landschaft. Dort wird das Wesen Moll offenbar. Aber wie beim ertappten Kinde die Strafe der Tat, wie im niedrigsten Sprichwort die Hilfe der Not auf dem Fuße folgt, so folgt auf jenem Punkte Trost der Trauer auf dem Fuße. Die Rettung geschieht im kleinsten Schritt; in der Verwandlung der kleinen in die große Terz; so dicht rücken beide aneinander, daß die kleine Terz nach dem Erscheinen der großen als deren Schatten sich enthüllt. Es ist darum nicht zu verwundern, wenn die qualitative Differenz von Trauer und Trost, in deren konkreter Gestaltung Schuberts wahre Antwort gelegen ist, mit mediierendem Verfahren überschlagen wurde: wenn das neunzehnte Jahrhundert mit dem Begriff der Entsagung eine Formel für das Schubertsche Grundverhalten zu finden meinte. Aber der Schein von Versöhnung, der von Resignation ausgeht, hat mit dem Trost Schuberts nichts zu tun, durch den Hoffnung sich darstellt, daß der Zwang natürlicher Verstrickung irgend seine Grenze doch erreiche. Wie schwer auch Schuberts Trauer zum Grunde ziehe; und möchte selbst der Wanderer ohne Hoffnung im Wasser der Geburt untergehen; unverrückbar steht Trost über dem Toten und bürgt dafür: Hoffnung bleibt, im verworfenen Zauberkreis der Natur sei sein Ort nicht für die Ewigkeit. Hier entzündet sich in Schuberts Musik die Zeit, und das geglückte Finale kommt bereits aus anderer Sphäre als der des Todes. Freilich auch aus anderer als das Beethovensche Muß. Denn gegenüber Beethovens drohend geforderter, bedrängter, kategorial faßlicher, aber material unerreichbarer Freude ist die Schubertsche das vernommene, wirre, endlich aber sichere und unmittelbar gegebene Echo. Einmal nur stiftet es eine große Dynamik: im Aufstieg des Finales der C-Dur-Symphonie, deren Bläsermelodie wie mit wirklichen Stimmen ins Bild der Musik einschlägt und es zersprengt, wie kaum ein zweites Mal je Musik von ihrem wahren Grunde aus gesprengt worden ist. Sonst aber geht das Gelingen der Freude bei Schubert andere und wunderlich irritative Wege. Im großen vierhändigen A-Dur-Rondo singt das ausgebreitete Wohlsein, so leibhaft beständig, wie körperliches in Dauer es ist, und von Beethoven höchsten Sinnes so unterschieden wie gute Speise von der in praktischer Vernunft postulierten Unsterblichkeit. Zur Freude rechnet oftmals so auch die Extension der Schubertschen Sätze, und das Wort von der göttlichen Länge behauptet sich weiterhin, als es jemals vermeinte. Wenn in der Landschaft des Todes zeitlos die Themen beieinander stehen, so erfüllt tröstend Musik die wiedergefundene Zeit fern vom tödlichen Ende mit der vorweggenommenen Beständigkeit des Ewigen. Die Wiederholbarkeit des Schubertisch Einzelnen entspringt aus seiner Zeitlosigkeit, wandelt sich aber in Zeit zu deren materialer Erfüllung. Jene Erfüllung indessen bedarf keinesfalls durchweg der großen Sätze oder gar des Pathos einer großen Form. Viel lieber hält sie sich in einer Region tief unterhalb der bestätigten Gestalten der bürgerlichen Musikübung. Denn jene Schubertsche Welt eigentlicher Freude, der Tänze und Militärmärsche, des dürftigen vierhändigen Klaviers, der schwebenden Banalität und leichten Betrunkenheit ist sozial so wenig adäquat dem bürgerlichen, auch kleinbürgerlichen Musizieren, wie sie jemals das Daseiende selber naiv bekräftigte. Wer daran festhält, Schubert als Musikanten zu rubrizieren, sollte immerhin bedenken, daß der Musikant, von dem da die Rede sein könnte, sozial ein Deklassierter wäre, dem fahrenden Volk, den Gauklern und Zauberspielern und ihrer Wanderschaft ähnlicher als der metaphorischen Schlichtheit des Handwerkers. Es ist denn auch die Freude der Schubertschen Märsche unbotmäßig und die mit ihnen gesetzte Zeit nicht die seelischer Entwicklung, vielmehr der Bewegung von Menschenmassen. Schuberts Freude in ihrer unvermittelten Bekundung kennt keine Form mehr, fertig zum Gebrauch naht sie der unteren empirischen Realität und läßt sich fast von ihr verwenden, indem sie aus der Kunstregion ausbricht. Der solcher anarchischen Freude die Musik fand, mußte ein Dilettant sein; und wann wäre nicht die Revolution dem hohen Staatsmann dilettantisch erschienen. Jener Dilettantismus aber ist der Dilettantismus nochmaligen Beginnens und sein Siegel die selbständige Organisation, die dem Beginn entsteigt. Bei Schubert bleibt die Organisation kompositorische Technik, aber das Bild erzittert. Nirgends rückt es der Wahrheit näher als in Schuberts Folklore, völlig anderen Sinnes, als irgendeiner nach ihm sich darum mühte. Keine Korrektur der verlorenen Nähe durch die unerreichbare Ferne hat Schubert unternommen: ihm wird die transzendente Ferne erreichbar in der nächsten Nähe. Das liegt vor dem Tor wie Ungarn und so fern wie die unverständliche Sprache zugleich. Daher rührt das Geheimnis, das nicht bloß im ungarischen Divertissement, der f-moll-Phantasie und den Seitensätzen des A-Dur-Rondos, sondern in feinen Verzweigungen durchs ganze Schubertsche Werk rinnt, greifbar heranrückend und phantomgleich entschwindend im cis-moll-Thema aus dem Finale des a-moll-Quartetts. Die Sprache dieses Schubert ist Dialekt: aber es ist ein Dialekt ohne Erde. Er hat die Konkretion der Heimat; aber es ist keine Heimat hier sondern eine erinnerte. Nirgends ist Schubert der Erde ferner, als wo er sie zitiert. In den Bildern des Todes eröffnet sie sich: im Gesicht der nächsten Nähe aber hebt Natur sich selber auf. Darum führt von Schubert kein Weg zur Genre-und Schollenkunst, sondern bloß einer in die tiefste Depravation und einer in die kaum nur angesprochene Realität befreiter Musik des veränderten Menschen. In unregelmäßigen Zügen, einem Seismographen gleich, hat Schuberts Musik die Botschaft von der qualitativen Veränderung des Menschen notiert. Ihr antwortet zurecht das Weinen: Weinen der ärmsten Sentimentalität im Dreimäderlhaus nicht anders als das Weinen aus erschüttertem Leib. Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen: so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; weil wir so noch nicht sind, wie jene Musik es verspricht, und im unbenannten Glück, daß sie nur so zu sein braucht, dessen uns zu versichern, daß wir einmal so sein werden. Wir können sie nicht lesen; aber dem schwindenden, überfluteten Auge hält sie vor die Chiffren der endlichen Versöhnung.

 

1928

 

Huldigung an Zerlina

 

Inmitten der hochgestelzten Herren und tragischen Damen bringt sie es bloß zur Episodenfigur. Zwar ist der unwiderstehliche Blick auf sie gefallen, über den Abgrund der Stände hinweg bietet der dissolute Grande ihr die Hand, und sie wäre zu schüchtern, um nicht sogleich in sein Schloß mit ihm zu kommen: es ist nicht weit von hier. Weil aber die Opera buffa nicht die Verführung einer Unschuld gestattet, die ihr Masetto gewiß nicht ebenso stilvoll rächen könnte wie der korrekte Ottavio die der Donna Anna, macht da Ponte einen Strich durch die Rechnung der Promiskuität, in der nicht gleich um gleich getauscht wird, stellt wie die moralische so die soziale Rangordnung wieder her und läßt mitten in der stygischen Nacht den Laternenschein beseligter Nähe fallen auf ihre Versöhnung mit dem, der allen Tölpeln und Ungeschickten den Namen lieh. Im Nachspiel von Mozarts Orchester scheint die entzweite Menschheit selber versöhnt.

Solche Versöhnung hat im Namen der Freiheit statt. Zerlinas Musik klingt, als dränge sie durchs offene Flügelfenster in den weiß und goldenen Saal des achtzehnten Jahrhunderts. Sie singt noch Arien, aber deren Melodien sind schon Lieder: Natur, deren Hauch den Bann des zeremonialen Wesens löst und doch noch von den Formen umfangen ist, geborgen beim verblassenden Stil. Im Bild Zerlinas hält der Rhythmus von Rokoko und Revolution inne. Sie ist keine Schäferin mehr und noch keine citoyenne. Sie gehört dem geschichtlichen Augenblick dazwischen, und an ihr geht flüchtig eine Humanität auf, die unverstümmelt wäre vom feudalen Zwang und geschützt vor bürgerlicher Barbarei. Manche Gedichte und manche Gestalten des jungen Goethe haben etwas davon. »Und so tritt sie vor den Spiegel / All in ihrer Munterkeit« ist ihr Miniaturportrait, und wie Friederike steht sie »auf der Grenze zwischen Bäuerin und Städterin. Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie, und beinahe schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben könnte; der Strohhut hing ihr am Arm, und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehen und zu erkennen.« Die, ohne sich etwas Arges zu denken, den Liebhaber für ihre Treulosigkeit entschädigt, indem sie ihn ermuntert, sie zu schlagen, und die rustikale Roheit zum Raffinement verklärt – sie nimmt den utopischen Zustand vorweg, in dem der Unterschied von Stadt und Land aufgehoben ist.

Fällt aber nicht ihr Abglanz auch auf den Verführer, der schließlich doch um die Süße betrogen wird? Denn wo wäre ihre Anmut und Lieblichkeit, hätte der halb schon ohnmächtige Feudale sie nicht auf seiner Flucht durch die Oper eben noch erweckt. Weil er nicht mehr die Gewalt des jus primae noctis hat, wird er zum Sendboten der Lust, schon ein wenig komisch für die Bürger, die jene rasch genug sich verbieten. Dem Angstlosen haben sie ihr Ideal von Freiheit abgelernt. Indem es aber allgemein wird, wendet es sich gegen ihn, dem Freiheit noch ein Privileg war. Bald werden sie die Willkür in die Freiheit hineinnehmen und sie damit in ihren Widersinn verkehren. Don Juan aber war rein von der Lüge, es wäre seine Willkür die Freiheit der anderen, und damit tat er dieser die Ehre an, die er ihr raubt. Zerlina hatte recht, daß sie ihn mochte.

Ewig ist sie als Gleichnis der Geschichte im Stillstand. Wer in sie sich verliebt, meint das Unaussprechliche, das aus dem Niemandsland zwischen den kämpfenden Epochen mit ihrer silbernen Stimme tönt.

 

1952/53

 

Bilderwelt des Freischütz

 

Mit größerem Recht als die Meistersinger gilt der Freischütz als deutsche Nationaloper. Denn das deutsche Element setzt sich darin nicht als solches, kompromittiert sich nicht durch nationalistische Gesinnung. Man wird dabei freilich nicht zuerst an den Wald denken dürfen, der, wie Canetti in »Masse und Macht« hervorhob, nicht so unschuldig ist, wie von Pflanzen zu denken wäre: »Das Massensymbol der Deutschen«, schreibt Canetti, »war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude.« Zum Erfolg des Freischütz in der Frühzeit des Vormärz hat das sicher nicht wenig beigetragen.

Musikalisch wird man das spezifisch Deutsche der romantischen Oper eher im Verhältnis zum Österreichischen zu suchen haben. Sie spricht nicht, wie in erheblichem Maß selbst Schubert, das Idiom des Wiener Klassizismus. Der Freischütz hat nicht die reine Formimmanenz, nicht das sich in sich Zusammenschließende, Integrale der großen symphonischen Musik; er ist minder verpflichtend, geöffneter. Durch Fenster und Lücken strömt eine Luft herein, welche von der dichten Kulturlandschaft draußengehalten wird. Das verleiht der Partitur die Frische, die sie ohne viel Tonmalerei zur imaginären Sprache des Waldes macht. Nirgends schöner als in Agathens Rezitativ, zu den Worten »Welch schöne Nacht«, dort, wo sie hinaustritt auf den Altan. Bildet im letzten Figaro-Akt der gestirnte Himmel über dem Schloßpark noch ein sicheres Zelt über den Verwirrten und Liebenden, so tröstet der Freischütz durch Aufatmen: im Ungedeckten.

Mit Gluck teilt das Werk ein Exterritoriales, fast Traditionsloses. Beide bereiten den Ausbruch aus der zwangvollen Logik der Kunstmusik vor, den dann Berlioz vollzog, dessen Lieblinge nicht umsonst Gluck und Weber waren. In der Einheit des undistanziert Vertrauten und der Fremdheit zur Tradition ist der Freischütz überaus bürgerlich, darum wohl auch vom sich emanzipierenden deutschen Bürgertum unmittelbarer als seine Sache empfunden worden denn Beethoven oder Mozart. Man könnte sagen, der Freischütz sei das erste musikalische Werk großen Stils, das nicht länger in einen prästabilierten Stil fällt.

Mozart gegenüber sind die Charaktere, die Profile der Personen ebenso wie die rein musikalischen, weit drastischer. Der Vergleich zwischen den Paaren Gräfin und Susanne dort, Agathe und Ännchen hier, die etwa den Rollenfächern der Sentimentalen und der Naiven entsprechen, lohnt. Bei Mozart vollzieht sich die Individualisierung der beiden Frauen durch subtilste Nuancen innerhalb seiner Formsprache, die den Vorrang bewahrt. Bei Weber sind sie keck, locker kontrastiert. Ännchen, die zum Biedermeierkousinchen gewordene serva padrona, erntet die Früchte der bürgerlichen Emanzipation, indem sie redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und kokett den Hörerinnen vom schlanken Burschen vorschwärmt, wo Susanne, auf der fernen antikischen Höhe eines erotischen Rituals, den Geliebten mit Rosen kränzt. Den Tonfall des Naseweisen in der Gruselballade oder in der sich überhaspelnden Zeile »Der wilde Jäger soll dort hetzen, und wer ihn sieht, ergreift die Flucht«, die von der Geisterwelt schon mit der Wichtigkeit eines Sensatiönchens singt, hat es vorher nicht gegeben. Für den Fortschritt ist zu zahlen: die Prägnanz der Charakteristik, die dann im musikalischen Drama bis Berg unablässig sich steigerte, geht in ihrem Anfang mit einiger Vergröberung zusammen, dem Mal des bürgerlichen Sieges über das feudal-aristokratische Europa, dessen Rudimente bei den Wienern noch im Ton der revolutionären Humanität aufbewahrt sind.

Offenbar wird der qualitative Sprung, den der Freischütz vollzieht, in der Behandlung des Orchesters. Das Neue ist, wie die Instrumente aus der klassizistischen Totale sich herauszulösen beginnen; ihre abermalige Synthesis durch das konsequent durchgeführte Mischprinzip war erst Wagners Triumph. Der Klangspiegel des klassischen Orchesters zeigt im Freischütz verselbständigte Einzelfarben; bald gleißt er, bald trübt er sich. Die Klarinette, hoch überm Streichertremolo in der Ouvertüre frei all ihre Register ausnutzend, wölbt sich wie eine Erscheinung; tiefe Klarinetten und Pizzicati der Bässe mischen sich so schwarz, wie Beethoven noch an den düstersten Stellen nie dem Instrumentenklang es zugemutet hätte; die Posaune verläßt die Dreistimmigkeit des akkordischen Satzes und äfft, in einer großartigen Episode der Durchführung, das Schlußglied des leidenschaftlichen Liebesthemas nach, Echo als Gelächter der Hölle, die erste musikalische Verzerrung von expressiver Wirkung. Nachahmung ruft die Stimme der Leidenschaft hinab ins ungeschieden Verderbliche des Mythos. Spott wird zur Produktivkraft: das He-he-he der Bauern hebt auf dem schlechten Taktteil an, als wäre es ein guter, und bringt alle rhythmische Ordnung ins Wanken. Keiner hat vor Weber die Gewalt zerfallender Musik so auskomponiert wie das sinistre Ende des Walzers; Mahler hat im Trio der Ersten Symphonie, noch im Scherzo der Neunten der Stelle seinen Tribut gezollt, auch bei Strawinsky hallt sie wider. Das ist nicht der Böhmerwald, wo meine Wiege stand, sondern beginnendes Grauen, Zauber aus der Frühzeit der entzauberten Welt.

Geschichtlich gilt der Freischütz als das geläuterte deutsche Singspiel. Der bunte entspannte Wechsel von Dialog und Musik, die kleinen Formate vieler Nummern haben nicht zuletzt der romantischen Oper zum Einverständnis mit dem Publikum verholfen. Während aber in der Zauberflöte die Singspielerbschaft ein Welttheater stiftet, auf dem oben und unten, Opera seria, Couplet, Lied, Ziergesang und aufgeklärte Mystik gleichwie zum letztenmal im runden Kosmos sich zusammenfinden, ohne Riß zwischen dem Bereich Sarastros und dem Papagenos, zieht der Freischütz aus dem Singspiel die Kraft des Unvermittelten, Disparaten. Indem die Musik intermittiert, anstatt die gesamte Handlung auszufüllen, wird ihr Unverbindliches selber zu einem Stilprinzip; kann der Freischütz keinen Stil mehr sich vorgeben, so ist er zugleich die erste Oper, die, bescheiden und unwillkürlich, aus sich selbst Stil entläßt. Das gleicht aus, was an Formgewalt gegenüber Mozart und dem Fidelio verloren ward, und bestimmt auch die Qualität der einzelnen Stücke. Caspars kurzes Strophenlied vom irdischen Jammertal, mit dem pfeifenden Piccolo und dem abrupten Schluß auf dem schlechten Taktteil, überragt weit die ausführliche Triumpharie des obligaten Bösewichts, und der Eremit, dessen Einspruch gegen die rachedurstige Gerechtigkeit dramaturgisch vorzüglich konzipiert ist, hat es musikalisch nicht zum Sarastro gebracht; was ins Formgesetz des Freischütz nicht paßt, gerät darin konventionell. Je weniger prätentiös die einzelnen Stücke angelegt sind, desto besser gelingen sie; auch desto hintergründiger. Das gilt vor allem für das populärste, den Jungfernkranz. Es ist als vergnügtes volkstümliches Lied rezipiert worden, und die Tempobezeichnung Andante quasi allegretto wurde darüber vergessen. Hat man die Courage, den Chor wirklich, gegen die Gewohnheit, gemächlich tickend zu nehmen, so gewinnt er sogleich etwas Fahles, Unheilvolles, die fröhliche Sitte wird Lügen gestraft, wie das Libretto es möchte. Die hinzutretende Bratschenfigur mit dem as in der letzten Strophe verhilft dann diesem Charakter zur Erscheinung, und das sich niedersenkende Nachspiel des Orchesters ist das herzbrechende Bild von Wehmut. Eine Nebennote, ein paar Dissonanzen genügen, um gerade in die harmlos eingängige Melodie das Drohende einzusenken. Auch musikalisch ist der Brautchor ein Todessymbol. All das hat die Farbe älterer Kinderbücher, die des unauslöschlichen Abendrots.

Am reichsten vielleicht ist Agathens Arie, im wiederkehrenden Adagio den Choral säkularisierend zum innigen Lied, in den rezitativischen Teilen gereiht aus Bildchen, welche vollkommene Einfachheit mit dem Hauch des Zumerstenmal vereinen. Das eben nur angedeutete Rauschen der Sechzehntel läßt alles üppige Waldweben hinter sich, ein paar Hörnerstaccati suggerieren das Lauschen auf ferne Schritte. Zum Wort Wolken, bei der Ahnung des Gewitters, ertönt eine Dissonanz. Obwohl sie nichts weiter ist als ein verminderter Septimakkord über dem Orgelpunkt auf der Wechseldominante, klingt sie, als hätte man sie noch nie vernommen, so prall an Ausdruck, daß kaum ein späterer vieltöniger Akkord dagegen aufkommt. Aus Bildchen, fast streifenhaft wie im Film, ist auch die Wolfsschlucht komponiert, deren jedes eine Situation oder eine Gespenstererscheinung begleitet. Gerade durch diese Zurückhaltung, durch die Beschränkung auf Bühnenmusik, den Verzicht auf die Idee des großen durchlaufenden Finales wie jenes im zweiten Figaro-Akt oder in der Kerkerszene, hat das Kernstück des Freischütz seine bezwingende Originalität. Ohne Angst vertraut es der Flucht der Bilder sich an. Symphonische Ansprüche wären im Singspiel weder einzulösen, noch vertrügen sie sich mit den Farben der wechselnden Augenblicke – einer Höllenvision aus Biedermeierminiaturen. Um dieselben Jahre, in denen der Freischütz komponiert ward, hat man das Kaleidoskop erfunden; etwas von dem Bedürfnis, das jene Erfindung herbeizitierte, ist in der Wolfsschlucht Musik geworden.

Von Webers Bilderwelt hat gleichsam sich abgespalten, verselbständigt und damit den Charakter gewechselt, was im Klassizismus Einheit stiftete. Anstelle des Prinzips der integralen thematischen Arbeit, der entwickelnden Variation ist der Schwung getreten; aus der kompositorischen Verfahrungsweise ein Gestus geworden, mit dem die Musik sich vorträgt. Er erinnert an den Klaviervirtuosen, der Weber war, an die weite Spannung der Hände, die waghalsig über die Oktav hinausgriffen; der Gestus hat etwas Bravouröses, Scheinhaftes, an dem auch der Ausdruck partizipiert; Schwung und Verblendung sind im Freischütz einander nicht fern. Will der Klassizismus durch die Einheit thematischer Arbeit die Totale als sinnvoll rechtfertigen, so hat demgegenüber der Webersche Schwung schon etwas Blindes wie die späteren Ideen vom Willen und vom Leben, und kommt dadurch dem Dämonischen des Vorwurfs zugute; er entrollt grundlos und ziellos sich selbst wie das Rad in der Wolfsschlucht. Der Webersche Schwung definiert in Wahrheit bereits die hundert Jahre spätere Reaktionsform von Richard Strauss. Beethoven, der dynamische Komponist schlechthin, kennt eigentlich kaum etwas dem Verwandtes. Leben als bewußtloser Drang übernimmt sich permanent; in seinen großen Sprüngen hat es schon den Sturz in sich. Konstruiert die große Wiener Musik den Sinn, so wird der Elan selbstherrlich genossen. Freilich auch noch als Stand von Gottverlassenheit gefürchtet; die Frage in der großen Maxarie, »Lebt kein Gott?«, welche weniger die Hölle als die Immanenz des Zufalls meint, reicht deshalb über die Opernrhetorik hinaus, weil in ihr genannt wird, was der ausgreifende Webersche Bogen, von der Einleitung des ersten Chors bis zu den Allegroteilen der Arien von Agathe und Max, in sich birgt.

Es ist der aus der guten Stube in die Vorwelt – vielleicht das Rätselbild des Biedermeiers insgesamt, auch das Jean Pauls. Die Dumpfheit des Interiéurs fluoresziert wie, wenig später, in Poes Haus Usher; die Försterei ist über chthonische Höhlen gebaut. Danach muß auch eine Inszenierung sich richten, die den Kindern nichts von dem vorenthält, was ihr orbis pictus ihnen verspricht; nur wenn das Försterhaus, ohne kunstgewerblich-altkluge Stilisierung, ebenso deutlich zu erkennen ist wie die Geister und Tiere der Wolfsschlucht, wird jener Bogen sinnfällig. Was den Nashörnern recht ist, sollte dem Wildschwein billig sein. Die Bilder sind archaische und neuzeitliche zugleich; darauf muß die Regie achten und lieber alle Jägerburschen als buntgedruckte Doppelgänger einander gleichen lassen, denn eine Illusion opfern, die hier das Medium des Entfremdeten bildet.

Im Geist des Werkes vermittelt zwischen Stube und Vorwelt das Geschlecht. Das Schicksal Agathens, der Figur gewordenen Kavatine, enthält eine unaufgelöste Sexualsymbolik, und eben ihr Gekapptes, Unkenntliches – der Schuß steht für die Defloration – schafft das überschattete Geheimnis, in dem die Musik ihre Zuflucht findet; wie wenn ein Mädchen im Schlaf weint. Enge selbst ist die Dämonie, vor der ihr bangt, als drohte sie von außen. Darum entrinnt sie ihr kaum. Wie im Märchen ist die Metaphysik des Freischütz, in dessen Epoche die einzigen bedeutenden deutschen Kunstmärchen geschrieben wurden, die der Haaresbreite. Die Anspielungen auf den Sexus sind zugleich solche auf den Untergang der gleichen Bürgerlichkeit, welche das Werk wie unter Zensur bestätigt. Gerade eben kommt der Freischütz an der Katastrophe vorbei; die Zäsuren des Singspiels sind keine anderen als die, welche das Märchen in den Mythos setzt. Das Rettende aber scheint nicht in die gottverlassene Immanenz hinein, sondern geht auf in ihr selber, das höchste Echo in der Schlucht, versöhnte Natur.

 

1961/62

 

Hoffmanns Erzählungen in Offenbachs Motiven

 

Auf die Frage, was Offenbach, den Magier der Parodie und Parodiker der Mythen, zur späten Romantik des deutschen Hoffmann gezogen habe, wird herkömmlicherweise geantwortet mit dem Hinweis auf die Wahlverwandtschaft der Dämonie. So wenig dagegen sich sagen läßt, so wenig ist doch damit gesagt. Die Figur, die Offenbachs letzte und erste Oper mit dem Dichter bildet, ist weit bestimmterer Art. Nicht umsonst wird er darin auf die Bühne zitiert. Den szenischen Rahmen, den er erstellt, die Fabeln, die er entworfen hat, muß er leibhaft bewohnen. Denn die Dämonie, welche hier von der Musik beim dunklen Namen gerufen wird, ist nicht eine von abstrakten Mächten der Unterwelt, sondern entspringt aus der Wohnung wie Mirakel den Wänden von Crespels Zimmer. Wenn stets die Geister und Gespenster an Ort und Stunde gebunden waren: hier sind Ort und Stunde selber Geister und Gespenster. In ihnen verschlossen leben die Menschen, bis sie sie ersticken. So fremd sind sie ihnen wie Kirchhöfe und Kreuzwege ehemals: das mechanische Kabinett, dessen Formeln ihr eigenes Leben aus sich entrollen, dem ahnungslos die betrogenen Sinne nachfolgen; die käufliche Liebe in Venedig, die auf der Gondel davonfährt, als wäre sie von der Laterna magica hergezaubert, kostspielige Phantasmagorie; Antoniens Musiksalon mit dem hüstelnden Klavier und dem transparenten Gemälde der Mutter, dem tödlichen Modell aller Familienbilder. Wenn der Offenbach der Operetten jeglichen Zauber der Vorzeit als faulen Zauber der Profanation durch die Dingwelt preisgab: jetzt hat er den faulen Zauber der profanen Dingwelt als wahren Zauber der Vorzeit grell erleuchtet, »elektrisch und galvanisch«, wie Lintorf es nennt, mit Worten, die zur Archaik des technischen Zeitalters zählen. Als Herrn und Meister der Dingwelt aber hat er Hoffmann beschworen. Der sie rief, die Geister, wird sie nun nicht los; als unglücklich Liebender wird bis zum jüngsten Tag von den Dingen: der Puppe Olympia, der Courtisane Giulietta, der Leiche Antonia geplagt im szenischen Bilde, der einst stark genug war, von Vitrine, Taburett und Drehstuhl unverführt sie herzurufen. Pupperln heißen in Wien die Dirnen, und Antonia führt in ihrem bleichen Nachmittag ein Scheinleben, zu dem Gesang sie zwingt gleich Eurydiken und in dem sie singend verfällt. Die entfremdeten Dinge sind die Geister, gebannt in Intérieurs ohne Zugang ins tätige Leben; ihr Schein äfft den Liebenden und Musik hält ihn gefangen wie uns, die wir sie hören »in süßer Melodie von ferne«. Die Ferne ist die Nähe. Darum ist Offenbachs »romantische« Oper im neunzehnten Jahrhundert eine der wenigen mit modernem Sujet. Hier klingen die Gläser im Prunkbuffet als Stundenschlag des Todes; und was aus den Wänden unter die erstarrten Gruppen von Menschen tritt, sind keine Engel.

Die Dinge sind teuflisch, weil sie ausgebrochen sind aus jedem Zusammenhang, in dem sie Lebendigem dienen könnten. Das physikalische Kabinett ist ein Panoptikum von Figuren aus »Tragant«; Giuliettas Kissen sind zum Schein arrangiert, um den Törichten Schatten oder Spiegelbild abzunehmen, und fast möchte man glauben, der Canale grande liege hier unter Glas, daß kein Hauch in eine Schwüle wehe, die weniger die der Sinne als des Dekors ist; bei Crespel endlich haben die Dinge aus der Vergangenheit sich verschworen, zu denen auch Franz der Diener zählt, als Faktotum sächlichen Geschlechts, gesungen vom Tenor buffo, ohnmächtiger Portier des Unheils. So sinnlos einzeln wie der taube Diener, der den einläßt, den er vor allen anderen fernhalten sollte, sind rings die Dinge, und da ihr auswendiges Dasein keine Funktion mehr kennt, erwacht eine zweite, aberwitzige in ihnen selber. Unübertrefflich hat das Offenbach in der tiefsten Anlage der Form aufgefangen. Daß die Oper Skizze blieb und ein Klavierauszug, wie geschrieben fürs Heim, das darin laut wird, das hat nicht nur seinen biographischen Grund im Tod des Meisters. Sondern das Gesetz der Oper ist selber das der Skizze. Kein übergreifender Zusammenhang soll sich zwischen das partikulare Leben der Dinge und die Angst des Hörers stellen. Es gibt Einfälle darin, wie die allerersten Takte, die für eine Symphonie ausgereicht hätten, und aus der Introduktion zur Barcarole hätte ein anderer unnachsichtig ganz Venedig komponiert. Hier steht es einmalig und konsequenzenlos, versprengt wie die Dinge, ohne Kausalität wie die Geisterwelt. Kurz wie Namen sind die Motive, und wo sie Leitmotive scheinen, kennen sie kaum die Variation: Geister entwickeln sich nicht und gehorchen dem immer gleichen Anruf. Es gibt keinen Kontrapunkt, keine Polyphonie, keine weitergreifenden Finalformen: die Musik ist eine starre und jäh wechselnde Beschriftung der Vorgänge, nie deren Reproduktion, gewiß nicht deren Deutung – hier gilt das rechte Zeichen, gefunden und gesungen, mehr als aller deutende Sinn. Aber welche Schrift steht da nicht! Jene ersten Takte: leibhafte Präsentation von Unheil, auf Nimmerwiedersehen verschwindend, ehe die Chiffre sich lösen läßt. Das Spottlied der Studenten auf Lutter: in einer Gefahrzone, wo Lustigkeit jeden Augenblick in wüste Grausamkeit umspringen möchte. Die Ballade von Klein-Zaches: Duolen und Triolen der Geliebten ranken sich wie das kostbare Monogramm der Erinnerung. Oder die Barcarole selber: wie strahlt sie nicht aus den Pfützen der Cafés, der Buden und Automaten, und doch, bedarf sie nicht ihrer wahrhaft, so echt im Falschen zu strahlen, wie keine Melodie ihr es nachtut? Dapertuttos Arie ist ein rätselvolles Seitenstück zu Wagners Venusberg; vom Melodram – dessen Text sehr unverächtlich ist und wörtlich eingehalten werden sollte: »Sie haben keinen Degen, nehmen Sie den meinen.« – »Ich danke« – weiß man seit Busonis schönen Worten als einem der Meisterstücke musikalischer Dramaturgie. Trugvoll und ungerührt zieht das Schicksal zu Häupten der Betroffenen dahin, bereit schon zum nächsten Verrat, da diese eben erst sich anschicken zu sterben. Und die Einleitungstakte des letzten Aktes: also so ist es ernst, spielt das, was wird nun. Kein Betrug antwortet, und doch, mit den nächsten Takten sind wir schon verloren, mit den schmächtigen Achteln von Antonias Klavier, mit dem Lied von der Taube, das innehält, während die Achtel weiterticken, eine leise, unmerklich leise Uhr, die die Zeit nachmißt, die Antonia singen darf. Die Leiche Antonia – ihre Wangen sind gerötet bloß vom Sonnenuntergang durch die Gardinen, beinahe ist es die schreckliche Stille, die sie singt, spinös am Spinett; unaufhaltsam rasch werden die Schatten von den Wänden sie anfallen, denen vergebens Hoffmann die flackernde Lampe des verspäteten Gefühls entgegenstreckt. Und die Figuren der Schatten! Die große Beschwörung durch Mirakels Ostinato hat nur ein Vorbild. Ungewiß, ob Offenbach es kannte: das klingt wie das furchtbare Scherzo aus Beethovens letztem Quartett. Das Lied der Mutter: Arie aus großen Opern, die wir aus der frühen Kindheit mit uns führen, von breiten Wellen getragen, hinab ins Meer des Ursprungs, fluoreszierend in der Gloriole von Verwesung. Das Lied des Dieners: fast als ließe es sich zuviel Zeit, aber wenn dann mit dem Ausdruck des Entsetzens sein Rhythmus verstört wiederkommt, wissen wir, dies war die kostbarste Zeit, die ungenutzt blieb, weil auch er dem Zwang der singenden Wohnung erlag als Parodie der Herrin; hätte er hier nicht gezögert, es hätte alles gut werden können, aber nun ist es zu spät. Der Schluß dann wagt nicht mehr Atem zu holen, eilend wie aus dem schwersten Traum fährt er auf, daß er nicht für immer darin bleibe.

Dennoch, im Zimmer des Todes gedeiht, was in der Oper ihrer Dämonie entragt. Hoffmanns und Antonias Duett: als wollte im Angesicht des Todes selbst der Schein der Liebe beständig aufgehen und trösten; vergebens suchen die beiden nach Worten für ihr Liebeslied, sie vermögen nichts als den milden, süßen Bogen seiner Melodie anzurufen; der rasch vergehenden; der unvergänglichen. Sind Motive in Hoffmanns Erzählungen die flammende Schrift, dann sind Melodien ihr lösender Ton. Aus der mörderischen Lagunentiefe erhebt sich die Barcarole, um widerzuhallen als Laut jener, die in Erniedrigung, in Schuld und Verworfenheit als Versprechen des richtigen Menschen einsteht, weil sie schön ist. Wenn Niklas Hoffmann fortzieht mit dem Ruf: »die Wache«: wie ist dann nicht, über aller Schmach und Lüge, die Freude nah: daß hier die Beiden, Fremden, der Dichter und die Courtisane, die ihn betrog, für eine Sekunde doch sich verstanden: da Hoffmann den verdrossenen Geldgeber erstach. Der Augenblick jubelt ewig, und ihn meint die Barcarole, meint Hoffmanns sonderbares Preislied, auch wenn Giulietta dem Buckligen längst als Beute zufiel. Die Geister, in welche hier die Dinge der Bürgerwelt allesamt sich verzaubern – sie sind es zugleich auch, die die Dinge sprengen, indem sie aus ihnen hervorbrechen. Die Katastrophe, die in Hoffmanns Erzählungen geistert, ist nicht bloß die des Menschen zwischen den Dingen. Es ist auch die der Dinge selber im Umschlag.

Künstlerin, Puppe und Courtisane – wann habe ich das schon einmal gehört? Ist es nur die Kindheit, die mit der Formel der geliebten drei Bilder sich bemächtigte? Oder schlägt nicht in ihr, im Wort Courtisane, Erinnerung an ein unschätzbares Amulett dessen an, was von je war, metallen? Müßte nicht vor drei Worten des erzählenden Hoffmann, mit dieser Musik, die verkapselte Dingwelt aufspringen, deren Male ihnen eingegraben sind?

 

1932

 

Zur Partitur des ›Parsifal‹

 

Von aller Wagnerischen Musik ist die des Parsifal am wenigsten ins öffentliche Bewußtsein eingegangen, und über ihr Eigentümliches ist denn auch, sieht man allenfalls von den Formanalysen von Alfred Lorenz ab, wenig Eindringendes gesagt worden. Die lex Parsifal, die dem Bühnenweihfestspiel eine Schutzfrist über die damals geltenden dreißig Jahre hinaus verschaffen sollte, kam nicht zustande; dafür aber umgibt es eine Art Schutzschicht, an der die Ehrfurcht vorm kultischen Element und die Furcht vor der Langeweile gleichen Anteil haben mögen. Diese Furcht jedenfalls ist grundlos. Gerade in der Schwerfälligkeit, die den arglosen Opernbesucher schreckt, verbirgt sich das stets noch befremdend Neue. Ein Moment des Umständlichen war Wagner von je eigen; es hängt zusammen mit seiner suggestiven Gestik, der Neigung, den Hörer totzureden. Die Götterdämmerung mahnt zuweilen, in ihrem breiten Musikstrom, an jenen Schwimmer des Uhlandschen Gedichts, den der eigene Panzer niederzwingt; die Armatur der Leitmotive der gesamten Tetralogie, die deren Schlußstück mit sich schleppt, lähmt die Entwicklung. Im Parsifal steigert sich das und schlägt um: der Meister des Übergangs schreibt am Ende eine statische Partitur. Die Kunst des Hörens aber, die verlangt wird und die lernen muß, wer das Werk begreifen will, ist, wie schon an gewissen Stellen der Götterdämmerung, eine des Nachhörens: des Lauschens. Der versteht den Parsifal, der das Zuviel daran, das Extravagante, versteht, Eigenheit und Manier, wie schon im Beginn des Vorspiels jene melodielos schwebenden Holzbläserakkorde, in denen die erste Strophe des Abendmahlthemas vier Takte nach dessen eigentlichem Abschluß verhallt. Es ist, als suchte der Parsifalstil nicht bloß die musikalischen Gedanken darzustellen, sondern deren Aura mitzukomponieren, wie sie nicht im Augenblick des Vollzugs, sondern dem des Verklingens sich bildet. Nur der kann der Intention folgen, der mehr noch dem Echo der Musik sich überläßt als dieser selbst.

Das statische Wesen des Parsifal, erzeugt aus der Idee eines sich gleichbleibenden, wiederholbaren Rituals im ersten und dritten Akt, heißt kompositorisch: über weite Strecken, mit der großen Ausnahme der Kundryszene des zweiten Aktes, Verzicht auf fließenden Verlauf und treibende Dynamik. Die Zahl der Motive ist geringer als in den anderen Werken der reifen Zeit. Der Tendenz nach sind die meisten Zaubersprüche, Sigel nach Art des »Nie sollst du mich befragen« aus dem Lohengrin, auf den die Verfahrungsweise des Parsifal überhaupt, dem Stoff zuliebe, in manchem zurückgreift. Diese Motive sind durch ihren allegorischen Gehalt gleichsam von innen her aufgezehrt, asketisch abgemagert, entsinnlicht; sie alle haben, wie das Parsifal-Idiom insgesamt, etwas Gebrochenes, Uneigentliches; die Musik trägt ein schwarzes Visier. Aus dem Nachlassen primärer Erfindungskraft schafft Wagners Gewalt die Tugend eines Altersstils, der nach dem Goetheschen Satz zurücktritt von der Erscheinung. Dem Vergleich des umdüsterten, gleichsam abgeblendeten Fanfarenmotivs des Parsifal mit dem Siegfriedmotiv wird jener Charakter offenbar: als wäre jenes Motiv bereits Zitat aus der Erinnerung. Zugleich jedoch sind die fragmenthaften Motive viel nackter da als etwa im Tristan, viel weniger ineinander verwoben, weniger in den Gang der Komposition hineingezogen, weniger auch variiert. Oft werden sie, absichtsvoll-unbekümmert, bloß wie Bildchen aneinander gereiht. Die Wendestelle des Ganzen freilich, Kundrys Ruf »Parsifal«, löst aus dem Klang des Blumenmädchenensembles, bei zwei festgehaltenen Mittelstimmen, sich heraus und enthüllt gerade in der Identität mit dem Vorausgehenden sich als nichtidentisch. Meist aber verzichtet die Musik auf jenen Moment des in Schwung Kommens, der sonst die Wagnerische Form definiert.

Dem bloßen Aneinanderrücken der Motive, dem entsagungsvollen Verzicht auf musikalische Zusammenfassung und freien Abgesang entspricht allerorten ein Hang zur Vereinfachung. Wenn gegen Ende des zweiten Akts der Speer überm Haupt des Helden schweben bleibt, so wird das Wunder musikalisch nicht durch Glanz und Reichtum der Faktur, sondern durch eine äußerste Reduktion der Mittel gespiegelt. Das Glaubensmotiv in Trompeten und Posaunen, ein Harfenglissando, ein Oktavtremolo der Geigen, das ist alles. Durchweg kehrt die Orchesterbehandlung von Melodieteilung, solistischer Aufspaltung, vom Ideal der kleinsten Differenz sich ab. Sie ist weit chorischer als in den Musikdramen zuvor; Brucknerischer, könnte man sagen. Tuttistellen wechseln mit rezitativähnlichen, nur andeutend begleiteten. Aber das Raffinement dieser Simplizität ist beispiellos; die Finessen sind ausgespart, nicht vergessen. Das chorische Verfahren beruht auf Verdopplung. Sie erlaubt kaum einem Instrument, kaum einer Klanggruppe mehr, als solche kenntlich zu werden. Ein Mischklang wie der am Anfang, wo das Abendmahlmotiv begleitet wiederkehrt, von Geigen, Oboen und einer »sehr zarten«, also nicht solistisch hervortretenden Trompete vorgetragen, ist einzigartig. Die Kunst der Bläsermischungen, die im Lohengrin sich auf das Holz beschränkte, wird nun auch dem Blech zuteil: Trompeten sowohl wie Posaunen werden gern durch die bis zum äußersten ausgenutzten Hörner verdoppelt. Das mildert die helle Schärfe des Klangs; er wird voller zugleich und dunkler, so wie das Gesamtkolorit des Parsifal: solcher abgeblendete Orchesterklang des gedämpften Forte hat, über den späten Mahler bis zu Schönberg hin, die äußerste Tragweite für die neue Musik gewonnen.

Im Kompositionsmaterial ward die Vereinfachungstendenz zum Archaisieren; Kirchentonarten klingen an. Wagners reifste Kompositionserfahrung sucht den alten Widerspruch seines œuvres, den von fanfarenhafter Diatonik und süchtiger Chromatik, zu beschwichtigen, indem diese in die Hölle verbannt wird – der Tristanakkord, in tiefer Holzbläserlage, symbolisiert nun die Klingsorwelt –, während die Diatonik verfremdet, verdunkelt ist durch modale Akkordverbindungen, auffällige Nebenstufen in Moll. Sie zeitigen die vielbemerkte Anähnelung des Parsifalstils an Brahms, die im übrigen am äußerlichsten des harmonischen Vorrats haftet und die innere Zusammensetzung der Komposition kaum betrifft. Diese kennt, außer bei ein paar Themenkombinationen, kaum Polyphonie, auch keine »durchbrochene Arbeit«. Dafür zeigt die Harmonik ein selbst der Götterdämmerung gegenüber höchst avanciertes Element: die unaufgelöste Dissonanz. Das Vorspiel schließt mit einem Dominant-Septim-Akkord in As-Dur. Nach den Regeln der Harmonielehre mag man das darauf folgende fes der Posaunen, mit dem der erste Akt beginnt, als Trugfortschreitung deuten – aufgefaßt wird, in der Zäsur des aufgehenden Vorhangs, jener Septim-Akkord als absolut, ins Unendliche fragend. – Und der schon im Ring verwandte verminderte Septim-Akkord mit der darüber liegenden kleinen None des Grundtons, der bei dem großen Ausbruch des Parsifal im zweiten Akt, »Amfortas! Die Wunde!« ertönt, wird überhaupt nicht harmonisch fortgesetzt, sondern das Kundrymotiv, das der Akkord begleitet, stürzt einstimmig ab. Der großartige Zersetzungsprozeß der musikalischen Sprache, die – analog Kundrys expressionistischem Stammeln – sich in unverbundene Ausdrucksmomente dissoziiert, bedroht das traditionelle harmonische Gefüge. Der Parsifal markiert die historische Stelle, wo erstmals der in sich vielschichtige, gebrochene Klang sich emanzipiert, für sich selbst einsteht.

Wohl war die unmittelbare Wirkung des Parsifal auf die Komponisten weit geringer als die von Tristan, Meistersingern und Ring. Er paßt am wenigsten in die neudeutsche Schule; élan vital und bejahende Gebärde fehlen so sehr, daß man die Rettung am Ende so wenig glaubt wie manchmal im Märchen. Gerade im dritten Akt herrscht ein gepreßter Ton, dem gegenüber Parsifals Erlösungstat etwas Scheinhaftes und Ohnmächtiges hat; am Ende hielt Wagner seinem Schopenhauer doch besser die Treue, als die es wollen, die ihn zum Apostel von Erneuerung degradieren. Eben darum aber war die unterirdische Wirkung des Parsifal um so nachhaltiger. Was immer dem falschen Glanz absagte, hat an ihm sich gebildet: die sakrale Oper ist eine Vorform von Sachlichkeit. Schon an einer klagenden Stelle des Glockenchors aus Mahlers Dritter Symphonie steht eine offene Reminiszenz an die Trauermusik für Titurel; und Mahlers Neunte ist ohne den dritten Akt, zumal das fahle Licht des Karfreitagszaubers nicht zu denken. Am stärksten aber war der Einfluß auf Debussys Pelléas et Mélisande; die Oper des französischen Antiwagnerianers ist musikalisch wie der traumhafte Schatten des Musikdramas. Der karge Umriß, das statische Nebeneinander der Klänge, das verhängte Kolorit, das Ineinander von Archaik und Moderne – Mittelalter als Vorwelt –, all das kommt dorther, und der Rhythmus des Parsifalmotivs geistert durch das Gebilde, das am Anfang der neuen westlichen Musik steht und eigentlich schon dem des Neoklassizismus. Durch den Parsifal hindurch drang Wagners Kraft ein in die Generation, die ihm abschwur. Seine Schule ist mit dem Parsifal über sich selbst hinausgegangen.

Was aber Parsifal mit dem Pelléas gemein hat, ist das Element des Jugendstils, den Wagner in Deutschland inaugurierte, längst ehe es den Namen gab. Die Aura des reinen Toren selber gleicht der des Wortes Jugend um 1900, die »flüchtig hingemachten« Blumenmädchen den ersten Jugendstilornamenten; ein solches Ornament ward als Mélisande zur Heldin. Die Idee des Bühnenweihfestspiels ist genau eine von Kunstreligion – das Wort ist übrigens noch weit älter, von Hegel – wie im Jugendstil. Das ästhetische Gebilde soll durch die wählerische Konsequenz seines Stils einen metaphysischen Sinn beschwören, dessen Substanz der entzauberten Welt mangle. Auf die Erzeugung solcher »Weihe« ist der Parsifal angelegt; ihr gilt die Aura der Gestalten wie der nachhallenden Musik. Dem künstlerischen Ausdruck dessen, was nach dem Schopenhauerschen Dogma das Wesen der Welt ist, des blinden Willens, und der Verherrlichung des Quietivs, der Verneinung des Willens durchs Mitleid, wird von dem Werke schimärisch die Kraft der Erlösung zugetraut. In der Vergeblichkeit dieser Hoffnung aber, der Unwahrheit des Parsifal, entspringt seine Wahrheit, die Unmöglichkeit, aus bloßem Geist den entsunkenen Sinn zu beschwören. Der Kunsterlöser bedarf der Erlösung als ein heimlicher Klingsor. Was am Parsifal überdauert, ist der Ausdruck der Hinfälligkeit von Beschwörung selber.

 

1956/57

 

Nachtmusik

 

Alban Berg in Verehrung

 

Leicht könnte es geschehen: daß die gesellschaftlich vorgezeichnete Frage, wie heute Vergangenes zu musizieren sei, da keine Hörer sind, die es vernähmen – daß solche Fragwürdigkeit bekräftigt wird durch die des Musizierens bei sich selber. Nicht darum bloß wird die Unmöglichkeit, Werke der Vergangenheit angemessen zu interpretieren, evidenter stets, weil es an solchen fehlt, die fähig oder willens wären, das Gebotene zu empfangen; nicht auch allein deshalb, weil die Interpreten des traditionellen Haltes entraten. Die Werke beginnen uninterpretierbar zu werden. Denn die Gehalte, die Interpretation zu erfassen trachtet, haben in der Realität vollständig sich verwandelt und damit zugleich auch in den Werken, die in Geschichte stehen und an der realen Geschichte teilhaben. Geschichte hat in den Werken die Gehalte ihres Ursprungs aufgedeckt, evident gemacht; sie sind sichtbar allein durch den Zerfall ihrer gestalthaften Einheit in der Form eben des Werkes, und von beiden die geschlossene Einheit allein bot Raum für die angemessene Interpretation, die heute zwischen Bruchstücken umirrt und die Gehalte erkennt zwar, nicht mehr aber sie ins Material ziehen kann, daraus Geschichte sie vertrieb. Nun leuchten sie sichtbar und fern: die nahen Hüllen, denen sie sich enthoben, durchwärmen sie nicht mehr. So ist der Charakter Bachs seiner ästhetischen Struktur nach, die sich vernommen glaubt und fragend zugleich über sich hinausdeutet, uns aufgegangen, als wir dem Grund jener Objektivität radikal fremd waren; früher vielleicht lag jene Objektivität derart in den Werken verschlossen, daß sie, verbindlich dem Material zugehörig als dessen unablösbare Form, die Freiheit der Interpretation regelte; die objektiven Charaktere des Werkes spiegelten bloß die, welche in der Realität vorausgesetzt waren, ehe das Werk nur anhob; und im sicheren Raum solcher Übereinstimmung mochte der Interpret wohl als umfangenes Selbst dem Werk nahen und produktiv teilhaben an seiner Gegenwart; heute erscheint die Objektivität des Werkes notwendig uns zum Stilprinzip reduziert; abstrakt, weil die Bindung der erkannten und vergangenen Gehalte ans übrig gebliebene Musikmaterial nicht mehr besteht; die Präludien und Fugen sind mit sich allein geblieben, und wir können sie nicht anders reproduzieren, als indem wir die rätselhaft verstummte Kontur ihrer Form nachzeichnen. Weil sie interpretatives Maß nicht mehr in sich tragen, muß es ihnen von außen gesetzt werden als rationales Schema oder wird den Fragenden unerfragbar schlechthin; Freiheit der Interpretation verzerrt sich zur privaten Willkür. Die Gegenwart der Werke verweigert sich den Menschen.

 

Es ließe sich denken, daß die Geschichte der Interpretation vergehender Werke ihre Fortsetzung fände in der Geschichte von deren Derivaten. Während unaufhaltbar Interpretation der Treue mechanischer Darstellungsmittel überantwortet wird, die das steinerne Bild ihrer abgestorbenen Formen schaffen, beginnen die absterbenden Werke selbst sich zu zersetzen. Längst schied die leichte Musik sich von der ernsten; damals nur wölbte die gleiche Opernkuppel sich über Sarastro und Papageno, als im revolutionären Augenblick das Bürgertum mit den ergriffenen Menschenrechten Freude selbst erreicht meinte; da jedoch die bürgerliche Gesellschaft so wenig der Freude teilhaftig wurde wie Menschenrechte realisierte, haben die Klassen der Musik wie die der Gesellschaft sich geschieden; während wahre Freude der herrschenden unglaubhaft wurde im zerspellten sozialen Zustande, wurde umgekehrt der Schein der Freude ihr Mittel, die unterdrückte über ihre Lage zu täuschen; als Freude in der Gesellschaft irreal war, trat die irreale ideologisch den Dienst der Gesellschaft an und in Kunst, die um Wahrheit sich mühte, blieb für sie kein Raum. Nun die pathetische Einsamkeit der hohen Musik des neunzehnten Jahrhunderts selber fragwürdig ist, bemächtigt die leichte Musik sich der sinkenden hohen – darum wohl auch, weil in ihr verzerrt etwas von den großen Gehalten aufgehoben bleibt, die die hohe vergebens anredet. Die Depravation durch den Kitsch aber, die die Ohnmacht der hohen Werke anzeigt, gewinnt zugleich den Rest der Werke der Gesellschaft zurück, die bloß im Kitsch noch jene Werke zu erfahren fähig ist, weil ihre Ordnung selber so scheinhaft ist wie der Kitsch. Durchs fliederbekränzte Tor des Dreimäderlhauses nimmt ein Ballett zertrümmerter Gestalten seinen Einzug, deren sprunghaftes Aneinandergefügtsein erstmals vielleicht verrät, was unterhalb der Dynamik von Schöpfer und Persönlichkeit mit jenen Werken getroffen war. Im Shimmy macht der Toreador seine zweite Karriere, so wie er den Stier der erzürnten Gottheit opfert; Josés Schicksalsthema begleitet die vergebliche Verführung des keuschen Josef durch Frau Massary, wie vielleicht die wahre Astrologie heute in der zauberisch-geheimen Liebeswahl schlimmer Frauen einzig gilt; Lehárs langweilige Frasquita ist eine beispielhaft strenge Transformation der Carmen insgesamt, die endlich als Kitsch die Züge der Oper so völlig aus allem menschlichen Bezug herausbricht, wie sie in der authentischen Gestalt versteckt lagen. Chopin, gleich Schubert und Bizet aus kollektiven Quellen unvermittelt gespeist und stets im fragmentarisch Einzelnen beständiger als in der Formtotalität, erweist sich darum eben als transformierbar und: weil die großen Damen, denen er schmeichelt, der Wunschtraum sind der kleinen Mädchen von heute; so mögen beim Tanzsport die großen Damen, die ihn vergaßen, ihm wiederbegegnen in den Tänzen, die man um der kleinen Mädchen willen aus ihm geschlagen hat: nicht die Walzer bloß, auch die Fantaisie Impromptu erwies sich da als praktikabel und gab ihre letzte Substanz her für die Armut der Schlagerkomponisten, die reich damit wurden. Unterdessen begleitet bereits das Schlummerthema der Walküre den Feuerzauber von Bars. Der zweite Akt des Tristan ist bostonreif geworden, man muß nur die Synkopen fortlassen, durch jazzgerechte des Saxophons ersetzen, und wieder sinkt hernieder die Nacht der Liebe. Allein Rudimente des europäischen Bildungsglaubens schützen einstweilen Mozart und Beethoven, die im Kino eingebürgert sind, vor energischerem Gebrauch. Im dichten Lärm bewahren die Werke sich stumm.

 

Man sollte hart daran festhalten, daß Veränderungen in den Werken sich zutragen, nicht in den Menschen bloß, die sie interpretieren. Der Stand der Wahrheit in Werken entspricht dem Stand der Wahrheit in Geschichte. Damit nur läßt sich zwingend der Einwand widerlegen: es müsse bloß gelingen, die Menschen gebührend zu verändern, ihren geschwundenen Sinn für Maß und Form und Innerlichkeit zu wecken, und Werke, die sie heute langweilig finden, erblühten ihnen neu, sie bekehrten sich vom Kitsch zum echten Original; heute und hier bereits könne ein großer Künstler nicht nur produzieren, sondern auch beliebig reproduzieren, wofern er originale Anschauung und Kraft der Darstellung vereine und vollends von irgendwelcher Tradition legitimiert sei. Das argumentiert, als ob man die Wahl hätte, und daß künstlerische Freiheit niemals Freiheit der Wahl, gerade dies niemals bedeute, gilt es einzusehen. Wohl ist dem billigen ästhetischen Historismus gegenüber der Rekurs auf den bleibenden Gehalt des Kunstwerks angezeigt. Allein es darf dieser bleibende Gehalt nicht in geschichtslos ewigen, unverändert natürlichen Beständen des Werkes gesehen werden, die sich beliebig ergreifen lassen und die zu verfehlen, gemessen am Bestand des Werkes jedenfalls, Zufall wäre. Die Freiheit des Künstlers, des reproduzierenden nicht anders als des produzierenden, beruht allemal nur darin, daß er das Recht hat, über allen Zwang des gerade Bestehenden hinweg zu realisieren, was dem fortgeschrittensten geschichtlichen Stande nach von ihm als aktuelle Wahrheit des Werkes erkannt wird – erkannt nicht im Sinne der abstrakten Reflexion, sondern der inhaltlichen Einsicht in die Beschaffenheit seines je und je geschichtlich präformierten Materials. Ewig ist am Werk nur, was jetzt und hier mit Macht manifestiert wird und was den Schein am Werke sprengt; die anscheinend unveränderten Naturqualitäten des Werkes sind höchsten Falles der Schauplatz, darauf die Dialektik von Form und Gehalt des Werkes sich zuträgt, öfters wohl nichts als ein fauler Grenzbegriff idealistischer Ästhetik, das »Werk an sich«, das sich real vom Werk, wie es geschichtlich erscheint, überhaupt nicht sondern läßt; und bliebe jemals nichts anderes übrig als dieses »Werk an sich«, so wäre das Werk tot. Aufs Unveränderliche einer Musik sich richten und die aktuelle Veränderung der Interpretation befehden, heißt denn auch niemals das ewige Werk vor dem Vergehen retten, sondern allein das vergangene gegen das gegenwärtige ausspielen; den Zerfall der Werke in Geschichte bestreiten, hat reaktionären Sinn; die Bildungsideologie als Klassenprivileg will nicht leiden, daß ihre hohen Güter, deren Ewigkeit die Ewigkeit des eigenen Bestandes garantieren soll, jemals zerfallen können. Und doch ist der Wahrheitscharakter des Werkes gerade an dessen Zerfall gebunden. An der Geschichte von Beethovens Werk im neunzehnten Jahrhundert läßt er sich ablesen. Nicht die zeitlichen und individuellen Unterschiede zwischen den Betrachtern, der zeitgenössischen Kritik also, E.T.A. Hoffmann, Schumann, Wagner, den psychologisch-hermeneutischen Deutern der Vorkriegszeit und dann den heutigen sind es, die die Unterschiede zwischen den Auffassungen selber diktieren, als ob der befremdende Reichtum thematischer Gestalten, die poetische Fülle des Geheimnisses darin, die Tiefe der personalen Innerlichkeit, die geschärfte dramatische Dialektik, die extensive Größe der heroischen Gesinnung, der gestufte Reichtum von Seeleninhalten, endlich die formkonstruktive Phantasie Beethovens in zufällig wechselndem Lichte zwar, aber als diskret im Werk enthaltene, identisch bleibende Bestandstücke darin bewahrt würden, die wechselnd in Besitz zu nehmen stets freisteht. Schicht um Schicht vielmehr lösen jene Gehalte zu ihrer Stunde vom Werke sich ab, und jede vergangene ist dem Werk unwiederbringlich. Zwischen ihnen bleibt keine Wahl, und Erkenntnis hat darüber bloß zu wachen, daß die Gehalte realisiert werden, die der vollen Aktualität des Werkes zugehören. Sind die Gehalte ganz aufgedeckt, sind damit die Werke fraglos und unaktuell. Ihre Interpretierbarkeit hat ein Ende.

 

Theoretisch läßt sich das Ende der Interpretierbarkeit nicht vorausbestimmen. Es entscheidet sich aktuell. Aktuell nur und polemisch mag die Uninterpretierbarkeit von Werken behauptet sein, die so lange ihre Geheimnisse aus sich entließen, bis sie selbst zum Geheimnis wurden. Uninterpretierbarkeit als kritische Kategorie schließt nicht aus, daß faktisch, und nicht einmal völlig sinnlos, Werke doch interpretiert werden, deren Recht in Frage steht. Es ist nicht abzusehen, ob nicht der Klassikerbetrieb der Konzertgesellschaften und Musikfeste unentwegt weitergehe, solange die Zahlungsfähigen sichere, inaktuelle Interpretationen als feierlich nachgedunkelten Wandschmuck für den komfortabeln Hörraum notwendig begehren. Mancher Pianist noch wird am Medusenblick der verhärteten Appassionata zur Leidenschaft sich entzünden, anstatt trauernd das Bild ihres gewaltigen Hauptes zu entwerfen oder das getroffene Auge abzuwenden von ihr; und es wird nicht offenkundig sein, daß seine Leidenschaft objektiv zum Trug sich fälschte, den der steinerne unbetretbare Bau des Werkes stumm verhöhnt. Manche Pianistin wird die privaten Sehnsüchte ihrer Seele fliegenden Haares in die Irrgänge der Schumannschen Formen ergießen und eitel überhören, daß ihr eigenes Echo nur ihr erschallt, während sie vom stockenden, verlorenen Seelenlaut wohl die Spur im Gehäuse vorfindet, ihn selbst aber nicht mehr erwecken kann. Der allein aktuellen Reproduktionsweise dieser Phase, der vollends manifesten, konstruktiv durchsichtigen, wie sie von Schönberg ausgeht, bleibt die Breite des musikalischen Lebens noch erst zu gewinnen, obschon sie mit Klemperer etwa und Scherchen in jene Breite hineinwirkt, und ihr Klang mag für lange die Gegenwart der verstummenden Werke dämonisch erzwingen. Jedoch ist die Stunde, zu erwägen, daß der Rede von der Unsterblichkeit der Werke ihre inhaltliche Grenze gesetzt ist.

 

Noch sind wir gewöhnt, alle Musik zu unbefangen von innen nur zu betrachten. Wir meinen, wir wären selbst in ihr wie in einem sicheren Haus, dessen Fenster unsere Augen, dessen Gänge unsere Blutbahn, dessen Tür unser Geschlecht bedeute; oder gar, sie wäre gewachsen aus uns, die Pflanze aus dem Keim, und die feinsten Ausläufer noch ihrer Blätter ahmten gesetzlich die inwendige Zelle nach. Wir setzen uns als ihr Subjekt, und selbst wenn wir, dem Zerfall des bloß Organischen sie zu entreißen, zum allgemeinen, transzendentalen Subjekt uns verdünnen, bleiben wir es, die ihr die Regel vorschreiben. Die Krise der subjektivistischen Musik, die Erkenntnis und Praxis heute gleichermaßen anzeigt, macht nun nicht etwa vor den Werken, die aus Bewußtseinsimmanenz stammen, Halt derart, daß zwar die Bildung anderer Musik notwendig würde, die frühere subjektivistische aber in sich unangefochten bestünde. So wäre sie, wollten wir sie weiterhin nur von innen sehen. Allein der Untergang des musikalischen Subjektivismus ist geschichtlich von der Art auch, daß der subjektive Anteil schwindet in Werken, die ursprünglich subjektiv konstruiert waren. Es gibt in Wahrheit keine rein subjektive Musik, und hinter der subjektiven Dynamik haben allein längst vergessene und drohende objektive Qualitäten sich verschanzt, die endlich nun durchbrechen. Denn der Zerfall der Werke ist der Zerfall ihrer Inwendigkeit zumal. Die Gehalte, die ihnen entweichen, sind vor anderen die personalen und mit ihnen die konstitutiv subjektiven, die ihrer Struktur nach dem Wechsel privat-psychologischer Subjektivität enthoben sind. Aus Beethovens Werken tritt die autonome Spontaneität des moralischen Menschen als ihr formkonstitutiver Grund heraus; ihn erreicht die interpretative Realisierung nicht mehr; übrig aber ist die auswendige Bildung seiner Formen; deutlich zwar die autonome Spontaneität als deren bewegende Kraft, sie selbst jedoch klar geschieden von jener. Mit dem transzendentalen Gehalt, der abwandert, verläßt auch Kritik die subjektive Immanenz. Ihr Standpunkt wird transzendent. Zwar kann sie nicht die Stummheit des zurückgebliebenen Werkes tilgen; indem sie jedoch Werk und Gehalt durch die Zeit geschieden erblickt, blickt sie die Stummheit des Werkes selber an, und die Konturen des stummen sind anders, als die des redenden jemals es waren. Während das lebendige Werk unter dem Schein des Lebens selbsttätig sich kundgab, wird das zerfallende zum Schauplatz der Dissoziation von Wahrheit und Schein. Kein Werk ist in der Wahrheit und das zerfallende ist ihr weit entrückt. Aber die Gehalte, die dem Werk vordem eingesenkt waren, beleuchten es hell nun von außen, und in ihrem Lichte fügt seine auswendige Lineatur sich zu Figuren zusammen, die Chiffren der Wahrheit sein mögen. So sind die Entitäten der Stummheit und des Trostes, überpersonale Ursprungselemente allen opernhaften Wesens, erst kennbar geworden, als die Musik, die auf sie zielt, in die Region unterpersonalen Gebrauchs floh, nachdem sie trügend lange in die Innerlichkeit hinabgetaucht waren. Personal sind sie so wenig vermeint, wie die Intention eines Schlagers Seeleninhalt des vortragenden Kabarettsängers ist. – Oder es treten die Sonaten von ehedem heute ins Stadium ihrer konstruktiven Analyse, und so wird das Sonatenproblem neu gestellt werden müssen – es geschah bereits in Schönbergs Quintett –, wie die reine Form unterhalb alles subjektiv Vermeinten in ihr sich darstellt. Die konstitutiven Gründe von Musik sind wieder an die hörbare Auswendigkeit übergegangen. Der Zerfall des scheinhaften Innen hat das wirkliche Außen von Musik restituiert. Es dürfte in geschichtlicher Aktualität mit größerem Rechte und tieferen Sinnes von musikalischem Materialismus zu reden sein als von einer geschichtsfreien Materialbestimmtheit der Musik.

 

1929

 

Ravel

 

Nicht Strauss, der stets wieder eilends zu seiner vitalen Naivetät heimkehrt; nicht Busoni, der's dachte und unternahm, aber nie in Musik selber rein ausformte: Ravel allein ist der Meister von klingenden Masken. Kein Stück aus seiner Hand ist buchstäblich gemeint, wie es dasteht; keines aber bedarf zur Erklärung eines anderen außerhalb seiner selbst: in seinem Werk haben Ironie und Form zu glücklichem Schein sich versöhnt. Man nennt ihn Impressionisten. Soll das Wort Strengeres bedeuten als bloße Analogie zur vorhergehenden malerischen Bewegung, so nennt es Musik, die kraft der unendlich kleinen Einheit des Übergangs ihr Naturmaterial vollends auflöst und gleichwohl tonal bleibt. An der äußersten geschichtlichen Grenze jener Region steht Ravel; daß er die impressionistische Funktionalisierung nicht bis zum ernsten Ende trieb, ordnet ihn gerade jener Grenze zu: er ist zu wissend bereits, den Impressionismus rein durchzuführen, da er seinem Grunde nicht mehr traut; zugleich jedoch so gänzlich ihm zugehörig, daß er nie wünschen kann, ihn aufzuheben. Todfeind allen dynamischen Wesens der Musik, der letzte Anti-Wagnerianer einer Situation, für die der Bayreuther Bann sonst gänzlich erlosch, überschaut er die Formwelt, in die er selber gebannt ist; durchschaut sie wie Glas; aber durchstößt nicht die Scheiben, sondern richtet sich ein, raffiniert wie ein Gefangener. Stil und gesellschaftlicher Ort sind damit definiert. Seine Musik ist die einer großbürgerlich-aristokratischen Oberschicht, die sich selber hell wurde; die auch das drohend untergrabene Fundament sieht, auf dem sie sich erhebt; die die Möglichkeit der Katastrophe einrechnet und doch bleiben muß, was sie ist, da sie anders sich selber tilgen müßte. Daß jene Gesellschaft nicht vorwiegend Ravel, sondern lieber Straussens erotischen Elan oder heute vielleicht Strawinskys schnödere Finten genießt, beweist nichts gegen Ravel, sondern bloß allenfalls etwas gegen die Gesellschaft: daß sie nämlich entweder gar nicht so wissend existiert, wie sie bei Ravel vorkommt, oder daß ihr bereits nicht mehr die ästhetische Kraft innewohnt, das Porträt zu erkennen, das Ravels Musik schmeichlerisch genug ihr vorhält. Oder ist seine Musik Traumbild eines high life, Märchen einer mondanité, die zur bestehenden so fremd sich verhält wie eine befreite Gesellschaft, jener am Ende verwandt? Jedenfalls hat sie mit handfester Akkumulation unmittelbar wenig gemein, und sobald Meisterschaft so weit von ihrem gesellschaftlichen Ursprung sich sonderte, daß er kaum mehr darin nachhallt, darf man ihr bessere Geheimnisse zutrauen als jene, unter deren Bann sie steht.

Wenn von Meisterschaft gesprochen wird, kommt die Rede unvermeidlich auf Debussy. Trotz der Dummheit der Cliché-Begriffe, unter die man die beiden französischen Komponisten subsumiert, nicht zu Unrecht. Denn nirgends in der gegenwärtigen Musik, Schönbergs Schule vielleicht ausgenommen, sind die Ähnlichkeiten des Stils größer, die Divergenzen aber des Komponierten radikaler als zwischen ihnen. Die Frage nach der Priorität verschlägt wenig. Sie ist ohne Streit Debussy zuzugestehen, obwohl zwischen den ersten spezifischen Stücken Debussys und dem Beginn Ravels, der sogleich ihn voll explizit zeigt, nur wenige Jahre liegen. Die Prioritätsfrage ist gleichgültig, weil keine Kategorie dem Sinn Ravels unangemessener wäre als gerade die des Originellen. Er will nicht als Persönlichkeit sich mitteilen, nicht aus Innerlichkeit beginnen; er notiert sicher die entschwindenden Figuren seines geschichtlichen Moments; wie Degas, dem er in vielem gleicht, die Figuren seiner Rennpferde und Balletteusen notierte. Er hat nicht die unerbittliche Auswahl aus dem Musikmaterial getroffen wie Debussy; definiert die Motive nicht quasi mathematisch wie der Ältere, ist aber an süßer und weicher Fülle ihm überlegen. Die Mittel, die jener fand im Glauben an ihre geschichtliche Dignität, hat er leichter, skeptischer und auch extensiver gehandhabt. Dabei bleibt es sein Unvergleichliches, daß sie ihm niemals zur Sprache seiner Zeit oder auch bloß der nationalen Musikbewegung, der er selber zuzählt, sich banalisierten, sondern die exklusive Prägnanz behielten, die Debussy ihnen gab. Mit Florent Schmitt, selbst mit Dukas hat er nichts gemein. Niemals war sein Impressionismus unmittelbar wie der Debussys; La valse ist dessen Apotheose im Zitat der Vorvergangenheit. Die frühen Klavierstücke, die Jeux d'eau, Gaspard de la nuit machen dem Impressionismus den ganzen Reichtum des Klaviersatzes zugänglich, den Debussy, in frischerer Reaktion gegen das Neudeutschtum noch, mied. Von ihm unterscheidet Ravel bereits zu Beginn sich sehr deutlich. Sein Impressionismus weiß sich sogleich als Spiel; er hat nicht das Pathos der Begrenzung und des Programms. Sein Reichtum widerspricht der polemischen Idee des musicien Français; nicht umsonst spielt in den Klaviersatz neben dem Lehrer Fauré ein virtuoser Liszt herein, der bei Debussy undenkbar wäre. Die Entwicklung der Meister – soweit bei Ravel Entwicklung behauptet werden darf – verläuft in striktem Gegensinn. Sie kreuzen sich im Reich der Kindermusik. Ravel dämpft die Schwierigkeit der ersten Klavierwerke zur Einfachheit der Sonatine und gar zur Kargheit der vierhändigen Suite Ma mère l'oye, die durchaus unter die Hauptwerke gehört. Die Krise des poetischen Impressionismus, dessen Mangel an immanenter Form- nur mühsam vom artistischen Wissen zu paralysieren war, wird ihm akut als Infantilismus; wie Debussy; wie später Strawinsky; ähnlich etwa wie in der Malerei der Laurencin. Aber nirgends trennen sich die Wesen schärfer, als wo sie sich am nächsten kommen. Debussys Childrens Corner hat bei allem Charme die zärtliche Bonhomie sicherer Bürgerlichkeit; dies Kind hat es gut; in der Boîte à joujoux besitzt es für sich allein einen ganzen Spielzeugladen, wie wir ihn uns wünschen. Die Infantilität Strawinskys ist ein Schacht, aus der Moderne in die prähistorische Landschaft gegraben. Die Kinder von Ma mère l'oye indessen und der Sonatine, deren Menuett zumal, sind traurige und beglänzte plein air-Kinder, auf der bunten Allee zwar von viel Sonne betupft, aber von englischen Gouvernanten betreut. Debussys Kindlichkeit war Spiel des Mannes, der sich erkennt und die eigene Schranke; Strawinskys schräger Angriff auf die erwachsene Dingwelt; Ravels allein die aristokratische Sublimierung von Trauer. »Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen«; Ravel hätte Hofmannsthal komponieren können, wenn er seiner bedurft hätte, da er Mallarmé besaß. Seine Trauer wählt die imago der Kindlichkeit, weil sie in Natur verharrt und, konkret musikalisch, im Naturmaterial der Tonalität und der Obertonreihe. Wohl zerteilt er sie in ihre flimmernden Sonnenstäubchen, jedoch als unendlich geteilte bleibt seine Musik beim Gewesenen. Nirgends übersteigt er die vorgedachte Form, die in der Wahl des höchst qualifizierten Materials angelegt ist; niemals dringt Konstruktion in den vegetabilischen Umkreis ein. Er läßt die Convenus erklingen.

Vom traurigen Kinde bewahrt Ravels Musik Züge insgesamt: vom Wunderkind. Daher mag sein Maskenspiel rühren: er maskiert sich wie aus einer Scham, die zu durchbrechen die Formen ihm nicht verstatten, aus denen er sein Leben zieht, der Scham des Wunderkindes: all dies zu haben und doch unerbittlich in Naturgrenzen eingeschlossen zu sein. Durch die Scheinregionen von noblesse und sentiment, durch die hochmütige Kinderlandschaft führt die Tournée seiner Musik ins Altertümliche. Nicht ins Primitive; nicht ins Pathos der Erweckung, das Debussy geleitet: in Trauer ohne Glauben. Kein Zufall, daß sein archaistisches Hauptwerk, mit dem welken Duft der Forlane, die von den eigenen Harmonien entblättert wird; mit dem zärtlichsten Menuett; daß dies große, über Jahre hin komponierte Tombeau de Couperin eine Trauermusik ward. Das Altertümliche hat bei Ravel nicht die Schwere wie bei Debussy, dessen Hommage à Rameau aus der Tiefe der versunkenen Kathedrale gehoben scheint. Ravels Melancholie ist die helle und gläserne der enteilenden Zeit, die so gar nicht sich halten läßt, daß es vor ihr wenig mehr verschlägt, was immer ihr entgleiten mag; weiß ihre Zärtlichkeit sich keine Worte, so darf sie sich die des alten G-Dur holen, das ihr nicht realer ist als die vergehende Zärtlichkeit selbst. So gerät in Ravels Werk ein Moment fragender, absichtsloser Zufälligkeit, das mit Artistentum, Ästhetizismus und Experiment herabzusetzen so töricht wie ungerecht wäre: vorm rückhaltlosen Wissen seiner Musik gilt wahrhaft alles gleich, und im Zufall vollstreckt er das Schicksal des ihm Vorgezeichneten. Debussy gewinnt aus der Exklusivität seiner Wahl in den letzten Werken, En blanc et noir, den Klavieretüden Reichtum des Satzes und konstruktiven Halt zugleich; Ravel wird um so schmäler, je weniger er, der Jüngere, den impressionistischen Glanz sich mehr glauben darf, der sich über sich hinaus zu bewegen begann: er endet, einstweilen, beim schmächtigen lydischen ersten Satz der Violinsonate, beim dynamisch-koloristischen Illusionsakt des Bolero. Hier ist alle Unmittelbarkeit getilgt, die, als geistfremd, Opfer technischer Besinnung ward; während doch Ravel, im Eigenen befangen, weder fremdes Material mehr sich unterjochen noch durch fremde Intentionen das vertraute zum Glühen bringen darf. Die Landschaft ist geschwunden; ihre Luft, ihr feines Zittern, allein übrig, macht die Musik aus. Debussy hat seine Substanz an Unmittelbarkeit im kompositorischen Angriff, in der grausamen Spaltung seines Materials aufgelöst und dafür Werke empfangen, die stimmig und gefügt sind gleich den größten Bildern ihrer Epoche. Ravel hat zur Substanz, die ihm der Welt romantischen Scheins angehört, von Anbeginn das Zutrauen verloren und atomisiert sie darum gar nicht erst, sondern umgeht sie, umspielt sie, wendet sie neu und verflüchtigt sie schließlich ins Nichts gleich einem Zauberkünstler. Darum kennt er in Wahrheit keine Entwicklung. Nachdem er einmal den Impressionismus durchgehört hat, wird ihm jedes neue Werk zum neuen Kunststück, und Kunststücke haben keine historische Kontinuität. Die Artistik, die so statuiert wird, empfängt gleichwohl ihr Recht aus Geschichte. Nicht anders mehr vermag Musik sich darzustellen, die ganz und gar der Dignität ihrer Formen vertraut, nachdem deren Macht selbst in Frankreich verging. Darum eben ist Ravel deutschen Musikern, und gerade den besten und strengsten, die Debussy lieben, stets fast suspekt. Seine Musik beschließt damit die romantische Epoche, daß sie das Recht der formsetzenden Persönlichkeit bricht.

Wunderkind-Musik hat den besten literarischen Geschmack; bei Ravel muß man sich endlich nicht schämen, wenn man die Texte liest. Zumal das Buch der Colette. Nach den Noten zu urteilen und in Kenntnis von Ravels Wesen: L'enfant et les sortilèges muß sein Meisterstück sein. Kindlich verzaubert ist jeder Takt bei ihm, aber ein Wort seiner mütterlichen Erde – wie mütterlich ist nicht Frankreich heute noch gegen jene, die sich vom Ursprung losgesagt haben – genügt, die Natur, die tausendfach überspielte, in ihre alten Gerechtsame wieder einzusetzen. Was davon bleibt, läßt sich nicht prophezeien. Aber vielleicht wird man später, in einer anderen Ordnung der Dinge, doch noch hören, wie schön man einmal, im Menuett der Sonatine, fünf Uhr des Nachmittags komponiert hat. Es ist zum Tee gedeckt, die Kinder werden hereingerufen, schon schallt der Gong, sie vernehmen ihn und spielen noch eine Runde, ehe sie sich mit dem Kreis auf der Veranda vereinen. Bis sie von dort loskommen, ist es draußen kühl geworden, sie müssen drinnen bleiben.

 

1930

 
Gesammelte Werke
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