H.H. Stuckenschmidt und Theodor W. Adorno
Kontroverse über die Heiterkeit
Kurt Westphal hat im »Anbruch« einiges über motorische Musik gesagt*. Ich finde in seinem Aufsatz Tendenzen, denen zu opponieren mir in jedem Falle Ehrensache war und die ich gerade einem Kollegen meiner Generation nicht durchgehen lassen möchte.
Es gehört ja zu den Erbübeln deutscher Kunst- (und nicht nur Kunst-) Betrachtung, dem Werk nur dann Qualität zuzubilligen, wenn die Mühe der Arbeit, die Menge des vergossenen Schweißes in seiner Diktion und Form unzweifelhaft zutage tritt. Die Gepflogenheit, mit der rechten Hand ans linke Ohr zu fassen, ist hierzulande so sehr identisch mit den Begriffen geistiger Salonfähigkeit, daß Nietzsche den Kampf gegen solche Gesinnung zu einem Teil seines Lebenswerkes machen mußte.
Ich habe nichts dagegen, wenn die Anbeter der intellektuellen Strapaze sich gegenseitig über die bei ihren Arbeiten verbrauchten Kalorien examinieren. Daß aber ihr System wieder mal in die Sphäre der objektiven Ästhetik eingeführt und zum Maßstab für künstlerische Werte erhoben wird, ist eine Neuigkeit, gegen die ich nicht scharf genug protestieren kann.
Ein für allemal: es gibt keinen kunstfeindlicheren und in Deutschland keinen gefährlicheren Standpunkt als den des geistigen Schwerarbeiters aus Prinzip. Und wenn ich die Wahl habe zwischen dem Genie Mozart, dem die Einfälle ins Hirn flattern wie dem Gast des Schlaraffenlandes die gebratenen Tauben, und dem Genie Wagner, das wochenlange Stärkungskuren gebraucht, um nachher dem anspruchsvollen tête-à-tête mit seiner Muse gewachsen zu sein, – ich entscheide mich bedenkenlos für das erste und stelle zur Debatte, ob es nicht vielleicht sogar die bessere Kunst gemacht hat.
Der Satztypus, von dem Westphal so abfällig spricht, der kess-motorische Ablauf eines rhythmischen Motivs ist gewiß leichter zu komponieren als der aus zahlreicheren Disziplinen gezeugte Schönbergs. Eine rossinische Ouvertüre schreibt sich müheloser als ein beethovensches Adagio.
Es muß aber einmal gesagt werden (was überall außerhalb Deutschlands eine Selbstverständlichkeit ist), daß der Sinn eines Kunstwerkes sich zuletzt in der Wirkung herausstellt, und nicht in dem, was ihr voranging. Ganz abgesehen davon, daß ich mir gut einen Schaffenden vorstellen kann, der mit größtem Arbeitsaufwand scheinbar leichteste Formen zustande bringt. Und vice versa.
Es gibt für deutsche Intellektuelle nichts Lehrreicheres und Gesünderes, als von Zeit zu Zeit ein Varieté zu besuchen. Der Unterschied zwischen leichter und schwerer Kunst wird ihnen dort z.B. durch einen Jongleur und einen Athleten höchst sinnfällig ad oculos demonstriert werden. Es wäre überhaupt um unsere Kunst und unsere Kritik besser bestellt, wenn sie zuweilen in anderen Wäldern jagen ginge.
Da haben wir uns nun mit Mühe und Not von dem Ballast der Wagnerei, der philosophischen Kunst befreit. Und schon kommen die Herren wieder mit ganz ähnlichen Sorgen.
So leid es mir tut, hier muß ich auch meinem hochgeschätzten Freund Wiesengrund eins auswischen. Er hat einmal, ebenfalls in dieser Zeitschrift, Grundsätzliches gegen die ›neue Heiterkeit‹ drucken lassen. Schön und gut. Grinsende Hohlköpfe sind zum Kotzen. Es ist in der neueren Musik ein bißchen zu viel gegrinst worden.
Der naseweise Optimismus dieser Art von Kunst ist gewiß auf die Dauer langweilig. Aber er hat weniger Unheil angerichtet als das prinzipielle Flennen und Maunzen pessimistischer Trüblinge. Man kann gegen Heiterkeit sagen was man will, – kommt sie vom Herzen, so hat sie mehr Blut, mehr lebensbejahenden Willen als die Griesgrämigkeit. Tiefe hin, Erlebnis her: Ziel aller grundsätzlichen Melancholiker ist und bleibt die Negation, der passive Nihilismus, der Selbstmord (zu dem sie sich, untreu ihrer innersten Maxime, denn doch nur in den seltensten Fällen entschließen!).
Die einzige Entschuldigung für den pessimistischen Künstler ist der Glaube an ein besseres Jenseits. (Wagners Tragik schuf das Ventil des Erlösungsgedankens, einer metaphysischen Idee par excellence.) Wir, allen metaphysischen Glaubens beraubt, gewärtig nur eines utopischen besseren Diesseits, haben kein Recht, mit künstlerischen Mitteln die große Traurigkeit zu proklamieren. Wir haben nicht einmal Anlaß dazu. Wir haben, mit einem Wort, andere Sorgen.
Woher aber stammt dieser Glaube an die Vorteile der tränenfeuchten Miene, dieses Ressentiment gegen die »Attitüde des keep smiling«? Aus demselben Wahn, man sei ein besserer Mensch, wenn man sich das Leben schwer macht. Aus der Furcht vor dem Einfachen. Aus dem Minderwertigkeitsgefühl der deutschen Intellektuellen, sie könnten von den anderen nicht ernst genommen werden. »Aber erlauben Sie, Herr Rechnungsrat, auch unsereins arbeitet seine acht Stunden. So ein doppelter Kontrapunkt ...« Kinder, macht euch doch nichts vor. Der Schwindel mit den Kothurnen hat sich längst herumgesprochen. Wir wollen uns freuen, wenn wir Talent haben und was können.
Den Würdebart mit ›Schwierigkeiten des Komponierens‹ und so wollen wir lieber meistbietend versteigern. Es gibt noch massenhafte Abnehmer dafür.
H.H. Stuckenschmidt.
Lieber Stuckenschmidt,
zunächst, will mir scheinen, liegt ein Mißverständnis vor. Wenn man bei Musik von ›Arbeit‹ spricht, so meint man damit nicht die ›Menge des vergossenen Schweißes‹; nichts, was sich auf den Akt der Produktion psychologisch bezieht. Sondern die Arbeit ist als Kategorie dem Produkte selber gegenüber anzuwenden: die ›thematische Arbeit‹ etwa gleichbedeutend mit Reichtum der motivisch-thematischen Beziehungen im Gebilde, einerlei, wie jene Beziehungen vom Autor hergestellt wurden. Allerdings hat Westphal davon gesprochen, dies sei schwerer zu komponieren als jenes; aber damit hat er nicht das Schöpfungswunder der romantischen Kunstreligion neu herrichten wollen, sondern die Mühe des Schaffens – für ihn, wohlverstanden. Die artistische Mühe ums Handwerk, keinesfalls das anrüchige Leiden des Künstlers, der sich dem Werke opfert, ist ihm nur Maß der innertechnischen Aufgaben, die jener sich stellt. »Wir wollen uns freuen, wenn wir Talent haben und was können« – ganz wohl: aber der Einwand Westphals, der sich stets mit besonderer Schärfe von der psychologischen Musikbetrachtung abgegrenzt hat, zielt ja gerade dahin, daß die rhythmischen Motoriker nichts können. Nicht weil ihnen das Komponieren so leicht von der Hand geht, bekämpft er sie und habe ich sie stets bekämpft, sondern weil ihre Musik in sich selber nicht in Ordnung ist. Daß freilich stimmige Musik heute, mit einem unqualifizierten Material und im Stande der atomisierten Gesellschaft, nicht so leicht mehr geschrieben wird wie vor hundertfünfzig Jahren, ist kein Zufall und Ihnen so wenig fremd wie uns. Warum also es nicht sagen? Wer so radikal die Erfahrung französischer Musik machte wie Sie, dürfte nicht sogleich hinter dem Metier die Luft von Fafners Höhle wittern.
Nietzsche ist da kein Kronzeuge. Einmal hat er ja die Geburt der Tragödie geschrieben und die Antithese des Dionysischen und Apollinischen erfunden, die mir zwar bedenklich monumental und neudeutsch vorkommt, aber immerhin gegenüber Nietzsches eigenem Ideal postkartenblauer Südlichkeit und klassischer Tänzerei sehr wirksam die Erinnerung daran bewahrt, daß die gute Endlichkeit geschlossener Formwelt möglich ist allein auf dem Grunde des dunklen und amorphen Elementarischen; während Sie sich gerne umstandslos und zweidimensional statuieren möchten. So wenig ich sonst geneigt bin, als Nietzsche-Apologet aufzutreten – Sie könnten mich dazu verführen: wenn irgend etwas bleibt von seinem Werke, dann gewiß der dialektische Zug, der ihn tief genug leitet, alle wahre Form in der furchtbaren Spannung zwischen dem Bewußtsein und der Naturmacht zu erkennen, der es sich entringt. Erst wenn man das Bewußtsein tilgt, selber in Natur auflöst, dazu die Gewalt des Elementarischen vergißt, dann bleibt von der Spannung nichts übrig: die Klassizität wird musikalisch zu einem Rezept für Konservatoristen, die den Formenlehrkurs versäumt haben. Das wäre doch schade. Mozart jedenfalls, wenn man ihn schon apollinisch schimpfen will – wozu ich nicht das Herz hätte – steht in der Spannung ganz und gar: es bedarf keiner gar zu feinen Ohren, zu hören, wie grausam und schmerzlich diese Form aus dem Naturstoff geschnitten ward – nicht freilich aus dem Stoff seiner Erlebnisse; aber aus dem andrängenden Material, in das jene Musik je und je mit ihrem letzten Akkord zu versinken droht. Daß es dabei nicht um innermenschliche Fakten, sondern um den Stand objektiver Charaktere zum Menschen geht, darf man nicht vergessen. Aber keiner hat an der psychologischen Umdunstung jenes Bereichs größere Schuld als gerade Nietzsche, der alle Kunst radikal vom Schöpfer-Menschen aus verstand und damit die Wahrheitsgehalte, denen er begegnete, stets wieder in bloße Seelentatsachen verfälschte. Auch darum sollten Sie sich nicht auf Nietzsche berufen, der an die Erlebniswelt des 19. Jahrhunderts gänzlich gebunden bleibt, welcher Sie mit Recht opponieren und die Sie nun gar in allzu treuer Nietzsche-Gefolgschaft dort finden, wo sie eben nur das schlichte Vertrauen auf Psychologie vermuten kann.
Indessen, ich möchte mich nicht über Nietzsche mit Ihnen streiten und durch Auseinandersetzungen in der Bildungssphäre unseren realen Gegensatz verdecken. Ich stehe zu dem, was ich gegen die Serenitas von heutzutage, die Attitüde des keep smiling gesagt habe: ich möchte es, nachdem die Entwicklung der stabilisierten Musik dies alles noch weit deutlicher akzentuierte, eher schärfer als milder sagen. Alle psychologischen Raisonnements für oder gegen die Heiterkeit lehne ich ab, weil ich sie für gleichgültig halte; wobei übrigens daran zu denken bleibt, daß wie immer auch belastete Kunst keineswegs pessimistischer Seelenstimmung zu entwachsen braucht; schauen Sie sich die Romane von Kafka an, deren qualvolle Schwere allein fürs wirkliche Optimum aufgeboten wird. Mein Kampf gegen die neue Heiterkeit hat nichts mit dem deutschen Bildungsglauben zu tun, von Erlebnis und Tiefe in jenem Sinn habe ich nie gesprochen, das Varieté besuche ich so gerne wie Sie und mit Rechnungsräten pflege ich mich nicht zu unterhalten. Vielmehr, es geht ums Realitätsbewußtsein: die Serenitas sucht einen Zustand objektiv geschlossener Gemeinschaft, sicherer ontologischer Orientierung, richtiger sozialer Ordnung vorzutäuschen und den Hörern einzureden, den es nicht gibt und den ästhetisch sich vorspielen nichts anderes heißt, als sich von der Not der gesellschaftlichen Verhältnisse ablenken lassen. Ich bekämpfe die neue Serenitas als eine Ideologie: als eine Haltung, der nicht der objektive Stand der Realität, sondern sehr durchschaubare Produzenteninteressen zugrunde liegen; ich bekämpfe sie als die Musik der schlechten Stabilisierung. Es ist zur Fröhlichkeit objektiv kein Grund und gerade, daß heute die Fröhlichkeit als solche sich deklariert (was ihr im gepriesenen 18. Jahrhundert nie beikam), erweist ihre Fragwürdigkeit: das steckt den Kopf in den Sand und strampelt dazu motorisch mit den Füßen – solange es geht. All dies an der technischen Unstimmigkeit der Werke selber schlüssig zu zeigen, scheint mir überaus wichtig und darum vor allem hat Westphals Aufsatz seine gute Funktion. Es bleibt darüber hinaus zu sagen, daß der Hurra-Optimismus der Kleinauto-Generation in Gefahr ist, einzubüßen, wovon am Ende doch Kunst sich nicht vollends lossagen sollte: Humanität. Daß die heute nicht mehr Raum hat im expressiven Pathos, versteht sich; aber blank verdrängen wird sie sich auch nicht lassen. Die inhumane Heiterkeit der hellen Leere, die in nichts besteht als in ihrem eigenen Tempo, in dem gar nichts mehr bewegt wird – die wird die Verbesserung des Diesseits nur hintertreiben und muß um jener Verbesserung willen endlich durchschaut werden. Sie sprechen vom utopischen Diesseits: nun, ich finde, man kann sich getrost ein wenig utopischer dazu verhalten, als Sie es mir konzedieren möchten.
Theodor Wiesengrund-Adorno
1930
Fußnoten
* Vgl. Kurt Westphal, Grenzen der motorisch-rhythmischen Gestaltung, in: Anbruch 11 (1929), S. 295ff. (Heft 7/8, September/Oktober).