Berg-Gedenkkonzert im Londoner Rundfunk
Der englische Rundfunk hat über den Londoner Nationalsender ein Konzert zum Gedächtnis an Alban Berg verbreitet, der in England als einer der repräsentativen Komponisten der Gegenwart längst durchgesetzt ist. Es stand unter der Leitung seines Freundes Anton Webern, der, ebenbürtiger Komponist aus der gleichen Region, auch als Dirigent wie kein zweiter zur Darstellung von Bergs Musik legitimiert ist. Er brachte zunächst zwei Sätze aus der Lyrischen Suite für Streichquartett in der chorischen Bearbeitung: das Andante amoroso und das im Tuttiklang besonders eindringliche, von Webern leidenschaftlich beschworene Adagio appassionato. Das Hauptstück des Abends war Bergs letztes Werk, das Violinkonzert. Es ist, wie man weiß, als Requiem für ein junges Mädchen geschrieben und voll jener geheimnisvoll-gegenständlichen Beziehungen, in welchen Berg den Begriff der Tondichtung so bezwingend neu formuliert und vergeistigt hat. Zwei Teile: jeder abermals in zwei Sätze unterteilt. Ein Andante von schlankester Fügung stimmt ein: es folgt ein Scherzo, das mit Charakteren der österreichischen Volksmusik – der Berg hier eindringlicher nachfragt als selbst im »Wozzeck« der Folklore – aufs tiefsinnigste spielt. Zwei Trios: das erste drohend schon ausbrechend, das zweite in seliger Ländlerruhe: danach Reprise des ersten Trios und dann des Scherzos, in das gegen Ende ein Kärntner Lied kunstvoll verwoben wird. Ganz kurz gefaßte Coda, meisterlich in den Schluß gedrängt.
Das Allegro, mit dem der zweite Teil beginnt, ist eine durchkomponierte und reich begleitete Kadenz. Sie dialogisiert die stumme Handlung zwischen übermächtigem Eingriff und zarter Regung der Seele dawider: beginnend und endend mit furchtbaren Ausbrüchen. Der letzte aber wird mit der bestätigten Gewalt des großen Spätwerkes im Entschluß angenommen: der Bachische Choral »Es ist genug«, unaufhaltsam vorbereitet durchs ganze Allegro, antwortet fast dem letzten Schlag und wird, allegorisch geleitet von der Sologeige, in der Variationstechnik des Choralvorspiels durchgeführt, nochmals durchtönt vom Kärntner Lied, in einer Traurigkeit, an die Worte nicht heranreichen, um im Dreiklang mit hinzugefügter Sext zu verschwinden.
Bergs Neigung, tonartliche und zwölftönige Komplexe konstruktiv miteinander zu durchdringen, ist im Konzert zur reinsten Konsequenz geführt. Es hat die Einfachheit der Eile eines, der weiß, daß er keine Zeit mehr zu verlieren hat zu sagen, was gesagt sein muß: aber auch die Einfachheit der vollsten, ihrer selbst mächtigsten Meisterschaft. Der Abschied aber, von dem die Musik tönt, scheint der von Welt, Traum und Kindheit selber. Seit Mahlers letzten Werken ist keine Musik so menschlich beredt gewesen wie diese.
Anton Webern diente ihr mit inbrünstigem Gelingen. Der Geiger Louis Krasner, für den das Konzert geschrieben ist, war dem schwierigen Solopart musikalisch und technisch der vollkommenste, der überzeugende Anwalt. Das Publikum zeigte der Größe des Anlasses sich bewußt.
1936