Zu einer Umfrage: Neue Oper und Publikum
Die Konstatierung eines vollkommenen Bruchs zwischen dem traditionalistischen Publikum der Oper und ihrer gesellschaftlichen und musikalischen Situation trifft zu. Was heute noch an Opern für Opernhäuser geschrieben wird, scheint mir durchwegs ein Kompromiß, der zwar durch jene Situation vorgezeichnet, in sich selbst aber unmöglich ist. Ich fühle mich mit der von Boulez geübten Kritik solidarisch.
Was das ästhetische und gesellschaftliche Bewußtsein in der zeitgenössischen Oper anlangt, so empfinde ich es als second hand, als Versuch, nicht hinter der Zeit zurückzubleiben, und gleichzeitig doch, eben dem Publikum zuliebe, nicht zu weit zu gehen.
Kaum ist es Zufall, daß seit der Lulu und Moses und Aron keine im wahrhaften Sinn modernen und zugleich authentischen Opern mehr geschrieben wurden, und daß jene beiden Fragment blieben. Offensichtlich hat die Opernform selber keinen richtigen Ort mehr. Reformversuche durch den Text scheinen mir mehr Vitaminspritzen als von primärer Aktualität. Ebenso betrachte ich die Überwertigkeit des Regiemoments als Symptom einer Schwächung der Form an sich. In ihrer traditionellen, sei es auch erweiterten Form genügt die Oper nicht mehr; was ihre Tradition retten könnte, dürfte wesentlich außerhalb der repräsentativen Institutionen gedeihen. Daß es so wenige moderne Repertoireopern gibt, hat strukturelle Gründe, ist sicherlich nicht dem Mangel an begabten Komponisten zuzuschreiben. Die Diskrepanz zwischen wahrhaft aktueller Oper und Publikum ist innerhalb des Bestehenden kaum zu verändern; die Gründe greifen weit über das Einzelphänomen hinaus. Selbstverständlich ist alles zu unterstützen, wodurch man das Verständnis der Hörer zu steigern unternimmt, in der allgemeinen Musikerziehung ebenso wie innerhalb der Operntheater selbst. Aber solchen Bemühungen stehen übermächtige Kräfte entgegen, die Kulturindustrie und auch das musikalische Bewußtsein zumal der Jüngeren. Kontakt zwischen wirklich radikal moderner Oper und Publikum wäre wohl nur durch Kurzschluß herzustellen; dadurch, daß das Publikum überrumpelt wird. Andererseits zeigen die traditionellen Opern, auch die größten und substantiellsten, eine Tendenz, uninterpretierbar zu werden. Wird sie gewaltsam überspielt, so verstärkt sie sich dadurch womöglich.