FEBRUAR 1931

 

In der Kammermusik des Museums gab es einen Choc über die Interpretation von Beethovens a-moll-Quartett durch die Kolischs. Es ist dazu ein Wort zu sagen. Die Wiedergabe des Werkes ist ernstlich um eine neue und aktuelle Anschauung bemüht, gibt weit raschere Tempi als die üblichen – wobei man, wohlverstanden, nach originalen Metronomisierungen anderer Stücke von Beethoven auf die rascheren Tempi schließen darf –, Modifikationen der Metrik und Akzentuierung, die die thematische Konstruktion bloßlegen und dafür vom lediglich harmonischen Zwang der guten Taktteil-Akzente sich loslösen. Das widerstrebt jener fragwürdigen Innerlichkeit von Konzerthörern, die da, wo es um die reine Darstellung von Gebilden geht, eine trübe Erbauung durch vorgeblich religiöses Espressivo suchen. Sie freilich sind noch nicht so weit, die schwebende, leichte Helle zu begreifen, die etwa das lydische Dankgebet fand. Aber sie sollten nicht, weil sie den Intentionen der besten zeitgenössischen Kammermusik-Vereinigung noch nicht gewachsen sind, meinen, es fehle dieser Vereinigung an einem ›Gefühl‹, das im Licht von deren Erkenntnis sich nicht zu behaupten vermag. Es gab außerdem das letzte F-Dur-Quartett von Mozart und den Dritten Bartók, der mir immer noch gut gefällt, obwohl er harmloser konzipiert sein mag, als er auskomponiert ist. Das erste Bartók-Quartett, ein viel unfertigeres Stück, aber doch vielleicht eines mit kühneren Impulsen, boten die Amars; auch Brahmsens A-Dur-Quartett unter zuverlässiger pianistischer Assistenz von Rosbaud. – Das letzte Montagskonzert war romantisch; Marschners Hans-Heiling-Ouvertüre, die nun auch nicht mehr zu erwecken ist; das d-moll-Konzert von Brahms, von Hoehn sehr profiliert gespielt, zum Schluß Schumanns Es-Dur-Symphonie.

 

MÄRZ 1931

 

Mit der Neueinstudierung des Tannhäuser hatte die Oper einen großen und berechtigten Erfolg. Die Verdienste liegen zu gleichen Teilen bei musikalischer und szenischer Interpretation. Es dirigierte Steinberg. Er verstand es diesmal vor allem, die Solisten in ungewohnter Weise zu aktivieren. Frau Ursuleac bot eine vortreffliche, leidenschaftliche und unsentimentale Elisabeth und vermochte die fraglosen Schwächen der Gestalt zu meistern; Frau Gentner-Fischer sang wunderschön die Venus; Permann den Wolfram so gepflegt und sorgfältig, wie man ihn lange nicht vernommen; eine besondere Überraschung bot ein Darmstädter Gast, Theo Hermann als Landgraf mit einem substantiellen und ausgeglichenen Baß. Das Orchester spielte warm und intensiv; nur zwischen ihm und dem Gesang, zumal den meist rein singenden Chören, gab es gewisse Divergenzen, die sich aber leicht korrigieren dürften. Problematisch allein Herr Völker als Tannhäuser, der die Partie noch nicht voll beherrscht, auch gesanglich nicht so befriedigte wie sonst – erst im dritten Akt sang er sich frei –, zudem als Darsteller nun einmal nicht zum Tannhäuser geschaffen ist. Mit seiner Erscheinung fand sich die kluge Regie von Graf ab, indem sie ihn mehr die Figur des dämonischen Rebellen vorstellen ließ als einen strahlenden Helden, dessen Zeit ohnehin um ist. Das charakterisiert zugleich die Linie der ganzen Inszenierung. Sie sucht den scheinheiligen Heiligenschein der Wartburgwelt zu vergessen, gibt dem Venusberg kräftige Akzente, die nur durch die Schwimmbewegungen des Labanchors gestört werden, macht aus der Elisabeth einen Menschen und sogar eine Frau; denkt Oberwelt und Unterwelt menschlich zusammen, indem sie Venusberg und Waldgebirge des ersten Aktes in dieselbe, nur umgedeutete Landschaft stellt – wobei freilich dahinsteht, ob so der eigentümliche Interieurcharakter des Venusberges richtig gewahrt bleibt. Gut ist die Intention, von der schlechten Erlösung loszukommen und ins Zentrum den Aufruhr der sprengenden Leidenschaft zu rücken. Dem entspricht auch die Unromantik des übrigen: der Einzug der Gäste bleibt durch einen Zwischenvorhang den Augen erspart, die Musik dazu entlädt sich symphonisch, die Halle präsentiert sich erst auf dem Höhepunkt mit dem Trompeteneinsatz, während die Elisabethszene zuvor in einem einfachen Vorraum sich abspielt; im dritten Akt fallen der grüne Stab und die Leiche der Elisabeth fort und die Venusbergvision ist allein durch Licht angedeutet; dies alles aber mit so viel Takt, daß nirgends der Eindruck billig-ornamentaler ›Stilisierung‹ aufkommt: eine der sinnvollsten Wagnerlösungen, die ich seit langem sah. Sievert hat dazu schöne und überzeugende Bilder gegeben. Das Werk aber, im Glutkern eines der echtesten von Wagner, bewährte trotz aller fühlbaren Leerstellen seine Dauer echter, sprengender Produktivkraft. Zu erwägen wäre, ob man nicht doch, trotz des Stilbruches, bei Aufführungen die Pariser Fassung zugrunde legen sollte. Denn das nachkomponierte Bacchanal ist eines der genialsten Stücke Wagners, dessen Genialität wahrhaft heute mehr gilt als eine Stileinheit, die nimmermehr das Maß gerade für Wagner abgeben darf.

 

Der »Konzertmusik für Bratsche und größeres Kammerorchester« von Hindemith, die der Autor im Orchesterverein unübertrefflich spielte, wird nachgesagt, sie sei die Inauguration eines neuen Tons im Hindemithschen oeuvre. Ich muß gestehen, daß ich wenigstens nach der Impression der Aufführung nichts davon fand. Allenfalls gegenüber der bloß durch Bewegung verklammerten Linearität (die freilich stets harmlos war, weil die Linien in sich den diatonischen Charakter wahrten) eine gewisse Neigung zu akkordischem Denken; dies akkordische Denken aber eher nach rückwärts, an der Dreiklangsharmonik orientiert als im Sinne einer wahrhaft neuen und radikal konstruierten Harmonik. Sonst das alte Bild. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Souveränität Hindemiths in der konzertanten Weise stets und stets wächst und heute sich kaum mehr überbieten läßt: immer lockerer wird der Instrumentalklang und immer sicherer auch in extremen Kombinationen; immer reicher, nachgerade unter Vermeidung jeder billigen Sequenz, schichtet sich der konzertante Bau: aber es bleibt doch dabei, daß hier einer mit freizügigen, entbundenen Mitteln eine positive und erfüllte Formobjektivität spielt, die sich ihm versagt; daß darum das Spiel ein Als ob, ein Quasi-Concerto und schließlich in seinem Sosein zufällig bleibt. Die neueste klassizistische Formidee: Anknüpfung an die alte Ouvertüren-Suite, Abkehr vom Finalprinzip, vermag nichts dagegen. Ja gerade die kurzen Suitensätze gewinnen, wie zumal der dritte, eine kunstgewerbliche Genre-Haltung, die das Ganze weiter noch zurückwirft. Wann endlich macht die größte reichsdeutsche Komponierbegabung wieder Ernst? – Danach dirigierte Rosbaud sehr hübsch den Don Quixote, im Detail eines der reichsten Stücke von Strauss, in der Form aber den eigenen Zeitdimensionen nicht mehr adäquat. Das nächste Konzert brachte das »Vorspiel I« des immer noch zu wenig aufgeführten und bekannten Jarnach, das ich versäumen mußte, das aber als ernst geformt und original geschildert wird. – Das Museum hat sich das Verdienst erworben, einmal wieder Pfitzner als Dirigenten und Komponisten zur Diskussion zu stellen. Der Dirigent mußte mit seinem Lieblingsstück, der Vierten von Schumann, enttäuschen; vieles, wie die Einleitung und der Scherzobeginn, kam unpräzis, das meiste unplastisch, an rhythmischer Spannkraft mangelte es durchwegs, und unverständlich blieben Rubati (Seitensatz des Finales), die keiner strikter vermeiden müßte als der Fanatiker der Unveränderlichkeit der Werke. Vom Komponisten gab es Trauermarsch und Minneleides Abschied aus der »Rose«, schön beginnend, aber harmonisch merkwürdig unentfaltet; die vielberufene Herbheit, die in Moll und dunklem Klang scheinbar sich hält, wird von jedem Dur-Akkord empfindlich banalisiert; der melodischen Linie fehlt hier bereits das Profil. Dann sang Hermann Schey schön das Lied »Lethe«, das wenigstens als Ganzes und in der Farbe echt und fremd gehört ist: ein musikalischer Marées. Die neue Chorphantasie dagegen, »Das dunkle Reich«, scheint mir wieder ganz unfruchtbar, ein Werk der Gesinnung und nicht der kompositorischen Substanz; mit dem dünnen einstimmigen Chorspruch nach gewaltigen Versen von Goethe und der merkwürdig matten Komposition der Mater dolorosa des Faust. Mit diesem Werk scheint etwas erreicht, wozu Analogien sich in der zeitgenössischen Philosophie finden: selbst aus dem Tod hat man eine Ideologie für den schlechten Individualismus gemacht.

 

APRIL 1931

 

Die Beziehungen zwischen der Frankfurter Oper und den Bühnenwerken Strawinskys sind nie sehr glücklich gewesen. Sie kamen zu spät und stets vereinzelt, so daß ihnen die Wirkung vorenthalten blieb, die ihnen gebührt, mag man sich zur Gesamtfigur Strawinskys stellen, wie man will. »Pulcinella« erschien seinerzeit in einer recht verunglückten Inszenierung, »Petruschka« gleichsam unter der Hand; das Hauptwerk der früheren Periode, das »Sacre du printemps« hat nun auch nicht mehr Glück gehabt. Man versäumte wieder, einen ganzen Strawinskyabend zu bilden, der den Dingen ihr rechtes Gewicht gegeben hätte; statt dessen spannte man das Sacre mit zwei harmlosen Balletten zusammen, die ihm beim breiten Publikum den Erfolg stehlen und beim ernsten das Werk kompromittieren. Zudem hat die Choreographie sich wieder nicht bewährt. Marion Hermann, die übrigens das Opfer selbst, und überaus wirksam, tanzte, hat gewiß gute Intentionen; will das Ballett entkitschen: statt der verlorenen Ornamente sinnvolle Konstruktionen setzen. Aber das ist hier noch nicht gelungen. Das Material des Bewegungschores erwies sich als zu starr und ungefüg für den rhythmischen Reichtum der Musik; zudem brachte der Widerstand gegen alle pantomimische Deutung das unerhört folgerecht gebaute Stück, bis auf jenen Schlußtanz, um jede dramatische Spannung und fügte im Leeren einen Tanz an den anderen: ein urgeschichtliches Turnfest. Vergebens ließ da die Musik die Erde erzittern; vergebens stellte Lindemann die immer noch sehr schwierige Partitur überaus sicher und eindringlich dar. Das Publikum blieb ohne jede Ahnung: der Start war verfehlt. Trotzdem muß man dankbar sein, dem Sacre überhaupt auf der Bühne zu begegnen: denn bloß getanzt findet es seine Melodie, die in der Musik so zwingend ausgespart ward, daß das Auge sie richtig ergänzt, selbst wenn ihm so Bescheidenes geboten wird wie hier. – Es folgte der »Liebeszauber« von de Falla, recht hübsche, ballettsichere, aber reichlich kunstgewerbliche Musik; von Marion Hermann anmutig geboten; wobei das vielgeschmähte alte Ballett sich immer noch als beweglicheres Instrument erwies als die anspruchsvolle Gruppe. Den Schluß machte die »Scheherazade« von Rimskij-Korsakow, die man einem nun wirklich ersparen dürfte; dünne Musik, die auch artistisch keineswegs das Niveau behauptet, das man ihr nachrühmt; dazu eine Tanzaktion, die notwendig allen Kitsch wieder heraufführt, dem man im Sacre so asketisch sich widersetzte.

 

JULI 1931

 

Bei keinem andern zeitgenössischen Werk hatte die Frankfurter Oper so viel Versäumtes nachzuholen und wiedergutzumachen wie bei Bergs Wozzeck. Sie hatte unmittelbar nach Abschluß der Partitur die erste Option auf die Aufführung; sie hatte eine zweite nach dem Tonkünstlerfest 1924, als die berühmten »Bruchstücke« zuerst erklangen und die breiteste Öffentlichkeit auf Berg aufmerksam wurde. Man hat auch damals nicht zugegriffen. Es ist selbstverständlich, daß Steinberg und Graf jetzt das Werk aufnahmen, ohne sich vom Einwand beirren zu lassen, daß man es im nahen Darmstadt – übrigens tatsächlich in einer vortrefflichen Aufführung – sehen könne. Der »Wozzeck« ist bis heute, als in sich selber gültiges Werk und nicht als ›Station‹ auf einem Wege, von dem doch keiner vorher weiß, wohin er führen soll, das wichtigste Resultat der Neuen Musik im Bereich der Szene, und Werke solcher Art, denen man keinen Gefallen tut, wenn man sie spielt, sondern denen man zu danken hat, daß man sie spielen darf: solche Werke darf man nicht nach einem Schema ›rationieren‹, an dem wir uns im Kriege den Magen verdorben haben. Es ist darum die Tatsache der Aufführung, der Mut zur Selbstkorrektur des Instituts und zum Kampf mit der allzu öffentlichen Meinung vorab anzuerkennen. Im einzelnen liegen die Verdienste der Aufführung diesmal besonders auf der Seite des Gesanglichen. Es war eigentlich die erste Wozzeckaufführung, in der ich die Gesangsmelodik stimmlich und musikalisch weitgehend realisiert fand. Der Bariton des Herrn Stern gab dem Wozzeck Substanz und musikalische Fülle; eine junge Sängerin, Frau Recka, die als Marie einsprang, zeigte stimmliche Qualität und bemerkenswerte Sicherheit der Intonation; Herr Fanger wußte den Tambourmajor mit Intelligenz zu pointieren. Wenn über die musikalische Bemühung die darstellerischen Umrisse etwas matt gerieten; wenn schauspielerisch viel Opernkonvention übrigblieb, die im Wozzeck fehl am Ort ist, so wird man das gern überhören. Denn die Gestalten des Wozzeck sind aus jeglicher Operntypik herausgelöst; all unsere Operntradition und Operntechnik aber muß nach dem Standard ihrer Werke heute noch mit den alten Typen haushalten: es wäre unmöglich, hier in der Arbeit an einer Aufführung zu überwinden, wo die plangemäße Ausbildung eines prinzipiell neuen Opernstils notwendig wäre. Der Regisseur Graf fand sich mit den hier lokalisierten Schwierigkeiten, ebenso mit den heiklen Schnellverwandlungen auf der alten Bühne ungemein taktvoll ab. Manche Lösungen, wie die überplastische Szene beim Doktor oder die Straßenszene vorm Gitter der Bürgerlichkeit – Bilder von Sievert – gerieten frappant. Es dirigierte Steinberg schwungvoll, mit gedrängten Tempi, dramatisch klar disponierend. Daß diesmal das Orchester an Schönheit und Fülle des Klanges, an Kontinuität der Übergänge, auch gelegentlich an Präzision zu wünschen übrigließ, fällt ihm nicht zur Last. Wahrscheinlich müßten beim Wozzeck auch die instrumentalen Spielweisen der Instrumente weitgehend revidiert werden. Es war ein großer Abend. Durchs Interesse der Bühnenorganisationen – das normale Publikum in Frankfurt kommt für neue Musik ernstlich kaum mehr in Betracht – scheint es möglich, das Werk dem Repertoire zu erhalten.

 

Von den Konzertereignissen gegen Saisonende vermag ich nur recht fragmentarisch zu berichten. Das wichtigste: die Aufführung der Orchestervariationen von Schönberg, konnte ich, von Frankfurt abwesend, nicht hören. Aber es wird mir so zuverlässig wie nur möglich gesagt, daß die Wiedergabe durch Hans Rosbaud mit dem Rundfunkorchester unübertrefflich und authentisch gewesen sei. Es ist besonders hervorzuheben, daß der Dirigent wie die Rundfunkleitung durch die Probendisposition den Forderungen des außerordentlichen Werkes Rechnung trugen und dadurch eine Interpretation möglich machten, wie sie im normalen Konzertbetrieb kaum möglich wäre. Ein Vortrag Schönbergs mit Orchesterdemonstrationen ging um einen Tag der Aufführung voraus. Sie brachte endlich den vollen Erfolg, der dem Werk, dem kristallsten und klarsten, das der letzte Schönberg hervorbrachte, in Berlin vorenthalten blieb. Es wäre sehr zu wünschen, daß aus diesem Erfolg endlich allenthalben die Konsequenzen gezogen würden. So allein könnte der Abbau der Phrasen beginnen, in welche man Schönbergs Musik nachgerade eingekerkert hat. – Ich selber hörte im Museum das »Lied von der Erde« unter Bruno Walter, trotz eines unglücklichen Tenors ein starker und reiner Eindruck. Der Schwerpunkt der Interpretation liegt hier nicht in den expansiven Ecksätzen, sondern in den Mittelstücken: einer Kunst des Details, die in der Enträtselung der kleinsten Züge des Ganzen teilhaftig wird. Den Einsamen im Herbst, den Pavillon kann man sich schwer mehr von Walters Interpretation abgelöst denken. – Ich notiere weiter, ebenfalls aus dem Museum, einen gemeinsamen Abend von Gieseking und Erdmann, der vierhändige Musik und Werke zu zwei Klavieren zur exemplarischen Darstellung brachte; darunter ein merkwürdiges Stück von Busoni und ein so wichtiges – und hierzulande noch unbekanntes – wie Debussys »En blanc et en noir«. Das Kraftstück des Abends, die Beethovenvariationen von Reger, konnten dagegen als Gestalt sich nicht behaupten. Zum Schluß gab es eine selige Wiedergabe von Schubertschen Militärmärschen. – Das rekonstruierte Amar-Quartett arbeitet mit Erfolg weiter und hat außer einem Jarnach nun auch schon Schönbergs fismoll-Quartett, mit Unterstützung der Sopranistin Gisela Derpsch, sich erobert. Aus dem Arbeitsbereich der Montagskonzerte ist noch eine Aufführung des obstinaten Boleros von Ravel zu erwähnen; vom Musikstudio darf ich wenigstens die letzten Programme angeben: Else C. Kraus spielte das gesamte Klavierwerk von Schönberg, Philipp Jarnach seine Sonatine und, mit Amar gemeinsam, die Rhapsodien für Violine und Klavier. Besonders ist zu erinnern an einen Klavierabend von Josefa Rozanská, auf die an dieser Stelle bereits von Mannheim aus hingewiesen ward*. An der letzten Beethovensonate, an Debussy, Liszt, Chopin zeigte sich nicht bloß ein virtuoses Klaviertalent allerhöchsten Ranges, sondern auch eine außerordentlich musikalische Kraft. Man braucht kein Prophet zu sein, um hier allen Solistenruhm zu prophezeien. – Aus den Studienkonzerten des Rundfunks führe ich die Uraufführung einer Serenade von Zillig, eine Suite von Skalkottas, die Weinarie von Berg und das neue Klavierkonzert von Hindemith an.

 
Fußnoten

 

* Vgl. Wilhelm Bopp, [Mannheimer Konzertkritik], in: Die Musik 23 (1930/31), Bd. 1, S. 456 (März '31).

 

NOVEMBER 1931

 

Die Neueinstudierung von Verdis »Falstaff« ist in jeder Hinsicht die sorgfältigste und rundeste Leistung, die man hier seit sehr langer Zeit zuwege brachte. Man muß das um so mehr betonen, als die Krise dem Institut die Arbeit aufs äußerste erschwert und es sein Existenzrecht selber bewähren muß. Daß die Sparmaßnahmen keineswegs qualitativen Verlust bedeuten müssen, konnte man gerade am Falstaff lernen. Es ist nichts weniger als eine Prunk- und Repräsentationsaufführung. Aber eine, die gearbeitet ist. Zunächst vom Dirigenten Steinberg, der den schwierigen, zugleich reichen und transparenten Ensemblestil durch offenbar sehr ausgiebige Proben genau, auch in den sprödesten und exponiertesten Partien, durchsetzte und das Ganze in den heute fraglos geforderten, sehr lebhaften Zeitmaßen darstellte. Gewiß war es ein derber Falstaff – die schwerelose Interpretation Toscaninis leuchtet fern wie ein Gestirn jeglicher anderen –, aber dafür so dicht und gefüllt, wie gerade dies Werk es erheischt, das mit der äußersten Ökonomie sich aufs Notwendige beschränkt, dafür aber das Notwendige in seiner Notwendigkeit dargestellt wissen will. Äquivalent dem musikalischen Teil war der szenische: die Bilder Sieverts, die Regie Grafs. Mit großem Takt waren Lösungen gefunden, die die rechte Spieldistanz schufen, ohne die humane Substanz des Werkes in Ornament und dekoratives Kunstgewerbe zu verflüchtigen. Nicht ganz bewältigt schien mir allein die Feerie des Schlußbildes, die freilich dramaturgisch selber nicht recht trägt und darum auch nur schwer sich realisieren läßt. Dagegen überzeugte mich Grafs Einfall, die Fuge aus dem Spielrahmen heraus zu nehmen und als Kantate im Hellen singen zu lassen. Man kann das literarisch finden – muß sich aber klar darüber sein, daß jede echte Distanzierung des Spiels, die auf den Illusionscharakter verzichtet, nur gelingen kann, wenn man nicht naiv in der Form verbleibt, sondern aus ihr heraustritt und ihr ihre Wahrheit erwirkt, indem man den Schein bestätigt: also ›literarisch‹. Das setzt freilich eine gründliche Änderung der Opernanschauung voraus. – Sehr anzuerkennen sind schließlich die Solisten, allen voran Herr vom Scheidt, der vielleicht überhaupt als Buffo am rechten Platz steht und dem Falstaff einen ganzen lebendigen Menschen gab – dabei gesanglich Maß hielt. Von den anderen nenne ich besonders zwei neue Mitglieder: Fräulein Hainmüller, die schon als Elisabeth auffiel und nun eine gesanglich wie darstellerisch vorzügliche Frau Ford bot, und Fräulein Riedinger mit biegsamem Sopran als Nannetta. Herr Reinecke als Fenton setzte seinen Tenor ungemein musikalisch ein. Das ganze Ensemble war diesmal ausgeglichen. – Vom Werke selber noch Rühmens zu machen, schämt man sich. Nirgends erhellt das neunzehnte Jahrhundert sich besser, nirgends wird seine Luft klarer und reiner als im Falstaff. Wie lange wird sich das Publikum dafür noch mit den »Lustigen Weibern« speisen lassen?

Die Museumsgesellschaft eröffnete die Konzertsaison mit einem Dirigiergastspiel von Richard Strauss. Es ist überflüssig, auf die allgemein gekannten und gewürdigten Dirigentenqualitäten des Komponisten eigens hinzuweisen: die Sicherheit in der Ausformung großer Bögen selbst aus den einzig literarisch gebundenen Bruchstücken extremer Programmusik wie des Don Quixote; die Sparsamkeit nicht bloß der physischen, sondern auch der musikalischen Gestik; die schnellen Tempi, die es doch erlauben, musikalische Gestalten plastisch gegeneinander zu exponieren. Man mag das alles wissen und wird doch nicht verschweigen dürfen, daß dies Konzert kein Ruhm war: aus der leichten, aber keineswegs unfehlbaren Hand geboten, mit empfindlichen Störungen des Zusammenspiels in einer Haydn-Symphonie; mit einer nicht bloß psychologischen, sondern innermusikalischen Gleichgültigkeit in der Wiedergabe von Don Quixote und Eulenspiegel, die durch den Begriff der ›Distanz‹ nicht mehr gedeckt wird. Das ganze erinnerte zu deutlich an die Haltung eines Industriellen, der eben noch die Aufsichtsratssitzung einer ihm fernstehenden Gesellschaft mitnimmt: Strauss hat immer noch zu viel zu verlieren, um sich den Provinzialen derart zu zeigen. Gregor Piatigorsky als Solist, ebenfalls mit Haydn, bewies außerordentliche instrumentale Qualität, der freilich die musikalische noch keineswegs äquivalent scheint; es gab da neben Leerem und Ungestaltetem Effekte nicht eben der erlesensten Art. Entgegen aller Voraussage war das Konzert äußerst besucht. Es besteht also das alte Interesse für die repräsentativen Frankfurter Konzertveranstaltungen noch fort. Man muß wünschen, daß die Programm-und Personalpolitik der Gesellschaft nicht bloß dem Interesse Rechnung trägt, sondern es durch echte Aktualität tieferhin legitimiert. Vor allem ist eine radikale, wirklich überzeugende Lösung der Dirigentenfrage dringend zu wünschen. Das Gastspielsystem erweist sich für die Dauer als höchst problematisch.

 

DEZEMBER 1931

 

Rudolf Scheels Neuinszenierung des alten Don Pasquale von Donizetti knüpft an die Aufführung des »Barbier« an und macht sich die Erfahrungen zunutze, die sich beim Versuch der Regeneration jener urbildlichen Opera buffa ergaben. Es wird diesmal der Schein einer radikalen Umformung vermieden, der man ja doch im Rahmen des normalen Opernbetriebs kaum genügen könnte, und gleichwohl soviel an Einfällen aufgeboten, um den Abend kurzweilig, soviel an spielerischem Stilrahmen, um das Werk dabei distanziert zu erhalten. Gewiß auch hier eine Zwischenlösung, aber eine graziöse und bescheidene, die sich in der berühmten Dienerszene mit Recht ihren Sondererfolg holt. Am Werk läßt sich hören, wie anständig das junge Bürgertum die Erbschaft des feudalen neapolitanischen Intermediums übernahm, wie sicher es mit den alten Masken die eigenen Gesichter und Absichten umkleidete: der böse Intrigant von Anno dazumal wird zum überlegenen bürgerlichen Intellektuellen, dessen Intrige der liebenden Freiheit dient; der lächerliche Alte zum Feudalherrn, dessen Macht in der Ökonomie liegt und ökonomisch gebrochen wird. Die Musik, unter einer Staubschicht, die sie kleidet, verwandelt den großen Rossini ins Gemäßigte und Behagliche, hat aber noch letzten Anteil an der Formtradition; nur gelegentlich wird sie von frühindustrieller Banalität aufgeschreckt, und man begreift, warum Verdi jenen Traditionsraum verlassen mußte. Musikalisch darf die Aufführung nicht an der Berliner unter Walter mit der Ivogün gemessen werden. Aber Herr Seidelmann dirigierte hübsch und sorgsam, wenn auch nicht durchwegs so streng, wie die Oper gedacht ist; Herr Griebel gab einen rechten und pitoyablen Pasquale, Herr Ziegler den Malatesta mit der geforderten Souveränität der Klugheit, das graziöse Fräulein Ebers zeigte sich ernsthaft um Koloratur bemüht, und Herr Reinecke, darstellerisch nicht allzu glücklich, sang so musikalisch wie stets. Es war ein hübscher Abend. Verzichten freilich möchte man auf eine Conférence, die weder das Spiel wahrhaft durchbricht noch wahrhaft in ihm verbleibt.

 

Mehrmals war Gelegenheit, auf die ungewöhnliche Komponierbegabung von Wladimir Vogel aufmerksam zu machen. Die Aufführung der Zwei Etüden für Orchester im zweiten Museumskonzert unter Steinberg zeigt diese Komponierbegabung aufs neue und zeigt sie fortgeschritten. Dem alten Einwand der Formlosigkeit, des amorphen kontrapunktischen Drängens ist hier sicher begegnet; zwei scharf konturierte Studien über jeweils einen Grundrhythmus werden orchestral klar und faßlich in ihrer Konstruktion erleuchtet und behalten doch ihren eigenen, im zweiten Stück schon sehr merkwürdigen Klang; die melodische Substanz ist kunstvoll ausgespart, bleibt aber latent wirksam; harmonisch sind weder die Bindungen an Skrjabin noch an die Tonalität ganz aufgegeben, spielen aber gegenüber der tektonischen Absicht keine Rolle. Bleibt als Frage nur, ob nicht hier, wie bei jeder programmatischen ›Abklärung‹, etwas von der aggressiven Gewalt und Dumpfheit verloren ging, die an anderen Stücken von Vogel zwingt. Manches klingt ähnlich einer gereinigten, entkitschten russischen Romantik. Aber schließlich, jede Substanz hat ihre Echtheit daran zu bewähren, daß sie die Erhellung verträgt, nicht daran, daß sie bei sich verharrt, und bei Vogel verdient die Substanz jedes Vertrauen. Das Publikum versagte wieder gänzlich. Danach spielte die Morini das Mendelssohnkonzert, vermochte mich aber weder mit den absichtlich gedehnten Tempi noch mit der musikalischen Darstellung zu überzeugen; und mit dem instrumentalen Vermögen allein ist es weniger als je getan. Den Schluß machte eine ungewöhnlich intensive und straffe Wiedergabe von Bruckners Sechster. – Die Montagskonzerte des Symphonieorchesters begannen virtuos: mit der Celliniouvertüre von Berlioz; dann spielte Horowitz das unvermeidliche Tschaikowskykonzert angemessen und siegreich, Hauptstück des Abends war Mahlers Erste, deren Ecksätzen, die noch nicht hieb- und stichfest komponiert sind, die gedrängte Wiedergabe durch Rosbaud gut bekam, die alle Bruchstellen zusammenzwang. Zum Ruhm der beiden Mittelteile braucht Neues nicht gesagt zu werden. – Das Amar-Quartett hat seine Winterarbeit wieder aufgenommen und stellte mit dem Hindemith-Trio eine seiner authentischen Leistungen von früher auch in der neuen Kombination auf gutem Niveau heraus. Besonderes musikpolitisches Ereignis: Einladung von Frau Elisabeth Sprague Coolidge, der Mäzenatin, zu einem Konzert neuer Musik im Römer. Man dankte ihrer Freundlichkeit die »Ritrovari« von Malipiero, neoklassizistische Stücke, die nicht nach der Schablone gemacht sind, Charakter und kompositorischen Anstand bewahren, freilich nicht gerade erregen; dann das bereits bekannte Zweite Klavierkonzert von Hindemith, musterhaft gespielt von Frau Lübbecke-Job; im Blechsatz, auch der Kombination mit dem Klavierklang erstaunlich, im Klaviersatz selber sehr viel weniger souverän, auch thematisch nicht allzu substantiell und an kompositorischer Subtilität der Zweiten Bratschenmusik unterlegen, dafür aber mit der gewohnten motorischen Wirksamkeit; dann ein zwar gut gesetztes, aber gleichsam offiziell-neoklassizistisches Quartett des Ungarn Lajtha, von Roth sehr schön gespielt. Es war ein aufschlußreicher Abend, mit dessen Veranstaltung Frau Coolidge sich ein besonderes Verdienst erwarb in einer Stadt, in der man Ensemblewerke solcher Art sonst außerhalb des Rundfunks überhaupt kaum mehr zu Gehör bekommt. Herr Kortschak dirigierte. – Aus der ungemein reduzierten Zahl der Solistenkonzerte nenne ich einen Abend von Hilda Crevenna, die wenig bekannte Schubertlieder in geistig beherrschter und sorgfältig gearbeiteter Interpretation bot.

 

JANUAR 1932

 

Nach der großen und schönen Anstrengung beim »Falstaff« zeigt die Neueinstudierung von Mussorgskijs »Boris Godunow« Symptome einer gewissen Ermüdung. Man braucht das nicht schwer zu nehmen, muß es aber immerhin notieren, gerade weil die Frankfurter Oper aus der schwierigen Wirtschaftssituation die richtige Folgerung angespannter sachlicher Kontrolle zu ziehen gewillt schien, die nun auch strikt durchgeführt werden muß, wenn das Institut das Recht seines Fortbestandes durch die Qualität des tatsächlich Geleisteten legitimieren will. Diesmal war die Gesamtkonstellation nicht recht glücklich. Zunächst gelang es entgegen der eigentlichen Absicht nicht, den Ur-Boris zur Aufführung zu bekommen; wegen irgendwelcher verlegerischer Schwierigkeiten, mit denen schleunigst aufgeräumt werden müßte, sah man sich wieder auf die Bearbeitung des unseligen Rimskij-Korsakow verwiesen, und auch wenn man das Original nicht kennt – die Vergleichsmöglichkeit, die sich bei anderen Werken Mussorgskijs ergab, läßt bei zahllosen Details genaue Schlüsse auf die professoralen Verstümmelungen zu, die der größten Oper der Russen widerfuhren. Dann hatte man die Einstudierung einem Gastdirigenten anvertraut, der über alle möglichen handwerklichen Eigenschaften verfügen mag (ich frage mich nur, wo eigentlich das Handwerk eines Dirigenten stecken soll, wenn es nicht in der klanglichen Erscheinung des Werkes zum Ausdruck kommt –), der aber musikalisch-geistig einem Stück wie dem Boris noch keinesfalls gewachsen ist und der für die Besetzung der wichtigen vakanten Stelle des nachgeordneten ersten Kapellmeisters ernstlich nicht in Betracht kommen sollte. Schließlich konnte ich mich diesmal auch mit der Regie nicht abfinden, die, in der Absicht zu distanzieren, stilisierte; die episches Theater spielen wollte und statt dessen eine Chronik romantisch tragierte. Symbol: um die Staatsaktion klarzulegen, gab es Kino-Beschriftung – gut. Aber sie erschien in gotischen Lettern wie in einem Ufa-Geschichts-Edel-Tonfilm – und so ist der Boris nun einmal doch nicht komponiert. Bühnenbilder als Chronik-Illustrationen, obwohl doch nichts mit der Chronik so unvereinbar ist wie die neue Illustration; ein Überangebot an Ikonen; der Bewegungschor in der Revolutionsszene, die man übrigens dramaturgisch mit Recht an den Schluß gestellt hatte; eine nicht sehr überzeugend aufgeklebte Aktualität am Ende – all das zeigt eine gewisse Hilflosigkeit, die sich aus dem Verhältnis des deutschen Theaters zum russischen gewiß verstehen läßt, die es aber zu meistern gälte. Dem Boris lieh Herr Stern Umriß, wenn auch nicht die ganze Fülle; dichter geriet die Figur des falschen Demetrius, Herr Wörle; Frau Gentner sang ihre Polin sehr gut, und es gab eine größere Zahl prägnanter Chargen. Am schönsten gelang die Wirtshausszene, das wahre Herz der Oper, und mit dem ungeheuerlichen Lied vom Enterich die innerste Zelle ihres Geheimnisses.

 

Die Montagskonzerte des Symphonieorchesters haben, sehr verdienstlicherweise, einen ganzen Abend Strawinsky zur Verfügung gestellt und Gelegenheit geboten, seine jüngste Entwicklung weiterzuverfolgen oder was bei ihm heute an Stelle einer Entwicklung sich zutragen mag. Den Beginn machte Petruschka, vom Komponisten meisterlich dirigiert; die Stildistanz, die sich mittlerweile zwischen den Hörer und das koloristische Werk legte, schadet ihm nichts, sondern stellt es eher sicher als eines der gültigsten Resultate der neuen Musikbewegung. Dann das jüngste Opus, das Violinkonzert, vielleicht das bestformulierte, kompositorisch reichste und souveränste Stück aus der neoklassizistischen Zeit und dennoch nach Fee und Capriccio einigermaßen enttäuschend; die Unterwelt, die dort die klassischen Linien und Verkürzungen zu beglänzen vermocht hatte, ist wieder zugefallen, ganz klassisch und positiv und mit einem sehr falschen Bach geht es weiter, und die Partikeln aus romantischen Violinkonzerten, die etwa im ersten Satz noch geistern, sind in den Beton so fest eingemauert, wie es der Volksaberglaube mit Hunden bei einem Neubau fordert. Von der surrealistischen Exkursion ist nichts zurückgeblieben als eine größere Freiheit in der Disposition der klassizistischen Mittel – vor allem des Instrumentalklanges. Strawinsky dirigierte unerschütterlich, und Dushkin spielte authentisch und als großer Geiger zugleich. Den Beschluß machte, von Rosbaud vorzüglich dargestellt, die Psalmensymphonie, deren gequält-unmenschlicher Ausdruck wenigstens ihre eigene Unmöglichkeit ausspricht; die überhaupt ein paar sehr merkwürdige Stellen hat und nach einmaligem Hören sich nicht bewältigen läßt. Nur soll man in ihrer negativen Mystik nicht nach russischen Urgefühlen suchen – hier ist das Atelier die Kapelle, die Staffelei der Hochaltar, und Paris vaut bien une messe, wenn es auch eine schwarze ist. – Strawinsky gab es auch im Museum unter Steinberg, das frühe Scherzo op. 3, sehr bunt und lustig; instruktiv daran ein Mangel eigentlich polyphoner Begabung im Ursprung, der vielleicht manches im kompositorischen Schicksal Strawinskys erklärt. Der unbeschreiblich glanzvolle, im Wortsinn phänomenale Geiger Milstein spielte – warum? – das Tschaikowskykonzert und ließ diesmal virtuose Gefährdungen wie das Verschleifen der Phrasen erkennen, die er bannen sollte, ehe sie akut werden. Ende: Straussens Domestica, der nun auch die neuen Tempi nicht mehr helfen. Sie wurde sehr brillant gespielt. – Im nächsten Montagskonzert ein wunderbares, sehr frühes Divertimento von Mozart; Beethovens G-Dur-Konzert, von Elly Ney auf ihre sehr romantische Weise, doch mit bemerkenswerten Tendenzen zur Objektivation gespielt; als Hauptstück die Dritte von Bruckner, die unsakral und dynamisch mit einem ersten Satz einsetzt, der die Möglichkeit eines anderen Bruckner zeigt als dessen, der sich realisierte, dafür aber in den anderen Sätzen hinter den reifen Werken doch sehr zurücksteht. – Das Amar-Quartett arbeitet weiter und zeigt sich um charakteristische Programme bemüht. Jüngst gab es, zwischen Mendelssohn und Dvorák, die Sonate für Flöte, Bratsche und Harfe von Debussy, eines der letzten und kostbarsten Stücke aus seiner Hand, einzig vergleichbar südlichen Landschaften von Cézanne: im Zauberkreis ihres rätselhaften Gelingens darf man zugleich sich kühlen am Umriß der Form und wärmen am Licht, das noch um die Konstruktion vibriert. Die Aufführung durch den Bratschisten Kraack, den Flötisten Gelfius und die Harfenistin Stein verdient besondere Anerkennung.

 

FEBRUAR 1932

 

Die Neueinstudierung der »Zauberflöte« setzt die am »Falstaff« begonnene Linie glücklich fort. Sie kommt zur guten Stunde. Denn in einer Zeit, in der man den Namen Aufklärung als Schimpf braucht und die Mächte des Blutes als mythische Gottheiten wider allen Geist zu Hilfe ruft, frommt die Erinnerung: daß das Zeitalter der Musik, das den Deutschen heute noch ihr klassisches heißt, von einem Werk begonnen wird, das nicht bloß im Text, sondern noch in den innersten Zellen seines versöhnenden Klanges der Aufklärung zuzählt, ohne darum die Natur zu verraten: das vielmehr die Triebkraft der Natur selber an Aufklärung und Versöhnung wendet. Nirgends verschränken Liebe und Wahrheit sich inniger als in Mozarts menschlichster Oper. Die Befreiung von Menschen aus dem Bann der Mutter und ihre Versöhnung mit dem Naturgrund zugleich in der tiefsinnigen Doppeldeutigkeit der Liebe: das ist ihr Gegenstand, wie ihn der Traumtext, den nicht umsonst das neunzehnte Jahrhundert haßte, als Entwurf aus der Archaik heraufholt und die Musik mit geschichtlichen Figuren besiegelt. Den Traum verstehen heißt aber ihn deuten, und leicht wäre zu denken, daß die erste bürgerliche Oper oder die letzte des Rokoko erst einer Zeit offenbar wird, die in der Psychoanalyse ihren Geheimnissen begegnet. – Die Aufführung ist noch keine deutende: aber sie versperrt mit nichts die Deutung. Die Inszenierung von Graf, unterstützt durch einfache und schöne Bilder von Sievert, gibt die Vorgänge hüllenlos einfach, ohne sie ins Ägyptische oder Buffoneske zu stilisieren oder Zeitlosigkeit zu posieren: in einer klaren Phantasieluft, in der die Sonne Sarastros gern leuchten mag: verzichten möchte man nur auf die Inferno-Illustration der Feuerprobe, in der dafür die Geharnischten besonders gelungen sind. Steinberg musiziert ungemein genau und sorgfältig: sehr distanziert. Es kann freilich nicht gesagt werden, daß dem Ensemble die Intention der Distanz durchwegs ganz klar stünde: die Objektivität der Genien etwa gerät den Sängerinnen noch leicht ins Brutale. Überhaupt liegen die Probleme diesmal bei den Solisten; wenigstens in der Alternativbesetzung, die ich sah. Wörle stellt einen unkonventionellen und leidenschaftlichen Tamino hin, aber die Stimme bleibt an den Affekt gebunden, gebietet noch nicht über die lyrische Sicherheit bei sich selber. Der Pamina von Fräulein Kandt mangelt die gesangliche Durchsichtigkeit, und Fräulein Ebers verfügt nun einmal nicht über die Koloratur der Königin der Nacht. Herr Weill als Sarastro kontrastiert in der Erscheinung gut gegen die Schablone des senilen Weisen und findet sich mit der profunden Baßpartie überraschend ab. Erfreulich ist auch der neue Papageno, Herr Ebert, spiel- und singfroh und nirgends albern. Besonderes Lob gebührt den drei Damen der Königin.

 

Daß Anton von Webern ein großer Komponist ist, weiß stets noch allein eine kleine Zahl musikalisch Informierter. Jede Gelegenheit, die daran erinnert, ist zu begrüßen: besonders aber die vorzügliche Aufführung der Passacaglia, op. 1, im jüngsten Montagskonzert unter Rosbaud. Das Werk, Beginn zugleich und Meisterstück, zeigt Webern bereits ganz im Besitz seiner beispiellosen Konzentrationskraft, seiner konstruktiven Farbenkunst und besitzt die Ausdrucksgewalt der späteren Miniaturen: zeigt aber zugleich auch seine Herrschaft über den großen Mahlerapparat und über die Organisation der großen Form; legitimiert so sein oeuvre für die, die den unmittelbaren Zugang noch nicht fanden: erweist zugleich die Notwendigkeit seines Stilwandels: denn hier schon zieht Innerlichkeit wie ein Trichter die Formausdehnung in sich zusammen, die eben noch hingenommen wird. Es folgte Debussys Boîte à Joujoux, bezauberndes Spätwerk, das in dämmernder Kindlichkeit erglänzt und all sein Wissen an die Tiefe der Erinnerung wendet. Frau Giannini sang Mozart und Verdi, sehr kultiviert, wenn auch nicht so faszinierend, wie der Beifall glauben machen wollte. – Für eine Aufführung der Siebenten von Mahler muß man dankbar sein, auch wenn sie nicht in jedem Detail adäquat erscheint: Mahlers schwierigstes Stück wird sich mit dem normalen Aufwand von drei Proben kaum je bewältigen lassen. Steinberg brachte sie im Museum. Zum Ruhm von Scherzo und zweiter Nachtmusik ist nichts mehr zu sagen; die erste Nachtmusik wird bei strengster Interpretation sich enträtseln, und der erste Satz ist das kühnste, ausgreifendste, zukunftsvollste Stück aus Mahlers Hand. Problem bleibt mir einstweilen das Finale. Unerfreulich war eine in Tempo und Dynamik gleich verzerrte Wiedergabe der Gesellenlieder durch Frau Anday. Das Konzert wurde eröffnet mit der intensiv vorgebrachten Totenhaus-Ouvertüre von Janácek, die freilich allein kein rechtes Bild gibt. – In einem Sonderkonzert des Symphonieorchesters erschien wieder einmal Scherchen und dirigierte ein persönliches Programm in charakteristischer Haltung. Hauptwerk: die Symphonie von Honegger, die endlich wieder das große Talent des Schweizers demonstriert: sehr energisch um die Zusammenfassung der großen Form bemüht, voll von Einfall, thematisch plastisch, ausgezeichnet – oft fast im Wozzeck-Klang – instrumentiert. Wenn sie doch nicht voll überzeugt, so darum, weil die Lösungen gegenüber den selbstgestellten Problemen zu primitiv sind; die symphonische Schlagkraft wird durch äußerlich sinnfällige Rhythmik erreicht und mit dem zackigen, sehr emanzipierten Material geschaltet, als ob es eine Beethovensymphonie gälte: was eben das Material nicht erlaubt; auf Honeggers Kompositionsbasis ist auf die Fiktion der ›klassischen‹ Symphonie zu verzichten. Der Schluß klingt denn auch allzu friedfertig. Danach das Konzert für Streichquartett und Orchester von Conrad Beck; zwischen Honegger und Hindemith etwa angesiedelt, sehr anständig gemacht, allerdings ein wenig musikantisch im bequemen Sinn. Es folgten die herrlichen neuentdeckten Deutschen Tänze von Schubert in der meisterlichen Instrumentation von Webern und die Beethoven-Variationen von Reger, mit deren drastischer Wiedergabe Scherchen sich seinen besonderen und berechtigten Erfolg holte. Kammermusik: die Amars erinnerten an die Quartettwerke von Strawinsky. Dabei erwiesen sich die drei Stücke von 1914 als geniale Etüden, in denen noch die Möglichkeit eines ganz anderen Strawinsky steckt als dessen, der sich realisierte, während das sechs Jahre spätere Concertino zwar die Mittel spielend überlegen beherrscht, aber nicht mehr recht deutlich werden läßt, woran all die destillierten Satzkünste eigentlich gewandt werden. – Im Museum erspielten sich die Kolischs den Erfolg, der ihnen als der bedeutendsten gegenwärtigen Kammermusikvereinigung gebührt.

 

MÄRZ 1932

 

Verdi hat im »Macbeth« nicht Shakespeare komponiert, sondern Shakespeares Ruhm. Vom Ruhm allein leben die frühen und ungefügen Leidenschaften der Oper; das Trauerspiel vom mythischen Königsmörder, der der zweideutigen Naturmacht erliegt, die ihn trieb, ist Verdi so ferngeblieben wie nur der schottische Nebel der Poebene. Davon hat jegliche Kritik auszugehen, die nicht von Anbeginn verfehlen will, was das Jugendwerk etwa bedeute. Und es ist sonderbar und mag mit der Art von Shakespeares Ruhm selber wieder zusammenhängen, daß er sich doch nicht ganz im südländischen Maskenspiel vergessen läßt, solange nur die alten Namen erscheinen, die hier von Shakespeare übrig sind: Banquo und Macduff und der König Duncan. An den bloßen Namen wird die Oper zur Parodie, obwohl sie doch sonst in nichts an Shakespeare erinnert als in der Wiedergabe von Vorgängen, die noch primitiver sein mögen, als Shakespeare in Holinsheds Chronik sie fand. Aber wenn die Hexen in Scharen Opernensembles bilden, wenn die Lady ein Brindisi vorträgt auf jenem Bankett, wo Banquos Geist erscheint, wenn Macbeth, der – anders als im Stück – auf der Bühne fällt, danach noch eine Arie singt, ehe er das verdutzte Publikum nach Hause entläßt, dann ist es mit der Hoffnung für die Oper aus, die vielleicht in einer ungewöhnlichen Aufführung sich oktroyieren, keinesfalls aber im nüchternen Licht des Repertoirebetriebes halten läßt. Hinzu kommt die Fragwürdigkeit der musikalischen Qualität, die auch einer nicht leugnen kann, der wie ich Otello und Falstaff zu den echtesten Zeugnissen des Operningeniums rechnet. Denn die Primitivität der Faktur, die das Lächerliche streift, wird hier nicht durchwegs von der Gewalt des Einfalls gemeistert. Shakespeares Ruhm steht dazwischen; die Oper ist angestrengt und bemüht, ohne doch wählerisch zu sein; oftmals inspiriert, oftmals in einer Art von stumpfem, unproduktivem Respekt hinkomponiert, dann wieder von einer unwahrscheinlichen Fröhlichkeit, bei der mir die selige und falsche Musik einfiel, die in Bellagio die Dampfer vom Comersee vernehmen lassen, während man im Boot sich sonnt. Besonders die Hexen leisten da Neckisches und Erstaunliches. So könnte man über die ganze Ausgrabung hinweg zur Tagesordnung übergehen, wäre nicht ein Stück darin von der schreckhaften Gewalt eines archaischen Torsos, das alles rechtfertigt, was sonst sich ereignet: die Nachtwandlerszene der Lady. Die Arie darin, mit einer Begleitung der eisernsten Monotonie und harmonischen Wendungen des Otello, zeigt den ganzen großen Verdi in der Zelle – und wo ist das Große besser als in solchen Zellen? Diese Musik schlägt allen Einwand nieder; um so gründlicher, je lauter er vorher werden mußte. – Die Aufführung steht im Zeichen der einfallsreichen Regie Turnaus, der an Schottland nicht spart, wodurch freilich die Unangemessenheit der Musik eher deutlicher wird als sich korrigiert. Es dirigiert Seidelmann, nicht stets exakt und auch wohl nicht mit dem Brio, das hier nun einmal nicht entbehrt werden kann. Herr Stern als Macbeth bemüht sich um Menschengestaltung; Frau Gentner-Fischer singt wie stets mit großer Sorgfalt, die Nachtwandlerszene besonders schön. Das Publikum bleibt unsicher.

 

Die Ausbeute des Monats ist gering. Schuricht brachte im Museum die Ouvertüre zu einem Puppenspiel von Hans Gál: gepflegtes, von Mahler angefärbtes, nur etwas überdimensioniertes Kunstgewerbe. Danach spielte die außerordentliche Pianistin Josefa Rozanská das weniger außerordentliche c-moll-Konzert von Rachmaninow. Den Schluß machten Regers Hillervariationen: die Orchesterwerke Regers scheinen in eine Mode zu kommen, zu welcher mancherlei anzumerken wäre. – Im letzten Montagskonzert dirigierte Rosbaud an Stelle der noch unvollendeten Ouvertüre von Vogel die Lustspielouvertüre von Busoni; das ist ein auf Abwege geratener Mozart, recht amüsant zu hören. Claudio Arrau bot in großer pianistischer Form das seltener gehörte f-moll-Konzert von Chopin, dem die Musiker wenig Gutes nachsagen, das mir aber an diesem Abend wieder sehr gefiel, ohne daß ich bestreiten möchte, daß hier gerade Verfallenheit und Vergangenheit als Reiz genossen werden. – Die Amars widmeten einen ganzen Abend Mozart; außer dem bekannten D-Dur-Quartett und dem unvergänglichen Klarinettenquintett gab es ein dreisätziges Quartett für Oboe und Streicher, das in Satz, präzisester Fassung und musikalischer Substanz erweist, mit welcher unbeschreiblicher Meisterschaft Mozart auch abliegende Aufgaben bewältigt, wenn der Tag sie ihm zuträgt. – Schließlich verdient Erwähnung eine private Veranstaltung: Heinrich Simon lud zu einer Feier für den siebzigjährigen Frederick Delius ein und ehrte durch die Wiedergabe von Kammer-, Vokal- und Klaviermusik den greisen Impressionisten. Von den gebotenen Werken fesselte am stärksten die Dritte Sonate für Violine und Klavier von 1930: bezeichnenderweise gerade also eine Arbeit aus der jüngsten Zeit. Sicherlich wäre bei einer Randerscheinung wie Delius vieles zu entdecken: heute, da die großen zentralen Ströme seiner Epoche verronnen sind.

 

MAI 1932

 

Wenn es um eine Neueinstudierung des »Freischütz« geht, bin ich Partei. Vor vier Jahren schrieb ich über Webers Meisterstück, was ich heute noch nicht widerrufen kann: »Weber hat die Musik der echten Ferien gefunden ... und Kinder bezeugen es ihm mit dem Dank des angehaltenen Atems. Wehe aber dem Regisseur, der es wagte, die Dinge der Wolfsschlucht ihnen aus den Augen zu nehmen und mit Licht und Schatten im großen sie zu betrügen. Von Rechts wegen dürfen sie Spinnweb mit Blut betaut nach Hause schleppen, und wer es ihnen unterschlägt, den werden sie wenig anders fühlen als den bösen Lehrer, der sie in Arrest steckt.«* Graf, der kluge und couragierte Regisseur der Frankfurter Oper, wird es mir danach nicht verübeln, wenn ich an seiner Freischützinterpretation Ärgernis nehme, in der nicht nur die schönsten Ingredienzien des Spuks von Bühne und Dialog fortfallen, sondern die gar den Samiel streicht oder hinter die Lautsprecheranlage verbannt und bei der Wilden Jagd wirklich mit Licht und Schatten uns betrügt und zum Ende der Wolfsschlucht nichts zu bieten hat als eine freilich höchst wirksame Naturkatastrophe. Aber indem ich ihm die Rechnung des Versäumten präsentiere, fühle ich mich selber im Unrecht und ihn im Recht. Das macht: die Inszenierung des Freischütz wie vielleicht jeglicher älteren Oper ist ein dialektisches Problem, das einzig von Widerspruch zu Widerspruch sich meistern läßt. Gewiß, es kommt darauf an, in den Opern die mythischen Bilder zu erretten, die Zauberdinge bei Weber nicht anders als Lohengrins Schwan und Carmens Zigarette. Aber damit sie als solche mythischen Bilder – im Freischütz also: als Kinderbilder – geraten, müssen sie erst dem naturalistisch-illusionären Theater entrissen werden, wo sie so ohnmächtig sind wie jenes Theater selber. Mit anderen Worten: daß Samiel und der Schwan in einem befreiten unstilisierten Theater als Bilder einmal wieder zu ihren Ehren kommen, müssen sie erst einmal gestrichen sein; muß erst der Raum fürs Theater der zweiten, wiederkehrenden Dinge gereinigt und geschaffen werden. Und im Sinne solcher vorbereitenden Reinigung ist Grafs Inszenierung gut; gut auch in der Aufnahme einer kleinen gesprochenen Szene, gut in der Entdeckung Kaspars als eines Menschen; unterstützt von schönen und spielgerechten Bildern von Sievert. Einmal kommt die Aufführung einer zukünftigen schon recht nahe: in der Szene der Jäger, die beängstigend alle einander gleichen wie im Kinderbuch. Im übrigen könnte eine aktuelle Wiedergabe vielleicht am besten an die Dekorationen der Uraufführung und deren Spielideen anknüpfen, die ja nicht stilisierend, gewiß aber auch nicht illusionär waren. Musikalisch herrschte Steinberg, straffte die Tempi, verdichtete die dramatischen Spannungen: mit bestem Gelingen zumal in der ungewohnten Anlage der großen Agathenarie. Solistisch war die erste Aufführung nicht gerade exemplarisch. Ein unzulänglicher Gast als Max, Frau Kandt gesanglich und darstellerisch ungelöst; Fräulein Riedinger als Ännchen talentiert, aber zu quicklebendig für die tröstende Lustigkeit des Mädchens. Dagegen stand Herr Griebel in der ihm ungewohnten Partie des Kaspar trotz stimmlicher Mängel als Theaterfigur an seinem Platz.

 

Der Februar brachte die Uraufführung eines vollgewichtigen Werkes von Schönberg: der Orchesterlieder op. 22. Sie sind 1915 vollendet: mußten also siebzehn Jahre warten, bis jetzt Rosbaud in den Montagskonzerten ihrer sich annahm und sie mit der Sängerin Hertha Reinecke in einer ungemein sorgsamen und überzeugenden Interpretation herausbrachte. Warten mußte freilich in Wahrheit weniger das Werk, dem die Zeit nichts anhaben konnte, als das Publikum, das um eines der unmittelbarsten, melodisch reichsten, ausdrucksstärksten und klangschönsten Stücke so lange betrogen ward. Die Lieder sind unmittelbar nach dem Pierrot geschrieben und Schönbergs letzte Arbeit vor der großen Schaffenspause: das letzte Werk, das mit ›freiem‹, noch nicht zwölftonmäßig gebundenem Material auskommt und dabei bereits schon auf dem Weg einer radikal-variativen Arbeit mit Grundgestalten, wie sie aus einem von Rosbaud verlesenen Einleitungsvortrag Schönbergs sehr evident ward. Nach Text und Musik gehören die Lieder in die Aura der stets noch unvollendeten »Jakobsleiter«; das Wort »Seraphita« umschließt wie ein Siegel beide Werke, und der »Große Sturm«, der die Lieder beschließt, ist kein anderer wohl als der des Oratoriums. Damit ist mehr als bloß Stilgeschichtliches ausgesagt. Die Lieder stehen auf einer äußersten Spitze und vorm Absprung. Nirgends ist das Espressivo jenes Schönberg, den sie heute den expressionistischen heißen, mächtiger als hier: nirgends ist es mehr Melodie geworden: das Hauptstück Seraphita sammelt alle Dämonie aus »Erwartung« und »Glücklicher Hand« zum sprengenden Gesang. Diese Konzentration in die Linie ist es aber zugleich auch, die das Konstruktionsprinzip aus sich entläßt: die große Gesangsmelodie, die hier – auch in den Instrumenten – die expressionistischen Partikeln zusammenschweißt, ist zugleich das Modell jeder kommenden Reihe und Grundgestalt: so wie die Unisonostelle der sechs Klarinetten zu Beginn schon eine Grundgestalt exponiert. Überall herrscht in den Liedern das Prinzip der Hauptstimme, die solche melodischen Modelle aufstellt. Darum wird das Orchester gleichsam für die Vertikale frei und für den Klang: einen dunkel glänzenden, unendlich schattierten, jähen und doch höchst transparenten Klang, der sich nicht metaphorisch beschreiben, sondern bloß analysieren ließe. Gerade dies Werk sollte die Feindschaft gegen Schönberg brechen: denen, die ihn expressionistisch schimpfen, zeigt es all seine musikalische Substanz und Formmacht; denen, die ihn als Konstrukteur verhöhnen, die humane Fülle, die die Konstruktion legitimiert. Danach gab es die recht unbekannte, schöne und reife Rhapsodie für Saxophon und Orchester von Debussy. – Im Museum spielte Huberman, von Dobrowen ausgezeichnet begleitet, das Beethovenkonzert so sinnvoll und konzentriert, an den entscheidenden Stellen mit so großer Stille um den Geigenton, daß man nur mehr kapituliert. Voran ging das Poème de l'exstase von Skrjabin, das nun endgültig verloren ist und durch die geschmackvoll-mäßigende Aufführung eher noch schlechter wird. In der Kammermusik des Museums sang die Ivogün, stets noch die größte lebende Koloratursängerin und dabei eine ungemein musikalische Qualität. Die Einfachheit und vegetative Beseeltheit, mit der sie Brahms' Bearbeitung von »Da unten im Tale« sang, ist nichts als das kostbare Innen, das im Schein des Ziergesangs sich bewährt zugleich und verbirgt.

Fußnoten

 

* Vgl. Theodor Wiesengrund-Adorno, Motive II, in: Musikblätter des Anbruch. Jg. 10 (1928), H. 6, S. 202; jetzt GS 18, s. S. 14f.

 

JULI 1932

 

Ludwig Rottenberg, länger als dreißig Jahre der musikalische Führer der Frankfurter Oper, ist gestorben. Was am Lebenden versäumt ward, den man dem Fetisch der Prominenz opferte, ohne dem Gealterten, Müden, wohl schon Kranken so tätig zu danken, wie es die Pflicht einer Stadt gewesen wäre, die ihres Kulturbewußtseins so laut sich rühmt –, das läßt sich am Toten nicht wieder gutmachen. Wohl aber darf Dankbarkeit, der die Bitternis eines falschen Abschiedes, das Zuwenig eines leidvoll beschlossenen Daseins die Rede verschlug, heute ihr Wort finden. Rottenberg war eine der merkwürdigsten Figuren der musikalischen Vorkriegsgeneration, und alle Trauer seines Lebens liegt darin beschlossen, daß sein Wesen dieser Generation nicht mehr sich einfügte, während er nach Stellung und Handwerk an sie gekettet blieb. Als Kapellmeister vertrat der Brahms-Schüler die Idee einer reinen, gestenlosen Darstellung des Werkes, gezeugt aus der innigsten Anschauung Mozarts – und mußte seine Arbeit an den Opernbetrieb der neudeutschen Epoche wenden, die zwischen Orchestervirtuosentum und Orchesterroutine seinem Darstellungswillen den angemessenen Raum, will sagen: die angemessene Probenzeit nur selten gewährte. Als Komponist durchschaute er sehr früh die Hohlheit der Musiksprache seiner Epoche, ohne doch zur Freiheit einer eigenen zu dringen –, dafür setzte er, mit tiefsinnigem Ungeschick, die Trümmer und Bruchstücke dieser Sprache scheinlos aneinander; lyrisch oft mit der erstaunlichsten Wirkung. Bruchstück und Trümmer blieb alles, was der äußerlich vielerfahrene und theaterpraktische Mann in Wahrheit begann. Die Auskunft, die er selber sich fand, war die schrankenloser, bis zur Selbstaufgabe geweiteter Offenheit: da er selber den Weg zum Durchbruch ins Neue verstellt fand, gab er dem Neuen so vorbehaltlos sich hin, als wollte er sich selber preisgeben, daß es gerate. Er brachte moderne Opern, längst ehe sie arrivierten: als erster in Deutschland den Pelléas Debussys, als erster Schreker, dessen Ruhm an Rottenbergs Aufführungen gebunden ist. Noch die Einakter Hindemiths hat er ausgezeichnet dargestellt: unvergeßlich fein, dünn und subtil die Tänze des Nusch-Nuschi. Als Musiker erfüllte er sich am Klavier: unvergleichlich rein und wissend spielte er Mozart; in einer Strenge und konstruktiven Durchsichtigkeit, die nach allem Klangzauber heute erst vollends aktuell wäre. Aber auch als Dirigent hatte er wahrhaft große Tage, und es waren nicht bloß die Premieren: man muß von ihm, wenn er ausgeruht aus den Ferien zum Pult zurückkam, den Fidelio gehört haben, um zu wissen, welche lautlose Stauung musikalischer Kraft ihm gelingen konnte. Wie langsam nahm er dann das Quartett – und welche Spannung angehaltenen Atems teilte sich mit. Wie kristallen konnte er das Nachspiel von Paminens kleiner Arie bringen: durchsichtige Trauer. Solche Bruchstücke sind es, die die Erinnerung an Rottenberg, den sensibelsten, zartesten, weise-ironischesten Menschen bewahren. Aber solche Bruchstücke wiegen ein ganzes Leben auf und sind mehr wert als aller Glanz im Gelingen der selbstherrlichen Persönlichkeit. –

Wenn die Frankfurter Oper sich veranlaßt fühlt, das Goethe-Jahr, das sich zu einer Ausrede für jeglichen Kulturbetrieb auswächst, mitzufeiern, so mag man sich damit abfinden. Wenn es dazu aber gerade die »Margarethe« des unseligen Gounod aussucht, so ist doch deutlicher Widerspruch am Platz. Denn mit Goethes Namen hat diese Oper nichts zu tun, als daß sie ihn schändet: die einzige angemessene Goetheehrung, die heute ein Operntheater vollbringen könnte, wäre die Ablegung eines feierlichen Gelöbnisses, Margarethe und Mignon nie mehr zu spielen. Das mochte denn auch der begabte Regisseur Scheel fühlen und bemühte sich, die Oper zu ›entkitschen‹. Aber das erst machte das Unglück vollkommen. In radikaler Distanz von Goethe mag das Rührstück als Paradigma einer Art von Grande opéra, die erst den Haß Wagners ernsthaft verständlich macht, ihr unwürdiges Dasein fristen: je näher sie ihm aber auf den Leib rückt, um so deutlicher wird sie als Schändung aus dem Geiste der Dummheit. Damit soll nun nicht gesagt sein, daß eine Aufführung, die, laut Programmheft, »eine gewisse Zeitlosigkeit« anstrebt, mit Goethe etwas zu tun habe, und auch die Schere, der der weibliche Siebel, Valentins Gebet und Gretchens Gretchenzöpfe zum Opfer fielen, stammt nicht aus dem Reich der Mütter. Aber: man hat die Grande opéra, die nur als solche, übertreibend, tragbar wäre, seriös genommen und damit erst gänzlich lächerlich gemacht, womit freilich das Gericht über sie ergeht, das ihr gebührt, so daß alles wieder in Ordnung wäre. Im einzelnen ist Scheel dabei geschickt und geschmackvoll verfahren – mit Ausnahme eines trostlosen Bewegungschores der Tanzgruppenmädchen auf dem Blocksberg –; die Musik aber straft alles Lügen. Seidelmann dirigiert diesmal gut und wirksam. Gläser singt den Faust; zu Anfang mit großen kantablen Qualitäten, später ein wenig mühsam und in der Intonation nicht einwandfrei. Stern als Mephisto hat den Haupterfolg des Abends; wohl infolge jener ›Gestaltungskraft‹, die mir in einer Oper recht problematisch ist, wo es ja doch nicht zu lebendigen Gestalten kommt und der Gesang die Hauptsache bleibt. Und gerade gesanglich fand ich die beiden Hauptnummern, die vom Gold und das Ständchen, die anständigste Musik der Oper, recht ungeklärt. Fräulein Hainmüller gibt die Margarethe: mit wunderschöner und rührend echter, aber räumlich und zeitlich noch nicht zureichend disponierter Stimme; im Spiel unausgewogen zwischen ungelöstem Phlegma und eben jener Expression, die dem einzelnen so wenig ansteht wie dem Stil des Ganzen. Das Publikum fühlte sich in seinem Element.

Die Entwicklung, die der Regisseur Rudolf Scheel in der Zeit seiner Frankfurter Arbeit – die, wie es heißt, zu Ende geht – genommen hat, ist erfreulich. Das muß um so deutlicher betont werden, als gerade hier gegen einzelne seiner Inszenierungen wie die des »Barbier« entschiedene Bedenken angemeldet wurden. Betrachtet man sich aber seinen neuen »Rigoletto«, so scheint die Gefahr der sachfremden Verspieltheit, des bloß ornamentalen Regieeinfalls endgültig gebannt. In einfachen, aber nicht kahl stilisierten Bildern von Dinse spielen sich die Vorgänge plastisch und sinnvoll ab: dabei unschablonenhaft und bewegt: das Fest des ersten Akts dynamisch aufgelöst und klug disponiert, wirksam dagegen die Abgeschiedenheit der Sphäre des Narren und der Tochter. Der Rigoletto selbst scheint heute, angesichts der neuen Verhandlung übers Gesamtwerk, nicht mehr eines von Verdis besten Stücken; erste Reflexion bricht den melodischen Überschwang des Troubadour, ohne schon zur reinen und gesicherten Opernform durchzudringen. Freilich, die Figur des Herzogs lebt für alle Zeit in den Gesten der beiden Kanzonen; der Umschlag des Narren vom Scherz in den Ernst hat seine große Melodie, die schleift gleich dem Mantel des in Spaß und Trauer Gebückten, und das Quartett bleibt ein Meisterstück aller musikalischen Dramaturgie. All dem zu begegnen ist man dankbar, auch wenn der Umriß einer Figur wie der Gilda nicht mehr recht schließt. Musikalisch blieb die Direktion von Herrn Seidelmann Verdi wieder vieles schuldig; an Gedrängtheit, an Präzision. Solisten: Gläser, nicht ohne Glück, aber auch nicht ganz überzeugend, als Herzog italianisierend; Fräulein Ebers, echte Erscheinung der Gilda, gesanglich diesmal gut auf dem Wege; Stern, Rigoletto, dramatisch gefüllt, gesanglich nicht über allem Zweifel. Das Publikum zeigte sich dankbar.

 

Bei fallender Saison sehr wenig Neues. In einem Montagskonzert spielte Szigeti, außer dem D-Dur-Konzert von Mozart, adäquat die Erste Rhapsodie von Bartók, folkloristisches Arrangement, aber so echt und rein in der Partikel, so klug in der Disposition zu den beiden Grundformen des ungarischen Tanzes, daß man den Trug der Kombination gern überhört – vielleicht sind diese Bruchstücke dazu da, derart verschmolzen zu werden. Vom Orchester unter Rosbaud die Berceuse élégiaque von Busoni, der man ja nun freilich nicht mehr anhört, daß sie einmal so kühn gewesen sein soll, und die überhaupt keine eigentlich ausgewachsene Musik ist, von der aber, fast möchte man sagen: etwas an Stilerkenntnis ausgeht, wofür man zu danken hat, selbst wenn es so abstrakt – will sagen: nicht im sinnlichen Material gestaltet – bleibt wie allemal bei Busoni. Zum Beschluß: Romeo und Julia von Tschaikowsky; hier läßt sich ja nun der Trug bei bestem Willen nicht mehr überhören; aber wie viel Glanz hat hier nicht gerade das Unechte. Das klingt, als tausche es für das kurze Recht seines Lebens eine Strahlenkrone seliger Vergänglichkeit ein.

 

AUGUST 1932

 

Das XI. deutsche Sängerbundesfest. So wenig ein offizielles Sängerfest, nach künstlerischen Kriterien, angemessen sich werten läßt, so wenig auch läßt es mit einer hochmütigen Ironie sich abfertigen, die meint, spießerhafte Vereinsmeierei sei das letzte Wort über Veranstaltungen, die so tief vom Leiden der Menschen zeugen wie solche Feste. Gewiß: bei derlei Repräsentationen und beim Bewußtsein der Schichten, die sie tragen, geht es nicht um autonome Kunst, sondern Musik dient dem Gebrauch einer Geselligkeit, die, positiver anderer Inhalte bar, vom Gesang sich nährt. Aber gerade daß Gesang zur puren Ideologie ward, scheinhaft und fragwürdig bei sich selber, und gleichwohl einer ungemein großen Zahl Befriedigung verschafft, macht Problem und Ernst von Sängerfesten aus. Um Sängerfeste gruppieren sich die absinkenden Mittelschichten: Schichten von bürgerlichem Klassenbewußtsein und zugleich ökonomisch unterhöhlter oder zumindest eingeengter Existenzform. Dem Produktionsprozeß sind sie als sein Objekt ausgeliefert; Freiheit läßt er ihnen nur noch als Freiheit zur Armut, und um ihr zu entgehen, haben sie unbewußt bereits auf Freiheit verzichtet. Zugleich aber ist unbewußt noch der alte bürgerliche Wunsch nach Freiheit in ihnen lebendig. Im Männergesang will die Mündigkeit des Bürgertums sich bekunden, und zwar gerade des kleinen, wo nicht der ohnmächtige Einzelne, sondern bloß der kollektive Zusammenschluß Mündigkeit zu bekunden vermag. Im Chor singen bedeutet: daß man ›den Mund aufmachen darf‹, nicht stumm und gebunden ist. Von der ursprünglichen Richtung auf Freiheit ist im Sängerfest real einzig noch Freizügigkeit übrig: Bürger entfernt liegender Gegenden, fixiert sonst an ihren Ort, begegnen einander, freunden sich an, wäre es auch bloß, um einander von Vorzügen und Nachteilen einheimischer Wein- oder Biersorten zu berichten, und wenn sich Sachsen und Ostpreußen in der bayrischen Bierhalle beim riesenhaften, am Spieß gebratenen Ochsen vereinen, dann meinen sie, sie säßen brüderlich beim Mahle und es sei zugleich mit der Freiheit die mythische Unmittelbarkeit des Miteinander ihnen wiedergeschenkt. Nur darum konnte ein Fest wie das in Frankfurt so unpolitisch verlaufen. Es ist nun in aller subjektiven Fröhlichkeit der Teilnehmer die objektive Trauer, daß Freiheit und Unmittelbarkeit selbst für die kurzen und kargen Ausnahmetage Schein bleiben. Wie der gebratene Ochse nur ein System sorgsam eingeteilter und kalkulierter Portionen verbirgt, so verbergen Gesang und Geselligkeit das abhängige Leben. Unwissend Gehaltene singen von Gegenständen, die keine Beziehung zu ihren Sorgen haben, und wandeln sich selbst die Gegenstände ›zeitgemäß‹; ist von Maschinen oder Geburtenrückgang die Rede, dann werden die Gegenstände, sängerischer Weihe zuliebe, so rasch zu Symbolen in unverbindlicher Allgemein-Menschlichkeit verdünnt, daß sie in die Existenz ernsthaft nicht mehr eingreifen. Der gesellschaftliche Scheincharakter ist der Grund für die ästhetische Unzulänglichkeit, und darum steht es so wenig an, sie isoliert zu belächeln: sie ist nicht Schuld amusischer oder von der Vorsehung zur Dumpfheit verdammter Menschen, sondern ebenso gesellschaftlich produziert wie die Verhältnisse, vor denen im Festrausch die Sänger sich geborgen glauben. Der Druck ihrer Verhältnisse, zugleich das sorgsam gehütete Klassenbewußtsein – das letzte, was sie zu verlieren haben –, verhindert sie an der Erkenntnis der Wirklichkeit und vollends der ihrer künstlerischen Gestaltung; sich musikalisch auszubilden, läßt ihnen die Wirtschaft, wenn auch heute die Zeit, so gewiß nicht das Geld; differenziertere Gebilde können sie weder begreifen noch gar aktiv bewältigen; eine Chorproduktion aber, die überhaupt zu Gehör kommen will, muß nach ihnen und ihren ideologischen Anforderungen sich richten; was Wunders, daß ihre Qualität versagt. Dabei zeigt sich gerade bei der deutschen Sängerschaft ein Maß an gewissenhafter Arbeitstreue und ernster Tüchtigkeit, das bewegt und doppelt traurig macht in der Einsicht, wieviel Echtes hier verlorengeht.

Korrigierbar freilich wäre der trügende Schein nicht durch eine fragwürdige ›Hebung‹ des Männergesanges, der stets, auch bei den Kompromißlösungen dieses Festes, etwas von Herablassung eignet, sondern bloß gesellschaftlich. Im Rahmen des Gegebenen, der weder wahrhaft neue Musik duldet, noch die Möglichkeit von deren zuverlässiger, zumal in der Intonation zuverlässiger, Darbietung gewährt, ließe sich immerhin anraten, an Stelle der bedenklichen Depravationen der Romantik, die die Chorliteratur des neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts in der Breite der Produktion vollzieht, auch an Stelle der heute beliebten archaistischen Rekonstruktionsversuche deren verbürgtere Modelle aufzuführen. Man müßte ernsthaft, nicht mit der Lizenz der Ausnahme, alte Chormusik herausstellen, die sich zwar gerade nicht, wie die gegenwärtigen Chorreformatoren meinen, wiedergewinnen läßt, die aber in ihrer radikalen Unerreichbarkeit kraft einer Distanz, die innegehalten werden muß, demonstriert, wie Chormusik und Chorpflege am rechten Ort einmal aussahen. Es fehlte auf dem Fest nicht an Versuchen in dieser Richtung. Aber ihre Zahl blieb bescheiden und ihnen versagte sich ein Jubel, der Dialektchören von falschester Bodenständigkeit dankte. Die Grenzen, die das gesellschaftliche Bewußtsein setzt, gelten ebenso dem Rückgriff wie dem Vorgriff.

Unmöglich, die Zahl der Konzerte, die sich allein schon durch die Quantität Macht und Größe bestätigen wollten und zeitlich kollidierten, insgesamt kritisch zu verfolgen. Es sei statt dessen eine Anzahl charakteristischer Werke herausgegriffen, ohne daß daraus etwas über die Qualität der nicht erwähnten folgte. Offensichtlich begabt ist eine Motette von Hubert Pfeiffer, die – im Gegensatz zu manchem anderen Stück – ihren Staatspreis zu Recht trägt: wirklich kontrapunktisch gehört, herb im Satz, gewinnend durch strenge, um jeden Effekt unbekümmerte Musikgesinnung, freilich gebunden ans Material einer etwa an Bruckner geschulten, archaistischen Sakral-Romantik; formal wohl in der Einbeziehung eines Fugatos zwischen Exposition und Reprise noch nicht ganz gemeistert. – Der Chor »Grenzen der Menschheit« von Clemens von Droste benutzt zwar harmonisch modernere Mittel, ist aber in der Polyphonie nicht recht profiliert und entfaltet, deklamatorisch befangen. – Hans Gál lockert in zwei impressionistisch-vertikal gedachten Chören die Chormasse mit Erfolg auf. Eine Motette von Arnold Mendelssohn, mit Choralschluß, erweist sich als sehr materialerfahren, sicher und sauber gesetzt; übrigens schwierig für die Interpretation (Gambke). – Ein größerer Zyklus von Armin Knab: »Zeitkranz weltlicher und geistlicher Gesänge«, ist ungemein geschicktes und wirksames Kunstgewerbe, trotz betont antiromantischer Haltung: denn der primitive Archaismus, mit liegenden Stimmen und Organumwirkungen, gregorianische und wieder madrigaleske Elemente werden in letzter Instanz doch bloß koloristisch, als Reizmittel fühlbar und bleiben ohne konstruktive Konsequenz; die eigentlich kompositorische Leistung ist bescheiden, die der Klangregie beträchtlich. – Franz Philipp, neben dem verstorbenen Kaun gegenwärtig einer der beliebtesten Männerchorautoren, besticht durch eine gewisse wählerische Bescheidenheit der Faktur, neigt aber dann doch zu einer Volkstümlichkeit, die sich richtet, indem sie von ihrem eigenen Erdgeruch redet: chromatisch gehobene Liedertafel-Kunst. – Erwin Lendvai, als Chorkomponist sonst auf Abwechslung und eine gewisse Buntheit bedacht, kam diesmal in einer prätentiös benannten »Kosmischen Kantate« zu Goetheschen Versen ein wenig monoton daher; gemäßigt neudeutsch teils und teils gemäßigt klassizistisch, nirgends spontan und gerade angesichts der gewaltigen Worte, die er sich zum Vorwurf nahm, recht unzulänglich. – Eine Komposition des altdeutschen Liedes vom »Schnitter Tod« von Rudolf Ochs enthält vielleicht einigen Elan in sich, bleibt aber doch theatralische, wenig durchgeformte Mahler-Imitation, die sich vergebens am Luther-Choral zu stützen sucht. – Aufschlußreich die »Messe des Maschinenmenschen« von Bruno Stürmer. An ihr zeigt sich exemplarisch die Unmöglichkeit, die Chorkunst durch Einbeziehung moderner Gegenstandsbereiche bruchlos zu aktualisieren. Die angestrebte Versöhnung von Liturgie und Profanität ist mißraten. Die Liturgie wird vertreten von einem vag pantheistischen, gegenständlich höchst undeutlichen »Evangelium der Liebe«, das schließlich Gott ›in‹ der gleichen Maschine zu finden vorgibt, die eingangs als Fluch erfahren wird; die Profanität aber wird, eben unter dem Symbol der Maschine, so verflüchtigt, daß ihre konkrete Gestalt der »Messe« entfällt. Sie setzt ein Produktionsmittel gleich mit den Produktionsverhältnissen, unter denen wir leben, und lenkt darum trotz Holztrommel und Maschinenstampfen gerade vom eigentlichen Leiden ab. Dem entspricht die Musik, der es an Begabung nicht mangelt, die sich auch der neoklassizistischen Schablone entzieht, die dafür aber – allzu grob und unkritisch komponiert – in eben jene unverbindlich-romantische Sphäre der Programmkunst zurücksinkt, aus der Text und Stoffwahl ausbrechen möchten, während sie doch selber ebendort zuständig bleiben. Immerhin sind in dem Werk Fragen gestellt. Strengste technische Arbeit am Material könnte weiterhelfen. – Durchaus verwandt Hans Stiebers »Ecce homo«, textlich noch abstrakter mit der Gegenwart befaßt, musikalisch in der Wahl von Klängen und Akkorden weniger zeitgemäß-versiert, dafür aber musikalisch disziplinierter und gegen Ende hin im Zeichen wirklicher Gestaltungskraft. Stürmer wie Stieber bedürften zunächst einer Revision der Voraussetzungen; aber die innerkompositorische Problematik korrespondiert merkwürdig genau mit der der geistigen Fundamente. – Gesungen ward durchweg mit viel Zuverlässigkeit und Hingebung; manche Chöre – wie etwa der Kasseler a cappella-Chor unter Laugs – haben virtuose Bezirke sich unterworfen, andere imponieren durch Geschlossenheit. Die Skepsis, die bleibt, gilt nicht der einzelnen Leistung, sondern dem Ort, an dem die Leistung anhebt.

 

Zum Ende der Spielzeit besann sich die Frankfurter Oper auf ihre Verpflichtungen gegenüber der zeitgenössischen Produktion und bot einen bunten Einakterabend – ohne viel Risiko, da Opernpremieren im Juni meist gewissermaßen inkognito sich vollziehen, aber eben darum auch ohne die Chancen, die man der Moderne bieten sollte, wenn man sie ernstlich fördern will. Das bleibt bei der Qualität der aufgeführten Werke sehr bedauerlich. Im Zentrum stand der »Arme Matrose« von Milhaud, mit dem außerordentlichen Buch von Cocteau: wissend angesiedelt in jener Region, da die unterste Kolportage und die Randfiguren der Gesellschaft transparent werden zu den obersten Bedeutungen hin; eine drastische Kriminalgeschichte fluoresziert als Gleichnis der Verstelltheit der Menschenexistenz, in der Hoffnung aufgeht, bloß um sich nicht halten zu lassen. Die Funken des Stückes haben in Milhauds Musik gezündet: es ist die beste, die ihm gelang; mit dem enträtselten Orchestrion des Anfangs, mit der trüben, nüchternen und archaischen Folklore der Melodien; mit dem ungemein konzisen und doch episch-theatralischen Schlußbild. Zwischen Wozzeck und Dreigroschenoper steht das Werk als großes Versprechen; hier allein ist Milhaud an seinem wahren Ort; hier gewinnt die Polytonalität ihre Funktion, hier schlägt eine fremde und echte Substanz durch, indem sich die Musik hinabwagt. Man tröstet sich darum selbst über den Mangel an Metier, den das Werk mit fast allen französischen der nach-Ravelschen Generation teilt; einen Mangel, der gerade vom deutschen Bewußtsein aus klar sich begreifen läßt: nach dem Zerfall der französischen Tradition ist, eben unterm Druck der Tradition, die subjektive Freiheit und mit ihr die subjektive Kontrolle nicht ausgebildet wie bei uns, die wir die Tradition der Traditionslosigkeit besitzen; bei uns muß jeder von vorn anfangen, wenn er etwas ist, holt dann aber auch technisch etwas aus sich heraus, während Milhaud immer noch auf die vorgegebene Technik sich verläßt, die doch nicht mehr besteht und über die seine Substanz auch gar nicht verfügt. Ravel, dessen »Spanische Stunde« folgte, hält sich in der Tradition, diesseits des Bruches noch: aber er überschaut die traditionale Region wie kein zweiter, und seine Ironie ist ihre Abendröte. Was in dem Einakter die Souveränität des gründlichsten und sorgsamsten musikalischen Unglaubens aus dem Nichts hervorzuzaubern vermag; wie hier gleichsam alles ausgespart ist, sogar das spanische Kolorit; wie kein Thema mehr sich riskiert und keine Linie; wie dennoch sekundenlang der metallene Klangstaub aufglüht und schließlich die aufgelösten, undynamischen Partikeln zur Form zusammenschießen – das läßt sich nicht beschreiben und gewiß noch weniger nachmachen; sollte heute auch nicht mehr nachgemacht werden. Daß man aber in Deutschland immer noch die scheue Spiritualität Ravels mit dünner Einfallsarmut verwechselt, ist ein Irrtum, ähnlich dem französischen, der Wagner als einen barbarischen Trompetenbläser nahm; ein Irrtum, den Einsicht endlich liquidieren sollte. Allerdings hätte Ravel sich einen gescheiteren Text aussuchen dürfen: auch wenn seinem Esprit die äußerste Dummheit als Nahrung gerade willkommen sein mochte. – Voran ging die »Serva padrona« Pergolesis; frisch wie nur jemals und bewegend gerade in der starren Unbewegtheit der menschlichen Haltung wie im Reichtum der musikalischen Gestalt. Ein Akkord auf einer chromatischen Nebenstufe darin wiegt an Wirkung eine ganze chromatische Literatur auf, in der man die Nebenstufen nicht mehr fühlt. – Es dirigierte ausgezeichnet Steinberg; am besten geriet der Milhaud; bei Pergolesi wie bei Ravel erfüllte das Ensemble nicht alle Voraussetzungen. Es seien positiv hervorgehoben die Leistungen der Damen Gentner-Fischer und Ebers; der Herren Griebel, Fanger, Permann; besonders Herr Reinecke in einer darstellerisch und musikalisch gleich gelungenen Maske der Ravelschen Commedia dell'arte – trotz Busoni der letzten ihrer Gattung.

 

JANUAR 1933

 

Mit einer ungemein klaren und sorgfältigen Neuinszenierung der »Entführung« haben Steinberg und Graf die neue Spielzeit – und die neue Drehbühne eingeweiht, die nach langem Wünschen endlich an Stelle der sehr veralteten Einrichtung trat und nun die technische Basis für frische Unternehmungen abgibt; eine Basis, die am letzten geringgeschätzt werden sollte von einer Kunstanschauung, die des Gehaltes der Werke einzig in seinen technischen Korrelaten sich zu versichern hofft. Von allen Seiten wurde der Palast des Selim Bassa vorgeführt und im Wirbel zugleich als immer der gleiche kenntlich, auf den der konzentrische Angriff der Entführer sich richtet; die Entführungsszene selber wandelte sich in eine Burleske, wie erst der Film als Möglichkeit sie wieder erschloß, ohne diesen zu imitieren – und Mozart hat darüber nichts verloren; das Alla Turca, das den Stil des ganzen Werkes ausmacht, hat mit seiner Umsetzung in Gesten der Personen und des Bildwechsels vielmehr erst all die Kraft des Beginns bezeugt, die hier der Gewinnung der exotischen Stoffschicht zukommt. Musikalisch war die Aufführung bis in die entlegensten Ritzen des Orchestergefüges reingefegt und des Tempos voll, das vielleicht der Respekt vorm ›Klassiker‹, niemals aber die wahre Anschauung Mozarts diesem verweigern dürfte. Die Probleme lagen beim Ensemble; weder reicht die Koloratur von Fräulein Ebers, bei allem Bemühen, für die Martern-Arie, noch die spezifisch gesangliche Qualität des darstellerisch sehr prägnanten Herrn Wörle für den Belmonte ganz aus; wogegen gerade die Gesangsleistung des Dienerpaares – Fräulein Riedinger und Herr Reinecke – sich bewährte. Herr Weil lieh der aufgeklärten Despotie noble Gesten.

Wenn die Verdi-Renaissance als umfassendes Programm fragwürdig ist und wohl auch nicht ohne romantisch-retrospektive Tendenz zum Musikantischen, Komödiantischen, Bluthaften oder wie die Clichés sonst lauten mögen, so verdienen doch die einzelnen Rekonstruktionen genaueste Aufmerksamkeit. Wird »Macbeth« im musikalischen Gehalt, der »Simone« in der dramaturgischen Möglichkeit überschätzt, so ist dafür, gleich der »Macht des Schicksals«, der »Don Carlos« nicht bloß eines der größten Werke Verdis, sondern eines der fruchtbarsten, die sich die Oper überhaupt wünschen kann. Es ist das Verdienst der ungewöhnlich guten Frankfurter Aufführung, das ganz deutlich gemacht zu haben. Der »Forza« nur wenig nachstehend an Kraft der melodischen Erfindung und deren motivischer Konzentration, hat der »Carlos« vorm Schwesterwerk andere wesentliche Qualitäten sogar voraus. Einmal nämlich den sinnvollen Gegenstand. Das Buch ist viel besser als sein Ruf und hat von Schillers dramatischem Gedicht genug bewahrt, um die Dialektik der bürgerlichen Freiheit am Modell der Familie darzutun; genug vom Trauerspiel, um den historischen Souverän als Exponenten verfallender Naturmacht zu enthüllen: und die unverlierbare Größe des Schillerschen Entwurfes allein reicht hin, eine Musik zu entbinden, die in der Darstellung der Leidenschaften freilich schon eher in die historische Landschaft Balzacs als in die Schillers gehört. Mehr noch: die Gewalten der Trauer, die dem Drama eignen, gewähren der Musik einen Ton, der um so tiefer der Verdischen Produktivkraft entsteigt, je weniger er mit dem anderen Verdi zu tun hat. Er läßt an Mussorgskij denken, und weit reichen die Beziehungen zwischen Opern, die nicht bloß äußerlich durch Politik als ihr Sujet aneinander gebunden sind. Die große Szene des Königs Philipp, die anschließende des Inquisitors, die Arie der Eboli – diese das innerste Geheimnis Mahlers vorwegnehmend: das ist nicht bloß bei Verdi ohne Beispiel; die zwielichtige Grazie der Gartenszene läßt sich nicht vergessen, und vom Tod des Posa weiß man längst als einem Verdischen Hauptstück. Gerade nachdem ich an dieser Stelle die Verdi-Bewegung durchaus kritisch und unverführt verfolgte, glaube ich mich berechtigt, auf »Don Carlos« mit allem Nachdruck hinzuweisen. Das Werk – vielleicht das einzige, das ein Drama des deutschen Klassizismus durch eine Komposition nicht schändet, sondern in Musik löst – darf unseren Bühnen nicht wieder verloren gehen. Die Aufführung, unterm Stabe von Seidelmann, stand im Zeichen der überragenden Interpretation der Eboli durch Frau Spiegel, die heute eine der größten Sängerinnen des deutschen Operntheaters ist. Herr Gläser gab den Carlos, stimmlich glanzvoll wie je, darstellerisch regeneriert; Herr Permann setzte um den Posa mit Wärme sich ein; Herr Stern hatte als Philipp die Maske des traurigen Tyrannen und bot sinnvolles Spiel, aber auch gesanglich eine weit ausgeglichenere Leistung. Fräulein Hainmüller bewältigte die Königin nicht gänzlich; sie müßte sich um die Intonation, wahrscheinlich stimmtechnisch, bemühen; Herr Erl als Großinquisitor zeigte sein Material. Der Beifall war frenetisch.

 

Das »Philharmonische Konzert« Hindemiths, von Rosbaud im jüngsten Montagskonzert höchst virtuos und sogar mit großem Publikumserfolg geboten, gilt als ein Neben- und Gelegenheitswerk. Gleichgültig ob es als solches geplant ist – mir scheint es wichtiger als manches chef-d'oeuvre. Denn hier zum erstenmal ist dem Neoklassizismus samt seinem Leerlauf Einhalt geboten. Es gibt keine Terrassen, sondern Dynamik; die Melodik ist plastisch geprägt und der Zufälligkeit enthoben; die Harmonik kontrolliert. Dabei verschlägt es nichts, daß diese deutlich auf die Tonalität zurückgreift, wie sie schon im melodischen Kopfmotiv angelegt ist; es kommt zunächst nur darauf an, daß an Stelle bloß rhythmischer und kontrapunktischer bewußt harmonische und melodische Probleme gestellt sind, die, konsequent genug verfolgt, aus sich selber zu jener Reinigung – damit aber Aktualisierung des Hindemithschen Stils führen sollten, die mir bei Hindemith gefordert scheint. Unmittelbar freilich hört sich das Stück eher konzilianter an als sonst Hindemith; deutlich an Reger mahnend; auch im Kolorit vor allem des orchestralen Tuttiklangs, den hier in einigen Variationen Hindemith seit sehr langer Zeit erstmals wieder anstrebt. Aber ein echter Reger ist uns näher jedenfalls als ein falscher Bach, und von hier führen Wege vorwärts, die dort im unerreichbaren Urbild untergehen müßten. Die Instrumentalbehandlung – auch in der aufregenden Sonorität der Tuttistellen – ist selbstverständlich wieder exemplarisch. Gewiß treten eingreifende kontrapunktische Konstruktionen zurück, und es bildet sich vielleicht allzu rasch ein faßlicher Oberflächenzusammenhang. Aber das ist hier nicht die Frage. Die Erstarrung ist gebrochen – daß über den neuen Aufgaben Hindemith die alten Errungenschaften vergesse, ist nicht zu fürchten. – Danach Debussys »Jeux«, von allen Orchesterwerken des Meisters das aufgelösteste, entsubstantialisierteste; vielleicht auch das vollkommenste in der Konstruktion und von einem Reichtum der orchestralen Palette, der alle Erwerbungen Schrekers in klarer Phantasieluft vorwegnimmt. Damit allerdings auch das schwierigste von Debussy; bislang in Deutschland so gut wie unbekannt, auch jetzt noch nicht recht verstanden, dringliche Aufgabe für die Hörer. – Alfred Hoehn spielte, außer dem unrettbaren, nicht einmal pianistisch wirklich interessanten »Totentanz« von Liszt, die Burleske von Strauss in wahrhaft souveräner Form und wurde mit Recht, ein Prophet in seiner Vaterstadt, sehr gefeiert. Merkwürdig, wie der frühe Strauss all sein Späteres in nuce in sich hat: den ausgreifenden Schwung der Phantasie und das Beharren in platter Behaglichkeit; Stufenreichtum hier und Stufenarmut dort; Präzision und Redseligkeit; den Schnörkel als Pointe und die Sexte als Sentiment; dabei hier noch eine unliterarische, spezifisch-melodische Anschauung, die ihm dann verlorenging. Es ist schon so, wie Paul Bekker einmal sagte: nicht Strauss, sondern wir haben uns verändert. Aber diese Veränderung hat rückwirkende Kraft für die Geschichte seines Werkes selber.

 

FEBRUAR 1933

 

Moritz Bauer, Repräsentant der Musikwissenschaft an der Universität und Universitätsmusikdirektor, ist am Neujahrsabend im Theater einem Herzschlag erlegen. Sein Tod ist der eines Kunstgelehrten der vornehmsten Haltung. Er rechnete zu einem Typus, wie noch die letzte Generation – sein Alter betrug nicht mehr als 57 Jahre – ihn ausprägte, wie ihn aber die Nachkriegswelt nicht mehr duldet; jenes Typus des vollkommen Rezipierenden, in welchem Muße und Humanität des Amateurs mit philologischer Zucht und sammlerisch-antiquarischem Eifer zur besonnenen Milde sich vereinten; ein Mensch, dem, wie er mir in seinem letzten Brief schrieb, »die Musik tödlich nahe ging«: prädestiniert zum idealen Hörer des Tristan, von dessen Text er nicht zufällig Schopenhauers Handexemplar als Arcanum hütete; vielleicht der einzige gegenwärtige Musiker, der tatsächlich zur Musik in jener pathischen Beziehung stand, die Nietzsche beunruhigte und die den tragenden Grund für Thomas Manns epische Gesinnung abgab. Höflich bis zum Zeremonial, patrizisch bewußt und ästhetisch scheu zugleich, drang er zur tiefsten Erfahrung seiner Schicht: zu einem großbürgerlichen Pessimismus, den heute das entwurzelte Bürgertum gewaltsam verleugnet, den aber jeder Klang seiner Stimme als echt bewährte: zum Bewußtsein einer leidvollen Wirklichkeit, mit deren Leiden Kunst nicht anders sich abzufinden vermag, als indem sie davon zeugt. Daß dies Naturell sein künstlerisches Zentrum in der Lyrik fand, nimmt nicht wunder. Die Ursprünge des deutschen einstimmigen Kunstliedes im siebzehnten, die Liedschulen des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts, vor allem aber Schubert waren seine liebsten Gegenstände. Unvergeßlich der gütige, verantwortliche und gerechte Mensch; unvergeßlich der Lehrer, der freundlich und behutsam durch sein Wissen geleitete, wie man Gäste an einem klaren Nachmittag durch die geborgenen Räume einer Sammlung geleitet: einer der letzten Gebildeten, denen die Bildung zum Guten frommte und nicht zu Hochmut und Illusion. Von Bauers akademischer Wirksamkeit, der ich als sein Schüler ungemein viel zu danken habe, drang wenig nach außen. Doch mag nicht zufällig aus seinem Seminar gerade der Mann hervorgegangen sein, dem die gegenwärtige musikalische Erkenntnis Richard Wagners das meiste schuldig ist.

Konzerte im Dezember: es war Gelegenheit, vieles von Schubert zu hören. Die Buschs spielten, außer dem schwächeren B-Dur-Sextett von Brahms, das Streichquintett, dem längst nicht die Aufmerksamkeit zuteil wird, die ihm auch dann gebührt, wenn man es (wozu ich neige) tatsächlich bloß für die Bearbeitung eines verlorenen symphonischen oder kammersymphonischen Werkes ansieht; nicht bloß, daß hier Bruckners Geheimnisse reiner und mit der Gewalt des Ersten vorweggenommen sind, die Ecksätze zeigen eine bestätigte, auch gesellschaftlich bestätigte Macht symphonischer Objektivität in der absolut-musikalischen Gestalt, wie sie sonst nach Beethoven nirgends mehr erreicht worden ist. Dem strengsten Maßstab übrigens, den das Werk notwendig macht, wurde die Aufführung nicht gerecht; weder in der Klarlegung der Konstruktion, noch selbst im Klang (zweite Geige) und der Intonation (Finale). Um so mehr wurden dafür die expressiven Bedürfnisse des Publikums befriedigt. Aber gerade ein Geiger von Adolf Buschs Musikgesinnung wird sich dadurch nicht für die Dauer beirren lassen. – Auch die Amars brachten Schubert; das Forellenquintett unter der überlegenen Führung Rosbauds am Klavier und das Oktett. Man muß froh sein, dies Stück, eine der großen dialektischen Umschlagstellen der Musik, zu vernehmen; das letzte Divertimento und die erste Kammersymphonie; zugleich in den Einleitungstakten des Finales mit dem Choc eines mythischen Zeichens. Einen exemplarischen Schubert hörte man im Rundfunk unter Anton von Webern: die h-moll-Symphonie, gereinigt von aller Tradition und Schlamperei, gleichsam zum erstenmal; gehört nicht durch ein Temperament, sondern in der Tiefe ihrer kompositorischen Anlage, die frei wird und expressiv mächtiger als jemals die kapellmeisterliche Expression; dann die Deutschen Tänze von 1824, von Webern meisterlich instrumentiert, nach einem Verfahren, das mit der Tektonik des Werkes, die ›ausinstrumentiert‹ ist, zugleich das klassische Instrumentationsverfahren durchsichtig macht, das hier gleichsam zum Bewußtsein seiner selbst gebracht wird. – Im jüngsten Montagskonzert gab es eine schöne Solokantate von Bach mit der kostbaren Stimme der Ria Ginster, eine Sinfonia concertante von Haydn mit einem bezaubernden Schlußsatz; dann Mahlers Klagendes Lied, mehr ein Kuriosum als ein Werk, interessant darum, weil es zeigt, wie klar von Anbeginn Mahlers Intention steht, doch welchen Weges es bedarf, bis sie im Material sich realisiert. – Schließlich darf ich eine musikalisch akzentuierte, darum auch ›Kammermusik-Abend‹ genannte Veranstaltung der Tänzerin Sonja Korty, aus der Schule Diaghilews, erwähnen, die mit genauestem Können, der spielerischen Sicherheit einer großen Überlieferung und hellem Kunstverstand die dunklen Seelenkundgaben der modernistischen Tanzgruppen-Tänzerinnen höflich und positiv widerlegte.

 

MÄRZ 1933

 

Kaum einer unter den gegenwärtigen Komponisten, dessen Beschaffenheit von den Clichés so gründlich verdeckt würde, die man ihm aufprägt, wie Pfitzner. Der unsinnlich-herbe Klangasket; der letzte und meisterliche Hüter der Wagnerischen Komponiertradition; der abgründig-schwärmerisch inspirierte Musiker des reinen ›Einfalls‹ – an alldem ist kaum mehr dran als das Gegenteil. Zum Guten und Bösen hat das die Frankfurter Reprise des »Palestrina« dargetan. Zunächst: von Unsinnlichkeit kann keine Rede sein. Im Gegenteil; in der melismatisch kargen, kontrapunktisch unentfalteten, archaistisch-harmonisch gehörten Musik ist durchwegs die Vorstellung des Klanges treibende Kraft; eines zwar schmucklosen, aber höchst konkret gehörten und realisierten Klanges, der gleichsam alle instrumentalen Gruppen wachruft aus ihrem dunklen Grunde; keine Note ›instrumentiert‹; in dieser zwingenden und rauschlosen instrumentalen, auch vokal-instrumentalen Anschauung liegt aller Zukunftsstoff Pfitzners beschlossen. Dafür freilich bleibt sonst von der vielberufenen Meisterschaft wenig zu finden; die Lineatur wirkt unplastisch, die Polyphonie als beliebige Umkleidung des Akkordplanes; der harmonische Fortgang selbst im Stufenbewußtsein matt und ohne Zwang, und von der Wagnerschen Prägnanz der Formdisposition fehlt jede Spur; Stücke, wie die Szene der alten Meister, dehnen trotz des auch hier tragenden Farbeinfalls sich bis zur Unerträglichkeit. Und der Einfall? Von ihm gilt, womit Pfitzner einmal Kritik an einem anderen übte: Veni creator spiritus – wenn er aber nicht kommt? Und selbst in der Inspirationsszene, die ihn verherrlicht, kommt er nicht; wird nicht Musik im gefundenen Urbild des Gesanges frei. Dennoch, und damit kommt man zu der Irritation, die die ›Legende‹ dem gerechten Urteil bereitet, in dieser Szene, mit dem Überschwang des Nichtvorhandenen, steckt trotz allem eine Suggestivkraft: etwas von der Dämonie verzweifelter Beschwörung, die der Musik jener Epoche in ihren größten Exponenten eignet. Am Schluß des Aktes dann, bei der Glockenvision, reißt diese Dämonie weiter, in ein Bereich wahrhaft unvernommener Klänge. Dem marktgängigen Urteil freilich, daß mit dem ersten Akt die Oper zu Ende sei, kann trotz allen Willens nicht widersprochen werden; nicht dramaturgisch vielleicht, doch musikalisch ist alles Spätere bloßer Anhang. Die narzißtische Gesinnung des Textes, darin anstatt der anderen ein verdrossener Hans Sachs sich selber ehrt, mag beitragen, um das Werk eine Isolierschicht zu legen, welche nicht die des fortgeschrittensten Bewußtseins ist. – Musikalisch führte und drängte Steinberg, hinweg über Tabulatur und Vorhaltsdehnung, hinein in den düsteren Klang, – wohl die einzig angemessene Interpretationsweise; szenisch lenkte Graf, unterstützt von schönen Bildern und einer in Trient segensreichen Drehbühne; besonders geschickt wurden die Gefahren des Engelbildes vermieden. Ein Kölner Gast, Herr Witt, als auffallend guter Palestrina; Herr vom Scheidt als Borromeo denn doch allzu naturalistisch; besonders auffallend Fräulein Ebers in der Partie des ersten Engels, – sollte diese Stimme nicht los von der Koloratur, ins jugendlich-dramatische Fach drängen? Der Beifall war demonstrativ.

 

Béla Bartók brachte in einem Montagskonzert unter Rosbaud sein Zweites Klavierkonzert zur Uraufführung. Nach dem Vorstoß der letzten Quartette biegt sich die Kurve wieder zum Neoklassizismus in der Bartókschen Abwandlung zurück; zumal in der ›teppichhaften‹ Formimmanenz des ersten Satzes, mit dem Kopfmotiv der Strawinsky -Trompete, den breiten tonalen Komplexen, der Neigung zu zweistimmiger Figuration; auch dem obligaten Finalrondo über das Bartók-Thema schlechthin. Der langsame Satz ist ein Nachtstück; im quintigen Beginn impressionistisch ansetzend, in einem Prestointermezzo jäh aufgescheucht, in der Rückwendung unmittelbar zwingend; Kernstück des Ganzen. Insgesamt hält sich das Werk in Bereich und Haltung des Ersten Konzertes, schlägt es jedoch durch Gestaltenreichtum, Klangphantasie und Satzideen aller Art. Der Beifall, Zeugnis unmittelbaren Dankes an einen wahrhaft ›spröden‹ Meister, galt wie dem lauteren und reifen Komponisten so einer in ihrer Weise einzigartigen pianistischen Leistung. – Im Museum erschien Clemens Krauss samt dem Lieblingstenor Völker durchaus als der alte; virtuos in Straussens »Don Juan«, erschreckend konventionell in der Unvollendeten. Er brachte außerdem Moderneres mit: Ravel: Stücke aus Daphnis und Chloé, von bezaubernder Leere, und den hartnäckigen, übrigens sehr souveränen Bolero, der das distinguierte Publikum zu Ungezogenheiten animierte. Völkers Gesangskunst ist gewachsen; nicht ebenso sein Gestaltungsvermögen. – In einem seiner Kammermusikabende erinnerte das Amar-Quartett mit Recht an das Opus 16 von Jarnach; ein formal höchst selbständiges und nachdrückliches, substantiiertes Stück; Klassizität Busonischer Provenienz; Klassizität ohne Leerlauf; dabei technisch auf einem Niveau, das heute außerhalb der Schönberg-Schule kaum erreicht wird. Dagegen hätte man ein Streichquartett von Tschaikowsky ruhen lassen sollen. – In einem Montagskonzert spielten Kulenkampff und Feuermann trefflich das Doppelkonzert von Brahms, dessen akademischen Umrissen man nicht ansieht, daß es aus der Landschaft der Vierten Symphonie kommt. Danach Bruckners Fünfte, die jedenfalls an der Oberfläche das geschlossenste aus jener Hand scheint. – Den Pianistenwettbewerb des Musikstudios, der die ebenso schwierigen wie schönen späten Etüden von Debussy verlangte, gewann W. Kuhlmann. Er und sein ebenbürtiger Rivale Freitag hatten Gelegenheit, die Etüden bei einem gemeinsamen Konzert des Studios und des deutschen Kulturbundes zu spielen, das außerdem von Debussy sechs Verlainelieder und die vierhändigen Epigraphes antiques, von Ravel die Violinsonate und Mallarmé-Lieder brachte.

 

APRIL 1933

 

Man mag das Wagner-Jahr, ebenso wie seine Beethoven, Schubert und Goethe geweihten Vorläufer, zunächst als Ausreden eines leerlaufenden Bildungsbetriebes sehen, der, an keinerlei Gehalte und Substanzen zwangvoll gebunden, nach dem Belieben wechselnd ausgestellter Gipsmonumente sich richtet, um von ihnen den Schein der Berechtigung äußerlich zu erborgen. Man wird aber, der generellen Einsicht zum Trotz, im einzelnen genau zuzusehen haben, ob nicht doch etwa Zufall und Ideologie der Anlässe künstlerisch legitimierte Leistungen freisetze. Im Sinne dieser zweiten Frage ist die Frankfurter Neueinstudierung des Parsifal als besonderer Glücksfall zu vermerken. Seit Jahren gab es zu Karfreitag und Ostern eine Aufführung von Wagners letztem Werk, die unwürdig heißen mußte; eine Aufführung, die als Repräsentation vielleicht ausreichte, von der Bedeutung des Parsifal aber schlechterdings kein Bild ergab. Das ist gründlich anders geworden. Der Dirigent Steinberg hat die musikalische Wiedergabe bis in die entlegensten Winkel ausgefegt und eine ungemeine Deutlichkeit erreicht, ohne dem Werk an Spannkraft etwas schuldig zu bleiben; der Regisseur Graf hat das Brimborium getilgt, ohne die geforderte Haltung preiszugeben, und eine Reinheit der szenischen Linienführung durchgesetzt, die vielleicht nicht den Backfischphantasien vom Gralsritter, um so besser aber dem Orchesterklang des dritten Aktes angemessen ist; dem dunkelsten, fremdesten und schmucklosesten, den wir von Wagner kennen – seinem eigentlichen orchestralen Vermächtnis an unsere Generation. Dazu einfache, ernste und dramaturgisch sinnvolle Bilder von Sievert – vielleicht im Klingsorakt nicht so deutlich, wie es in der szenischen Vorschrift sowohl wie im Gang der Handlung, zumal der Beschwörung Kundrys aus der Tiefe gelegen ist. Solistisch fand ich die Aufführung im Zeichen des gesanglich und darstellerisch gleich überragenden Martin Abendroth als Gurnemanz. Wörle als Parsifal gab Glanz und Reinheit des Toren und ein Stück Natur dazu – weniger das Wissen und die Wandlung; die Kundry der Frau Gentner-Fischer brachte alle szenische und musikalische Erfahrung der hervorragenden Sängerin zur Essenz und war artikuliert bis zur leisesten Regung. Es störte ein schwächerer Amfortas und zumal der Klingsor des Herrn Griebel, der völlig ins Buffoneske abrutschte. – Zum Werk selbst, das heute vorab ›weltanschaulich‹ diskutiert wird, sei soviel musikalisch anzumerken mir erlaubt: daß an Gewalt des Ursprungs, Fülle der Anschauung der Parsifal hinter Tristan und Meistersingern zurücksteht. Spricht man ihm dafür aber die höchste ›Reife‹ zu, so rechtfertigt sich die Rede genauer als in dem vagen Sinn des abgeklärten, überschauenden Alterswerks. Nämlich technologisch. Das Auseinander von Tag und Nacht in jenen Schwesterwerken: die stufenreiche Diatonik der Meistersinger und die stufenarme Chromatik des Tristan, wird für den letzten Wagner zum Problem: weder der romantische Rückgriff auf gewesene polyphonisch-tonale Seins-Ordnungen noch die widerstandslose Alleinherrschaft des dehnenden Leittons genügen seinem untrüglichen Forminstinkt. In den späten Teilen des Ringes ließ das Problem nur teilweise sich meistern – allzu groß ist die Macht des alten, vortristanischen Motivmaterials darin. Der Parsifal aber hat die volle Souveränität: hier ist die diatonische Transparenz der Dreiklangsharmonik etwa des Tormotivs chromatisch gebrochen und versetzt; die Chromatik des zweiten Aktes aber – Klingsor-Thema! – aus der puren Leittönigkeit zur selbständigen Stufenbildung getrieben; oftmals sind, wie im Amfortas-Motiv, beide Elemente in der Zelle zusammengedrängt, und damit wird eine einheitliche Durchkonstruktion des Stils erzwungen, die selbst bei Wagner ohne Beispiel ist und das Grundschema der nachwagnerischen harmonischen Entwicklung, die Chromatisierung der Neben- oder, wenn man will, die Verselbständigung der chromatischen Stufen bündig vorzeichnet. Mit tiefer Sicherheit hat Brahms, der Meister der Nebenstufe, den Stil gerade des chromatischen Parsifal dem eigenen ähnlich gefunden – der Bogen, der zwischen Tristan und Meistersingern hier sich schlägt, überwölbt nicht bloß Wagners Werk, sondern ist der mächtige Rahmen für alle spätere Musik der deutschen Fragestellung bis zur Zwölftontechnik. Er wird bestehen, wenn aller Weihrauch verzogen, das letzte buddhistische Ornament des Parsifal verfallen sein wird: die ewige Ruine von Klingsors Zauberschloß.

 

MAI 1933

 

Es ist gemeinhin nicht üblich, an dieser Stelle von Operetten zu berichten. Mag jedoch in einem Augenblick, in dem Opern- und Konzertwesen in einer so eingreifenden Umorganisation sich finden, daß jedes ›kritische‹ Wort vorlaut wäre vor der Gewalt der Ereignisse und dem Primat der Politik, eine Ausnahme verstattet sein. Die Sphäre der Operette scheint bislang kaum von der Krise ergriffen. Und dennoch, wenn irgend etwas im Musikleben heute der Reform bedarf, dann der Operettenbetrieb an den Opernhäusern. Solange die Opern auf den Sukkurs der Operette materiell verwiesen waren, mochte man sich, von Widerspruch zu Widerspruch, damit abfinden. Heute, da die Rundfunkorganisation offenbar der bedrohten Oper ernsthaft zu Hilfe kommen will, ist der letzte Grund zur Verteidigung entfallen. Und was es da gibt, ist nicht zu verteidigen. Anlaß: »Die Herzogin von Chikago« von Kálmán, die man in Frankfurt herausbrachte. Man weiß, daß der frühere Kálmán in seiner kunstgewerblichen Weise manches Hübsche und Einfallsreiche zustande brachte. Heute ist selbst davon nichts mehr übrig; es herrscht eine Komponierschablone, die das Plagiat an der eigenen Vergangenheit zum System erhebt; kein Rest eines Einfalls mehr läßt sich finden; dazu kommt ein Text, der, gleichermaßen auf mondäne Internationale und nationale Vergangenheit spekulierend, einen läppischen Krieg zwischen ungarischer Zigeunermusik und Jazz inszeniert, in dem es natürlich weder Sieger noch Besiegte geben darf; das Ganze gewürzt durch einen Serenissimus-Humor, der vor dem Ernst dessen, was heute in Deutschland geschieht, anders als zynisch nicht genannt werden kann. Das Machwerk kam – am Tag vor der Wahl – in einer sehr mäßigen Aufführung heraus, wurde aber immerhin applaudiert. Es wäre vielleicht doch wichtiger, Produkte dieser Art auszumerzen, als von den Programmen Mahlersymphonien abzusetzen.

 

NOVEMBER 1933

 

Die Frankfurter Oper hat ihre neue Spielzeit mit einer Neueinstudierung des »Don Juan« unter der musikalischen Direktion von Karl Maria Zwißler, der szenischen von Oscar Wälterlin in guter Haltung eröffnet. Sichtlich zielte die Absicht der Leiter dahin, den kunstgewerblichen Aufwand der noch von Krauss und Wallerstein stammenden Don Juan-Aufführung zu reduzieren und ein unverstelltes Bild des Werkes selbst zu geben. Der äußere Zwang zur Sparsamkeit mag zu solcher Absicht das Seine beigetragen haben. Aber es ist wohl zu denken, daß gerade dem Operntheater die materielle Sparsamkeit künstlerisch zum Guten ausschlage, indem sie die Reste eines Repräsentationsbetriebes beseitigt, der heute unter keinem Aspekt mehr zu rechtfertigen ist, und mit der Kargheit der Grundstoffe die Phantasie zu freierem, illusionslosem Produzieren antreibt; ja es wäre vorstellbar, daß die uralten Kostbarkeiten der Bühne, Kulissen und Requisiten, erst in Armut und selber arm ihre Zaubermacht wiedergewinnen, während ihr größter Reichtum vom schlechtesten Film beliebig zu überbieten ist. Etwas von dieser guten Kargheit hatte der jüngste Don Juan, und es bleibt nur zu wünschen, daß den Impulsen, die sie gibt, rücksichtslos nachgegangen werde. Stärkere Akzente, im Musikalischen und auch im Szenischen, werden sich dann folgerecht einstellen; einstweilen gab Zurückhaltung in allen Stücken, auch in den Tempi, den Ausschlag. Unverkennbar dabei der Wille, die Solistenoper in eine Ensembleoper zu verwandeln; ein Wille, dessen Aussichten um so besser sind, mit je größerer Autorität die Leiter ausgestattet sind. Er bekundete sich schon äußerlich darin, daß unter Rückgriff auf eine sinnvolle alte Übung die Namen von Kapellmeister und Regisseur nicht mehr neben Mozarts Namen, sondern unter dem Personenverzeichnis sich fanden; in der Vorstellung selber durch einen gewissen Ausgleich der Kräfte, der gewissermaßen mehr das Relief als die volle Figur des Einzelkünstlers hervortreten läßt. Aus der Besetzung der zweiten Aufführung, die ich sah, waren bemerkenswert die Donna Anna von Frau Gentner-Fischer und die Stimme des neuen Ottavio, Torsten Ralf. Der Erfolg bei dem sehr umgruppierten Publikum war beträchtlich. – Dem Zwang, ihrer Kasse durch Operettenaufführungen aufzuhelfen, scheint die Oper auch unter dem neuen Regime nicht ausweichen zu können. Sie hat aber, vielleicht um sich vom Schreckensregiment der »Herzogin von Chikago« zu erholen, zunächst ein älteres Stück aufgeboten: Zellers »Vogelhändler« als den letzten Erben Papagenos im Zeitalter der Salontiroler, in welchem er entstand. Der Versuch lohnte die Mühe. Sei es, daß man damals, ehe die Operetten genormt waren, wirklich selbst bei geringerem Vermögen als dem des Johann Strauß anständigere leichte Musik komponierte als heutzutage, sei es, daß die Operettenhelden von Anno dazumal unter ihrer Patina sich in allegorische Opernfiguren verwandeln, das Ganze schickte sich weit besser ins Operntheater als die gegenwärtige Operettenproduktion. Die Musik zeigt Einfälle und einen gewissen Gestaltenreichtum, und selbst das Textbuch, den Konflikt von Hofleben und Naturburschentum in Öldruckmanier abbildend, strengt sich erheblich mehr an als unsere Operetten-Monopolherren es nötig zu haben glauben. Musikalisch wurde das von Herrn Seidelmann flott dargeboten, und die lebenden Bilder stellte der Regisseur Willy Schillings. Von den Solisten hatten die Naturkinder leichtes Spiel. Es wurde von Karl Pistorius mit dem obligaten Charme, Gertrud Riedinger mit auffallend gutem Gesang durchgeführt, und John Gläsers Tenor war nicht zu überhören. Herzlicher Beifall.

 

Von musikalischen Veranstaltungen notiere ich: eine Max von Schillings-Gedächtnisfeier unter Rosbaud, mit Stücken aus »Ingwelde« und »Pfeifertag«, Liedern und einer bemerkenswert ernsten und schlichten, allen Überschwang meidenden Gedächtnisrede des neuen Theaterintendanten Hans Meissner. Weiter eine – wohl schon vor Jahren geschriebene – Klaviersonate von Rudolf Racky, fürs virtuose Bedürfnis komponiert und wirksam gespielt. Neue Musik im spezifischen Sinne trat bislang zurück. Für einen epischmusikalischen Funkversuch hatte Wolfgang Jacobi sechs Stücke aus dem »Augsburger Tafelkonfekt« bearbeitet; im neoklassizistischen Geschmack, mit beigesetzten, meist leitereigenen Dissonanzen; etwa nach dem Muster des Strawinskyschen Pergolesi-Arrangements, doch in stumpferen Farben und doch wohl auch nicht mit jener Präzision, die unerläßlich ist, wenn solche Modernisierungen mehr bieten sollen als unterhaltendes Kunstgewerbe. – Von erheblicher organisatorischer Wichtigkeit ist die Bildung der deutschen »Sendergruppe West«, die den Südfunk (Stuttgart), den Südwestfunk (Frankfurt) und den Westfunk (Köln) zusammenfassen soll. Es wird von nun an planmäßige Zusammenarbeit der drei Sender im Sinne einer gewissen Arbeitsteilung durchgeführt. Musikalisch soll diese Arbeitsteilung, nach den Ausführungen des Reichssendeleiters Eugen Hadamovsky, die großen symphonischen und musikdramatischen Aufgaben vor allem dem Kölner, die intimeren dem Stuttgarter Sender zuweisen; dem Frankfurter bleibt ein gewisses Zwischengebiet mit Spieloper, Singspiel, Operette überlassen. Die einheitliche Kräftedisposition ist gewiß zu begrüßen. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Einschränkung der Tätigkeit des Frankfurter Senders, die mit der Neuorganisation fraglos sich ergibt, nicht dem Frankfurter Musikleben die Kräfte entzieht, die ihm bislang vom Rundfunk als der einzigen wirtschaftlich voll leistungsfähigen Musikinstitution zukamen. Denn solange die Krise andauert, kann das lokale Musikleben dieser Hilfskräfte nicht entraten, ohne in die ernstliche Gefahr der Provinzialisierung zu gelangen. Diese Erwägungen, die gewiß nicht kirchturmpolitisch gemeint sind, aber einem fraglos stets noch wertvollen deutschen Kulturbestand gelten, werden wohl auch bei der Neuorganisation des westlichen Rundfunks nicht vergessen worden sein.

 

DEZEMBER 1933

 

Die Frankfurter Bühne hat als eine der ersten nach der Dresdner Uraufführung Hofmannsthals und Straussens »Arabella« herausgebracht und damit fraglos eine der merkwürdigsten Opern der letzten Jahre dargeboten. Sie drängt den Kritiker in eine Haltung der Befangenheit, aus der er mühsam bloß und vorsichtig sich zu lösen vermag. Denn es ist die Welt unserer Eltern, die hier sich darstellt und an der aller Widerspruch unserer Affekte mit Haß, Liebe, Angst und selbst schreckhafter Erinnerung haftet. Diese Welt gewährt nicht bloß den Stoff der »lyrischen Komödie« einer verarmten, absinkenden, mühsam endlich mit der entfremdeten Natur versöhnten Offiziersfamilie der sechziger Jahre, sondern ebenso die künstlerische Formgesinnung, die jenes Schicksal und jene Versöhnung festzuhalten trachtet; wie denn bislang jeglicher Auseinandersetzung mit dem neunzehnten Jahrhundert die Zweideutigkeit aufgeprägt bleibt, daß die beschwörende Stimme selber aus der beschworenen Zeit zu tönen scheint. Das freilich muß kein Einwand sein: wird doch die Deutung des rätselhaften Jahrhunderts um so tiefer führen, je vollkommener sie aus seinen eigenen Sachgehalten entspringt; je deutlicher in ihr seine Gegenstände selber ihr Echo hergeben. Damit ist man ins Herz der Fragen gedrungen, die »Arabella« dem Hörer bereitet. Ist es bloß ein Stück später, überspäter Romantik der nachwagnerischen und neuromantischen Epoche, das sich, als letzte ungenutzte Exotik, nach Orient, Antike, Barock und Märchenwelt die jüngste Vergangenheit herholt und die Gaslaternen scheinen läßt wie zuvor den Mond über der Terrasse des Herodes – oder ist es selber bereits ein Stück Deutung und Erwachen, das aus der portierenbehangenen, gußeisernen Welt in eine klarere, menschlichere und andere führt, wie der symbolische Trunk reinen Wassers am Schluß es beanspruchen möchte? Solange man sich im Umkreis dieser Alternative bewegt, die unausweichlich scheint, wird man dem Werk nicht gerecht. Vielmehr: die Genauigkeit, mit welcher der romantische Folklorismus des Wieners Hofmannsthal sein eigenes, vergangenes Wien reden läßt; die fahle Müdigkeit, mit welcher das Gedächtnis ans neunzehnte Jahrhundert die Musik des nun bald siebzigjährigen Strauss einhüllt: dies wehrlose, distanzlose Verfallen der beiden an jene Epoche ist es gerade, was sie darüber hinaus geleitet. Es herrscht in »Arabella« eine bleiche Transparenz: wie durch die Mattscheibe jener magischen Laternen klingt es, durch welche man vor achtzig Jahren die Welt im Guckkasten einfing und welche den Ursprung der Photographie bereiteten. Diese stumpfe Transparenz, dieser Ton, man möchte sagen: von verschossenen Tapeten und altem Plüsch ist bei Strauss ohne Beispiel und muß genial heißen; die seltsamste Beziehung zum Strawinsky der »Fee« ergibt sich da. Nirgends schlagender als zu Beginn des ganzen Werkes. Strauss ist heute wie nur je der Meister der ersten zweihundert Takte. Die Szene der Kartenschlägerin ist in ihrer Art einzig; in all ihrem leisen Grau so mythologisch wie nur die Mägdeszene der Elektra und Narraboths bunter Dialog. Die Ähnlichkeiten mit dem »Rosenkavalier«, an welche die meisten sich hielten, scheinen mir demgegenüber oberflächlich und dort, wo sie bestehen, nicht glücklich. Das Volkstümliche, die Walzer, die ganze Partie der Fiakermilli halten zwar den photographischen Charakter treu fest – begeben sich dafür aber eben der Unmittelbarkeit und Frische, die doch einmal fraglos hier erstrebt war. Dazu kommt, daß Hofmannsthals Neigung zur Burleske und sinnfälligen Verwicklung, die schon im dritten Akt des Rosenkavaliers nicht recht trägt, hier ganz versagt; trotz des wahrhaft unheimlichen Liedes der Fiakermilli von der Astronomie. Es kann darum nicht wundernehmen, daß auch die musikalische Substanz des Werkes im ersten Akt sich konzentriert und später dünner wird – eine Substanz freilich, die noch lange ihre Rätsel aufgeben mag. Die dramaturgische Schwäche des letzten Aktes ist trotz jener Symbolgeste nicht zu meistern und am wenigsten mit einer melodisierenden Oberstimmenlyrik, deren populäre Absichten sich selbst bestrafen, indem sie theoretisch-motivisch nirgendwo zur vollen Plastik gedeihen. Das Publikum wollte denn auch diesen Absichten nicht so folgen, wie manche es erwarteten; unter der Hülle des angeblichen zweiten Rosenkavalier schien es trotz aller Avancen die schreckhaften Figuren vergilbter Photoalben und Familiensouvenirs zu gewahren und hielt sich zurück, um erst beim Dank an die Mitwirkenden wärmer zu werden. Diesen kam der Dank durchaus zu. Herr Bertil Wetzelsberger dirigierte ungemein zart, sensibel und durchsichtig; wer den Direktionsstil des späten Strauss kennt, würde vielleicht mancherorts dem Stück mehr Tempo wünschen, wobei es ja nichts von der Geisterblässe der Spielsalons zu verlieren brauchte. Frau Kment, die neue Hochdramatische, sang ausgezeichnet und spielte sicher, ohne gerade als Erscheinung das Phantasiebild der Arabella ganz zu realisieren. Fräulein Hainmüller erfüllte als Zdenka zum ersten Male gänzlich die Erwartungen, die man von Anbeginn in die hochbegabte Sängerin setzte; sie hat nach jeder Richtung sehr gewonnen. Frau Gentner-Fischer gab die Mutter überlegen. – Weniger ergiebig sind die Männerrollen. Für Mandryka, den Repräsentanten der guten Natur, setzte Herr Stern in bester Form sich ein; die schwach profilierte Tenorpartie des Matteo wurde von Herrn Ralf betreut. Die folkloristische Fiakermilli wandelte sich durch Fräulein Ebers ins Elegante. Nicht gänzlich befriedigen konnten die Regie, deren noble Zurückhaltung mitunter zur Starrheit und Leere führte, wo einzig der Schein bewegtesten Lebens frommen könnte, und die geschmackvollen Bilder von Sievert, denen ihr eigener Geschmack im Wege war; sie genierten sich vor jenen Greueln des neunzehnten Jahrhunderts, die doch die wahren Ornamente zu diesem Traum abgeben, und waren gleichsam zu modern im Angesicht eines Werkes, dessen Moderne historischer ist als alle Historie.

 

JANUAR 1934

 

Die Frankfurter Museumsgesellschaft, das repräsentative Konzertinstitut, feierte ihr hundertfünfundzwanzigjähriges Jubiläum. Zum Festkonzert war Richard Strauss, gewissermaßen als Schutzherr des Vereins, geladen und brachte mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit und Souveränität Beethovens Fünfte; zum Schluß den Zarathustra, der vor Jahren (ebenso wie das Heldenleben, das man lieber gehört hätte) im Museum uraufgeführt wurde. Dazwischen gab es Lieder von ihm. In dem hübschen Festprogramm mußte die Gesellschaft – noch nie dagewesener Fall – um Unterstützung durchs Publikum werben. Nur wer ihre alte Exklusivität kennt, weiß, was das bedeutet und welche Umstellung hier sich vollzieht. Es ist dringend zu hoffen, daß das Museum erhalten werde. Seine Tradition ist für die Stadt nicht zu ersetzen; das muß auch dann und gerade dann gesagt sein, wenn man mit der traditionalistischen Programmpolitik nicht einig geht. – Im zweiten Montagskonzert spielte Gieseking geradezu unübertrefflich Brahmsens B-Dur-Konzert. Der zweite Satz rechnet zu den unvergeßlichsten Interpretationsleistungen. Im dritten war das Hauptstück Bruckners Sechste. Leider werden seit der Zusammenfassung mit Stuttgart und Köln die Konzerte nicht mehr vollständig durch Rundfunk übertragen – auch dies ein bedauerlicher Ausfall im Frankfurter Musikleben. – Die Schrumpfung der Solistenkonzerte und wohl des Konzertlebens überhaupt hält an. Der Vergleich mit Berlin legt indessen den Gedanken nahe, daß es sich dabei um eine lokale Erscheinung handle. Frankfurt ist als spezifische Handelsstadt wirtschaftlich besonders in Mitleidenschaft gezogen und die politisch-gesellschaftliche Umschaltung wird im Ausfall großer Publikumsteile besonders fühlbar. Die leitenden Männer des Musiklebens und der Administration finden sich vor großen und schwierigen, aber auch lockenden Aufgaben. An ihrer Initiative und vor allem: Leistung ist das Wesentliche gelegen.

 

Eine Neueinstudierung der »Lustigen Witwe« Lehárs gibt zu allerlei trübseligen Erwägungen Anlaß. Gewiß ist die etwa dreißigjährige Dame keine Fledermaus und keine Helena. Dennoch aber: will man von künstlerischem Verfall reden, so ist nirgends mehr Anlaß als bei der quantitativ so überaus erheblichen Gattung der Operette. Das zeigt sich besonders erschreckend, wo die Entwicklung eines einzelnen Autors die Kurve des Verfalls beschreibt. Die Lustige Witwe steht auf der Grenze: eine der letzten Operetten, die noch irgend etwas mit Kunst zu tun hat und eine der ersten, die sie unbedenklich verleugnet. Sie lebt noch nicht von Sequenzen, sondern von melodischen und auch rhythmischen Profilen – ein eingeschobenes Jazzstück von heute wirkte armselig darin –, sie hat eine gewisse individuelle Haltung und im leise angedeuteten südslawischen Ton sogar Geschmack; sie hat einen dramatischen Augenblick, wenn der enteilende Danilo das Maxim-Lied zitiert: dies Maximlied, ein sonderbares Denkmal aus der Liebeswelt des Frou-Frou, das treuer die Züge seiner Epoche bewahrt als irgend einer der gegenwärtigen Schlager. Auch die Romanze der Glawari, so sentimental sie ist, läßt sich hören und vor allem: nicht verwechseln; es ist noch nicht am laufenden Band gemacht, sondern von einem Menschen; mögen auch die menschlichen Gehalte, die er ausdrückt, nicht der erlesensten Art sein: nämlich herabgesunkene Motive des Jugendstils; von dessen Pathos geistert manches in dem sonderbaren Text, der einmal – Rätsel des Vergangenseins! – Sensation machte. Andererseits, der tragende Walzer ist schon ordinär, sogar im Piano, weitab vom Hofball-Ton des großen Strauß; der alte Gesandte bereitet schon das idiotische Cliché des idiotischen Diplomaten vor, und es gibt schon jene unselige schmunzelnde Zweideutigkeit, die ein namenloses Unheil anrichtete, indem sie weithin jede freimütige erotische Fragestellung diskreditierte. Die Aufführung: im Sommer sah ich eine im Kurtheater von Binz auf Rügen, ohne richtiges Orchester hinimprovisiert, und muß gestehen, sie gefiel mir besser; anspruchslos, flüchtig und mit der Patina einer Liebhaberbühne, die der veralteten Moderne der Lustigen Witwe so wohl ansteht. In Frankfurt rächt sich das seriöse Opernhaus dafür, daß man ihm Operetten zumutet; der umfängliche Apparat hängt sich wie Blei an das leichte Stück, läßt es nicht ausschwingen und leiht ihm Prätentionen, die es nicht erfüllen kann. Dabei wurde hübsch musiziert und gespielt. Zu nennen sind in erster Linie Fräulein Justus und Herr Pistorius; während die Titelheldin zwar gut und gepflegt sang, aber mehr Witwe denn lustig schien. Behagliche Erinnerung beim Publikum.

 
Gesammelte Werke
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