Für Ernst Bloch
Der Autor des »Geistes der Utopie« und des »Thomas Münzer« hat als Emigrant in Boston seine Stelle als Tellerwäscher verloren. Er kam bei dem vorgeschriebenen Tempo nicht mit; der Theolog der Revolution konnte sich nicht anpassen, und das wird von denen, die die Arbeitsplätze zu vergeben haben, so wenig verziehen wie von den Intellektuellen, die verlangen, daß man die Welt nachkonstruiert, während jener von der Gestalt der unkonstruierbaren Frage schrieb. Jetzt kommt er nicht mehr zum Schreiben. Seine Beziehung zum Papier ist endlich realitätsgerecht geworden. Er bündelt es, acht Stunden am Tag in einem dunklen Loch stehend. Dem Konzentrationslager ist er entronnen, auf daß man ihm die Mucken draußen austreibe.
Wenn er ein Logiker wäre, der Formalismus nach Formalismus aus sich herausspinnt, wie einmal Variétékünstler unendliche Papierschlangen sich aus dem Munde zogen, mit ornamentaler Meisterschaft. Oder wenigstens ein Historiker der Philosophie, mit Spezialkenntnissen über die Renaissance, der nachwiese, daß der neuzeitliche Geist mit Petrus Pomponatius anfängt – warum nicht mit diesem? –, es würde sich sogleich ein Verlag finden, der ihn mit der längst fälligen kritischen Pomponatiusausgabe betraute, und ein College, das ihn zum Professor ernennte. Aber er hat die schlimmste Sünde begangen, die ein Denker heutzutage begehen kann: Denken. Was er an Logik weiß und an Geschichte, gewiß nicht weniger als die anderen, hat er nicht geschont, angehortet, als Besitz auf den Markt getragen, sondern hat es als Rohstoff in den eigenen Gedanken eingeschmolzen, fortgeschenkt wie ein Gast Anekdoten von seinem langen Weg. So ist es unverwertbar geworden. Die Philosophie, welche die Welt des Tausches von Grund auf denunziert, läßt sich nicht tauschen. Die Welt hat gesorgt.
Noch eine Sünde hat er begangen: er kann schreiben. Der Banausie, von der sie in Deutschland die Bestätigung gelehrter Solidität und Zuverlässigkeit abhängig machten, hat er sich entzogen. Mit der Dialektik, die die Entfremdung von Subjekt und Objekt zu überwinden lehrt, hat er es so ernst genommen, daß er den sachlichen, gelassenen Ton des Akademikers verschmähte, der die kalte Beziehungslosigkeit zum Objekt verewigt. Er ist der Philosoph des Expressionismus gewesen: ihm trägt das Wort Erkenntnis und Ausdruck in eins. Drüben schon war das nicht gern gesehen. Dort galt es als Grille: nun kassiert die Ameise ihren Triumph ein. Der die eigene Sprache leidenschaftlich sprach, kann die fremde nicht parlieren. Keiner versteht ihn mehr.
Wollte er sich an die Künstler halten, es erginge ihm nicht besser. Die sind schon nicht weniger Fachleute als jene unversöhnlichen, denen er einmal nachsagte, sie hätten ihr Amt und ihr Brot. Zu gründlich ist die Arbeitsteilung, um dem Philosophen Raum zu gewähren. Einen bestseller, fiction oder non-fiction, wird er so wenig zustande bringen wie eine allgemeine Lehre von den Bedeutungen überhaupt. Zwar eine Biographie hat er einmal verfaßt. Aber ihr Held ist auf der Folter gestorben. Das macht den Biographen verdächtig.
Schuld an allem trägt der Gehalt seiner Philosophie selber. Für diesen gilt, was Schopenhauer in der Vorrede von seinem Buch erklärte: »Was durch dasselbe mitgeteilt werden soll, ist ein einziger Gedanke. Dennoch konnte ich, aller Bemühungen ungeachtet, keinen kürzeren Weg ihn mitzuteilen finden, als dieses ganze Buch.« Blochs Gedanke ist das messianische Ende der Geschichte: die Bahn der Menschheit ist die unbedingte buchstäbliche Abschaffung von gesellschaftlich-natürlichem Leid, der Durchbruch aus der Verfallenheit an Schicksal, Mythos, Herrschaft, das Erlöschen der Natur im verwirklichten Glück, Raum schaffend für die »Reichszeit«, die endlich ins Irdische einbrechende Transzendenz, die Vergottung der Welt. »Alles könnte vergehen, aber das Haus der Menschheit muß vollständig erhalten bleiben und erleuchtet stehen, damit dereinst, wenn draußen der Untergang rast, Gott darin wohnen und uns helfen kann.« Die Durchführung des Gedankens aber straft alle systematische Form Lügen, weil das System selber ihr als Lüge zergeht. Der Zusammenhang ist, nach Schopenhauers Wort, kein »architektonischer«. »Ein einziger Gedanke muß, so umfassend er auch sein mag, die vollkommenste Einheit bewahren. Läßt er dennoch, zum Behuf seiner Mitteilung, sich in Teile zerlegen: so muß doch wieder der Zusammenhang dieser Teile ein organischer, d.h. ein solcher sein, wo jeder Teil ebenso sehr das Ganze erhält, als er vom Ganzen gehalten wird, keiner der erste und keiner der letzte ist.« Schopenhauer hat trotzdem sich zum Widerspruch zwischen Form und Stoff bekannt und sein Werk systematisch vorgetragen. So ist er schließlich doch rezipiert worden. Bloch hat gegen den Widerspruch sich aufgelehnt und dafür den Schein der Konsistenz zerstört, wo die Wahrheit im Nennen des Widerspruchs liegt. Während er den geschichtsphilosophischen Zug der Utopie materialistisch, im scheinlosen Kampf um die unterste Notdurft des Lebens verfolgte, hat er die »Spuren« der Utopie, das wie immer ohnmächtige und fragmentarische Hineinscheinen der endlichen Erlösung in den kleinsten Zügen jener Wirklichkeit gesucht, deren großer ihm die Verwirklichung der Utopie, das Ende des Scheines verspricht. So hat er sich in Gegensatz zu allen wohlgelittenen geistigen Gewohnheiten gebracht. Den Positivisten ist er eine Torheit und den Idealisten ein Ärgernis.
Wer ihn aber darum für einen schlaraffischen Phantasten nähme, hätte von dieser Utopie nichts verstanden. Sie hat sich nicht umsonst an Hegel gemessen: die traumlose Gewalt des bloßen Daseins selber und seiner Bedürftigkeit und nicht die abstrakte ausgesonnene Idee ist ihr die Macht, den Traum zu verwirklichen. In Blochs philosophischem Falkenblick waren von je äußerste metaphysische Ferne und härteste politische Nähe einander verschworen. Er hat, als erster deutscher Schriftsteller, in dem denkwürdigen Aufsatz »Hitlers Gewalt«, in den frühen zwanziger Jahren, das faschistische Unheil designiert, während die Realpolitiker den Unhold noch für einen Narren nahmen, über dessen Grammatik man sich belustigen kann. Seitdem hat Bloch mit rücksichtsloser Tapferkeit, jahrelang in größter persönlicher Gefahr, gegen das Dritte Reich die Wahrheit gesagt. Die Nazis, die wohl wußten, mit wem sie es zu tun haben, setzten ihn auf ihre erste Proskriptionsliste.
Die Emigration ist ihm den Dank schuldig geblieben. Wie einem Sündenbock hat sie all ihr Elend einem aufgeladen, der mit wenigen anderen jenes Deutschland repräsentiert, dem in der Tat Hitlers tödlichster Haß gilt. Ein paar Freunde, ein paar wissenschaftliche Stellen haben sich zusammengetan, um Bloch zu helfen. Sollte es ihnen selbst gelingen, bleibt die Unterstützung, die sie garantieren können, ein Hohn auf das, was dem Philosophen geschuldet wird. Wenn es der breiteren Solidarität nicht gelingt, Bloch aus einer Armut herauszuziehen, welche die schändet, die satt zu essen haben, so wird der Zweifel wach, ob es der Emigration mit dem Geist gegen Hitler überhaupt ernst sei; ob man nicht Deutschland verließ, um draußen ungestört weitermachen zu können; ob Hitler nicht den furchtbarsten Sieg davongetragen hat im Bewußtsein derer, die er vertrieb: die nun so gründlich sich fügen wie sie es drinnen gern gemocht hätten, und nichts gegen den Unhold einzusetzen haben, als daß sie ihr Leben fortschleppten von ihm, als es schon so stumpf und kalt geworden war wie das der parteiamtlich Zugelassenen.