Eduard Steuermann: Klaviertrio

Die Umfrage der Neuen Zeitung* bietet mir willkommenen Anlaß, auf den Komponisten Eduard Steuermann hinzuweisen. Die Uraufführung seines Klaviertrios während der Kranichsteiner Festwochen für Neue Musik war die stärkste künstlerische Erfahrung, die ich in diesem Jahr gemacht habe. Es handelt sich um ein reifes, durchaus meisterliches Werk; ein Zwölftonstück strenger Observanz zwar, aber unendlich weit entfernt von den mechanischen und vielfach ahnungslosen Anwendungen jener Technik, denen man heute auf Schritt und Tritt begegnet. Bis auf die letzte Note ist das Trio artikuliert, geformt, sinnvoll und von einem ganz spezifischen dunklen Ausdruckscharakter, überaus persönlich und zugleich mit höchster Objektivität Gestalt geworden. Der Name Steuermanns ist als der des authentischen Pianisten der Schönberg-Schule berühmt. Als Komponist hat er sich, trotz eines reichen und vielfältigen oeuvres, der Öffentlichkeit gegenüber aufs äußerste zurückgehalten und begegnet nun jener Art von Unverständnis, der allemal der ausgesetzt ist, der nach den Spielregeln der Arbeitsteilung abgestempelt ward. Soweit ich übersehen kann, hat in der Öffentlichkeit kaum einer sich die Mühe genommen, sich mit seinem Stück, das an Niveau alles andere auf dem Fest Gebotenen weit überragt, ernsthaft abzugeben. Um so größer scheint mir die Verpflichtung, mit allem Nachdruck zu sagen, daß Steuermann nicht ein komponierender Klavierspieler und Gefolgsmann, sondern einer der ganz wenigen heute lebenden Komponisten ist, bei denen es ums Verantwortlichste und Ernsteste geht, und die der eigenen Verantwortung wirklich gewachsen sich zeigen. Das hat auch ein Zyklus von vier außerordentlichen Liedern, die ebenfalls in Kranichstein uraufgeführt wurden, gezeigt.

Hinzufügen möchte ich, daß ein Satz aus einer Klaviersonate von Pierre Boulez, die Yvonne Loriod bewundernswert interpretierte, die spontane kompositorische Kraft dieses Autors unter Beweis stellte. Sie bleibt auch im Versuch zur totalen Rationalisierung des musikalischen Materials spürbar.

1954

Fußnoten

* Vgl. Die Neue Zeitung, 25. 12. 1954, S. 18: »Meine stärksten Eindrücke«.