Anweisungen zum Hören neuer Musik

 

Daß die Rezeption neuer Musik in der Breite der Gesellschaft bis heute nicht gelang, ist unbestritten. Wohl haben sich die Daten dessen, was aufgenommen wird, langsam verschoben. Werke, die vor vierzig Jahren noch schockierten, wie das fis-moll-Quartett oder die Erste Kammersymphonie von Schönberg, wohl auch das Sacre du printemps oder die Histoire du soldat von Strawinsky, werden ohne Widerspruch aufgeführt. Vielfältige Wiederholung, vor allem auch der Rundfunk haben in gewissem Maß an die Klangfassade gewöhnt und, was einmal abseitig und exzentrisch gescholten ward, als Zeugnis einer etablierten Richtung zumal denen gegenüber ausgewiesen, die sich davon, daß eine Sache hartnäckig und in beträchtlichen Quanten existiert, auch dann imponieren lassen, wenn jene selber ihnen antipathisch ist. Daß aber die neue Musik, sogar einigermaßen eingebürgerte Stücke und selbst manche fortgeschrittenere, die eigentlich noch diesseits der Schwelle liegen, wie die Straussische Elektra, wahrhaft sich erschlossen hätte, davon kann keine Rede sein. Quantitative Gewöhnung hat den qualitativen Bruch nicht ausgefüllt. Auch wenn vom Publikum mit Achtung oder Ergebung einem offenbar Unvermeidlichen gelauscht wird, geschieht es bestenfalls unterm Aspekt bloßer orientierender Kenntnisnahme. Von kaum einem als dem Fachmann werden Gebilde der freien Atonalität, der Zwölftontechnik oder der an diese sich anschließenden seriellen Schulen so durchgehört, so ihrem Geäder und der Logik ihres Fortgangs nach spontan wahrgenommen wie die traditionelle Musik vom alten Kreis der Musikalischen. Meist bleibt es beim charakterisierenden Überblick von oben her, dem Zuordnen zu Stilrichtungen. Selten glückt jenes In der Musik Sein, sie Mitvollziehen, jenes nachgiebig-intensive Folgen, das einmal ein kultiviertes Konzertpublikum definieren sollte und wohl in erheblichem Umfang tatsächlich definierte.

Unausweichlich die triviale Feststellung, die Gründe dafür seien objektiv und subjektiv: aufzusuchen teils in der Musik selbst, teils in ihren Hörern. Zu den objektiven zählt die Preisgabe stabiler Bezugssysteme, welche den Ort der Einzelphänomene in gewissem Maß a priori garantierten; der freilich nicht durchgängig konstatierbare Verlust sinnlich angenehmen, dem Hörer schmeichelnden und ihn zur Sache verführenden Klanges; schließlich die Komplexität mindestens eines großen Teils der modernen Produktion, zumal der recht eigentlich neu entdeckten Kontrapunktik, die verlangt, daß mehrere genuin selbständige Stimmen gleichzeitig in ihrem Unterschied und in ihrer Bezogenheit aufeinander vernommen werden. Die subjektiven Schwierigkeiten sind nicht geringer. Manche sind verursacht von gesellschaftlichen Tatbeständen wie der Krisis jener Bildung, welche die Voraussetzung fürs Begreifen von Kunst nachdrücklichen Anspruchs insgesamt ausmacht. Hinzu kommen anthropologische Veränderungen: das Erlahmen des Konzentrationsvermögens, dessen die neue Musik nun einmal bedarf; der Triumph der Konsumentengewohnheit, alles danach einzuschätzen, was man mit geringster Anstrengung einzuheimsen glaubt. Schließlich spielen spezifisch musikgeschichtliche Momente herein. Die musikalische Schulung hinkt hinter der aktuellen kompositorischen Praxis weiter wohl her als jemals; zuweilen sabotiert sie diese geradezu. Nicht wenige stellen ihr vermeintliches Verständnis für das, was sie mit einem scheußlichen Cliché klassische Musik nennen, durch den automatischen Gestus der Abwehr der Moderne unter Beweis: dann wissen sie sich vorweg geborgen und bestätigt. All das verschränkt sich: indem die komplexe Schreibweise aufmerksameres Hören als die traditionelle erheischt, setzt sie genau jene Kräfte im Empfangenden voraus, die unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen zu verkümmern drohen. Neue Musik, gleich welcher der divergierenden Schulen, gewährt nicht jenes passive Wohlgefühl, welches das Mißverständnis von traditioneller Musik sich erhofft; vielmehr sträuben sich ihr die Haare gegen veranstaltete Euphorie. Die Forderung eines aktiven Verhaltens des Rezipierenden anstelle eines passiv kulinarischen begegnet sich mit einem ihrer wesentlichen Desiderate. Nur daß solche Aktivität nicht im emsigen Mitmachen, in dumpf fiedelnder Betriebsamkeit besteht. Vielmehr ist es eine schweigende, imaginative, schließlich hörende Aktivität, Leistung dessen, was Kierkegaard das spekulative Ohr nannte.

Zur Bestimmung des prekären Verhältnisses zur neuen Musik genügt indessen keineswegs der Rekurs auf die gesellschaftliche Entfremdung zwischen avancierter, unnachgiebiger Produktion und den Massen. Der Besuch irgendeiner überfüllten Ausstellung zeitgenössischer Malerei genügt, um eine Differenz kraß zu demonstrieren. Sie erklärt vermutlich der primitive Sachverhalt, den Wilhelm Buschs hausbackener Witz festnagelt: »Musik wird störend oft empfunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden.« Das Auge kann man schließen, von einem Bild kann man sich abwenden, wenn es einem zuviel zumutet, und wieder zu ihm zurückkehren. Das offene Organ des Ohrs aber ist dem Reiz schutzlos ausgeliefert. Zeitkunst gestattet kaum strafloses sich Abkehren wie räumliche. Der Hörer von Musik bleibt in ihren Fortgang eingespannt, wofern sie nicht so simpel ist, daß er das Versäumte mechanisch sich ergänzte, und je höher organisiert, je integrierter die Musik, je strenger sie all ihre Momente aufeinander bezieht, um so mehr integriert sie auch den Hörer, um so weniger läßt sie ihn aus – drohender Schatten ihrer Größe und Herrlichkeit. Dies Moment des Zwangshaften an ihr begleitet ihren irrationalen Aspekt; dieser verstrickt sie erst recht in rationale Naturbeherrschung. Zwang wird auch von der traditionellen Musik ausgeübt und zeitigt Widerstand. Wer eine latente Ambivalenz gegenüber jeder durchgeformten, den Hörer gewalttätig bannenden Musik argwöhnt – stolze Ignoranten schelten sie »Opus-Musik« –, braucht kein großer Psychologe zu sein. Der Unterton von Protest im Verhalten der Jazzfans ist vielleicht Ausdruck jener Ambivalenz, obwohl was sie zelebrieren, gewiß nicht freier ist als die große Musik, welche die Freiheit meinte; auch die Teenager-Kultur ist ja nicht freier als die bürgerliche.

Während aber solche Ambivalenz dem kulturell approbierten Musikvorrat gegenüber, wenigstens in Deutschland, von Respekt gedämpft wird – in Amerika ist das schon ganz anders –, macht sie sich der neuen Musik gegenüber Luft. Das geschieht heute nur selten in Wut und lautem Protest. Wo dergleichen noch sich äußert, kühlt man sein Mütchen meist an pointiert avantgardistischen Veranstaltungen. Das hat dann kulturpolitischen: oft kryptofaschistischen Charakter. Das zeitgemäße Verhalten jedoch ist das absichtsvoll gleichgültige Achselzucken, die eingefrorene Redewendung: »Das verstehe ich nicht.« Sie ist fataler als die offene Feindseligkeit, weil sie einer jeden Beziehung zum Gegenstand, sei's auch der negativen, ausweicht. Man pocht pharisäisch auf die eigene Redlichkeit, wirft sich in die Brust, weil man kein Snob sei, spielt sich auf, als rebelliere man gegen das vorgebliche Meinungsdiktat der Moderne, während man in Wahrheit gedeckt ist vom Gewicht jenes bösen Einverständnisses, das in gesellschaftlichem Zusammenhang Franz Böhm die nichtöffentliche Meinung nannte. Man gebärdet sich sachlich und distanziert, beinahe, als nähme man die Schuld am Unverständnis auf sich, aber der Ton ist falsch; es klingt durch, was man selbst samt allen vernünftigen Leuten nicht verstehe, was also nicht als ein Für anderes sich bewähre, sei eben darum auch an sich wertlos. Es wird abgeschoben an die zuständigen, aber der Intellektualität verdächtigen Fachleute, und als deren Spezialität neutralisiert, damit jedoch sein eigener Sinn beschädigt. Denn es gibt kein Kunstwerk, nicht das esoterischeste, das nicht, wäre es auch gerade durch Kündigung der Kommunikation, objektiv, von sich aus zu Lebendigen zu sprechen begehrte. Das rechtfertigt, trotz einer von den kulturellen Institutionen nur mühsam übertönten Apathie, den Versuch, aufs Verständnis neuer Musik hinzuarbeiten. Stützen mag man sich dabei auf ein Potential, das noch jenem »Das verstehe ich nicht« innewohnt; das vage Bewußtsein, eigentlich müsse man es begreifen, eigentlich habe man in geistigen Dingen vor der Sache zu bestehen, nicht diese vor einem selber. Wer einmal sagt: »Das verstehe ich nicht« und ein wenig auf das reflektiert, was er dabei sagt, dem sollte es schwer fallen, sich zu entziehen, wenn er beim Wort genommen wird und man ihm dort hilft, wo er nur allzu gern hinter der eigenen Unzulänglichkeit trotzig sich verschanzt.

Abgesehen sei von der quantitativ sehr erheblichen Produktion, die, bei einzelnen auffälligen Neuerungen, prinzipielle Schwierigkeiten nicht bereitet, also von der sogenannten gemäßigten Moderne. Zu helfen ist, wo der Hörer im Ernst der Hilfe bedarf, bei Modellen des Konsequenten und Kompromißlosen. Freilich lassen sie nicht beliebig sich übertragen. Denn die neue Musik hat mit der abstrakten Regel die abstrakte Regelmäßigkeit geopfert. Jeder ihrer Fälle ist virtuell einmalig. Kein Passepartout-Schlüssel existiert, vor dem alles sich auftut. Wohl aber ist in einer Reihe von Problembereichen, und nicht ohne alle Systematik, Sinn dort zu enthüllen, wo Unsinn vermutet wird; die Einstellung, die man dabei erwerben mag, reicht doch vielleicht über die kargen Modelle hinaus.

Anzuknüpfen ist, so gut wie möglich, an das, was man als typisches Hörerbewußtsein beobachtet hat, um es zur adäquateren Auffassung der Sache zu bewegen. Ganz gewiß steht es nicht bei der Erklärung, wahrscheinlich auch bloß bis zu einem gewissen Teil bei dem guten Willen derer, an die sie sich richtet, wie weit sie dann der Erfahrung zugeeignet wird. Bei jenen, die wirklich nicht verstehen, aber wirklich verstehen wollen, bedarf es wohl der Konvergenz verschiedener Annäherungen, damit das volle Verständnis gerate. Man sollte es sich übrigens nicht als kontinuierliche, allmähliche Gewöhnung vorstellen – die kann eher bis zur Unempfindlichkeit abstumpfen – sondern so, daß den Hörern die Binde von den Augen, besser: die Watte aus den Ohren fällt. Jede genuine künstlerische Erfahrung hat ein Moment des Plötzlichen, des Überwältigtwerdens. Schafft die Erklärung es weg, so hätte sie am Ende leicht die Sache selber wegerklärt.

Das Einfachste ist ein Negatives: falsche Erwartungen wegräumen. Unter den subjektiven Bedingungen des Unverständnisses rangiert obenan, daß die eingeschliffene Hörgewohnheit, das feste tonale System, das fast vierhundert Jahre in seinen Grundzügen unerschüttert dauerte und als Unterstrom der Volksmusik noch viel weiter zurückreicht, etwas wie conditioned reflexes, gebahnte Reflexe zeitigte. Zunächst will die neue Musik, die von jenem Tonsystem endgültig sich abwandte, daß man, durch bewußte Kontrolle, der reflexhaften Reaktionsform sich entschlage. Das ist leichter gesagt als getan, eben darum, weil jene Reaktionsform durch die Generationen hindurch als zweite Natur in die Menschen sich eingesenkt hat. Sie determiniert das musikalische Verhalten weithin unabhängig von ihrem Bewußtsein und ihrer Absicht. Die Entwicklung der Musik selbst ist mit größter Folgerichtigkeit über jene Reaktionsweise hinausgeschritten, ohne daß die Rezeption dem Stand der Produktion sich angepaßt hätte; Schulfall dessen, daß auch in der Kunst das subjektive Bewußtsein hinter dem objektiven Stand der Produktivkräfte zurückbleibt. Zu erläutern ist das am allerprimitivsten Gegenstand. Wer die beiden ersten Takte des Kinderlieds ›Hänschen klein‹ vernimmt, der erwartet die beiden nächsten oder wenigstens zwei ihnen entsprechende:

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 1, S. 193.

Harmonisch und rhythmisch sind die beiden ersten Takte so beschaffen, daß sie gleichsam der Ergänzung durch die beiden folgenden bedürfen. Diese lösen automatisch ein Versprochenes ein, verlangen keine weitere Anspannung. Damit ist es in der neuen Musik vorbei. Sie scheint das Erwartete zu versagen und fordert statt dessen die Anstrengung des Ohrs. Während der Anfangstakte des ersten Klavierstücks aus Schönbergs op. 19, oder unmittelbar danach, ist es unmöglich, die folgenden zu antizipieren.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 2, S. 193.

Es liegt zwar eine Pause zwischen den beiden ersten Motiven. Sie sagt, daß danach eine neue Phrase beginnt. Der Beginn der neuen ist die Verkleinerung des Endes der ersten. Aber darauf kann der Hörende nicht sich verlassen. Um die Verkleinerung und ihr Verhältnis zum Vorhergehenden zu erfassen, muß er dem sich Anschließenden ganz sich hingeben, darf nicht einfach Analogieschlüsse zu dem ziehen, was er schon vernahm. Das verbietet alle neue Musik. Von ihr darf man nicht verlangen, daß sie einigermaßen so weitergehe, wie man es sich nach überkommenem Schema vorgestellt hat, sondern soll statt dessen suchen, dem gerecht zu werden, was konkret sich abspielt, ohne es an einer Erwartung zu messen, der die Idee solcher Musik nicht entspricht und die sie als ihr Maß nicht anerkennt. Wird entgegnet, die traditionelle Musik hätte ja auch, von Mozart bis Richard Strauss, Unerwartetes, Überraschungseffekte, etwa Trugfortschreitungen und Trugschlüsse, gekannt, so trifft das gewiß zu. Man mag darin recht wohl eine der zahllosen Antizipationen der neuen Musik erblicken, von denen die alte durchwachsen ist. Aber ein entscheidender Unterschied ist darüber nicht zu vergessen. Jenes alte Unerwartete wurde zu einem solchen gerade in seinem Verhältnis zu dem Erwarteten, zu dem, was dem Hörer als Fortsetzung selbstverständlich dünkt: das Erwartete wird unter dem Unerwarteten stillschweigend mitgehört, es kommt, als eine Art Pointe, anders. Dies Verhältnis von Überraschung und Bekanntem ist in der neuen Musik, wenigstens in ihren konsequenten Repräsentanten, getilgt. Sie erweckt überhaupt keine eindeutige Erwartung mehr; das Unvorhergesehene wird nicht länger von einer solchen getragen, sondern die Logik der Ereignisse spricht rein für sich.

Das gilt nicht nur für Melodik und Metrik, sondern erst recht für die Harmonik. In ihr ist eine Quantität, die der Dissonanzen, in eine neue Qualität umgeschlagen. Auch Dissonanzen existierten immer, beim späten Wagner und beim mittleren Strauss scheinen sie zuweilen die Konsonanzen zu überwiegen oder zu verdrängen. Aber sie wurden fast stets aufgelöst; ihre Spannung entspannte sich sogleich oder wenigstens bald, und oftmals waren die komplexen Harmonien selber Deckbilder von vertrauten. Als solches wird sogar der berühmte wilde Wiedererkennungsakkord der Elektra Lügen gestraft. Erst drängt in seinen vielschichtigen Klang die Fülle der widerstreitenden Emotionen sich zusammen. Statisch festgehalten, scheint er in sich selbst zu leben.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 3, S. 195.

Dann aber weicht er mit breit ausgepinseltem Diminuendo, in ganz allmählicher harmonischer Milderung, dem süßesten As-Dur.

Während nun, durch die Freigabe aller erdenklichen dissonierenden und vieltönigen Klänge, in der nachstraussischen Musik der Spannungscharakter weit über solche Ballungen anwuchs, wird zugleich die Lösung in die Konsonanz, als konventionell-clichéhaft, vermieden; soweit neue Musik Spannungsausgleich anstrebt, leisten ihn weiter gespannte Relationen, oder gar das Ganze der Form, nicht die einzelnen harmonischen Stufenfolgen, obwohl selbstverständlich in einer guten Komposition auch der Grad der Einzelspannungen variiert, nicht alles eintönig gleich gespannt bleibt. Denkt man sich den Leitklang aus der vierten Szene des III. Aktes von Bergs Wozzeck:

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 4, S. 195.

unmittelbar etwa nach F-Dur aufgelöst, so empfindet, wer überhaupt für solche Dinge ein Organ besitzt, gerade die Auflösung als falsch; als mal à propos wie eine taktlose Bemerkung, eine Banalität, die in etwas Differenziertes hineinplatzt1. Negativ demonstriert das, warum prinzipiell den Dissonanzen nicht länger, wie üblich, die Konsonanz folgt. Auf die Dauer wurde

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 5, S. 196-197.

dadurch der Begriff der Dissonanz selber hinfällig: sie verlor das Gegenbild, an dem allein sie als Dissonanz sich bestimmte. Hat sich das Ohr derlei Erfahrungen eingeprägt, dann wird es sich von der Erwartung der harmonischen Auflösung freimachen und lieber versuchen zu hören, wie zwei aufeinander folgende vieltönige Harmonien sich aufeinander beziehen, welches Gewicht sie relativ zueinander und im Ganzen haben; das ist besser, als sich gleichsam an eine Hoffnung zu klammern, die enttäuscht wird. Notwendig enttäuscht. Denn sie liegt außerhalb der Möglichkeiten des verwandten Materials, das ja, um etwas wie konsequentes Komponieren zu ermöglichen, in sich selbst einheitlich, ohne Fremdkörper beschaffen sein muß.

Die Frage nach der falschen Erwartung betrifft nun aber nicht nur Details des musikalischen Gewebes, der Harmonik oder irgendwelcher anderer Mittel, sondern auch das, was musikalisch Form im engeren Sinn heißt, den Verlauf des Ganzen. Zumindest seit dem Wiener Klassizismus ist man wenigstens in der Instrumentalmusik auf eine Balance geeicht, die dadurch hergestellt wird, daß – wie bereits in der einfachen Liedform – der Anfangsteil nach den Komplikationen der Durchführung wiederkehrt, die sogenannte Reprise; oft bringen einzelne Sätze mehrere Reprisen, wie die Wiederholung des Expositionsteils nach dem Doppelstrich und dann die nach der Durchführung, oder im Rondo die Refrains des thematischen Hauptgedankens. Nun ist es schwer, irgendeine Musik sich vorzustellen, die gewisser allgemeinster, gleichsam abstrakt-logisch vorgezeichneter Möglichkeiten wie der Verschiedenheit oder der Ähnlichkeit des Erscheinenden entbehrt. Auch die neue Musik radikaler Observanz kennt etwas wie Wiederholungen, ganz zu schweigen von der gemäßigten, die vielfach an deren Übermaß krankt. Aber diese Wiederholungen haben von den herkömmlichen weit sich entfernt. Die neue Musik kann sich in ihrer Struktur nicht länger indifferent gegen den Zeitverlauf, gegen die Entwicklung in jedem einzelnen Stück verhalten. Sie greift eine Frage auf, die in der traditionellen Musik sich stellte2. Beethovens Form war bereits in eminentem Maß dynamisch, nicht bloß durch die Rolle der Stärkegrade, sondern durch die Bestimmung des Ganzen als eines jeweils Werdenden. Exposition und Durchführung ordnen bei ihm nicht quasiräumlich irgendwelche Komplexe nebeneinander an, sondern eines geht aus dem anderen hervor. In einigen der größten Sätze, wie dem ersten der Appassionata, der Eroica oder der Neunten Symphonie wird der Beginn der Reprise schlechthin zum Resultat der in der Durchführung vorausgehenden Entwicklung. Hinter der Spannung, der inneren Historizität solcher Sätze, und dem Augenblick des Wiederbeginns jedoch bleibt dann die Reprise selbst unvermeidlich zurück; während sie in sich die Spannung der Exposition wiederholt, ist ihr Verhältnis zu dieser insgesamt statisch; sie zeigt in sich kaum die Spuren der Entwicklung, auf die sie folgt, nicht einmal als deren Sänftigung. Bei Beethoven, der niemals das Prinzip der Reprise antastete, war das Verfahren eben noch legitimiert durch die Organisation des Modulationsplans. Die verstärkte Wiederherstellung der Grundtonart im Verlauf der Reprise genügte nicht bloß dem etablierten Bedürfnis nach architektonischer Symmetrie, sondern gewährte auch, die harmonische Ausgangsebene bestätigend, etwas wie dynamische Einlösung. Immerhin fühlte schon Beethoven die Schwierigkeit eines umfangreichen statischen Komplexes in der dynamischen Form. Um jener Schwierigkeit willen hat er in den genannten Sätzen an die Reprise eine fast zur zweiten Durchführung erweiterte Coda angefügt. Sie behauptet am Ende den Primat der Entwicklung über alles musikalisch bloß Seiende. Solche Auskünfte wissenden Takts sind der neuen Musik versperrt. Sie ist allergisch gegen die Reprise alten Stils, gegen handgreiflich offenbare Wiederholungen, außer wo sie, etwa in Tanztypen, durch solche Reprisen stilisierende Wirkungen sucht; und selbst diese sind eigentlich der Sache fremd. Man versäumt das Ganze, wenn man vergebens auf die Reprise wartet. Max Reger schon und dann Schönberg haben diese die kompositorische Fiber verändernde Qualität der neuen musikalischen Struktur, die totale Asymmetrie, der Prosa verglichen. Sie haben in jenem technischen Tatbestand einen des musikalischen Geistes erkannt: daß die Musik ihres kultischen, ritualen Wesens, wie es Kategorien vom Typus des Verses, der Strophe und des Reimes ihr zubrachten, sich entschlug. Der Prosacharakter der neuen Musik ist notwendiges Endprodukt der musikalischen Säkularisierung. Sie wäre zu apperzipieren, wie man Prosa liest und nicht Gedichte: indem man sich dem Verlauf überantwortet, ohne auf sinnfällige Symmetrien zu lauern. Ein Beispiel wäre etwa eine frühe Reihenkomposition Schönbergs, das zweite Klavierstück aus dem bei Hansen in Kopenhagen publizierten op. 23. Es ist kurz genug, um sich rasch und leicht überblicken zu lassen, und doch unverkennbar Prosa. Vergebens die Suche nach einer sei's auch variierten Wiederkehr des heftigen Anfangs im Verlauf. Das Stück ist nur von seiner ganz veränderten Formidee her richtig wahrzunehmen: ein heftiger Ausbruch, in seinem Gegensatz zu atemlos innehaltenden Episoden, mildert sich allmählich und löst sich schließlich in Ruhe – ein Lösungsphänomen, wie einmal die Auflösung der Dissonanz oder die der Formspannung durch die Reprise eines war, jetzt aber durch den ganz freien, autonomen Verlauf des Stücks in sich selbst herbeigeführt. Die Form schmiegt sich unmittelbar der Kurve des Ausdrucks an. Solche einfachen, in der Formidee schlagenden Fälle reprisenloser Prosa sind allerdings selten. Meist ist die Anlage viel komplexer, weniger eindeutig als in jener meisterlichen Miniatur; zum Verständnis der komplexeren Gebilde jedoch bedarf es wohl zunächst der spontanen Einsicht in einfachere.

Im übrigen ist die Schwierigkeit bei der Wahrnehmung musikalischer Prosa damit noch nicht bewältigt, daß man schlicht von Augenblick zu Augenblick mithört. Über das, was hier die neue Musik zumutet, ist nicht hinwegzutäuschen. Indem auch sie nicht gänzlich ohne das Mittel der Ähnlichkeit, der Wiederholung, der Identität auskommt, beugt sie sich der Einsicht der Philosophie, daß keine Nichtidentität ohne Identität sei und diese nicht ohne jene. Aber das Wiederholte, das Identische ist in ihr, bei reiner Durchbildung, stets zugleich auch das Nichtidentische. Technisch-musikalisch gesagt: ihr zentrales Kunstmittel ist das der radikalen Variation, auch und gerade in den Wiederholungen. Das unabdingbar wiederkehrende Gleiche muß stets von dem Ursprünglichen sich unterscheiden, muß in sich selbst den Charakter des Resultats, der Folgerung aus dem tragen, was vorher geschah. Daher wird mehr gefordert als bloß, keine Wiederholungen zu erwarten, sondern umgekehrt auch, gleichsam der Wiederholung im Neuen innezuwerden, also das Nichtidentische als dennoch identisch zu erkennen. Auch das wäre an dem ersten Stück aus Schönbergs op. 23 zu belegen. Es beginnt mit einem relativ geschlossenen, melodisch ausgesponnenen dreistimmigen Satz. An ihn schließt sich ein kontrastierender Mittelteil an, der sich von der Lineatur des ersten durch Staccato-Akkorde unterscheidet, aus denen sich rasch eine Art von Klangspiel, von Dessin herstellt. Zu diesem Klangspiel tritt eine Melodie hinzu, in tiefer Lage erst, dann in der Mittellage sich fortsetzend. Sie wirkt zunächst wie ein Seitensatzthema; dem näheren Blick aber stellt sie sich, worauf schon vor bald vierzig Jahren Erwin Stein hinwies, als eine Umformung der Oberstimmenmelodie vom Anfang des ersten Teils, also als eine Variation heraus.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 6, S. 201.

Die Aufgabe richtigen Hörens in einem solchen Fall ist die des Zusammenhörens, der Erinnerung, der Gegenwart eines Nichtgegenwärtigen. Auch das gab es selbstverständlich in der traditionellen Musik. Aber die geforderte Leistung war unproblematisch. Einmal ordnete die stabile Architektur wiederholten Teilen vorweg ihre Stelle zu, so daß die Erwartung der Wiederkunft eines Gleichen auch nach großen Zeitabständen gestützt war. Dann aber blieb damals die eigentliche Variation im wesentlichen den entwickelnden, durchführenden Teilen vorbehalten, hielt jedoch in allen Reprisen und allem Reprisenähnlichen sich in den bescheidensten Grenzen: das Wiederkehrende fiel als solches drastisch auf. Heute erfordert dessen adäquate Auffassung viel größere Anstrengung sowohl im Festhalten des Ursprünglichen, das dann variiert wird, wie in der Schärfung des Hörvermögens für Ähnlichkeitsbeziehungen überhaupt.

Das ist nicht mißzuverstehen. Solche Beziehungen wie die Identität jener neuen Melodie mit der ersten in dem Schönbergstück müssen nicht klar im Urteil: dies ist dasselbe, bewußt werden. Wo weitgehend variiert ward, kann solches Bewußtsein erst durch Analyse hergestellt werden, wie sie von keinem unmittelbaren Wahrnehmen zu erwarten und wie sie zum Verständnis auch gar nicht notwendig ist. Die neue Musik ist nicht so unverschämt, jeden ihrer Zuhörer unvermittelt in einen Experten hochzuschrauben. Aber sie hofft auf die Bemühung, allmählich gewissermaßen mehrdimensionales Hören in der Zeit zu lernen. Daß man vorbehaltlos jedem musikalischen Augenblick sich überlassen sollte, ohne dabei auf vorgezeichnete Schemata zu vertrauen, bezeichnet nur die eine Seite des Problems, wie neue Musik zu hören sei. Die andere ist, dies spontane Hören dessen, was je von Augenblick zu Augenblick sich ereignet, durch ein das Vergangene und Zukünftige einbegreifendes zu ergänzen. Dabei geht es keineswegs um theoretische Reflexionen auf Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten, sondern darum, daß mehr oder minder unbewußt neben den Verschiedenheiten auch die Ähnlichkeiten erinnert werden. Das vermag man aber nur, nachdem man das Problem einer solchen Mehrdimensionalität des musikalischen Verlaufs, der Mitkonstitution des Gegenwärtigen durchs Vergangene, sich klar gemacht hat. Weiß man einmal von dieser Mehrdimensionalität in der Zeit und achtet man darauf, so wird sie einem nach und nach lebendig aufgehen. An jenem ersten Stück aus Schönbergs op. 23 ist allmählich zu bemerken, wie der kontrastierende Mittelteil beginnt, wie die Melodie hinzutritt, die eigentlich die alte des Beginns ist, wie also das Neue bloß ein Altes variiert. Man muß sich bemühen, nach rückwärts zu hören. Dann leuchtet auch ein, wie sacht, ohne schroffe Kontraste, das Akkordspiel des Mittelteils in den Anfang zurück sich verwandelt: so natürlich deshalb, weil es immer schon der Anfang war, der nun am Ende ganz sich enthüllt.

Für all das wäre der einheitliche Gesichtspunkt, daß der Hörer neuer Musik sich vom geronnenen Begriff, von der Vermittlung der musikalischen Ereignisse durch die allgemein vorgegebene Gattung, unter die jedes von ihnen fiele, nach besten Kräften befreit. Oft wird erzählt, und ohne viel Überlegung nachgeplappert, gegenüber der gefühlsgeladenen traditionellen Musik, zumal der aus dem neunzehnten Jahrhundert, sei die neue intellektuell; viele rechtfertigen eben damit ihre Aversion. Wahr ist in gewisser Hinsicht das Gegenteil. In traditioneller Musik ist jede Harmonie ein Repräsentant des verfügbaren Akkordvorrats, geprägte Münze; jede Form entspricht einem in bestimmten Grenzen fest ausgebildeten Typus. Gerade diese Vermittlung der musikalischen Ereignisse durch etwas, was sie nicht unmittelbar selber sind, sondern was sie ähnlich unter sich befaßt wie ein sprachlicher Begriff die Gegenstände, die er bezeichnet, erleichtert das übliche Hören. Die neue Musik erheischt demgegenüber ein höheres Maß an Unmittelbarkeit, ein Wegwerfen der Krücken aus dem Fundus. Unter den Gründen für ihre Formierung war nicht der letzte, daß jenes Moment einer den musikalischen Ereignissen äußerlichen Allgemeinheit in seinem Widerspruch zu diesen selber stärker stets erfahren wurde. Als heteronom, als nicht eigentlich aus der Sache stammend, ließ es sich nicht mehr ertragen, und zwar desto weniger, je spezifischer jede Einzelheit jeweils in sich selbst durchgebildet, je mehr der lebendigen Beziehung auf die Formtypen entäußert war. Insofern stünde es an, neue Musik naiver zu hören als traditionelle, nicht so sehr im Vertrauen auf den sicheren Besitz des Formelschatzes, sondern in reiner Hingabe an das Geschehende. Sie rechnet nur mit dem, was ohne standardisierte Vermittlungsinstanzen, von sich aus bewußt wird. Um neue Musik richtig zu verstehen, muß man die Kategorien der alten suspendieren können; nur dann wird man das Alte produktiv inmitten des Neuen wiederentdecken.

Dazu bedarf es aber prinzipiell eben der erhöhten Aufmerksamkeit, der Konzentration. Sie allein erlaubt es auszugleichen, was dem Hörer durch den Verlust des schematischen Rückhalts entzogen wird. Wenn durch die hochgetriebene Kunst der Variation neue Musik ein unendliches Maß an Kleinarbeit enthält, in jedem Augenblick weit mehr zusammendrängt als gewohnt war, und wenn in ihrem Zeitverlauf ebenfalls unvergleichlich viel mehr Schichten und Dimensionen in Relationen zueinander stehen als einst, so muß man sich gleichsam eines akustischen Vergrößerungsglases, um nicht zu sagen Mikroskops bedienen, um darüber nicht in Verwirrung zu geraten. Wer in neuer Musik sich treiben läßt wie in der gebahnten alten, ist verloren. Vielleicht hat damit die neue Musik auch etwas eingebüßt. Aber ihr, wie der Philosophie, ist selber kein anderer Weg offen als der kritische, die rücksichtslose Eliminierung illusionären Beiwerks, die Insistenz auf der Sache. So will sie auch wahrgenommen werden, wie denn die Idee voll adäquaten Hörens überhaupt eins wäre mit der Rekonstitution des Komponierten. Auf eigentliche, anspruchsvolle neue Musik sollte, wer es gut mit ihr meint, aufpassen wie ein Wachhund, damit nichts ihm entgeht, nichts, nach romantischer Übung, im vagen Hintergrund verdämmert. Dafür bieten, wie Erich Doflein hervorhob, die jugendlichen Jazzfans, als sportive Sachverständige, ein Beispiel, um das die neue Musik sie nur beneiden kann. Wenn seinerzeit Cocteau Hörer verspottete, deren Gestus er als ein den Kopf in der Hand Halten definierte, wie es die bloße Versenkung des Empfangenden in sich selbst meint, so hat seine Polemik einem Aspekt der Apperzeption neuer Musik – bloß einem freilich – Beistand geleistet. Nur daß ihr gegenüber nicht die Haltung schnöder Desinteressiertheit, die des Rauchers in der Music Hall, geziemte, sondern eher, um im Bereich von Cocteaus Metaphorik zu bleiben, eine mit nach vorn gestrecktem Kopf, eine, die nichts versäumen will, hell, auf dem Sprung gleichsam und bereit, mit aller Energie ins Vernommene sich zu verbeißen. Eine solche Haltung hat weder etwas mit der des entrückt träumenden Bürgers noch des teilnahmslos Abgebrühten gemein. Sie wäre sicherlich nicht edel im Stil des traditionellen interesselosen Wohlgefallens, der kontemplativen Distanz. Aber neue Musik so wenig wie alle andere avancierte Kunst setzt ein bei sich geborgenes Publikum mehr voraus. Die Distanz zieht sie ein, rückt den Hörern auf den Leib, und dem können jene nicht anders antworten, als indem sie ihrerseits der Musik auf den Leib rücken.

Die Aufgabe der Konzentration läßt sich an mehr als einer musikalischen Schicht demonstrieren. Zunächst an der sogenannten Vertikale, dem gleichzeitig Erklingenden. Viel ist schon gewonnen, wenn man vieltönige Klänge nicht einfach als chaotische Kleckse registriert, sondern sie präzis auffaßt, das heißt, die in ihnen enthaltenen Intervalle und Töne unterscheiden lernt. Eine solche Unterscheidung, ein solches Auseinanderhören des Simultanen gestattet dann auch, daß man realisiert, wohin der Klang selbst, nämlich wohin ein jeder in ihm enthaltene Ton will. Denn die Töne, aus denen jene Klänge sich komponieren, sind virtuell allesamt schon selbständige Stimmen. Dergleichen Akkorde sind, nach Erwin Steins Formulierung, polyphon in sich. Daher vermochte Berg drei einander ergänzende Harmonien und nichts anderes als Thema der zweiten Szene des Wozzeck zu behandeln; was in ihr musikalisch sich zuträgt, basiert auf ihnen:

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 7, S. 204.

Der Zusammenhang neuer Musik im kleinsten wird vielfach durch die Tendenz der im einzelnen Akkord erklingenden Töne, ihren Drang zu einem bestimmten anderen Ton, hergestellt. Dieser Drang resultiert oft aus der Linie, auf welcher der betreffende Einzelton gleichsam als Punkt angetragen ist. Vermöge ihrer Dissoziation im simultanen Klang bilden dessen Einzeltöne bereits eine Art von Spannung, die weiter drängt. Sie muß man nachfühlen; unmittelbar, von Klang zu Klang, voraushören, mitkommen. Das aber hängt von der Genauigkeit der Anschauung des Simultanen, eben jener Spannung als eines Verhältnisses von Gesamtklang und Einzeltönen ab; je besser man den einzelnen Klang durchartikuliert, desto besser begreift man den nächsten, die Fortschreitung, den Entwicklungszug. Das wichtigste Hilfs-mittel dazu, wahrscheinlich die unabdingbare Voraussetzung, ist, daß man vieltönige Akkorde korrekt sich vorzustellen vermag, ohne daß sie leibhaft erklingen; daß man ihre innere Zusammensetzung imaginativ sich zueignet. Selbstverständlich bedarf es dazu systematischer Übung. Ohne Übertreibung darf gesagt werden, daß das Verstehen neuer Musik überhaupt weitgehend eins ist mit der gelungenen Imagination: was man sich beim Lesen ganz genau, wie es erklingen würde, vorstellen kann, auch während es nicht erklingt, das hat man meist musikalisch kapiert, und die Schulung solcher Fähigkeit ist wohl die beste Propädeutik des Gehörs für die neuen Aufgaben. Nicht zufällig sind die hervorragendsten Interpreten neuer Musik, wie Scherchen und Kolisch, solche mit aufs höchste gesteigertem inneren Gehör. Sicherlich ist keine derartige Virtuosität der musikalischen Vorstellung heute allgemein zu erwarten. Aber jeder im Ernst Musikalische wird, wenn er nur beharrlich genug sich übt, weit mehr und Schwierigeres sich vorstellen lernen, als er zunächst für möglich hält. Solche Künste sind weniger esoterisch, als es der Laienangst und dem Gesetz der tonalen Trägheit dünkt.

Der nächste Schritt der Konzentration betrifft den Kontrapunkt, das simultane Hören mehrerer voneinander unabhängig geführter, ganz oder relativ selbständiger Stimmen. Diese Aufgabe hat kulinarische Hörer aus der Generation unserer Väter an Bach abgestoßen; der Zwang, nicht an einer Melodie, meist der der Oberstimme, sich wohl sein zu lassen, sondern mehrere als eins zu hören und als Verschiedenes zugleich. Bei Bach milderte es immerhin die Schwierigkeit, daß die simultanen selbständigen Stimmen in den Generalbaß hineingepaßt waren. Man konnte Bach zur Not homophon umfälschen. Heute aber haben die Stimmen das umfangende Bezugssystem gesprengt. Der Kontrapunkt spricht hic Rhodus hic salta: was man nicht an Ort und Stelle auffaßt, ist verloren und verwirrt das gesamte Phänomen. Auch hier jedoch läßt sich einige Hilfe leisten, wenn auch bloß stufenweise. Die Notwendigkeit, deutlich, profiliert zu komponieren, bewirkt nämlich zumindest in der Instrumentalmusik – beim Chor liegen die Verhältnisse etwas anders – Abschattungen in der Wichtigkeit der gleichzeitig erklingenden Stimmen, wie sie schon die ältere polyphone Übung im Unterschied vom Cantus firmus, der gegebenen Hauptmelodie, und dem Kontrapunkt, der hinzuerfundenen neuen Stimme, kennt; dieser Unterschied reicht bis auf die Ursprünge der abendländischen Mehrstimmigkeit überhaupt, das Organum zurück. Um nun kontrapunktische Musik zu begreifen, ist die erste Regel, daß man die Relevanz der gleichzeitigen Stimmen unterscheiden lernt und sich aufs Wichtige, aufs thematische Hauptereignis konzentriert, dann die nächstwichtige Stimme hinzudenkt und -hört und schließlich auch die zurücktretenden, die dem traditionellen Begriff von Begleitung sich annähern. Gute Kompositionen kommen dem entgegen durch die melodische Plastik der Hauptgedanken, durch die verschiedene Vordringlichkeit der einzelnen Stimmen, durch die Setzweise und auch durch die instrumentalen Farben. Man muß sich demnach, vernünftige Aufführungen vorausgesetzt, bei kontrapunktischen Werken an die Präponderanz im Phänomen selbst halten, um zur polyphonen Differenzierung zu gelangen. Ein Beispiel von Schönberg mag das verdeutlichen [B Beispiel 8]. Mit dieser Periode beginnt der Mittelsatz aus op. 16, Nr. 2. Er wird beherrscht vom Anfangsmotiv der Bratsche.

Das Thema wird frei imitatorisch verarbeitet. Im dritten Takt, ehe es zu Ende ist, wird seine charakteristische Kurve vom hohen Solofagott gespielt. Einen Takt später mischen sich mit einer weiteren rhythmischen Variation die erste Flöte und das Solocello ein [ B Beispiel 9]. Da das Thema sogleich sehr plastisch erfunden ward, ist sein Kern gut festzuhalten und zu verfolgen, wie es, stets abgewandelt, in einer neuen Stimme erklingt, ehe es in der vorhergehenden endet; das knüpft die ganze Partie zu einem dichten Gewebe. Das variierte Hauptmotiv wird von einer Gegenstimme kontrapunktiert, die ebenfalls im freien Umriß beibehalten wird. Zuerst kommt sie in der zweiten Klarinette und im Solocello [B Beispiel 10]. Wem es gelingt, den ganzen Komplex als ein zartes Gewebe anzuschauen, die charakteristischen Themeneinsätze darin auseinanderzuhalten, auch die neue Gegenstimme nicht zu vergessen, dem sollte die polyphone Partie kaum mehr Rätsel aufgeben.

Man wird sich in den Kontrapunkt in neuer Musik am besten einleben, wofern man sich am sogenannten roten Faden, der in der Schönbergschule durch die Bezeichnung Bild bereits optisch kenntlichen Hauptstimme, orientiert und bei wiederholtem Hören, das zumal bei solchen Stücken vonnöten ist, allmählich das andere hinzuzuhören lernt. Aber der rote Faden, die melodische Hauptstimme – lange die entscheidende Kategorie fürs Auffassen neuer Musik – ist keineswegs selbstverständlich. Zunächst muß man sich, um ihm zu folgen, von der herkömmlichen Idee einer undurchbrochenen Melodie, gar vom Vorrang der Oberstimme freimachen. Das im Wiener Klassizismus, vor allem im Streichquartett entwickelte Prinzip der thematischen Arbeit, welche das motivische Hauptmaterial unablässig von einer Stimme in die andere springen läßt, und dann das Wagnerische der instrumentatorischen Melodiespaltung, der Behandlung selbst einzelner melodischer Linien derart, daß sie ihrer inneren Struktur nach an verschiedene Instrumente oder Instrumentengruppen aufgeteilt werden – all das hat den Begriff des roten Fadens selbst kompliziert. Er wandert, mag zuweilen sich verstecken, und das Ohr, das ihn nicht verlieren will, muß mitspringen, wie es denn überhaupt zu den Forderungen konzentrierten Hörens rechnet, daß man sich beweglich macht; neue Musik verlangt eine sinnlich-geistige Raschheit des Reagierens, wie sie der älteren unbekannt war. Nicht nur wird man auf eine gegebene Linie achten müssen, sondern auch einbeziehen, daß sie an ganz anderer Stelle des Gewebes sich fortsetzt, mit anderen Hauptereignissen sich überkreuzt, oder daß unerwartet in einer anderen Schicht des musikalischen Körpers etwas Neues anhebt. Zudem müssen, etwa in neuer Klaviermusik, die Hauptereignisse, der rote Faden, gar nicht immer Melodien sein, sondern es können auch Klänge, Akkordverbindungen, Griffe derart fungieren; das Ohr muß also bereit sein, jeweils das als Hauptsache wahrzunehmen, was als solche sich präsentiert, wie jenes lediglich aus Akkorden zusammengesetzte Thema aus Bergs Wozzeck, ohne sich etwa zur Fehlinterpretation verleiten zu lassen, die Akkorde bereiteten, wie ehedem, ein Thema von melodischem Typus erst vor.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 11, S. 210.

Schließlich aber erheischt die Wahrnehmung des melodischen roten Fadens, daß man die Bestandteile, aus denen eine Linie sich bildet, selbst mit dem Ohr melodisch zusammenfaßt; daß man, was Melodie ist, überhaupt als Melodie versteht. Das könnte, bei dem Vorrang der Linien in neuer Musik, einfach erscheinen, wäre nicht ein enger Begriff von Melodie mit achttaktiger Periodisierung, regulären Halb- und Ganzschlüssen und der Vorherrschaft schrittweiser Intervalle so tief eingewurzelt, daß, was diesem dogmatischen und überholten Begriff nicht sich fügt, nicht nur als unmelodisch abgelehnt, sondern buchstäblich nicht als ein in sich Zusammenhängendes gefühlt wird.

Der neuen Musik gegenüber verstärkt sich der seit dem Tristan übliche, nachgerade ehrwürdige Vorwurf, sie habe keine Melodie. Teilweise bezieht er sich auf die durchbrochene Arbeit, will sagen, das Hinüberwechseln des roten Fadens von einer Stimme in die andere; teilweise auf die Sprödigkeit der neuen Melodien gegen das bequem Sangliche, auf das Vorwalten großer Intervalle; teilweise auch auf die Zerlegung der Melodien in kleine, anscheinend disparate Motivbestandteile. Aber man wird dem Vorwurf dort am genauesten zu erwidern vermögen, wo er gerade gegen Stellen erhoben wird, an denen die neue Musik besonders große melodische Bögen spannt. Sie sind, bei ihrer komplexen Struktur, nicht eben häufig, aber schließlich liegt es im Sinn der Spezifikation und Konkretion alles wahrhaft neu Komponierten, Spezialfall zu sein. Auch die Melodien im engeren Sinn jedoch, welche die neue Musik kennt, lange, weite Bögen in einer einzigen, begleiteten Stimme, werden gern als unmelodisch abgefertigt. Der Grund ist paradox; sie sind für das festgefahrene Normalbewußtsein übermelodisch, entfalten sich zu sehr aus dem eigenen Antrieb, hören zu wenig für den Hörer, sind zu wenig nach dem zurechtgestutzt, was unterm Namen Melodie eingebürgert ist. Fruchtbar mag es sein, dahin zu geleiten, daß eine solche Melodie zur Melodie werde: die ersten neun Takte der Einleitung des Orchesterlieds ›Seraphita‹ aus Schönbergs op. 22, dem letzten Werk vor der Einführung der Reihentechnik. Diese neun Takte werden von einer einzigen Melodie bestritten, welche sechs Klarinetten unisono vortragen – ein höchst ungebräuchliches Instrumentationsverfahren, mit dem Schönberg auf die sogenannte vorklassische Praxis der chorischen Bläserbehandlung rekurriert. Sie soll wohl der Melodie das Medium einer etwas orgelhaft starren, überhomogenen Farbe verschaffen. Begleitet wird die Melodie, ebenfalls in homogener Farbe, von den sechsfach geteilten Celli. Vielen wird zunächst diese Musik, trotz der ungestörten Hauptlinie, trotz der einfachen und sinnfälligen Instrumentation, chinesisch vorkommen. Um ihrer sich zu versichern, sollten jene ihre Elemente und das Ganze mehrfach hören. Daß es bei neuer Musik oft solchen wiederholten Hörens bedarf, hat nicht die philiströse Ursache, daß man sich langsam daran gewöhne. Vielmehr lernt man erst, nachdem man einen ungefähren Überblick über das Ganze hat, das Einzelne plastisch zu unterscheiden, ähnlich wie dicht gewobene literarische oder theoretische Texte mehrmals gelesen werden wollen.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 12, S. 212-213.

Von zwei Momenten dürfte herrühren, daß die Melodie nicht sogleich als solche einleuchtet: davon, daß sie in zahlreiche verschieden lange, aber meist kurze, durch Pausen geschiedene Phasen zerfällt, und von dem Vorwiegen übergebundener Noten, Einsätzen auf mehr oder minder schlechten Taktteilen, die über den guten hinweg verschleift werden, so daß die guten Taktteile verschleiert sind, und der Unvorbereitete nicht unmittelbar weiß, an welcher Stelle des Takts er sich befindet. Auch unter diesem Aspekt ist die neue Musik unschematisch. Sie folgt in Rhythmik und Akzentuierung lediglich den spezifischen Impulsen, ohne ihre Gliederung von den Taktstrichen sich vorschreiben zu lassen, ja ohne diese auch nur latent noch zu respektieren: sie sollen lediglich das Notenbild übersichtlicher machen, nicht aber Strukturen abbilden. Wie jedoch über die Taktstriche hinweg komponiert ist, so soll man auch über sie weg, unabhängig von ihren symmetrischen Ordnungen, hören.

Zunächst wäre in dieser Melodie, primitiv gesprochen, etwas Ordnung herzustellen. Sie gliedert sich in zwei große Teile. Der erste schließt mit dem fünften Takt.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 13, S. 213.

Das letzte Motiv dieses Teils, die beiden Töne es und a der Klarinetten, ist das kürzeste der bisher auftretenden, mit deutlich endendem Charakter. Das Halbschlußartige, Abklingende wird durch die Begleitung sinnfällig. Zu diesen beiden letzten Klarinettennoten nämlich spielen die Celli am Steg, einem denaturierten, sozusagen unwirklichen Klang zuliebe, der das Verdämmern, Verhauchen des Vordersatzes in veränderte Farbe übersetzt: sie verschwindet gleichsam. Die Farbe ist demnach nicht Selbstzweck sondern Funktion der Formbildung. Insgesamt ist dieser Teil die erste Hälfte der langen Melodie, in zwei Untergruppen gegliedert.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 14, S. 213.

Die erste Untergruppe wiederum besteht aus einer etwas längeren melodischen Phrase in Achteln und ihrem Abklingen in einem dreitönigen Motiv. Die zweite Untergruppe dagegen ist dreiteilig: dadurch wird metrische Polymorphie erzielt. Zunächst greift die Linie abermals etwas weiter aus und erreicht den Höhepunkt der ganzen Melodie,

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 15, S. 215.

dann senkt sie sich,

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 16, S. 215.

schließlich diminuiert sie gänzlich.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 17, S. 215.

Der zweite große Teil der langen Melodie ist, nach dem fünftaktigen ersten, vier Takte lang; jene ist also insgesamt asymmetrisch gefügt. Dieser Teil hat unmißverständlichen Fortsetzungscharakter, führt weiter. Auch die Begleitung wird intensiviert, espressivo: ausdrucksvoll, auch stärker gespielt als der erste Hauptteil.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 18, S. 215.

Bei näherem Zusehen enthüllt sich diese Fortsetzung, wie häufig Fortsetzungen bei Schönberg, als freie Variante des Anfangs.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 19, S. 215.

Die Fortsetzung verdichtet sich dann in den Klarinetten, kadenzähnlich, zu kleinen Notenwerten, die vom Vorhergehenden dadurch abstechen, daß sie unbegleitet, eben wie eine Kadenz, vorgetragen werden.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 20, S. 216.

Mit einer kurzen begleiteten Phrase endet die Melodie. Die Schlußwirkung, als die der Ganzperiode, ist stärker als der Halbschluß in Takt 5. Das wird agogisch realisiert durch ein Ritardando.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 21, S. 216.

Abermals hilft die Farbe: das Schließende wird markiert durch die zwei Pizzicato-Akkorde der tiefen Celli, eine Art von Punkt. Der zweite Hauptteil oder Nachsatz wäre demnach, zum Unterschied vom zweigliedrigen Vordersatz, in drei Teilgestalten disponiert, in die freie Variante des Anfangs, die kadenzartige Auflösung und die Schlußphrase. Überaus reich also ist die Architektur: ein Vordersatz aus zwei ungleichen Untergruppen, die eine aus zwei, die andere aus drei Kurzmotiven bestehend, dann der in sich dreiteilige Nachsatz. Dieser Reichtum macht zunächst vielleicht die Melodie unübersichtlich: dann jedoch artikuliert, durchpulst er sie. Die Melodie beginnt zu atmen, sobald dieser Artikulation gemäß die Phrasen mitgehört werden. Noch die Irregularität, daß der Höhepunkt im ersten Nachsatz erscheint und nicht im intensiveren zweiten, hat ihren konstruktiven Grund. Die gesamte Melodie ist selbst nur Teil einer größeren Form, offen zu dieser hin, und der nächstanschließende Teil bringt mit dem Einsatz der Geigen einen neuen Höhepunkt, überbietet das Vorhergehende. Ginge der Höhepunkt der Klarinettenmelodie dem unmittelbar voraus, so wäre die Disposition mechanisch.

Für die Melodiebildung der neuen Musik sind nicht minder relevant als solche Phrasierungen große Intervalle, darunter scharf dissonierende wie die große Septime oder die kleine None. Sie haben gleiche Berechtigung mit den üblichen, mit Sekund, Terz, Quart und Quint erlangt. Das Verständnis der Phrasierung, der Linie als Melodie wird davon tangiert; sie stirbt ab, sobald die Synthesis an ihren Elementen, den Intervallen, scheitert. Man muß demzufolge Melodien, in denen große Intervalle entscheiden, sozusagen innerlich mitsingen, nicht als Sukzession disparater Töne stehenlassen, wie Interpreten mit gutem Gehör, aber geringer Musikalität verfahren mögen. Die Möglichkeit, Melodien aus großen Intervallen zu bauen, hat sich schon in der spättonalen Musik angebahnt. Ein berühmtes Beispiel bietet ein Jugendlied Schönbergs:

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 22, S. 217.

Hier kostet es wenig Mühe, die großen Intervalle innerlich mitzusingen, weil sie von herkömmlichen Harmonien getragen sind; gerade im Verhältnis zu diesen fällt die besondere Ausdruckskraft auf. Immerhin muß Schönberg damals die Stelle als so fremd empfunden haben, daß er sie unmittelbar wiederholt, um sie auf diese Weise einzuprägen; analog werden etwa bei Wagner an sich komplexe harmonische Ereignisse durch ihre dauernde sequenzierende Wiederholung vertraut. Auf solche einigermaßen primitive Hilfsmittel ist später ganz verzichtet. Zeugnis dessen sind zwei Stellen aus einer der ersten atonalen Kompositionen Schönbergs, den Georgeliedern op. 15:

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 23, S. 218.

Unmittelbarer noch die expressive Wärme dieser Tonfolgen: jetzt hat sie die tonalen Akkordhüllen verbrannt.

Das expressiv Erzeugte hat in der Musik stets die Tendenz, in Material der Konstruktion sich zu verwandeln. Auf absolutmusikalisch konstruierte Melodien mit großen Intervallen ist darum die Art des Hörens anzuwenden, die an den Liedstellen erworben wurde; so auf die folgende, ganz kurze Stelle aus Schönbergs Viertem Quartett:

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 24, S. 219.

Sie macht es leicht durch ihren schwungvollen, stürmisch-impetuosen Charakter, der über die Abgründe zwischen einzelnen Tönen hinwegträgt; aber nicht stets kann man sich auf solche Unterstützung verlassen. Nur wenn der reinen Hörkraft keine Löcher zwischen den großen Intervallen klaffen; wenn man von einem Ton zu dem wie sehr auch entfernt liegenden Fortsetzungston in einem Bogen hinübergelangt, ist man vor dem Eindruck des Sinnlosen geschützt, der solchen Stellen so gern attestiert wird. Besondere Aufgaben bereitet das natürlich auf dem Klavier, wo nicht so unmittelbare Verbindungen zwischen den weiten Intervallen hergestellt werden können wie bei den Streichern, sondern wo es einer Art Phantasieleistung bedarf, um den Zusammenhang zu stiften. Nebenbei gesagt, ist die notwendige Bedingung dafür, daß man solche Dinge richtig hört, daß sie richtig dargestellt werden, und darauf darf man nur äußerst selten hoffen.

Die weiten Intervalle sind ein relativ einfacher und relativ leicht zu bemeisternder Spezialfall eines Sachverhalts, den die neue Musik dem unvorbereiteten Bewußtsein entgegenkehrt und den es als Zerrissenheit erfährt. Abgesehen von großen Sprüngen und von der Absenz der glättenden Hilfsmittel durchs tonale Bezugssystem gibt es dafür spezifische Gründe. Obenan rangiert jener Zwang, auf Wesentliches zu reduzieren. Schematisches, Konventionelles, Triviales abzustoßen. Dem sind nicht nur die floskelhaften Elemente der Tonalität sondern auch viele rein kompositorische Vermittlungskategorien erlegen, die als umständlich und überflüssig beseitigt werden. Mit anderen Worten, die neue Musiksprache operiert mit weit schärferen Kontrasten als die übliche. Während in traditioneller Musik die kontrastierenden Momente noch einigermaßen durcheinander vermittelt waren, etwa Folgen von Dreiklangmotiven mit anschließenden Sekundschritten, welche nachträglich die Dreiklangsterzen ausfüllen, werden die Kontraste – und das freilich hängt mit der Gefühlslage der neuen Musik zusammen – in dieser zum Extrem gesteigert. Muß das spekulative Ohr gleichzeitige Ereignisse zusammen und auseinander hören in eins, so hat es eine analoge Aufgabe auch sukzessiv, im Nacheinander, im zeitlichen Verlauf der Musik zu bewältigen. Es muß bereit sein, in sich scharf gegensätzliche Motive, die unterirdisch zusammenhängen, aber kaum manifest als unmittelbar erklingende, dennoch aufeinander zu beziehen, aus ihnen etwas wie Themen zu bauen. Charakteristisch dafür ist der durch seine gewagte Instrumentation besonders diffizile Anfang der Orchesterstücke op. 16 von Schönberg.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 25, S. 221.

Redet man hier von einem Thema, wie man es doch wohl darf, dann besteht es, abgesehen von der Begleitstimme, aus einer sehr kurz gefaßten, prägnanten Hauptmelodie des Cellos, dann einer Art Auflösungsfeld, und endlich einem gewissermaßen schließenden, ganz nachsatzartigen Motiv. Folgt Generalpause und neues Anheben des Hauptrhythmus vom Beginn.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 26, S. 222.

Notwendig ist, abgesehen vom Durchhören der sogleich sehr polyphonen Setzweise, die Beziehung dieser Formteile im kleinsten mitzukomponieren, nach dem andrängenden Hauptmotiv der Celli die Figurationen als eine ergänzende Antwort, ein Nachgeben nach der Kraftanstrengung vom Hörer aus hinzuzufügen und dann den Absturz als vorläufige Auflösung zu spüren. Wiederum ist all das nicht reflektierend zu leisten, sondern unmittelbar am Verhältnis der Teilmomente selbst. Man gerät da in eine Zwangslage: hören heißt nicht analysieren, die vom Hören abgespaltene Analyse wäre musikfremd; aber ohne die Arbeit und Anstrengung der Analyse wird umgekehrt nicht richtig gehört. Die Reflexion, die den funktionellen Zusammenhang am Einzelnen benennt, hilft dennoch vielleicht, daß man das scheinbar Zerrissene, nämlich in sich schroff Kontrastierende und durch Pausen voneinander Getrennte, beim Mithören wieder spontan vereint. Die Unregelmäßigkeit der Periodisierung, die verschiedene Länge der Formteilchen, die hier wie in der Einleitung jenes Orchesterliedes aufeinander zu beziehen sind, erhöht für das tonal präparierte Ohr die Schwierigkeit, den Formsinn ihrer Relation zu identifizieren. Leicht meint man, ohne die Hilfe üblicher Symmetrien, die Musik bleibe inkonklusiv, breche bei den Zäsuren willkürlich, beliebig ab. Man muß in der neuen Musik die Endungen, schließlich auch die Schlüsse ganzer Sätze so feiern, wie sie fallen, rein aus der Triebkraft oder der Sättigung der Motive heraus, nicht nach dem Befehl jeweils vollständig sich erfüllender metrischer Schemata; diese sind ganz liquidiert.

Der Schluß des Dritten Quartetts von Schönberg klingt, isoliert, leicht, als höre das Rondo zufällig auf [B Beispiel 27]. Daß keine bekräftigende Kadenzwirkung der Form erzielt ist, erzeugt eine Art retrospektiver Ungewißheit: man weiß mit einem Mal nicht mehr, wohin das Ganze will, worein es mündet. Korrigiert wird das nur durch eine bestimmte Höreinstellung dem ganzen Satz gegenüber. Man muß seines spielerischen, gar nicht im Ernst Entwicklungen setzenden Tons innegeworden sein. Dann enträtselt sich auch der unschlüssige Schluß: als ein Auspendeln, ein kunstvolles non liquet. Unentschiedenheit wird zum Resultat. Ausdruckscharakter und Formverständnis verschränken sich; erst der hintergründige Humor erhellt das Formganze. Recht offenbar wird das erst, sobald der Schluß des Rondos in dem Formteil erscheint, in den er gehört, etwa von Takt 163 an.

Zerrissen klingen aber nicht nur Details, in denen Kontraste zusammenprallen, sondern zuweilen auch die Architektur im großen. Dann werfen sich dem Verständnis, nämlich dem überschauenden Zusammenhören, erhebliche Hindernisse auf. Das sei belegt an einem Stück aus verhältnismäßig früher Zeit, der eben noch tonalen Ersten Kammersymphonie von Schönberg. In ihrer Mitte steht eine große, außerordentlich polyphon geschürzte Durchführung, kulminierend in kanonischen Bildungen im vierfachen Kontrapunkt. Dieser komplizierteste Teil bricht plötzlich ab und schafft einer letzten Partie der Durchführung Raum, die ins Adagio mündet. Nachdem erst nochmals mit allen erdenklichen Hauptmotiven kaleidoskophaft kombinierend jongliert ward, gewinnen allmählich harmonische, aus der Ganztonskala entwickelte Komplexe die Oberhand. Die kritischen Perioden vor und nach dem Riß lauten:

 

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 28, S. 225.
 
Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 28, S. 226.
 
Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 28, S. 227.
 
Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 28, S. 228.
 
Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 28, S. 229.
 
Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 28, S. 230.
 
Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 28, S. 231.
 
Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 28, S. 232.
 

Man könnte fragen, warum zwischen die Abschnitte, die doch beide in ein großes Teilganzes, die Durchführung der ganzen Symphonie, fallen, die jähe, befremdende Generalpause gerückt ist, eine Zäsur, die eher den Aufbau verwirren als verdeutlichen könnte. Sicherlich soll kein Überraschungseffekt sich einstellen wie sonst wohl bei Generalpausen; denn die Fortsetzung, im gleichen Tempo weiterlaufend, weicht zunächst vom Vorhergehenden gar nicht so sehr ab. Vielmehr scheint die Wendung einzugestehen, daß nach der maßlosen Phantasieanspannung des Hauptteils der Durchführung die Impulse sich erschöpft haben. Die Musik verhält sich, als wisse sie nicht weiter; als vermöchte sie auch objektiv die konstruktiven Künste, zu denen sie sich erhob, durch nichts von höherer Intensität zu überbieten. Nun hätte gewiß ein Meister, der so über die Mittel verfügt wie Schönberg, einen allmählich abklingenden, zum lyrischen Adagio kontinuierlich geleitenden Teil ohne viel Mühe schreiben können. Er hätte dann das Abrupte vermieden, den inneren Bruch der Faktur verkleistert, eine glatte Oberfläche vorgetäuscht. Aber eben das verschmäht er, vielleicht dem Vorbild Bruckners verpflichtet, der ähnlich allergisch war gegen die bloß veranstaltete Verbindung von Sektoren, die der Schwung der inneren Form nicht zusammenbiegt. In solchem Verzicht dokumentiert sich der sachliche Zug der neuen Musik, vergleichbar dem einer Architektur, welche verdeckende und schmückende Bestandteile der Konstruktion ausscheidet; Widerwille gegen den Gips. Aber man bliebe oberflächlich, schriebe man solche Sachlichkeit des Unvermittelten der bloßen Not zu, dort zu organisieren, wo die Impulse kein Kontinuum meinen. Sondern der Impuls zur Trennung ist, tiefer gesehen, selber einer zur Einheit. Das kompositorische Ingenium, fast möchte man sagen der Takt, führt Schönberg die Hand: ein allmähliches Verdünnen, Auflösen des großen kontrapunktischen Feldes, wie es in analogen Fällen der Wiener Klassizismus gewählt hätte, verharmloste jenes Feld nachträglich zum bloßen Als ob, zum Einschiebsel in vorwaltende Homophonie, und entwertete es damit. Gerade die bruchlose Fortsetzung würde den Bruch zwischen den Konflikten der Durchführung und der relativen Einfachheit verstärken, indem sie ihn vertuschte: so aber wird der Bruch von der Komposition akzeptiert als Element. Ihr kontrapunktischer Radikalismus wäre unvereinbar mit Mäßigung, mit unverbindlichen Fortspinnungen; die Form selber fordert, daß ihre Spitze abbricht und dadurch erst so schroff übers Ganze sich erhebt, wie ihr Sinn es will. Erst als getrennter widerfährt ihr die ganze Ehre ihrer Funktion in der Formtotale. Darum läßt der Komponist sie jäh enden und hebt, wie in Beethovenschem Entschluß, von sich aus mit einem Neuen an, ohne um der Glätte willen der Form etwas zuzumuten, wohin es jene von sich aus nicht treibt. Umgekehrt aber ist in neuer Musik die Kunst der Verknüpfung ebenso frei wie die des Trennens, der Endungen. Mechanische Einschnitte werden nicht länger toleriert. Das Mittel, allein mit bloßen Kontrasten, etwa Pausen, hauszuhalten, wäre so monoton wie die herkömmlichen Übergänge und stünde als trivial zur Kritik. Oft also drängen sich Vermittlungen, Übergänge aufs äußerste, manchmal auf wenige Töne oder nur einen einzigen zusammen. Die Dichte des Aufeinanderfolgenden trägt in solchen Fällen kaum weniger zur Verwirrung bei als Unverbundenes. Erinnert sei nochmals an den Beginn des ersten Klavierstückes aus op. 19. Die allererste Phrase verstummt, unregelmäßig, mit voller Zäsur. Die Antwort aber wird sogleich fortspinnend aufgefangen. Antwort und Fortspinnung sind durch eine kurze einstimmige Wendung verknüpft, eigentlich durch die Setzweise.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 29, S. 234.
Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 30, S. 235.

Das Gewebe lockert sich eine Sekunde lang, ehe es sich wieder anspannt. Keine Lücke reißt die beiden Partien auseinander, und doch heben sie dadurch zart sich voneinander ab. Um die Form jenes Anfangs zu verstehen, muß man den Unterschied im Satz ahnen und wahrnehmen, daß die Reduktion des Gewichts durch die Einstimmigkeit die Überleitung besorgt; solche Gewichtsverteilungen modellieren manchmal in neuer Musik die Struktur. Zugleich muß man innerlich das Schwebende, Unausgesprochene der beiden Formteilchen nachzeichnen; das, woran der spezifische Fortsetzungscharakter haftet, was über die bloße Setzung eines Anfangs hinausweist.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 31, S. 235.

Bleibt man hinter all dem zurück, und das heißt vorab: versteht man nicht die Setzweise als formbildendes Mittel, so droht sogleich hier, nach wenigen Takten, das Chaos. Richtet man aber einmal die Aufmerksamkeit auf solche subtilen Strukturen, so vereinfacht sich alles. Die Tendenz zum Aneinanderrücken der Teilgestalten wirkt das ganze Stück hindurch fort; erst die Coda hebt nach einer Zäsur auf deutlich gutem Taktteil an und zieht daraus die Kraft des Schließens. Der spezifische Charakter des Stücks, zögerndes Ansetzen und unerwartetes, organisches Weitertreiben der musikalischen Gedanken, kurz der musikalische Sinn selber, verdankt sich dieser besonderen Formkonstruktion im kleinsten. Solche Dichte war zumal Alban Berg eigentümlich; sie bedingt die ungemein bedachte Art, in der er noch das Dickichthafte, Verschlungene artikuliert. Dieser Doppelcharakter ist besonders in seinen früheren Werken auffällig. Er wäre aber nicht als bloße Tatsache zu registrieren, sondern die Nötigung zu begreifen, der dabei gehorcht wird; nur so wäre die Schwierigkeit wegzuräumen. Man wird ausgehen müssen von einem Befund, an den Berg als Lehrer unermüdlich erinnerte: daß die Technik der neuen Musik überwiegend eine der Variation sei. Die Ökonomie der Arbeit, die Reduktion alles überhaupt Erscheinenden auf möglichst wenige und minimale Kerne, schafft in ihr jene Stringenz des Zusammenhangs, die man vordem der Tonalität und den ihr entlehnten Formmitteln überlassen mochte. Variation heißt aber, aus einem musikalischen Gegebenen, Gesetzten Neues entwickeln. Das Neue muß, sei es auch verkappt, in dem Gegebenen bereits enthalten sein. Daher ist eine der vordringlichsten Verfahrensweisen – in Wahrheit so naheliegend, daß sie nicht gefeit ist vor der Gefahr des Mechanischen –, das Ausgangsmaterial im Verlauf des variativen thematischen Fortgangs in kleinste Elemente aufzuspalten, die im Ausgangsmaterial vorhanden sind, und dann aus diesen kleinsten Bestandteilen das Neue zu bilden. Solche Aufspaltung von Themen in ihre kleinsten Einheiten, der Zug zur Atomisierung ruft dann oft für den Ununterrichteten jenen Eindruck hervor, den seinerzeit der reaktionäre Kritiker Leopold Schmidt als infusorienhaft etikettierte. Das wird dann am langen Atem melodischer Linien gemessen, dessen Prototyp etwa Schubert ist. Ein Psychologisches spielt hinein. Das vermeintliche Gewimmel und Gewusel verletzt ein unbewußt eingewurzeltes Tabu, den Abscheu vor niedrigen Tieren, Insekten und Gewürm. Strawinsky und Hindemith werden vom Publikum nicht zuletzt darum begünstigt, weil sie jenem Tabu gehorchen; weil es bei ihnen säuberlich abgeteilt, ausgefegt, sozusagen hygienisch zugeht. Die radikale neue Musik hat der primitiven Ansicht von Form als einem Wegschneiden des Inkommensurablen sich geweigert, hat es selber in ihre Organisation aufgenommen. Man bewältigt den Widerstand dagegen hörend, indem man den variativen Teilungsprozeß mitmacht, der in der Komposition sich zuträgt. Zu erläutern ist das an einem einfachen Fall, der freilich nur eine elementare Möglichkeit des musikalischen Gewusels verkörpert [B Beispiel 32]; in komplexeren Situationen muß man sich schon selbst durchs Dschungel schlagen, nachdem einem einmal aufging, daß es in guter Musik kein Dschungel gibt.

Diese Periode wird manchen wenig befriedigen, weil sie, nach einem heftig zufahrenden Ansatz, nicht fortschreitet, sondern auf der Stelle tritt, steckenzubleiben scheint, obwohl bald, in Takt 5, jener zufahrende Anfang von der Bratsche imitiert wird.

Zunächst ist das Stehenbleiben, Innehalten als spezifische Idee der zehn Takte wahrzunehmen, nicht als Mangel zu beanstanden. Richtig gehört wird dieser Anfang nur dann, wenn man ihn nach jener Idee auffaßt, anstatt ein kräftiges Weiterschreiten von Brahmsischem Typus zu erwarten. Das Stehenbleiben aber ist selbst auf die für Berg eigentümliche Weise variativ erzeugt. Das charakteristische Intervall der absteigenden kleinen Sekund, das

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 33, S. 238.

schon im Anfangsmotiv als Folge des c und des akzentuierten h bemerkbar ist und das die Endung des Hauptmotivs darstellt, wird als »Rest« beibehalten. Aus diesem motivischen Überbleibsel der Hauptgestalt bestreitet Berg den ganzen Komplex, sowohl in der Begleitung

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 34, S. 238.

wie im Verlauf des Hauptthemas der zweiten Geige selbst, die auf dem Sekundintervall insistiert, es umspielt, ausweitet und wieder zu ihm zurückkehrt. Erst gegen Ende der Periode tritt ein neu wirkender, freilich mit dem Anfang thematisch verwandter Nachsatz in der ersten Geige hinzu.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 35, S. 238.

Aber dadurch, daß in den drei anderen Instrumenten das Sekundspiel fortdauert, wird auch die neue Gestalt bruchlos mit dem Alten vermittelt, wie denn überhaupt Bergs Musik geradezu lebt von dem Willen, alle Kontraste zu verschleifen, Neues und Altes miteinander zu identifizieren3. In den zahlreichen Fällen, wo die Auflösung in kleinste Einheiten befremdet, die wenige als Melodieträger zu denken gewohnt sind, hat man mit dergleichen Aufteilungen zu rechnen. Nur müssen es keineswegs immer Reste, Endglieder von Themen sein, welche die geschlossenen Felder auflösen, sondern die verschiedensten Elemente taugen dazu. Vor allem aber greift jene Verfahrungsart auf die Formulierung der Themen selber über. Auffällig an dem Beispiel, wie, kaum daß auch nur eine einzige Tonfolge als Thema von Berg etabliert ist, der Spaltungsprozeß anhebt. Bergs Musik klingt zuweilen so, als ob die Themen schlechterdings aus Differentialen, aus unendlich Kleinem gefügt wären; als ginge die Verarbeitung dem Thema voraus, dessen Begriff dadurch fragwürdig wird. Das ist die spezifische Schwierigkeit, die der heute pharisäisch als traditionell abgeschobene Komponist bereitet. So beginnt die Schmuckszene des Wozzeck, als Sonatensatz gebaut, mit einem Thema, das nicht länger der Vorstellung einer ausgesponnenen Melodie entspricht, sondern aus winzigen motivischen Zellen, kleinsten Ansätzen sich integriert [s. B Beispiel 36].

Berichtet nun ein Wozzeck-Kommentar etwas von der Sonatenstruktur jener Szene, und erwartet man danach eine Themenmelodie im üblichen Sinn, so ist man mißleitet. Vielmehr gilt es von Anfang an, sich auf eine Struktur einzustellen, die aus derlei kleinsten Ansätzen sich komponiert, sich steigert und wieder zurücksinkt; die Proportionen zwischen diesen Ansätzen und ihrer dynamischen Entwicklung sind zu beachten, nicht aber auf eine durchgehende Melodie zu lauern, die der motivischen Kleinarbeit zuliebe hier gerade ausbleibt. Berg selbst hat übrigens, als man gegen dies Thema den Einwand des Infusorienhaften erhob, mit Recht betont, daß es im Wiener Klassizismus, vor allem auch bei Beethoven, ganz ähnliche Strukturen gebe, nur daß hier der Aufspaltungsprozeß unter der Hülle der Tonalität nicht ebenso zutage tritt.

Hinzugefügt mag werden, daß das Moment der Konstruktion in der neuen Musik und seine Antithese, das organisch Wuchernde, nicht schlichte und unvermittelte Gegensätze sind, sondern daß beide Momente ineinander entspringen. Je mehr die neue Musik triebhaft ungebundenen Regungen sich überläßt, um so mehr tendiert sie zu jenem ineinander Gewachsenen, gar Chaotischen, das dann, soll es nicht aufs Vorkünstlerische herunterkommen, der organisierenden Gegenkräfte bedarf, die subtilsten Mittel der Konstruktion von sich aus beschwört. Umgekehrt aber haben die Mittel der Konstruktion, je subtiler sie werden, selbst ihren Anteil an der Auflösung der geschlossenen Oberflächenstrukturen und bewirken, als Organisation im kleinsten, von sich aus etwas von dem, was zunächst als chaotisch irritiert. Dem zeigt erst ein musikalisches Bewußtsein sich gewachsen, das der Wechselwirkung jener beiden Momente nachkommt; das des Dranges in der Konstruktion innewird und der Konstruktion im Drang. Diese Einheit der Gegensätze definiert wohl gar das innerste Geheimnis legitimer neuer Musik und damit auch das eines sinngemäßen Verhältnisses zu ihr.

Um jener Einheit der Gegensätze willen sei nochmals auf das Beispiel aus Schönbergs bekanntem, mehr als fünfzig Jahre altem op. 19 rekurriert. Daran war etwas zu demonstrieren, was fürs Verständnis der neuen Musik Voraussetzung bleibt, zumal für das der jüngsten: die Anfangstakte gewinnen nur dadurch ihren Formsinn, daß zwischen polyphonen Stellen, die auseinander hervorwachsen, eine ganz knappe einstimmige steht. Die Form erwies sich dabei als Funktion eines Mittels, das im Sinn der üblichen Teilung der musikalischen Disziplinen gar nicht der Form zugerechnet wird: der Setzweise, hier einfach des Wechsels von Vielstimmigkeit und Einstimmigkeit. Das verweist aber auf ein Prinzipielles. Während in traditioneller Musik, außer solcher obersten Ranges, die einzelnen kompositorischen Dimensionen, wenngleich stets weniger, einigermaßen unabhängig voneinander waren, sind sie in der neuen Musik allesamt aufeinander bezogen; alle sind, jedenfalls der Idee nach, integrale Bestandteile der Komposition, ihrer Einheit. Das ist der wahre Rechtsgrund des Postulats äußerster Konzentration beim Hören: weil virtuell alles gleich wichtig, gleich nahe zum Mittelpunkt ist, weil nichts für die Konstitution des musikalischen Sinns äußerlich und zufällig bleibt, muß auch alles ins Feld der Aufmerksamkeit gerissen werden, wofern nicht der musikalische Sinn versäumt werden soll. Die Anspannung des Hörens zu einer Art Synthesis der verschiedensten Momente und musikalischen Dimensionen entspricht der Integration des Komponierens selber. Wahrhaft einer Integration. Denn es genügt kein bloßes Koordinieren und Parallelisieren jener verschiedenen Dimensionen, sondern ihr Zusammenhang ist funktionell. Das will sagen, eine kann für die andere eintreten. So vermögen etwa in dem sublimiertesten Musikstil der Gegenwart, dem Anton Weberns, Relationen zwischen Farben, Satz und kleinsten Motiven bereits formbildend zu fungieren.

 

Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor. Gesammelte Schriften, Band 15, Beispiel 37, S. 243.

Diese drei Takte fügen sich aus kürzesten Elementen. Als eine Halbperiode werden sie buchstäblich durch den Klang zusammengehalten; den der solistischen Flöte und ihrer Bewegung in Sechzehnteln. Zugleich jedoch walten in ihnen noch feinere Beziehungen, unterscheidend sowohl wie verbindend. So wird der Höhepunkt der ersten Flötenphrase vom d der gedämpften Trompete abgenommen, analog der Tiefenpunkt der zweiten Flötenphrase, die nach unten führt, von einem h des Horns. Gemeinsam ist beiden Kurzphrasen die Melodieteilung in den Klang der Flöte und den eines gedämpften Blechinstruments; dessen Farbe aber variiert, und dadurch wird ein formaler Wechsel ausgedrückt; das Horn bringt, vergleichsweise gesprochen, ein Semikolon, während die Trompete lediglich ein Komma setzte. Entsprechendes gilt für die Begleitung auf den beiden kritischen Endnoten. Das erste Mal begleitet die Celesta, das zweite Mal gedämpfte Bratschen und Celli. Abermals ist für Gleiches und Ungleiches gesorgt. Das Gleiche: die beiden Begleitsysteme sind jeweils vierstimmig und beide bringen, im Gegensatz zu den Sechzehnteln der Hauptstimme, Triolen. Kontrastierend jedoch ist der etwas rundere, in sich an- und abschwellende chorische Streicherton nach dem ganz dünnen das Glasklaviers. Auch hier wirkt die größere Sonorität relativ schlußkräftiger. Die drei Takte stellen die zarteste Balance von Gleichem und Ungleichem her. Klangfarbe wird vielfach zu einem Medium, um den Formverlauf, der sich die triviale Oberflächenartikulation verbietet, zu modellieren. Integrales Komponieren, das Programm der seriellen Schule, ist danach keine mathematisierende Marotte, sondern die generelle Formel für die Erfahrung, daß keine Schicht der Komposition unabhängig von der anderen ist. Eine steht der anderen bei; je weniger sie mehr Halt hat an vorgegebenen Bezugssystemen, um so mehr muß sie ihren Halt suchen an der organisierenden Wechselwirkung all ihrer Momente und Dimensionen. Darum ist das Ideal des Hörens neuer Musik eines, das nicht bloß Haupt- und Nebenereignisse deutlich unterscheidet, sondern sie auch wiederum zusammenbringt, und dem schließlich überhaupt nichts entgeht. Dies Ideal freilich ist auch für jene, die Berufsmusiker heißen, oft so schwer zu erreichen wie für den Komponisten das Ideal des integralen Komponierens. Es bezeichnet nur den Fluchtpunkt, dem angemessenes Hören zustrebt; kaum einer aber dürfte von sich sagen, daß er nun wirklich neue Musik – und freilich auch traditionelle – ganz und gar, daß er sie richtig hört. Schumanns Wort »Des Lernens ist kein Ende« hat mehr Wahrheit wohl, als es an Ort und Stelle meint.

Das Hören, das dem integralen Kompositionsideal gerecht würde, ließe am ehesten als strukturelles sich bezeichnen. Der Rat, mehrschichtig zu hören, das musikalisch Erscheinende nicht nur als Gegenwärtiges sondern auch in seinem Verhältnis zu Vergangenem und Kommendem der gleichen Komposition, hat bereits ein wesentliches Moment dieses Hörideals benannt. Etwas Verwandtes stellte Jürgen Uhde als Norm auch der Interpretation, und zwar der Beethovens, auf: »Wir müssen uns darin üben, beim Spielen jedes Akkordes nicht nur den nächsten, sondern auch bereits die folgenden zu hören. Der Spielende ist einem Menschen ähnlich, der mit einer Taschenlampe jeweils das nächste Stück des Weges beleuchtet, auf dem er sich fortbewegt. Je heller seine Lampe ist, um so besser! Es muß das Empfinden angestrebt werden, daß im ersten Klang einer musikalischen Phrase schon alles Folgende enthalten ist.«4 Grundsätzlich sollte man so hören, wie richtig interpretiert wird. Nicht weniger jedoch steckt in dem Postulat, als daß alle wie immer auch gearteten Elemente einer Komposition durch ihre Unterscheidung hindurch zur Einheit synthesiert werden; daß man sämtliche Dimensionen aufeinander bezieht. In gut organisierten Kompositionen sind alle Momente Funktionen voneinander. Einzig die Dichte der Organisation, die Totalität der Beziehungen zwischen den Erscheinungen verleiht der Komposition jene innere Stimmigkeit, jene Art der spezifischen Logizität, die früher durch das tonale Bezugssystem und seine Spielmarken von außen her gestiftet dünkte. Um so integral zu hören, wie Musik auf dem höchsten Formniveau heute komponiert wird, bedarf es gleichsam der allseitigen Aktualität, Spontaneität der Wahrnehmung. Solches Hören wäre freilich in Wahrheit das allein menschenwürdige Verhältnis einer jeglichen Musik gegenüber, in der es, wie August Halm als erster aussprach, auf die Struktureinheit des Ganzen, nicht auf sinnlich reizvolle Augenblicke, insbesondere nicht nur auf das ankommt, was der laxe Sprachgebrauch als Einfall verherrlicht. Aber die traditionelle Musik hatte doch gegenüber dem strukturellen Hören das atomistische insofern bereits gefördert, als wenigstens anscheinend in ihr die Struktur, etwa die grob sinnfällige Außenarchitektur der Sonatenform, sich von selbst verstand. Sie war eine Epoche hindurch konstant und bedurfte darum keiner besonderen Aufmerksamkeit; das Eigentümliche und Produktive lag in den Augenblicken der Abweichung, in dem, was nicht vom Schema bereits vorgesehen war. Das hat das Hören immer mehr aufs Detail verlagert, und schließlich, im Stadium des Verfalls der traditionellen Musikkultur, zu jenem bloß kulinarischen Konsumieren angenehmer oder reizvoller Klänge geführt, das dann prompt von der U-Musik der Vergnügungsindustrie verwaltet und ausgebeutet wird. Gerade weil diese Tendenz zum atomistischen und kulinarischen Hören, eine in Wahrheit vorkünstlerische, krud stoffliche Neigung zum Abtasten und Abschmecken isolierter Reizmomente, ebenso vom herrschenden Musikbetrieb wie von der gesellschaftlichen Rückbildung des Hörens gefördert wird, ist es überaus dringlich, in der Apperzeption neuer Musik dieser Neigung aus vollem Bewußtsein zu widerstehen. Mit Rücksicht darauf darf die neue Musik als Trägerin einer geistig-moralischen Verpflichtung gelten. Wenn insgesamt, von ihrem inneren Bewegungsgesetz her, die Künste heute einander sich annähern, dann wäre wohl vorzuschlagen, man solle neue Musik so hören, wie man ein Bild als ganzes betrachtet, alle ihre Momente in eins setzen, eine Art Gleichzeitigkeit des Sukzessiven sich erwerben, anstatt bei jener Diskontinuität es zu belassen, zu welcher das Medium der Musik, die zeitliche Aufeinanderfolge, verlockt. Ob freilich genetisch dabei das Ganze den Vorrang hat oder ob nicht vielmehr in der Musik, anders als in der Malerei, das Bewußtsein des Ganzen erst von den Impulsen der Einzelheiten her sich konstituiert, bleibt einstweilen offen: die Simultaneität des Ganzen ist in einer Sukzessionskunst schwerlich ganz wörtlich zu nehmen.

Sicherlich aber wird für strukturelles Hören auch jener Begriff des sinnlich Wohlgefälligen sich verändern, den das naiv traditionelle Hören unreflektiert voraussetzt. Nicht bloß hat das sinnlich Wohlgefällige sich überaus erweitert; nicht bloß haben zahllose Klänge und vor allem auch Farbkombinationen, die früher tabu gewesen wären, sich, abermals analog der Malerei, in Reize verwandelt, wie etwa der Anfang des dritten Teils von Schönbergs Pierrot oder die Barcarole aus dem gleichen Werk. Sondern darüber hinaus ist das sinnliche Detail, das in der neuen Musik so viele als häßlich verdammen, vom strukturellen Hören nicht unabhängig. Auch der ungewohnteste und schärfste Einzelklang wird schön in dem Augenblick, da in ihm ein Licht aufleuchtet: da er sich offenbart als Träger eines musikalischen Sinnzusammenhangs. Ästhetische Vergeistigung tilgt nicht bloß das sinnliche Glück, sondern schafft auch ein neues, eine zweite Unmittelbarkeit. Am Anfang der Lulu-Symphonie von Alban Berg entspringen Wohllaut und Dissonanz gleichermaßen in der Idee der Oper von der verhängnisvollen Schönheit.

Zu konzedieren ist die Fragwürdigkeit all dieser Hinweise. Wohl steht außer Zweifel, daß, wer überhaupt der Sprache der Musik mächtig ist, neue Musik verstehen lernen kann. Ist sie tatsächlich in zahlreichen Momenten nichts anderes als die zu sich selbst gekommene traditionelle oder die, bei der das in der traditionellen Verborgene, Subkutane manifest, Erscheinung wurde, dann sind die Ratschläge zum Hören neuer Musik zugleich solche zum Hören aller, wofern das mehr meint als ein sich Bescheiden beim Mitschwimmen in den Oberflächenkanälen des tonalen Systems. Gleichwohl ist alle neue Musik gegen den Strich gebürstet. Sie gehorcht einem Drang, der wiederum dem Bemühen, sie allgemein verständlich zu machen, widerspricht. Ein Element ihres Sinnes ist, daß sie das Einverständnis kündigt; als durch und durch nonkonformistische ist sie ihrem Publikum nicht bloß freundlich. Der Schock, den sie ausübt, ihr Befremdendes ist mit ihrem Gehalt verwachsen. Indem nun die Hilfe, sie zu verstehen, notwendig diesen Schock beseitigt oder herabsetzt – denn was man versteht, was man sich zueignet, das befremdet und schockiert nicht mehr –, arbeitet sie zugleich auch gegen sich selber. Bringt man das Neue, sei es auch noch so getreu und mit dem Willen, noch so wenig zu verfälschen, dem Bewußtsein der Menschen näher, so steht man auf dem Sprung, es ins Harmlose zu verbiegen und zu dem ohnehin allgemeinen Verhängnis beizutragen: auch aus dem noch ein Bildungsgut zu machen, was durch die Schroffheit seines Gebarens gerade davor einstweilen behütet war. Trotzdem sind Erläuterungen verantwortbar: Schocks kann man nicht konservieren. Wohl ist wahr, daß das Unbekannte und Nichtdomestizierte, sobald man es auf Bekanntes zurückführt – und keine Höranweisung kann das vermeiden –, selber domestiziert wird. Aber andererseits bedarf auch das Fremdeste der Bestimmung seiner selbst durch Bekanntes, wofern es nicht in chaotischer Indifferenz versinken soll. Schocks sind der neuen Musik so wesentlich wie ephemer, keine Ewigkeitswerte. Da aber kein kodifiziertes musikalisches Werk bloß auf den Augenblick gestellt ist, in dem es erstmals erklingt, vielmehr in seiner Geschichte nicht bloß Qualitäten verliert, sondern auch andere erwirbt, so bewegt die Erkenntnis, die es zu kommentieren trachtet, wofern sie gelingt, in Wahrheit sich nur in der Bahn, welche das Werk in seiner Geschichte selber beschreibt. Anstelle des Schocks, der mit seiner Explosion zugleich verschwindet, tritt in den Kunstwerken das Eingedenken der Konstellation, die in jedem einmal sich kristallisierte. Kunstwerke verständlich machen heißt eigentlich, solchem Eingedenken beistehen, einer Schicht des Lebens der Werke, die anders ist als ihre reine Unmittelbarkeit. Sie darf die ihres Nachlebens heißen. Damit die Werke dauern, bedürfen sie des Verständnisses derer, die sie hören. Um dieser Dauer willen, nicht als Mittel bloßer informatorischer Verbreitung sind Höranweisungen zu verantworten.

 
Fußnoten

 

1 Allerdings löst Berg selbst beim Ende der Szene, zum Eintritt der großen Verwandlungsmusik jenen Sechsklang nach d-moll, in den Dreiklang mit der sixte ajoutée (Takt 320) auf. Das rechtfertigt sich durch die emphatische Formzäsur; die Artikulation erheischt auch harmonisch ein starkes Mittel. In dem Orchesterzwischenspiel ist die umschriebene und doch fühlbare Tonart d-moll ähnlich »thematisch« wie in der vierten Szene der Sechsklang. Der letzte Teil des Zwischenspiels wird markiert durch einen vollständigen Zwölftonakkord anstelle des Sechsklangs. Ihn beantwortet quasi kadenzierend d-moll (Takt 364/65). Die Formtotale begründet in ihrem Verlauf, was als akkordisches Einzelereignis inhomogen bliebe. Auf die musikalische Logik ist die Sprachlehre von Karl Kraus zu übertragen. Über der größten musikalischen Strenge waltet eine Revisionsinstanz: Strenge will, daß Strenge Erfordernissen höherer Dignität weiche.

 

2 Vgl. Theodor W. Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen, Frankfurt a.M. 1962, S. 216f. [GS 14, s. S. 412f.].

 

3 Vgl. die Interpretation des Violinkonzerts S. 341.

 

4 Jürgen Uhde, Interpretation, in: Prisma der gegenwärtigen Musik. Tendenzen und Probleme des zeitgenössischen Schaffens, hrsg. von Joachim E. Berendt und Jürgen Uhde, Hamburg 1959, S. 135.

 

 
Gesammelte Werke
adorno-theodor-w.xml
adorno-theodor-w-0000001-0000001.xml
adorno-theodor-w-0000002-0000023.xml
adorno-theodor-w-0000024-0000024.xml
adorno-theodor-w-0000025-0000025.xml
adorno-theodor-w-0000026-0000028.xml
adorno-theodor-w-0000029-0000037.xml
adorno-theodor-w-0000038-0000124.xml
adorno-theodor-w-0000125-0000130.xml
adorno-theodor-w-0000131-0000147.xml
adorno-theodor-w-0000148-0000148.xml
adorno-theodor-w-0000149-0000151.xml
adorno-theodor-w-0000152-0000187.xml
adorno-theodor-w-0000188-0000271.xml
adorno-theodor-w-0000272-0000342.xml
adorno-theodor-w-0000343-0000382.xml
adorno-theodor-w-0000383-0000457.xml
adorno-theodor-w-0000458-0000515.xml
adorno-theodor-w-0000516-0000553.xml
adorno-theodor-w-0000554-0000632.xml
adorno-theodor-w-0000633-0000638.xml
adorno-theodor-w-0000639-0000646.xml
adorno-theodor-w-0000647-0000647.xml
adorno-theodor-w-0000648-0000652.xml
adorno-theodor-w-0000653-0000701.xml
adorno-theodor-w-0000702-0000755.xml
adorno-theodor-w-0000756-0000803.xml
adorno-theodor-w-0000804-0000844.xml
adorno-theodor-w-0000845-0000888.xml
adorno-theodor-w-0000889-0000927.xml
adorno-theodor-w-0000928-0000971.xml
adorno-theodor-w-0000972-0001004.xml
adorno-theodor-w-0001005-0001039.xml
adorno-theodor-w-0001040-0001079.xml
adorno-theodor-w-0001080-0001084.xml
adorno-theodor-w-0001085-0001086.xml
adorno-theodor-w-0001087-0001088.xml
adorno-theodor-w-0001089-0001092.xml
adorno-theodor-w-0001093-0001104.xml
adorno-theodor-w-0001105-0001175.xml
adorno-theodor-w-0001176-0001244.xml
adorno-theodor-w-0001245-0001315.xml
adorno-theodor-w-0001316-0001400.xml
adorno-theodor-w-0001401-0001476.xml
adorno-theodor-w-0001477-0001576.xml
adorno-theodor-w-0001577-0001577.xml
adorno-theodor-w-0001578-0001641.xml
adorno-theodor-w-0001642-0001643.xml
adorno-theodor-w-0001644-0001645.xml
adorno-theodor-w-0001646-0001653.xml
adorno-theodor-w-0001654-0001751.xml
adorno-theodor-w-0001752-0001795.xml
adorno-theodor-w-0001796-0001894.xml
adorno-theodor-w-0001895-0001955.xml
adorno-theodor-w-0001956-0002055.xml
adorno-theodor-w-0002056-0002146.xml
adorno-theodor-w-0002147-0002177.xml
adorno-theodor-w-0002178-0002178.xml
adorno-theodor-w-0002179-0002179.xml
adorno-theodor-w-0002180-0002246.xml
adorno-theodor-w-0002247-0002326.xml
adorno-theodor-w-0002327-0002385.xml
adorno-theodor-w-0002386-0002485.xml
adorno-theodor-w-0002486-0002583.xml
adorno-theodor-w-0002584-0002587.xml
adorno-theodor-w-0002588-0002666.xml
adorno-theodor-w-0002667-0002717.xml
adorno-theodor-w-0002718-0002817.xml
adorno-theodor-w-0002818-0002822.xml
adorno-theodor-w-0002823-0002823.xml
adorno-theodor-w-0002824-0002824.xml
adorno-theodor-w-0002825-0002828.xml
adorno-theodor-w-0002829-0002919.xml
adorno-theodor-w-0002920-0002981.xml
adorno-theodor-w-0002982-0003041.xml
adorno-theodor-w-0003042-0003120.xml
adorno-theodor-w-0003121-0003162.xml
adorno-theodor-w-0003163-0003163.xml
adorno-theodor-w-0003164-0003198.xml
adorno-theodor-w-0003199-0003298.xml
adorno-theodor-w-0003299-0003311.xml
adorno-theodor-w-0003312-0003410.xml
adorno-theodor-w-0003411-0003414.xml
adorno-theodor-w-0003415-0003499.xml
adorno-theodor-w-0003500-0003518.xml
adorno-theodor-w-0003519-0003519.xml
adorno-theodor-w-0003520-0003524.xml
adorno-theodor-w-0003525-0003526.xml
adorno-theodor-w-0003527-0003626.xml
adorno-theodor-w-0003627-0003720.xml
adorno-theodor-w-0003721-0003726.xml
adorno-theodor-w-0003727-0003727.xml
adorno-theodor-w-0003728-0003811.xml
adorno-theodor-w-0003812-0003911.xml
adorno-theodor-w-0003912-0004007.xml
adorno-theodor-w-0004008-0004013.xml
adorno-theodor-w-0004014-0004113.xml
adorno-theodor-w-0004114-0004196.xml
adorno-theodor-w-0004197-0004241.xml
adorno-theodor-w-0004242-0004341.xml
adorno-theodor-w-0004342-0004371.xml
adorno-theodor-w-0004372-0004465.xml
adorno-theodor-w-0004466-0004540.xml
adorno-theodor-w-0004541-0004611.xml
adorno-theodor-w-0004612-0004626.xml
adorno-theodor-w-0004627-0004715.xml
adorno-theodor-w-0004716-0004735.xml
adorno-theodor-w-0004736-0004742.xml
adorno-theodor-w-0004743-0004743.xml
adorno-theodor-w-0004744-0004744.xml
adorno-theodor-w-0004745-0004762.xml
adorno-theodor-w-0004763-0004800.xml
adorno-theodor-w-0004801-0004877.xml
adorno-theodor-w-0004878-0004890.xml
adorno-theodor-w-0004891-0004941.xml
adorno-theodor-w-0004942-0004983.xml
adorno-theodor-w-0004984-0005035.xml
adorno-theodor-w-0005036-0005068.xml
adorno-theodor-w-0005069-0005108.xml
adorno-theodor-w-0005109-0005145.xml
adorno-theodor-w-0005146-0005158.xml
adorno-theodor-w-0005159-0005218.xml
adorno-theodor-w-0005219-0005250.xml
adorno-theodor-w-0005251-0005347.xml
adorno-theodor-w-0005348-0005375.xml
adorno-theodor-w-0005376-0005376.xml
adorno-theodor-w-0005377-0005409.xml
adorno-theodor-w-0005410-0005444.xml
adorno-theodor-w-0005445-0005452.xml
adorno-theodor-w-0005453-0005471.xml
adorno-theodor-w-0005472-0005517.xml
adorno-theodor-w-0005518-0005528.xml
adorno-theodor-w-0005529-0005543.xml
adorno-theodor-w-0005544-0005571.xml
adorno-theodor-w-0005572-0005608.xml
adorno-theodor-w-0005609-0005635.xml
adorno-theodor-w-0005636-0005643.xml
adorno-theodor-w-0005644-0005698.xml
adorno-theodor-w-0005699-0005709.xml
adorno-theodor-w-0005710-0005724.xml
adorno-theodor-w-0005725-0005757.xml
adorno-theodor-w-0005758-0005787.xml
adorno-theodor-w-0005788-0005788.xml
adorno-theodor-w-0005789-0005789.xml
adorno-theodor-w-0005790-0005838.xml
adorno-theodor-w-0005839-0005923.xml
adorno-theodor-w-0005924-0005975.xml
adorno-theodor-w-0005976-0006025.xml
adorno-theodor-w-0006026-0006026.xml
adorno-theodor-w-0006027-0006086.xml
adorno-theodor-w-0006087-0006092.xml
adorno-theodor-w-0006093-0006129.xml
adorno-theodor-w-0006130-0006169.xml
adorno-theodor-w-0006170-0006176.xml
adorno-theodor-w-0006177-0006185.xml
adorno-theodor-w-0006186-0006204.xml
adorno-theodor-w-0006205-0006212.xml
adorno-theodor-w-0006213-0006217.xml
adorno-theodor-w-0006218-0006309.xml
adorno-theodor-w-0006310-0006335.xml
adorno-theodor-w-0006336-0006344.xml
adorno-theodor-w-0006345-0006444.xml
adorno-theodor-w-0006445-0006449.xml
adorno-theodor-w-0006450-0006511.xml
adorno-theodor-w-0006512-0006552.xml
adorno-theodor-w-0006553-0006571.xml
adorno-theodor-w-0006572-0006615.xml
adorno-theodor-w-0006616-0006653.xml
adorno-theodor-w-0006654-0006654.xml
adorno-theodor-w-0006655-0006655.xml
adorno-theodor-w-0006656-0006661.xml
adorno-theodor-w-0006662-0006670.xml
adorno-theodor-w-0006671-0006676.xml
adorno-theodor-w-0006677-0006681.xml
adorno-theodor-w-0006682-0006697.xml
adorno-theodor-w-0006698-0006716.xml
adorno-theodor-w-0006717-0006727.xml
adorno-theodor-w-0006728-0006738.xml
adorno-theodor-w-0006739-0006750.xml
adorno-theodor-w-0006751-0006783.xml
adorno-theodor-w-0006784-0006790.xml
adorno-theodor-w-0006791-0006817.xml
adorno-theodor-w-0006818-0006848.xml
adorno-theodor-w-0006849-0006849.xml
adorno-theodor-w-0006850-0006855.xml
adorno-theodor-w-0006856-0006873.xml
adorno-theodor-w-0006874-0006878.xml
adorno-theodor-w-0006879-0006884.xml
adorno-theodor-w-0006885-0006896.xml
adorno-theodor-w-0006897-0006933.xml
adorno-theodor-w-0006934-0006977.xml
adorno-theodor-w-0006978-0007003.xml
adorno-theodor-w-0007004-0007045.xml
adorno-theodor-w-0007046-0007107.xml
adorno-theodor-w-0007108-0007152.xml
adorno-theodor-w-0007153-0007177.xml
adorno-theodor-w-0007178-0007215.xml
adorno-theodor-w-0007216-0007224.xml
adorno-theodor-w-0007225-0007225.xml
adorno-theodor-w-0007226-0007288.xml
adorno-theodor-w-0007289-0007311.xml
adorno-theodor-w-0007312-0007317.xml
adorno-theodor-w-0007318-0007346.xml
adorno-theodor-w-0007347-0007354.xml
adorno-theodor-w-0007355-0007385.xml
adorno-theodor-w-0007386-0007386.xml
adorno-theodor-w-0007387-0007387.xml
adorno-theodor-w-0007388-0007421.xml
adorno-theodor-w-0007422-0007447.xml
adorno-theodor-w-0007448-0007490.xml
adorno-theodor-w-0007491-0007533.xml
adorno-theodor-w-0007534-0007577.xml
adorno-theodor-w-0007578-0007603.xml
adorno-theodor-w-0007604-0007629.xml
adorno-theodor-w-0007630-0007679.xml
adorno-theodor-w-0007680-0007702.xml
adorno-theodor-w-0007703-0007782.xml
adorno-theodor-w-0007783-0007808.xml
adorno-theodor-w-0007809-0007870.xml
adorno-theodor-w-0007871-0007871.xml
adorno-theodor-w-0007872-0007889.xml
adorno-theodor-w-0007890-0007901.xml
adorno-theodor-w-0007902-0007922.xml
adorno-theodor-w-0007923-0007930.xml
adorno-theodor-w-0007931-0007936.xml
adorno-theodor-w-0007937-0007947.xml
adorno-theodor-w-0007948-0007962.xml
adorno-theodor-w-0007963-0007973.xml
adorno-theodor-w-0007974-0007989.xml
adorno-theodor-w-0007990-0007996.xml
adorno-theodor-w-0007997-0008013.xml
adorno-theodor-w-0008014-0008049.xml
adorno-theodor-w-0008050-0008056.xml
adorno-theodor-w-0008057-0008094.xml
adorno-theodor-w-0008095-0008108.xml
adorno-theodor-w-0008109-0008145.xml
adorno-theodor-w-0008146-0008232.xml
adorno-theodor-w-0008233-0008313.xml
adorno-theodor-w-0008314-0008381.xml
adorno-theodor-w-0008382-0008385.xml
adorno-theodor-w-0008386-0008401.xml
adorno-theodor-w-0008402-0008419.xml
adorno-theodor-w-0008420-0008457.xml
adorno-theodor-w-0008458-0008467.xml
adorno-theodor-w-0008468-0008485.xml
adorno-theodor-w-0008486-0008515.xml
adorno-theodor-w-0008516-0008544.xml
adorno-theodor-w-0008545-0008563.xml
adorno-theodor-w-0008564-0008625.xml
adorno-theodor-w-0008626-0008707.xml
adorno-theodor-w-0008708-0008732.xml
adorno-theodor-w-0008733-0008762.xml
adorno-theodor-w-0008763-0008789.xml
adorno-theodor-w-0008790-0008806.xml
adorno-theodor-w-0008807-0008807.xml
adorno-theodor-w-0008808-0008907.xml
adorno-theodor-w-0008908-0009001.xml
adorno-theodor-w-0009002-0009049.xml
adorno-theodor-w-0009050-0009145.xml
adorno-theodor-w-0009146-0009205.xml
adorno-theodor-w-0009206-0009255.xml
adorno-theodor-w-0009256-0009326.xml
adorno-theodor-w-0009327-0009396.xml
adorno-theodor-w-0009397-0009469.xml
adorno-theodor-w-0009470-0009534.xml
adorno-theodor-w-0009535-0009612.xml
adorno-theodor-w-0009613-0009613.xml
adorno-theodor-w-0009614-0009647.xml
adorno-theodor-w-0009648-0009661.xml
adorno-theodor-w-0009662-0009683.xml
adorno-theodor-w-0009684-0009716.xml
adorno-theodor-w-0009717-0009736.xml
adorno-theodor-w-0009737-0009762.xml
adorno-theodor-w-0009763-0009776.xml
adorno-theodor-w-0009777-0009789.xml
adorno-theodor-w-0009790-0009806.xml
adorno-theodor-w-0009807-0009807.xml
adorno-theodor-w-0009808-0009812.xml
adorno-theodor-w-0009813-0009825.xml
adorno-theodor-w-0009826-0009829.xml
adorno-theodor-w-0009830-0009841.xml
adorno-theodor-w-0009842-0009853.xml
adorno-theodor-w-0009854-0009859.xml
adorno-theodor-w-0009860-0009865.xml
adorno-theodor-w-0009866-0009875.xml
adorno-theodor-w-0009876-0009886.xml
adorno-theodor-w-0009887-0009893.xml
adorno-theodor-w-0009894-0009897.xml
adorno-theodor-w-0009898-0009905.xml
adorno-theodor-w-0009906-0009911.xml
adorno-theodor-w-0009912-0009924.xml
adorno-theodor-w-0009925-0009931.xml
adorno-theodor-w-0009932-0009941.xml
adorno-theodor-w-0009942-0009952.xml
adorno-theodor-w-0009953-0009957.xml
adorno-theodor-w-0009958-0009981.xml
adorno-theodor-w-0009982-0009982.xml
adorno-theodor-w-0009983-0009986.xml
adorno-theodor-w-0009987-0009991.xml
adorno-theodor-w-0009992-0010030.xml
adorno-theodor-w-0010031-0010109.xml
adorno-theodor-w-0010110-0010189.xml
adorno-theodor-w-0010190-0010289.xml
adorno-theodor-w-0010290-0010316.xml
adorno-theodor-w-0010317-0010321.xml
adorno-theodor-w-0010322-0010324.xml
adorno-theodor-w-0010325-0010332.xml
adorno-theodor-w-0010333-0010334.xml
adorno-theodor-w-0010335-0010335.xml
adorno-theodor-w-0010336-0010434.xml
adorno-theodor-w-0010435-0010528.xml
adorno-theodor-w-0010529-0010573.xml
adorno-theodor-w-0010574-0010672.xml
adorno-theodor-w-0010673-0010769.xml
adorno-theodor-w-0010770-0010864.xml
adorno-theodor-w-0010865-0010865.xml
adorno-theodor-w-0010866-0010868.xml
adorno-theodor-w-0010869-0010885.xml
adorno-theodor-w-0010886-0010941.xml
adorno-theodor-w-0010942-0010953.xml
adorno-theodor-w-0010954-0010966.xml
adorno-theodor-w-0010967-0010972.xml
adorno-theodor-w-0010973-0010980.xml
adorno-theodor-w-0010981-0010995.xml
adorno-theodor-w-0010996-0011008.xml
adorno-theodor-w-0011009-0011017.xml
adorno-theodor-w-0011018-0011041.xml
adorno-theodor-w-0011042-0011052.xml
adorno-theodor-w-0011053-0011078.xml
adorno-theodor-w-0011079-0011097.xml
adorno-theodor-w-0011098-0011111.xml
adorno-theodor-w-0011112-0011146.xml
adorno-theodor-w-0011147-0011149.xml
adorno-theodor-w-0011150-0011152.xml
adorno-theodor-w-0011153-0011184.xml
adorno-theodor-w-0011185-0011192.xml
adorno-theodor-w-0011193-0011193.xml
adorno-theodor-w-0011194-0011195.xml
adorno-theodor-w-0011196-0011202.xml
adorno-theodor-w-0011203-0011265.xml
adorno-theodor-w-0011266-0011292.xml
adorno-theodor-w-0011293-0011365.xml
adorno-theodor-w-0011366-0011401.xml
adorno-theodor-w-0011402-0011429.xml
adorno-theodor-w-0011430-0011470.xml
adorno-theodor-w-0011471-0011551.xml
adorno-theodor-w-0011552-0011640.xml
adorno-theodor-w-0011641-0011740.xml
adorno-theodor-w-0011741-0011816.xml
adorno-theodor-w-0011817-0011915.xml
adorno-theodor-w-0011916-0011935.xml
adorno-theodor-w-0011936-0011937.xml
adorno-theodor-w-0011938-0011938.xml
adorno-theodor-w-0011939-0011939.xml
adorno-theodor-w-0011940-0011943.xml
adorno-theodor-w-0011944-0011947.xml
adorno-theodor-w-0011948-0011976.xml
adorno-theodor-w-0011977-0011995.xml
adorno-theodor-w-0011996-0012017.xml
adorno-theodor-w-0012018-0012040.xml
adorno-theodor-w-0012041-0012080.xml
adorno-theodor-w-0012081-0012119.xml
adorno-theodor-w-0012120-0012152.xml
adorno-theodor-w-0012153-0012183.xml
adorno-theodor-w-0012184-0012187.xml
adorno-theodor-w-0012188-0012196.xml
adorno-theodor-w-0012197-0012198.xml
adorno-theodor-w-0012199-0012204.xml
adorno-theodor-w-0012205-0012248.xml
adorno-theodor-w-0012249-0012329.xml
adorno-theodor-w-0012330-0012417.xml
adorno-theodor-w-0012418-0012478.xml
adorno-theodor-w-0012479-0012531.xml
adorno-theodor-w-0012532-0012587.xml
adorno-theodor-w-0012588-0012589.xml
adorno-theodor-w-0012590-0012593.xml
adorno-theodor-w-0012594-0012596.xml
adorno-theodor-w-0012597-0012597.xml
adorno-theodor-w-0012598-0012696.xml
adorno-theodor-w-0012697-0012796.xml
adorno-theodor-w-0012797-0012871.xml
adorno-theodor-w-0012872-0012970.xml
adorno-theodor-w-0012971-0013005.xml
adorno-theodor-w-0013006-0013006.xml
adorno-theodor-w-0013007-0013015.xml
adorno-theodor-w-0013016-0013016.xml
adorno-theodor-w-0013017-0013059.xml
adorno-theodor-w-0013060-0013083.xml
adorno-theodor-w-0013084-0013101.xml
adorno-theodor-w-0013102-0013122.xml
adorno-theodor-w-0013123-0013123.xml
adorno-theodor-w-0013124-0013169.xml
adorno-theodor-w-0013170-0013198.xml
adorno-theodor-w-0013199-0013221.xml
adorno-theodor-w-0013222-0013268.xml
adorno-theodor-w-0013269-0013338.xml
adorno-theodor-w-0013339-0013406.xml
adorno-theodor-w-0013407-0013489.xml
adorno-theodor-w-0013490-0013526.xml
adorno-theodor-w-0013527-0013599.xml
adorno-theodor-w-0013600-0013660.xml
adorno-theodor-w-0013661-0013702.xml
adorno-theodor-w-0013703-0013720.xml
adorno-theodor-w-0013721-0013721.xml
adorno-theodor-w-0013722-0013816.xml
adorno-theodor-w-0013817-0013911.xml
adorno-theodor-w-0013912-0013974.xml
adorno-theodor-w-0013975-0013975.xml
adorno-theodor-w-0013976-0013978.xml
adorno-theodor-w-0013979-0014014.xml
adorno-theodor-w-0014015-0014029.xml
adorno-theodor-w-0014030-0014039.xml
adorno-theodor-w-0014040-0014049.xml
adorno-theodor-w-0014050-0014116.xml
adorno-theodor-w-0014117-0014125.xml
adorno-theodor-w-0014126-0014192.xml
adorno-theodor-w-0014193-0014201.xml
adorno-theodor-w-0014202-0014211.xml
adorno-theodor-w-0014212-0014217.xml
adorno-theodor-w-0014218-0014224.xml
adorno-theodor-w-0014225-0014235.xml
adorno-theodor-w-0014236-0014251.xml
adorno-theodor-w-0014252-0014282.xml
adorno-theodor-w-0014283-0014289.xml
adorno-theodor-w-0014290-0014290.xml
adorno-theodor-w-0014291-0014365.xml
adorno-theodor-w-0014366-0014366.xml
adorno-theodor-w-0014367-0014419.xml
adorno-theodor-w-0014420-0014436.xml
adorno-theodor-w-0014437-0014454.xml
adorno-theodor-w-0014455-0014465.xml
adorno-theodor-w-0014466-0014472.xml
adorno-theodor-w-0014473-0014482.xml
adorno-theodor-w-0014483-0014499.xml
adorno-theodor-w-0014500-0014508.xml
adorno-theodor-w-0014509-0014523.xml
adorno-theodor-w-0014524-0014572.xml
adorno-theodor-w-0014573-0014668.xml
adorno-theodor-w-0014669-0014768.xml
adorno-theodor-w-0014769-0014868.xml
adorno-theodor-w-0014869-0014964.xml
adorno-theodor-w-0014965-0015062.xml
adorno-theodor-w-0015063-0015162.xml
adorno-theodor-w-0015163-0015212.xml
adorno-theodor-w-0015213-0015213.xml
adorno-theodor-w-0015214-0015227.xml
adorno-theodor-w-0015228-0015238.xml
adorno-theodor-w-0015239-0015244.xml
adorno-theodor-w-0015245-0015253.xml
adorno-theodor-w-0015254-0015256.xml
adorno-theodor-w-0015257-0015264.xml
adorno-theodor-w-0015265-0015268.xml
adorno-theodor-w-0015269-0015275.xml
adorno-theodor-w-0015276-0015303.xml
adorno-theodor-w-0015304-0015336.xml
adorno-theodor-w-0015337-0015342.xml
adorno-theodor-w-0015343-0015347.xml
adorno-theodor-w-0015348-0015367.xml
adorno-theodor-w-0015368-0015375.xml
adorno-theodor-w-0015376-0015383.xml
adorno-theodor-w-0015384-0015424.xml
adorno-theodor-w-0015425-0015437.xml
adorno-theodor-w-0015438-0015441.xml
adorno-theodor-w-0015442-0015444.xml
adorno-theodor-w-0015445-0015463.xml
adorno-theodor-w-0015464-0015508.xml
adorno-theodor-w-0015509-0015509.xml
adorno-theodor-w-0015510-0015522.xml
adorno-theodor-w-0015523-0015608.xml
adorno-theodor-w-0015609-0015623.xml
adorno-theodor-w-0015624-0015625.xml
adorno-theodor-w-0015626-0015627.xml
adorno-theodor-w-0015628-0015634.xml
adorno-theodor-w-0015635-0015642.xml
adorno-theodor-w-0015643-0015651.xml
adorno-theodor-w-0015652-0015666.xml
adorno-theodor-w-0015667-0015670.xml
adorno-theodor-w-0015671-0015676.xml
adorno-theodor-w-0015677-0015684.xml
adorno-theodor-w-0015685-0015698.xml
adorno-theodor-w-0015699-0015701.xml
adorno-theodor-w-0015702-0015705.xml
adorno-theodor-w-0015706-0015708.xml
adorno-theodor-w-0015709-0015713.xml
adorno-theodor-w-0015714-0015717.xml
adorno-theodor-w-0015718-0015718.xml
adorno-theodor-w-0015719-0015817.xml
adorno-theodor-w-0015818-0015902.xml
adorno-theodor-w-0015903-0015996.xml
adorno-theodor-w-0015997-0016096.xml
adorno-theodor-w-0016097-0016193.xml
adorno-theodor-w-0016194-0016202.xml
adorno-theodor-w-0016203-0016245.xml
adorno-theodor-w-0016246-0016343.xml
adorno-theodor-w-0016344-0016365.xml
adorno-theodor-w-0016366-0016465.xml
adorno-theodor-w-0016466-0016523.xml
adorno-theodor-w-0016524-0016524.xml
adorno-theodor-w-0016525-0016536.xml
adorno-theodor-w-0016537-0016546.xml
adorno-theodor-w-0016547-0016551.xml
adorno-theodor-w-0016552-0016561.xml
adorno-theodor-w-0016562-0016573.xml
adorno-theodor-w-0016574-0016578.xml
adorno-theodor-w-0016579-0016581.xml
adorno-theodor-w-0016582-0016585.xml
adorno-theodor-w-0016586-0016588.xml
adorno-theodor-w-0016589-0016597.xml
adorno-theodor-w-0016598-0016605.xml
adorno-theodor-w-0016606-0016627.xml
adorno-theodor-w-0016628-0016629.xml
adorno-theodor-w-0016630-0016665.xml
adorno-theodor-w-0016666-0016672.xml
adorno-theodor-w-0016673-0016680.xml
adorno-theodor-w-0016681-0016689.xml
adorno-theodor-w-0016690-0016697.xml
adorno-theodor-w-0016698-0016704.xml
adorno-theodor-w-0016705-0016715.xml
adorno-theodor-w-0016716-0016732.xml
adorno-theodor-w-0016733-0016738.xml
adorno-theodor-w-0016739-0016746.xml
adorno-theodor-w-0016747-0016794.xml
adorno-theodor-w-0016795-0016813.xml
adorno-theodor-w-0016814-0016818.xml
adorno-theodor-w-0016819-0016851.xml
adorno-theodor-w-0016852-0016919.xml
adorno-theodor-w-0016920-0016970.xml
adorno-theodor-w-0016971-0017001.xml
adorno-theodor-w-0017002-0017006.xml
adorno-theodor-w-0017007-0017007.xml
adorno-theodor-w-0017008-0017008.xml
adorno-theodor-w-0017009-0017065.xml
adorno-theodor-w-0017066-0017160.xml
adorno-theodor-w-0017161-0017196.xml
adorno-theodor-w-0017197-0017225.xml
adorno-theodor-w-0017226-0017234.xml
adorno-theodor-w-0017235-0017249.xml
adorno-theodor-w-0017250-0017285.xml
adorno-theodor-w-0017286-0017325.xml
adorno-theodor-w-0017326-0017331.xml
adorno-theodor-w-0017332-0017333.xml
adorno-theodor-w-0017334-0017339.xml
adorno-theodor-w-0017340-0017344.xml
adorno-theodor-w-0017345-0017349.xml
adorno-theodor-w-0017350-0017352.xml
adorno-theodor-w-0017353-0017364.xml
adorno-theodor-w-0017365-0017367.xml
adorno-theodor-w-0017368-0017370.xml
adorno-theodor-w-0017371-0017373.xml
adorno-theodor-w-0017374-0017377.xml
adorno-theodor-w-0017378-0017390.xml
adorno-theodor-w-0017391-0017393.xml
adorno-theodor-w-0017394-0017395.xml
adorno-theodor-w-0017396-0017402.xml
adorno-theodor-w-0017403-0017405.xml
adorno-theodor-w-0017406-0017407.xml
adorno-theodor-w-0017408-0017410.xml
adorno-theodor-w-0017411-0017413.xml
adorno-theodor-w-0017414-0017425.xml
adorno-theodor-w-0017426-0017436.xml
adorno-theodor-w-0017437-0017445.xml
adorno-theodor-w-0017446-0017449.xml
adorno-theodor-w-0017450-0017545.xml
adorno-theodor-w-0017546-0017615.xml
adorno-theodor-w-0017616-0017705.xml
adorno-theodor-w-0017706-0017706.xml
adorno-theodor-w-0017707-0017709.xml
adorno-theodor-w-0017710-0017738.xml
adorno-theodor-w-0017739-0017757.xml
adorno-theodor-w-0017758-0017778.xml
adorno-theodor-w-0017779-0017799.xml
adorno-theodor-w-0017800-0017802.xml
adorno-theodor-w-0017803-0017813.xml
adorno-theodor-w-0017814-0017816.xml
adorno-theodor-w-0017817-0017822.xml
adorno-theodor-w-0017823-0017841.xml
adorno-theodor-w-0017842-0017855.xml
adorno-theodor-w-0017856-0017858.xml
adorno-theodor-w-0017859-0017862.xml
adorno-theodor-w-0017863-0017864.xml
adorno-theodor-w-0017865-0017869.xml
adorno-theodor-w-0017870-0017872.xml
adorno-theodor-w-0017873-0017875.xml
adorno-theodor-w-0017876-0017879.xml
adorno-theodor-w-0017880-0017888.xml
adorno-theodor-w-0017889-0017899.xml
adorno-theodor-w-0017900-0017903.xml
adorno-theodor-w-0017904-0017906.xml
adorno-theodor-w-0017907-0017907.xml
adorno-theodor-w-0017908-0017912.xml
adorno-theodor-w-0017913-0017913.xml
adorno-theodor-w-0017914-0017915.xml
adorno-theodor-w-0017916-0017918.xml
adorno-theodor-w-0017919-0017921.xml
adorno-theodor-w-0017922-0017933.xml
adorno-theodor-w-0017934-0017936.xml
adorno-theodor-w-0017937-0017940.xml
adorno-theodor-w-0017941-0017946.xml
adorno-theodor-w-0017947-0017950.xml
adorno-theodor-w-0017951-0017952.xml
adorno-theodor-w-0017953-0017957.xml
adorno-theodor-w-0017958-0017959.xml
adorno-theodor-w-0017960-0017963.xml
adorno-theodor-w-0017964-0017966.xml
adorno-theodor-w-0017967-0017973.xml
adorno-theodor-w-0017974-0017975.xml
adorno-theodor-w-0017976-0017993.xml
adorno-theodor-w-0017994-0017997.xml
adorno-theodor-w-0017998-0018001.xml
adorno-theodor-w-0018002-0018021.xml
adorno-theodor-w-0018022-0018022.xml
adorno-theodor-w-0018023-0018028.xml
adorno-theodor-w-0018029-0018090.xml
adorno-theodor-w-0018091-0018162.xml
adorno-theodor-w-0018163-0018181.xml
adorno-theodor-w-0018182-0018189.xml
adorno-theodor-w-0018190-0018206.xml
adorno-theodor-w-0018207-0018210.xml
adorno-theodor-w-0018211-0018216.xml
adorno-theodor-w-0018217-0018224.xml
adorno-theodor-w-0018225-0018233.xml
adorno-theodor-w-0018234-0018234.xml
adorno-theodor-w-0018235-0018268.xml
adorno-theodor-w-0018269-0018285.xml
adorno-theodor-w-0018286-0018302.xml
adorno-theodor-w-0018303-0018340.xml
adorno-theodor-w-0018341-0018342.xml
adorno-theodor-w-0018343-0018377.xml
adorno-theodor-w-0018378-0018420.xml
adorno-theodor-w-image-appendix.xml
adorno-theodor-w-image-appendix-0000000.xml