Strawinsky und die Restauration

 

Es hilft da weiter nichts, sich vergangene Weltanschauungen wieder, so zu sagen, substantiell aneignen, d.i., sich in Eine dieser Anschauungsweisen festhineinmachen zu wollen, als z.B. katholisch zu werden, wie es in neueren Zeiten der Kunst wegen Viele gethan, um ihr Gemüth zu fixiren, und die bestimmte Begränzung ihrer Darstellung für sich selbst zu etwas An-und-für-sich-seyendem werden zu lassen.

Hegel, Ästhetik, II

 

Die historische Innervation Strawinskys und seiner Gefolgschaft ließ davon sich verlocken, der Musik durch Stilprozeduren ihr verpflichtendes Wesen aufs neue einzubilden. Fiel der Prozeß der Rationalisierung der Musik, der integralen Beherrschung ihres Materials, zusammen mit dem ihrer Subjektivierung, so wird von Strawinsky an dieser, der organisatorischen Herrschaft zuliebe, kritisch hervorgehoben, was ein Moment von Willkür scheint. Der Fortschritt der Musik zur vollen Freiheit des Subjekts stellt nach dem Maße des Bestehenden selber als irrational sich dar, insofern er mit der umfangenden musikalischen Sprache die faßliche Logik des Oberflächenzusammenhanges weithin auflöst. Die alte philosophische Aporie, daß das Subjekt als Träger objektiver Rationalität untrennbar bleibt vom Individuum in seiner Zufälligkeit, deren Male die Leistung solcher Rationalität entstellen, wird vollends der Musik zur Last gelegt, die es in der Tat niemals zur reinen Logik brachte. Der Geist von Autoren wie Strawinsky reagiert heftig gegen die nicht durch das Allgemeine sichtbar bestimmte Regung; eigentlich gegen alle Spur des gesellschaftlich Unerfaßten. Es ist ihr Vorsatz, die Authentizitat der Musik pointierend wiederherzustellen: ihr den Charakter des Bestätigten von außen aufzuprägen, sie mit der Gewalt des So-und-nicht-anders-sein-Könnens auszustaffieren. Die Musik der Wiener Schule hofft der gleichen Gewalt durch unbegrenzte Versenkung in sich selber, Durchorganisation teilhaftig zu werden: ihrer zackigen Erscheinung jedoch geht sie ab. Selbst Vollzug, will sie vom Hörer mitvollzogen, nicht bloß reaktiv nacherlebt werden. Weil sie den Hörer nicht einspannt, denunziert das Bewußtsein Strawinskys sie als ohnmächtig und kontingent. Er entsagt der strengen Selbstentfaltung des Wesens zugunsten der strengen Miene des Phänomens, seiner Überzeugungskraft. Das Auftreten der Musik soll keinen Widerspruch dulden. Hindemith hat das in seiner Jugend einmal handfest formuliert: ihm schwebe ein Stil vor, in dem alle gleichermaßen schreiben müßten, wie es zur Zeit Bachs oder Mozarts der Fall gewesen sei. Als Lehrer verfolgt er bis heute ein solches Programm der Gleichschaltung. Strawinskys Artistenklugheit und raffinierte Meisterschaft war sei den Anfängen von solcher Naivetät gründlich frei. Er hat seinen Restaurierungsversuch ohne das Ressentiment des Nivellierungsdranges, im urbanen und die Sache selbst durch und durch bestimmenden Bewußtsein des Fragwürdigen, Gauklerischen unternommen, mag das auch im Angesicht der blanken Partituren vergessen worden sein, mit denen er heute aufwartet. Sein Objektivismus wiegt darum soviel schwerer als der aller an ihm Orientierten, weil er das Moment der eigenen Negativität wesentlich einbegreift. Trotzdem ist kein Zweifel daran, daß sein traumfeindliches Werk vom Traum der Authentizität inspiriert ist, einem horror vacui, der Angst vor der Vergeblichkeit dessen, was keine gesellschaftliche Resonanz mehr finde und gekettet sei ans ephemere Schicksal des Einzelnen. In Strawinsky bleibt hartnäckig der Wunsch des Halbwüchsigen am Werk, ein geltender, bewahrter Klassiker zu werden, kein bloßer Moderner, dessen Substanz in der Kontroverse der Richtungen sich verzehrt und der bald vergessen wird. So wenig der unerhellte Respekt in solcher Reaktionsweise zu verkennen ist und die Ohnmacht der Hoffnungen, die daran sich schließen – denn kein Künstler vermag etwas darüber, was überlebt – – so fraglos liegt ihr doch eine Erfahrung zugrunde, die am wenigsten leugnen darf, wer von der Unmöglichkeit der Restauration weiß. Selbst das vollkommenste Lied Anton Weberns bleibt hinter dem einfachsten Stück der Winterreise an Authentizität zurück; noch im äußersten Gelingen zeichnet es gleichsam eine als unbedingt hingenommene Bewußtseinslage auf. Sie findet die angemessenste Objektivierung. Aber diese entscheidet nicht über die Objektivität des Gehalts, über Wahrheit oder Unwahrheit der Bewußtseinslage selber. Strawinsky zielt geradewegs auf diese, nicht aufs Gelingen des Ausdrucks der Situation, die er eher überblicken als fixieren möchte. Seinen Ohren klingt die fortgeschrittenste Musik nicht, als wäre sie von Anbeginn der Zeiten dagewesen, und so will er, daß Musik klinge. Die Kritik solchen Zieles ergibt sich der Einsicht in die Stufen seiner Realisierung.

Er hat den leichten Weg zur Authentizität verschmäht. Das wäre der akademische gewesen, die Beschränkung auf den approbierten Vorrat des musikalischen Idioms, das während des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts sich ausgebildet und für das bürgerliche Bewußtsein, dem es zugehört, das Cachet des Selbstverständlichen und »Natürlichen« angenommen hat. Der Schüler jenes Rimsky-Korsakoff, der die Harmonik Mussorgskys nach Konservatoriumsregeln korrigierte, hat gegen das Atelier rebelliert wie nur ein Fauve der Malerei1. Seinem Sinn für Verbindlichkeit war deren Anspruch dort unerträglich, wo er sich selbst widerlegte, indem er den bildungsmäßig vermittelten Consensus an Stelle der schlagenden Gewalt setzte, welche die Tonalität in den heroischen Zeiten des Bürgertums ausübte. Die Eingeschliffenheit der musikalischen Sprache, das Besetztsein einer jeglichen ihrer Formeln mit Intentionen stellte sich ihm nicht als Bürgschaft der Authentizität sondern als deren Verschleiß dar2. Die erschlaffte Authentizität soll weggeräumt werden um der Wirksamkeit ihres eigenen Prinzips willen. Das geschieht durch den Abbau der Intentionen. Davon, gleichsam vom unmittelbaren Blick auf die musikalische hyle, erwartet er die Verbindlichkeit. Unverkennbar die Verwandtschaft mit der genau gleichzeitigen philosophischen Phänomenologie. Der Verzicht auf allen Psychologismus, die Reduktion auf das reine Phänomen, wie es als solches sich gibt, soll eine Region unbezweifelbaren, »authentischen« Seins eröffnen. Hier wie dort verführt das Mißtrauen gegen das nicht Originäre – im tiefsten die Ahnung des Widerspruchs zwischen der realen Gesellschaft und ihrer Ideologie – dazu, den »Rest«, der nach Abstrich des vermeintlich Hineingelegten übrig sei, als Wahrheit zu hypostasieren. Hier wie dort ist der Geist in der Täuschung befangen, er könne im eigenen Umkreis, dem von Gedanken und Kunst, dem Fluch entrinnen, bloß Geist, Reflexion, nicht Sein selber zu sein; hier wie dort wird der unvermittelte Gegensatz von »Sache« und geistiger Reflexion zum Absoluten gemacht und darum das Produkt vom Subjekt mit der Würde des Natürlichen investiert. Beide Male handelt es sich um den schimärischen Aufruhr von Kultur gegen ihr eigenes Wesen als Kultur. Solchen Aufruhr unternimmt Strawinsky nicht bloß im vertraut-ästhetischen Spiel mit der Barbarei, sondern in der grimmigen Suspension dessen, was in Musik Kultur hieß, des human beredten Kunstwerks. Ihn zieht es dorthin, wo Musik, hinter dem entfalteten bürgerlichen Subjekt zurückgeblieben, als intentionslose fungiert und körperliche Bewegungen anregt anstatt noch zu bedeuten: dorthin, wo die Bedeutungen so ritualisiert sind, daß sie nicht als spezifischer Sinn des musikalischen Akts erfahren werden. Das ästhetische Ideal ist das des unbefragten Vollzugs. Wie Frank Wedekind in seinen Zirkusstücken wird ihm »körperliche Kunst« zur Parole. Er beginnt als Stabskomponist des russischen Balletts. Seit Petruschka zeichnen seine Partituren Gesten und Schritte vor und entfernen sich weiter stets von der Einfühlung in die dramatische Person. Sie schränken sich spezialistisch ein, im äußersten Gegensatz zu jenem umfassenden Anspruch, wie ihn die Schönbergschule noch in ihren exponiertesten Gebilden mit dem Beethoven der Eroica teilt. Der Arbeitsteilung, wie sie in der Ideologie von Schönbergs »Glücklicher Hand« denunziert wird, entrichtet Strawinsky listig den Tribut, der Hilflosigkeit des Versuchs sich bewußt, über die Grenze des handwerklich definierten Vermögens durch Vergeistigung hinauszugehen. Darin lebt, neben der zeitgemäßen Gesinnung des Fachmanns, ein Antiideologisches: seine präzise Aufgabe erfüllen; nicht, wie Mahler es nannte, mit allen Mitteln der Technik eine Welt bauen. Als Kur gegen die Arbeitsteilung schlägt er vor, sie auf die Spitze zu treiben und damit der arbeitsteiligen Kultur ein Schnippchen zu schlagen. Aus dem Spezialistentum macht er die Spezialität von Music Hall, Varieté und Zirkus, wie sie in »Parade« von Cocteau und Satie glorifiziert, aber schon in Petruschka vorgedacht ist. Die ästhetische Leistung wird vollends, wozu sie bereits im Impressionismus sich anschickte, tour de force, Brechung der Schwerkraft, Vorspiegelung eines Unmöglichen durch äußerste Steigerung des Sondertrainings. In der Tat hält die Harmonik Strawinskys stets sich in der Schwebe und entzieht sich der Gravitation des ausgestuften Fortgangs der Akkorde. Besessenheit und bedeutungsferne Perfektion des Akrobaten, die Unfreiheit dessen, der das Immergleiche wiederholt, bis das Halsbrecherische gelingt, stellt, intentionslos, entfaltete Verfügung, Souveränität, Freiheit vom Naturzwang objektiv vor, die zugleich als Ideologie dementiert werden, wo sie sich selbst behaupten. Das blind unendliche, den ästhetischen Antinomien gleichsam entronnene Gelingen des Akrobatenaktes wird bejubelt als jähe Utopie eines kraft äußerster Arbeitsteilung und Verdinglichung die bürgerlichen Grenzen Überfliegenden. Intentionslosigkeit gilt für das Versprechen der Einlösung aller Intention. Petruschka, dem Stil nach »neoimpressionistisch«, setzt sich aus ungezählten Kunststücken, vom auskomponierten Sekundengeschwirr des Jahrmarkts bis zur verhöhnenden Nachahmung aller von der offiziellen Kultur verworfenen Musik, zusammen. Er kommt aus der Atmosphäre des literarisch-kunstgewerblichen Kabaretts. Während Strawinsky dessen apokryphem Element die Treue hielt, hat er zugleich gegen das narzißtisch Gehobene, bajazzohaft Beseelte darin, die Aura der Bohème aufbegehrt und den schnöden Abbau des Inwendigen, den schon die prompte Kabarettnummer inauguriert, gegen diese selber durchgesetzt. Die Tendenz führt vom Kunstgewerbe, das die Seele als Ware zurichtet, zur Negation der Seele im Protest gegen den Warencharakter: zur Vereidigung der Musik auf die Physis, zu ihrer Reduktion auf die Erscheinung, die objektive Bedeutung annehme, indem sie auf Bedeuten von sich aus verzichtet. Egon Wellesz hat nicht ganz zu Unrecht Petruschka dem Schönbergischen Pierrot verglichen. Die Sujets, gleichen Namens, berühren sich in der Idee, der damals schon etwas abgestandenen neuromantischen Transfiguration des Clowns, dessen Tragik die heraufziehende Ohnmacht von Subjektivität anmeldet, während zugleich ironisch die verurteilte Subjektivität ihren Primat festhält; Pierrot und Petruschka, wie auch der Straussische Eulenspiegel, der ein paarmal so vernehmlich in Strawinskys Ballett anklingt, überleben den eigenen Untergang. Aber in der Behandlung des tragischen Clowns trennen sich die historischen Linien der neuen Musik3. Bei Schönberg ist alles auf die sich in sich selber zurücknehmende, einsame Subjektivität gestellt. Der ganze dritte Teil entwirft eine »Heimfahrt« in ein gläsernes Niemandsland, in dessen kristallisch-lebensloser Luft das gleichsam transzendentale Subjekt, befreit von den Verstrickungen des Empirischen, auf imaginärer Ebene sich wiederfindet. Dem dient nicht weniger als der Text die Komplexion der Musik, die mit dem Ausdruck schiffbrüchigen Geborgenseins das Bild hoffnungsloser Hoffnung entwirft. Solches Pathos ist Strawinskys Petruschka ganz fremd. Wohl fehlen ihm nicht subjektivistische Züge, aber die Musik schlägt sich eher auf die Seite derer, die den Mißhandelten verlachen, als auf dessen eigene, und folgerecht wird die Unsterblichkeit des Clowns am Ende für das Kollektiv nicht zur Versöhnung sondern zur bösen Drohung. Subjektivität nimmt bei Strawinsky den Charakter des Opfers an, aber – und darin mokiert er sich über die Tradition humanistischer Kunst – Musik identifiziert sich nicht mit diesem sondern mit der vernichtenden Instanz. Durch die Liquidation des Opfers entäußert sie sich der Intentionen, der eigenen Subjektivität.

Unter der neuromantischen Hülle ist solche Wendung gegen das Subjekt bereits im Petruschka vollzogen. Weite Strecken, das meiste außer dem zweiten Bilde, sind dem musikalischen Gehalt nach simplifiziert, im Widerspruch zum verschlungenen Seelenornament der zu trügerischem Leben berufenen Puppe, auch im technischen zur außerordentlich subtilen Orchesterbehandlung. Die Simplizität entspricht der Haltung, welche die Musik ihrem Vorwurf gegenüber einnimmt, der des amüsierten Betrachters von Jahrmarktsszenen, Darstellung eines stilisierten Eindrucks von Trubel, mit dem Unterton provokativer Freude des der Differenzierung Müden an dem, was er verachtet, etwa so wie europäische Intellektuelle mit wohlgepflegter Naivetät den Film und den Detektivroman goutierten und so auf ihre eigene Funktion in der Massenkultur sich vorbereiteten. In solchem eitlen Leiden unter dem Wissen ist bereits ein Moment der Selbstauslöschung des Betrachters impliziert. Wie er im Tönen der Karussells gleichsam untergeht und sich als Kind aufspielt, um dergestalt die Last des rationalen Alltags wie der eigenen Psychologie loszuwerden, so entäußert er sich seines Ichs und sucht Glück in der Identifikation mit jener unartikulierten Menge Le Bonschen Wesens, deren Imago das Getön enthält4. Damit aber ergreift er die Partei der Lacher: dem Blick der Musik auf Petruschka als auf das ästhetische Subjekt dünkt nutzloses Dasein komisch. Die Grundkategorie des Petruschka ist die des Grotesken, wie sie die Partitur als Vortragsbezeichnung für Bläsersoli häufig gebraucht: des verzerrten, ausgelieferten Besonderen. Darin kommt die beginnende Desintegration des Subjekts selber zutage. Grotesk ist im Petruschka das Charakteristische, vergriffene, zum Stumpfsinn verhaltene Melismen, die allein gegen die Riesenharmonika der akustischen Totale – das Negativ der neuromantischen Riesenharfe – sich absetzen. Wo Subjektives begegnet, begegnet es als depraviert; als sentimental verkitscht oder vertrottelt. Es wird als selber bereits Mechanisches, Verdinglichtes, gewissermaßen Totes aufgerufen. Die Bläser, in denen es laut wird, klingen wie aus der Drehorgel: Apotheose des Gedudels5, so wie die Streicher zum Streich pervertiert, des Seelentones enteignet werden. Die Bilder mechanischer Musik produzieren den Schock eines vergangenen und zum Kindischen herabgesunkenen Modernen. Es wird, wie später dann bei den Surrealisten, zum Einfallstor des Urvergangenen. Die Drehorgel, die man einmal hörte, fungiert als akustisches déjà vu, als Eingedenken. Plötzlich, wie auf den Wink des Zauberkünstlers, soll die Imago des Schäbigen, Verfallenen in die Remedur des Zerfalls sich verwandeln. Es ist das Urphänomen der von Strawinsky vollführten geistigen Bewegung, daß er die Drehorgel als Bachische Orgel unterschiebt, wobei sein metaphysischer Witz auf die Ähnlichkeit beider sich berufen kann, den Preis des Lebens, den der Ton für seine Reinigung von den Intentionen zu entrichten hat. Alle Musik bis heute mußte für den Klang der kollektiven Verbindlichkeit mit dem Gewaltakt gegen das Subjekt, mit der Inthronisierung eines Mechanischen als Autorität zahlen.

Das Sacre du Printemps, Strawinskys berühmtestes und dem Material nach vorgeschrittenstes Werk, wurde, der Autobiographie zufolge, während der Arbeit am Petruschka konzipiert. Das ist kaum zufällig. Bei allem Stilgegensatz zwischen dem kulinarisch zubereiteten und dem tumultuösen Ballett ist beiden der Kern gemeinsam, das antihumanistische Opfer ans Kollektiv: Opfer ohne Tragik, dargebracht nicht dem heraufkommenden Bilde des Menschen, sondern der blinden Bestätigung eines vom Opfer selbst sei's durch Selbstverspottung, sei's durch Selbstauslöschung anerkannten Zustandes. Dieses Motiv, das die Verhaltensweise der Musik gänzlich determiniert, tritt aus der spielerischen Hülle des Petruschka im Sacre mit blutigem Ernst hervor. Es gehört den Jahren an, da man die Wilden Primitive zu nennen begann, der Sphäre von Frazer und Lévy-Bruhl, auch von »Totem und Tabu«. Keineswegs wird dabei, in Frankreich, sogleich die Vorwelt gegen die Zivilisation ausgespielt. Vielmehr wird »geforscht«, in einer positivistischen Detachiertheit, die gut zum Abstand paßt, den Strawinskys Musik von dem Greuel auf der Bühne hält, das sie kommentarlos begleitet. »Ces hommes crédules«, schrieb Cocteau gut-aufklärerisch und etwas herablassend vom prähistorischen Jungvolk des Sacre, »s'imaginent que le sacrifice d'une jeune fille élue entre toutes est nécessaire à ce que le printemps recommence«6. Die Musik sagt zunächst: so war es, und nimmt so wenig Stellung wie Flaubert in der Madame Bovary. Das Greuel wird mit einigem Wohlgefallen betrachtet, aber nicht verklärt, sondern ungemildert vorgeführt. Von Schönberg ist der Gebrauch akzeptiert, die Dissonanz prinzipiell nicht aufzulösen. Das macht den kulturbolschewistischen Aspekt der »Bilder aus dem heidnischen Rußland« aus. Als die Avantgarde zur Negerplastik sich bekannte, war das reaktionäre Telos der Bewegung ganz verborgen: der Griff nach der Urgeschichte schien eher der Entfesselung der eingeschnürten Kunst als ihrer Reglementierung zu dienen. Heute noch ist die Differenz jener kulturfeindlichen Manifeste vom Kulturfaschismus festzuhalten, will man nicht den dialektischen Doppelsinn von Strawinskys Versuch übersehen. Er gründet im Liberalismus ähnlich wie Nietzsche. Kulturkritik setzt einige Substantialität von Kultur voraus; sie gedeiht in deren Schutz und empfängt von ihr das Recht rücksichtsloser Aussprache als ein selber Geistiges, auch wenn sie schließlich gegen den Geist sich kehrt. Das Menschenopfer, in dem die heraufziehende Übergewalt des Kollektivs sich anmeldet, wird beschworen aus dem Ungenügen des individualistischen Zustandes an sich selber, und gerade die wilde Darstellung des Wilden befriedigt nicht bloß, wie der Philister ihr vorhält, das romantisch-zivilisatorische Reizbedürfnis, sondern auch die Sehnsucht nach dem Ende des gesellschaftlichen Scheins, den Drang zur Wahrheit unterhalb der bürgerlichen Vermittlungen und Maskierungen von Gewalt. In solcher Gesinnung ist das Erbe gerade der bürgerlichen Revolution gegenwärtig. Der Faschismus dann, der die liberale Kultur samt ihren Kritikern buchstäblich liquidiert, kann eben darum den Ausdruck des Barbarischen nicht ertragen. Nicht umsonst haben Hitler und Rosenberg die kulturellen Streitigkeiten innerhalb ihrer Partei gegen den nationalbolschewistisch-intellektuellen Flügel zugunsten des Kleinbürgertraums von Tempelsäulen, edler Einfalt und stiller Größe entschieden. Das Sacre du Printemps wäre im Dritten Reich der ungezählten Menschenopfer nicht aufführbar gewesen, und wer immer es wagte, die Barbarei der Praxis unmittelbar in der Ideologie einzubekennen, fiel in Ungnade. Die deutsche Barbarei – so mag es Nietzsche vorgeschwebt haben – hätte ohne Lüge mit dieser vielleicht die Barbarei selber ausgerottet. Trotz all dem jedoch ist die Affinität des Sacre zum Vorwurf unverkennbar, sein Gauguinismus, die Sympathien dessen, der, wie Cocteau berichtet, die Spieler von Monte Carlo schockierte, indem er die Schmuckstücke eines Negerkönigs anlegte. Nicht bloß hallt das Werk in der Tat wider vom Lärm des kommenden Krieges, sondern es hat an der wüsten Pracht seine unverhohlene Freude, die freilich im Paris der Valses Nobles et Sentimentales sich begreifen ließ. Der Druck der verdinglichten bürgerlichen Kultur treibt zur Flucht ins Phantasma von Natur, das dann schließlich als Sendbote der absoluten Unterdrückung sich erweist. Die ästhetischen Nerven zittern danach, in die Steinzeit zu regredieren.

Als Virtuosenstück der Regression ist das Sacre du Printemps der Versuch, ihrer durch ihr Abbild mächtig zu werden, nicht einfach ihr sich zu überlassen. Dieser Impuls hat an der unbeschreiblich breiten Wirkung des spezialistischen Stückes auf die nachfolgende Musikergeneration seinen Anteil: nicht bloß behauptete es die Rückbildung der musikalischen Sprache und des ihr gemäßen Bewußtseinstandes als up to date, sondern versprach zugleich der vorgefühlten Liquidation des Subjekts standzuhalten, indem es sie zur eigenen Sache machte oder wenigstens wie ein überlegen unbeteiligter Betrachter künstlerisch sie registrierte. Die Imitation von Wilden soll mit wunderlich-sachlicher Magie davor behüten, dem Gefürchteten zu verfallen. Wie schon während der Anfänge, im Petruschka, die Montage aus Bruchstücken einem witzig-organisatorischen Verfahren sich verdankt, allerorten durch technische Tricks herbeigeführt wird, so ist jegliche Regression in Strawinskys Werk, eben als Abbild, das keinen Augenblick die ästhetische Selbstkontrolle vergißt, manipuliert. Im Sacre bewirkt ein rücksichtslos angewandtes artistisches Prinzip von Selektion7 und Stilisierung den Effekt des Vorweltlichen. Durch die Absage ans neuromantische Melodisieren, an das Saccharin des Rosenkavaliers, gegen das die sensibleren Künstler um 1910 aufs heftigste aufbegehrt haben müssen8, verfällt alle ausgesponnene Melodie, und bald genug alles musikalisch sich entfaltende subjektive Wesen, dem Tabu. Das Material beschränkt sich wie im Impressionismus auf rudimentäre Tonfolgen. Aber die Debussystische Atomisierung des Motivs wird aus einem Mittel des bruchlosen Ineinanderrinnens von Klangtupfen in eines der Desintegration organischen Fortgangs verwandelt. Versprengte, winzige Reste sollen herren-und subjektloses Gut der Urzeit, phylogenetische Erinnerungsspuren vorstellen – »petites mélodies qui arrivent du fond des siècles«9. Die Melodiepartikeln, die jeweils einem Abschnitt des Sacre zugrunde liegen, sind meist diatonischer Art, dem Tonfall nach folkloristisch, oder einfach der chromatischen Skala entnommen wie die Quintolen des Schlußtanzes, nie »atonale«, ganz freie, auf keine vorgeordnete Skala bezogene Sukzession von Intervallen. Zuweilen handelt es sich um eine beschränkte Auswahl aus den zwölf Tönen, etwa wie in der Pentatonik, so als wären die andern Töne tabu und dürften nicht berührt werden: man mag beim Sacre wohl an jenes délire de toucher denken, das Freud aufs Inzestverbot zurückführt. Der Elementarfall der rhythmischen Variante, in der die Wiederholung besteht, ist, daß das Motiv so gebaut ist, daß, wenn es ohne Pause sogleich nach seinem Abschluß wiedereintritt, die Akzente von selbst auf andere Noten fallen als beim Beginn (»Jeu du Rapt«). Oftmals werden, wie die Akzente, auch die Längen und Kürzen ausgewechselt. Überall wirken die Differenzen vom Motivmodell, als hätten sie durch bloßes Herumschütteln so sich ergeben. Damit stehen die melodischen Zellen unter einem Bann: kondensiert nicht, sondern in der Entfaltung behindert. Es herrscht deshalb selbst in dem der Klangoberfläche nach radikalsten Werk Strawinskys ein Widerspruch zwischen der gemäßigten Horizontale und der verwegenen Vertikale, der bereits die Bedingungen für den Wiedereinsatz der Tonalität in sich enthält als des Bezugssystems, dessen Struktur den Melismen angemessener ist als die vieltönigen Akkorde. Diese fungieren koloristisch, nicht konstruktiv, während bei Schönberg die Emanzipation der Harmonik von Anbeginn die Melodik mitbetraf, in der die große Septime und die kleine None gleichberechtigt mit den gewohnten Intervallen behandelt werden. Auch harmonisch jedoch fehlt es im Sacre nicht an tonalen Einschlägen, wie dem altertümlich modalen Blechbläsersatz in der Danse des Adolescentes. Insgesamt steht die Harmonik dem am nächsten, was die Gruppe der Six nach dem ersten Krieg Polytonalität nannte. Das impressionistische Modell zur Polytonalität ist das Ineinanderklingen räumlich getrennter Musiken auf dem Jahrmarkt. Dessen Idee ist Strawinsky mit Debussy gemeinsam: sie spielt in der französischen Musik um 1910 eine ähnliche Rolle wie Mandoline und Gitarre im Kubismus. Zugleich gehört sie dem russischen Motivschatz an: eine von Mussorgskys Opern hat einen Jahrmarkt zum Schauplatz. Jahrmärkte existieren inmitten der kulturellen Ordnung apokryph fort und mahnen an Vagantentum, einen nicht seßhaften, fixierten, sondern vorbürgerlichen Zustand, dessen Rudimente nun dem wirtschaftlichen Verkehr dienen. Im Impressionismus wird das Hineinragen alles Unerfaßten in die bürgerliche Zivilisation erst als deren eigene Dynamik, als »Leben« lächelnd goutiert, dann aber in archaische Regungen umgedeutet, die dem bürgerlichen Individuationsprinzip selber ans Leben gehen. Solcher Funktionswechsel geschieht gegenüber Debussy bei Strawinsky. Die harmonisch schreckhafteste Stelle des Sacre, die dissonante Umdeutung jenes modalen Bläserthemas in den Rondes Printanières, von 53–54, ist ein panisch gesteigerter Jahrmarktseffekt, keine Befreiung des »Trieblebens der Klänge«. Konsequent fällt mit der harmonischen Entfaltung auch der harmonische Fortgang. Orgelpunkte, wie sie schon im Petruschka als Mittel der Darstellung eines gewissermaßen zeitlos kreisenden Tönens ihre große Rolle spielten, werden, durchweg in Ostinatorhythmen aufgelöst, zum ausschließlichen Prinzip der Harmonik. Der harmonisch-rhythmische Ostinatokitt erlaubt von Anbeginn, bei aller dissonanten Rauheit, leicht zu folgen. Schließlich ist daraus die genormte Langeweile der typischen Musikfestmusik seit dem ersten Weltkrieg, soweit sie sich modern gebärdete, geworden. Am Kontrapunkt hat der Spezialist stets desinteressiert sich gezeigt; bezeichnend genug sind die paar bescheidenen Themenkombinationen im Petruschka so gesetzt, daß sie kaum vernommen werden. Jetzt geht es, abgesehen von den vieltönigen Akkorden als solchen, aller Polyphonie zuleibe. Kontrapunktische Ansätze gibt es nur noch spärlich, meist mit schiefen Überschneidungen der Themenfragmente. Fragen der Form, als eines sich fortbewegenden Ganzen, treten überhaupt nicht auf, und der Aufbau des Ganzen ist wenig durchgebildet. So sind die drei raschen Stücke Jeu du Rapt, Danse de la Terre und Glorification de l'Elue, mit den fragmentarischen Hauptstimmen in den hohen Holzbläsern, untereinander fatal ähnlich. Der Begriff der Spezialität findet seine musikalische Formel: von den Elementen der Musik wird nur das der markierenden Artikulation des Sukzessiven, in einem selber höchst spezialisierten Sinn, und die instrumentale Farbe sei's als expansiver oder zuschlagender Tuttiklang, sei's als koloristischer Sondereffekt zugelassen. Eine unter vielen möglichen Verfahrungsweisen, das Aneinanderreihen von durch ein Muster definierten Komplexen, ist von nun an zur Ausschließlichkeit erhoben.

Die Nachahmer Strawinskys blieben hinter dem Modell zurück, weil ihnen seine Kraft des Verzichts, des »renoncement«, die perverse Freude an der Versagung abgeht. Modern ist er in dem, was er nicht mehr ertragen kann; eigentlich in der Aversion gegen die gesamte Syntax der Musik. Diese Empfindlichkeit geht dem Gefolge, mit Ausnahme vielleicht von Edgar Varèse, ab. Die größere Breite der musikalischen Mittel, die sie sich, harmloseren Ursprungs, gestatten, bringt sie um eben jenes Air von Authentizität, um dessentwillen sie Strawinsky wählten. Der Vergleich einer Nachahmung des Sacre wie Claude Delvincourts »Offrande à Shiva« mit dem Original wäre lehrreich. Die impressionistische Klangschwelgerei erscheint darin als Beize, in die das Opfer eingelegt ist, und tötet seinen Geschmack. Übrigens besteht ein analoges Verhältnis bereits zwischen Debussy und Adepten wie Dukas. Geschmack fällt weithin zusammen mit der Fähigkeit zum Verzicht auf lockende Kunstmittel. In dieser Negativität besteht seine Wahrheit als die der historischen Innervation, stets zugleich aber auch ein, als Privatives, Verendlichendes10. Die Tradition der deutschen Musik, wie sie Schönberg einschließt, wird seit Beethoven im großen wie im schlechten Sinn durch Absenz von Geschmack bezeichnet. Dessen Primat prallt in Strawinsky mit der »Sache« zusammen. Die archaische Wirkung des Sacre verdankt sich musikalischer Zensur, einem sich Verbieten aller nicht mit dem Stilisierungsprinzip vereinbarten Impulse. Aber die artistisch erzeugte Regression führt dann zur Regression des Komponierens selber, zur Verelendung der Verfahrungsweisen, zum Verderb der Technik. Die Anhänger Strawinskys pflegen mit dem Unbehagen davor sich abzufinden, indem sie ihn als Rhythmiker erklären und ihm bezeugen, er habe die von melodisch-harmonischem Denken überwucherte rhythmische Dimension wieder zu Ehren gebracht und damit die verschütteten Ursprünge der Musik aufgegraben, so wie die Veranstaltungen des Sacre die zugleich komplexen und streng disziplinierten Rhythmen primitiver Riten beschwören möchten. Es ist demgegenüber von der Schönbergschule mit Recht geltend gemacht worden, daß der meist viel zu abstrakt gehandhabte Begriff des Rhythmischen selber bei Strawinsky verengt ist. Zwar tritt die rhythmische Gliederung als solche nackt hervor, aber auf Kosten sämtlicher anderen Errungenschaften der rhythmischen Organisation. Nicht bloß fehlt die subjektiv-expressive Flexibilität der bei Strawinsky vom Sacre an starr stets durchgehaltenen Zählzeit, sondern auch alle mit dem Aufbau, der inneren kompositorischen Zusammensetzung, dem »Großrhythmus« der Form zusammenhängenden rhythmischen Relationen. Der Rhythmus ist unterstrichen, aber vom musikalischen Inhalt abgespalten11. Es gibt nicht mehr, sondern weniger Rhythmus als dort, wo er nicht fetischisiert wird, nämlich nur Verschiebungen eines Immergleichen und ganz Statischen, ein auf der Stelle Treten, in dem die Unregelmäßigkeit der Wiederkehr das Neue ersetzt. Offenbar ist das im Schlußtanz der Auserwählten, dem Menschenopfer, wo die kompliziertesten, den Dirigenten zu Drahtseilakten verhaltenden Taktarten12 in kleinsten Zählzeiten miteinander abwechseln, einzig um das unveränderlich Starre mit konvulsivischen, von keiner Angstbereitschaft vorwegzunehmenden Stößen, Schocks, der Tänzerin und den Hörern einzupauken. Der Begriff des Schocks fällt in die Einheit der Epoche. Es gehört zur Grundschicht aller neuen Musik, auch der extrem verschiedenen: von seiner Bedeutung für den expressionistischen Schönberg war die Rede. Man darf als gesellschaftliche Ursache das im späten Industrialismus unwiderstehlich gesteigerte Mißverhältnis zwischen dem Leib des einzelnen Menschen und den Dingen und Kräften der technischen Zivilisation vermuten, über die er gebietet, ohne daß sein Sensorium, die Möglichkeit der Erfahrung, das losgelassene Unmaß hätte bewältigen können, solange noch die individualistische Organisationsform der Gesellschaft kollektive Verhaltensweisen ausschließt, die vielleicht subjektiv dem Stand der objektiv-technischen Produktivkräfte gewachsen wären. Durch die Schocks wird der Einzelne seiner Nichtigkeit gegenüber der Riesenmaschine des ganzen Systems unmittelbar inne. Sie haben seit dem neunzehnten Jahrhundert ihre Spuren in den Kunstwerken hinterlassen13; musikalisch dürfte Berlioz der erste gewesen sein, für dessen Werk sie wesentlich waren. Aber alles hängt davon ab, wie Musik mit Schockerlebnissen umgeht. Beim mittleren Schönberg setzt sie sich gegen diese zur Wehr, indem sie sie darstellt. In der »Erwartung« oder jener schreckhaft aufgescheuchten Umbildung des Scherzotypus, die von der »Lockung« aus op. 6 bis zum zweiten Klavierstück aus op. 23 sich verfolgen läßt, gestikuliert sie gleichsam wie ein von wilder Angst ergriffener Mensch. Diesem aber gelingt, psychologisch gesprochen, die Angstbereitschaft: während der Schock ihn durchfährt und die kontinuierliche Dauer alten Stiles dissoziiert, bleibt er seiner selbst mächtig, Subjekt, und vermag daher noch die Folge der Schockerlebnisse seinem standhaften Leben zu unterwerfen, heroisch sie zu Elementen der eigenen Sprache umzuformen. Bei Strawinsky gibt es weder Angstbereitschaft noch widerstehendes Ich, sondern es wird hingenommen, daß die Schocks nicht sich zueignen lassen. Das musikalische Subjekt verzichtet darauf, sich durchzuhalten, und begnügt sich damit, die Stöße in Reflexen mitzumachen. Es benimmt sich buchstäblich so wie ein Schwerverwundeter, dem ein Unfall widerfuhr, den er nicht absorbieren kann und den er darum in der hoffnungslosen Anstrengung von Träumen wiederholt. Was die vollständige Absorption der Schocks scheint, die Fügsamkeit der Musik gegen die ihr von außen angetanen rhythmischen Schläge, ist in Wahrheit gerade Zeichen dessen, daß die Absorption mißglückte. Das ist das innerste Pseudos des Objektivismus: die Vernichtung des Subjekts durch den Schock wird in der ästhetischen Komplexion als Sieg des Subjekts und zugleich als dessen Überwindung durch das an sich Seiende verklärt.

Die choreographische Idee des Opfers prägt die musikalische Faktur selber. In ihr, nicht nur auf der Bühne, wird ausgerottet, was als Individuiertes vom Kollektiv sich unterscheidet. Die polemische Spitze Strawinskys hat sich, mit zunehmender Ausbildung des Stils, geschärft. Im Petruschka erschien das Element des Individuierten unter der Form des Grotesken und ward von ihr gerichtet14. Im Sacre du Printemps gibt es nichts mehr zu lachen. Nichts vielleicht zeigt so deutlich, wie bei Strawinsky Modernismus und Archaik zwei Ansichten von der gleichen Sache sind. Mit der Eliminierung des harmlos Grotesken stellt sich das Werk auf die Seite der Avantgarde, des Kubismus zumal. Aber diese Modernität wird erreicht durch eine Archaik von ganz anderem Schlage als der noch zur gleichen Zeit, bei Reger etwa, beliebte Archaismus des »Im alten Stil«. Die Verflochtenheit von Musik und Zivilisation soll durchschnitten werden. Provokant macht jene sich zum Gleichnis eines gerade in seinem Widerspruch zur Zivilisation als Reiz genossenen Zustandes. Indem sie totemistisch sich gebärdet, prätendiert sie ungeteilte, stammesmäßig bestimmte Einheit von Mensch und Natur, während doch zugleich das System in seinem zentralen Prinzip, dem des Opfers, als eines von Herrschaft sich enthüllt und damit wieder als ein in sich antagonistisches. Die Verleugnung des Antagonismus aber ist der ideologische Trick im Sacre du Printemps. Wie ein Prestidigitateur das schöne Mädchen auf der Varietébühne verschwinden macht, so wird im Sacre das Subjekt eskamotiert, das die Last der Naturreligion zu tragen hat. Mit anderen Worten: es kommt zu keiner ästhetischen Antithese zwischen der Geopferten und dem Stamm, sondern ihr Tanz vollzieht die unopponierte, unmittelbare Identifikation mit jenem. Das Sujet exponiert so wenig einen Konflikt, wie das Gefüge der Musik einen austrägt. Die Erwählte tanzt sich selber zu Tode, etwa wie Anthropologen berichten, daß Wilde, die unwissentlich ein Tabu übertreten haben, tatsächlich danach hinsterben. Von ihr als Einzelwesen wird nichts gespiegelt als der bewußtlose und zufällige Reflex des Schmerzes: ihr Solotanz ist, gleich allen anderen, der inneren Organisation nach ein kollektiver, ein Rundtanz, bar jeglicher Dialektik von Allgemeinem und Besonderem. Authentizität wird durch die Verleugnung des subjektiven Pols erschlichen. Mit der handstreichartigen Besetzung des kollektiven Standpunkts wird gerade dort, wo die gemütliche Konformität mit der individualistischen Gesellschaft gekündigt ist, Konformität zweiter und freilich höchst ungemütlicher Art bewirkt: die mit einer blinden integralen Gesellschaft, gleichsam einer von Kastrierten oder Kopflosen. Der individuelle Reiz, der solche Kunst in Bewegung brachte, läßt nur noch die Negation seiner selbst, das Zertreten der Individuation übrig; darauf allerdings hatte schon der Humor des Petruschka, ja der bürgerliche überhaupt insgeheim es abgesehen, aber nun wird der dunkle Drang zur schmetternden Fanfare. Das Wohlgefallen an dem von der Musik aufgezäumten subjektlosen Zustand ist sado-masochistisch. Wird nicht die Liquidation des jungen Mädchens vom Zuschauer schlicht genossen, so fühlt er ins Kollektiv sich ein und wähnt, selber dessen potentielles Opfer, eben damit in magischer Regression an der kollektiven Kraft teilzuhaben. Der sado-masochistische Zug begleitet Strawinskys Musik durch alle ihre Phasen. Zum einzigen Unterschied von jenem Wohlgefallen hat das Sacre, im Gesamtkolorit wie in den einzelnen musikalischen Charakteren, eine gewisse Trübheit. Sie meint jedoch weniger Trauer über das in Wahrheit irre Mordritual als die Stimmung des Gebundenen, Unfreien – den Laut kreatürlichen Befangenseins. Dieser Ton objektiver Trauer im Sacre, technisch vom Vorwalten dissonierender Klänge, aber auch oft von einer kunstvoll gepreßten Setzweise nicht zu trennen, stellt die einzige Gegeninstanz gegen die kultische Gebärde dar, welche die abscheuliche Gewalttat des geheimnistuerischen Medizinmanns15 samt dem Reigen tanzender Jungmädchen als heilige Frühe weihen möchte. Es ist aber auch dieser Ton zugleich, welcher der schockreichen, doch trotz aller ausgeschütteten Farbe kontrastarmen Monstrosität eine Art stumpfsinnig-mißgelaunter Ergebenheit aufprägt, die das vormals Sensationelle am Ende einer Langeweile überantwortet, die von der späterhin von Strawinsky planmäßig herbeigeführten gar nicht so verschieden ist und es bereits recht schwer macht, die Lust zur Imitation zu verstehen, die einmal vom Sacre ausging. Der Primitivismus von Gestern ist die Einfalt von Heute.

 

Was jedoch den Strawinsky des Sacre weitertrieb, war keineswegs das Ungenügen an der hochstilisierten Verarmung. Vielmehr muß er eines Romantisch-Historischen an der antiromantischen Prähistorie gewahr geworden sein, der zahmen Sehnsucht nach einem Stand des objektiven Geistes, der hier und jetzt bloß noch im Kostüm zu beschwören ist. Insgeheim ähneln die Urrussen den Wagnerischen alten Germanen – das Bühnenbild des Sacre erinnert an den Walkürenfelsen – – und Wagnerisch ist jene Konfiguration des mythisch Monumentalen und gespannt Nervösen darin, wie Thomas Mann im Wagner-Essay von 1933 sie hervorgehoben hat. Der Klang zumal, die Idee etwa, verschollene Blasinstrumente durch besondere Farben des modernen Orchesters wie das in höchster Lage »tief« wirkende Fagott, das schnarrende Englischhorn und die röhrige Altflöte zu suggerieren, oder die exponierten Tuben des Medizinmanns, sind romantischen Ursprungs. Solche Effekte gehören dem musikalischen Exotismus kaum weniger an als die Pentatonik eines im Stil so entgegengesetzten Werkes wie des Mahlerschen Lieds von der Erde. Auch der Tuttiklang des Riesenorchesters hat zuweilen etwas Straussisch Luxurierendes, von der Kompositionssubstanz Losgelöstes. Die Manier eines rein farblich empfundenen Begleitdessins, von dem wiederholte Melodiefragmente sich abheben, stammt bei aller Verschiedenheit des Klangcharakters selber und des harmonischen Vorrats unmittelbar von Debussy. Bei allem programmatischen Antisubjektivismus hat die Wirkung des Ganzen etwas von Stimmung, ängstlicher Erregung. Manchmal gebärdet die Musik selber sich psychologisch erregt, so in den Danses des Adolescentes, von (30) an, oder in den Cercles Mystérieux des zweiten Bildes, nach (93). Mit einer gleichsam historisierenden, im Innersten spielerisch-distanzierten Beschwörung der Urzeit aber, der Seelenlandschaft der Elektra kann Strawinsky bald den objektivistischen Drang nicht mehr befriedigen. Er trägt die Spannung des Archaischen und Modernen derart aus, daß er, um der Authentizität des Archaischen willen, die Vorwelt als Stilprinzip verwirft. Von den wesentlichen Werken lassen nur die Noces, mit weit unnachgiebigeren Formulierungen als das Sacre, noch einmal auf Folklore sich ein. Strawinsky gräbt nach Authentizität in Zusammensetzung und Zerfall der Bilderwelt von Moderne. Hat Freud den Zusammenhang zwischen dem Seelenleben der Wilden und der Neurotiker gelehrt, so verschmäht der Komponist nun die Wilden und hält sich an das, wessen die Erfahrung der Moderne sicher ist, jene Archaik, welche die Grundschicht des Individuums ausmacht und in dessen Dekomposition unverstellt, gegenwärtig wieder hervortritt. Die Werke zwischen dem Sacre und dem neoklassischen Einlenken imitieren den Gestus der Regression, wie er der Zersetzung der individuellen Identität zugehört, und erwarten sich davon das kollektiv Authentische. Die überaus enge Verwandtschaft dieser Ambition mit der Doktrin C.G. Jungs, von der der Komponist kaum etwas wissen mochte, ist so schlagend wie das reaktionäre Potential. Die Suche nach musikalischen Äquivalenten für das »kollektive Unbewußte« bereitet den Umschlag zur Instaurierung der regressiven Gemeinschaft als eines Positiven vor. Zunächst jedoch sieht es verwegen avantgardistisch aus. Die Arbeiten, die sich um die Histoire du Soldat ordnen und der Periode des ersten Krieges angehören, könnten infantilistisch heißen; Spuren der Entwicklung gehen übrigens bis auf Petruschka zurück; stets entbot Strawinsky Kinderlieder als Abgesandte der Vorzeit ans Individuum. In einem Aufsatz über den »Renard«, den die sonst als Musikschriftstellerin kaum hervorgetretene Else Kolliner 1926 publizierte16, ist eine erste Bestandsaufnahme des Infantilismus, freilich mit durchaus apologetischen Akzenten, gegeben. Strawinsky bewege sich »in einem neuen Phantasieraum ..., den jedes Individuum als Kind noch einmal geschlossenen Auges betritt«. Er stelle ihn nicht idyllisch besingend und nicht episodisch wie selbst Mussorgsky hin, »sondern als den einzigen, für die Dauer der Darstellung von allen andern realen oder irrealen Welten abgeschlossenen Schauplatz«. Durch die Herstellung eines gewissermaßen gegen das bewußte Ich streng abgedichteten inneren Schauplatzes präindividueller, allen gemeinsamer und schockhaft wieder zugänglicher Erfahrungen komme eine »Kollektiv-Phantasie« zustande, die sich in »blitzschnellen Verständigungen« mit dem Publikum verrate. Nämlich in der Anamnesis von Riten, wie sie im Spiel überleben. »Der dauernde Wechsel der Taktarten, das eigensinnige Wiederholen einzelner Motive ebenso wie das Auseinandernehmen und Neuzusammensetzen ihrer Elemente, ihr pantomimischer Charakter, der schlagend sich äußert in den Passagen der Septimen, die sich zu Nonen spreizen, der Nonen, die sich zu Septimen zusammenziehen, im Trommelwirbel als der knappsten Form für den Koller des Hahnes usw. sind fast instrumental getreue Übertragungen kindlicher Spielgesten in die Musik.« Das Erregende liege darin, daß man kraft der unfixierten, beweglichen Struktur der Wiederholungen »einen Entstehungsvorgang zu sehen glaubt« – mit anderen Worten, daß der musikalische Gestus sich jeglicher Eindeutigkeit entzieht und damit einen nicht entfremdeten Zustand entwirft, dessen Rudimente aus der Kindheit stammen. Der dabei visierte Entstehungsvorgang hat nichts zu tun mit musikalischer Dynamik und am wenigsten mit jenem Entstehen großer, sich fortbewegender musikalischer Formen aus dem Nichts, wie es eine der leitenden Ideen Beethovens bis hinauf zum ersten Satz der Neunten Symphonie ausmacht und neuerdings mit Mißverständnis Strawinsky zugeschrieben wird. Gemeint ist, daß es fest umrissene musikalische Modelle, ein für allemal geprägte Motive überhaupt noch nicht gibt, sondern daß ein latenter, implizierter Motivkern umspielt wird wie allenthalben bei Strawinsky – daher die metrischen Unregelmäßigkeiten – – ohne zur endgültigen Definition zu finden. Bei Beethoven sind die Motive, selbst als an sich nichtige Formeln tonaler Grundverhältnisse, doch bestimmt und haben Identität. Solche Identität zu umgehen ist eines der primären Anliegen von Strawinskys Technik archaisch-musikalischer Bilder. Gerade weil jedoch das Motiv selber noch nicht »da« ist, werden die verschobenen Komplexe immerzu wiederholt, anstatt daß aus ihnen, wie es in Schönbergs Terminologie heißt, Konsequenzen gezogen wären. Der Begriff der dynamischen musikalischen Form, welcher die abendländische Musik von der Mannheimer bis zur gegenwärtigen Wiener Schule beherrscht, setzt eben das als identisches, geprägtes festgehaltene, ob auch unendlich kleine Motiv voraus. Seine Auflösung und Variation konstituiert sich einzig gegenüber dem in Erinnerung bleibend Bewahrten. Musik kennt nur um so viel Entwicklung, wie sie ein Festes, Geronnenes kennt; die Strawinskysche Regression, die dahinter zurückgreifen möchte, ersetzt eben darum den Fortgang durch die Wiederholung. Das führt philosophisch auf den Kern der Musik. In ihr gehören wie allgemein – prototypisch in der Kantischen Erkenntnistheorie – subjektive Dynamik und Verdinglichung als Pole derselben Gesamtverfassung zusammen. Subjektivierung und Vergegenständlichung von Musik sind das Gleiche. Das vollendet sich in der Zwölftontechnik. Strawinsky unterscheidet sich vom subjektiv-dynamischen Prinzip der Variation eines eindeutig Gesetzten durch eine Technik permanenter Ansätze, die vergeblich gleichsam nach dem tasten, was sie in Wahrheit nicht erreichen und nicht halten können. Seine Musik weiß von keiner Erinnerung und damit von keinem Zeitkontinuum der Dauer. Sie verläuft in Reflexen. Der verhängnisvolle Irrtum seiner Apologeten ist es, den Mangel eines Gesetzten in seiner Musik, an Thematik in strengstem Verstande, einen Mangel, der das Atmen der Form, die Kontinuität des Prozesses, eigentlich »Leben« gerade ausschließt, als Garanten des Lebendigen zu interpretieren. Das Amorphe hat nichts von Freiheit, sondern ähnelt dem Zwangshaften bloßer Natur sich an: nichts starrer als der »Entstehungsvorgang«. Er aber wird als das nicht Entfremdete verherrlicht. Mit dem Prinzip des Ichs sei überhaupt die individuelle Identität suspendiert. Das ästhetische Spiel Strawinskys gleiche dem Spiel, »wie es das Kind erlebt. Es braucht die effektive Unsichtbarkeit nicht, es schiebt Figuren in seiner Vorstellung ohne rationale Hemmung zwischen Realität und Irrealität hin und her. (Es lügt, sagen die Erzieher.) Wie Kinder im selbsterfundenen Spiel zu dissimulieren, Spuren zu verwischen lieben, in die Maske und unerwartet wieder aus der Maske schlüpfen, einem Spieler mehrere Rollen ohne verstandesmäßige Beschwer zuteilen und keine andere Logik kennen, da sie nun einmal spielen, als daß die Bewegung dauernd im Fluß bleibe, so trennt Strawinsky Darstellung und Gesang, bindet die Figur nicht an eine bestimmte Stimme, die Stimmen nicht an eine Figur.« Im »Renard« wird zur Bühnenhandlung aus dem Orchester gesungen.

Gegen eine Berliner Aufführung erhebt der Aufsatz den Einwand, daß sie, »was primitive Fabel ist, als Zirkusszene aufzog«. Dem liegt zugrunde, Strawinskys »Volk« sei »kollektiv erlebende Gemeinsamkeit Stammesverwandter, der Urschoß aller Symbole – Mythen – religionsbildender metaphysischer Kräfte«. Diese Auffassung, deren Tenor später in Deutschland in sinistrem Zusammenhang vorkam, verhält sich zu Strawinsky zu loyal und tut ihm unrecht zugleich. Sie nimmt die moderne Archaik à la lettre, als bedürfe es nur des künstlerisch erlösenden Wortes, um die ersehnte Vorwelt, die selbst schon der Schrecken war, unmittelbar und glückvoll wiederherzustellen; als könnte das Eingedenken des Musikers Geschichte durchstreichen. Eben damit aber wird dem Strawinskyschen Infantilismus eine affirmative Ideologie zugeschrieben, deren Abwesenheit den Wahrheitsgehalt jener Phase seines œuvre bezeichnet. Daß das Individuum in der frühen Kindheit archaische Entwicklungsstufen durchmißt, ist ein Befund der Psychologie, wie denn insgesamt der antipsychologische Furor Strawinskys von der psychologischen Konzeption des Unbewußten als eines der Individuation prinzipiell Vorgeordneten gar nicht zu trennen ist. Seine Anstrengung, die begriffslose Sprache der Musik zum Organ des vor-Ichlichen zu machen, fällt in eben die Tradition, die er als Stiltechniker und Kulturpolitiker verfemt, die Schopenhauers und Wagners. Das Paradoxon löst sich historisch. Oft ist darauf hingewiesen worden, daß Debussy, der erste produktive Exponent der westlichen Wagnerfeindschaft, ohne Wagner nicht gedacht werden kann: daß Pelléas et Mélisande ein Musikdrama sei. Wagner, dessen Musik in einem mehr als bloß literarischen Sinn auf die deutsche Philosophie vom früheren neunzehnten Jahrhundert verweist, schwebt eine Dialektik zwischen dem Archaischen – dem »Willen« – und dem Individuierten vor. Wie jedoch diese Dialektik bei ihm schon in jedem Betracht zu ungunsten des principium individuationis verläuft, ja der musikalischen und poetischen Struktur nach durchweg gegen die Individuation vorentschieden ist, so haben in der Tat die musikalischen Bedeutungsträger des Individuellen bei Wagner ein Ohnmächtiges, Schwächliches, als wären sie geschichtlich bereits verurteilt. Brüchig gerät sein Werk, sobald die individuierten Momente als substantiell sich aufspreizen, während sie bereits verfallen, clichéhaft sind. Dem trägt Strawinsky Rechnung: als permanente Regression antwortet seine Musik darauf, daß das principium individuationis zur Ideologie verkam. Der impliziten Philosophie nach gehört er zum Machischen Positivismus: »das Ich ist nicht zu retten«; der Verhaltensweise nach zu einer westlichen Kunst, deren höchste Erhebung das Werk Baudelaires ausmacht, wo das Individuum kraft der Sensation die eigene Annihilierung genießt. Daher setzt die mythologisierende Tendenz des Sacre die Wagnerische fort und verneint sie zugleich. Strawinskys Positivismus hält sich an die Vorwelt wie an eine faktische Gegebenheit. Er konstruiert ein imaginär-völkerkundliches Modell des Präindividuierten, das er exakt herauspräparieren möchte. Der Mythos bei Wagner aber soll symbolisch allgemeinmenschliche Grundverhältnisse vorstellen, in denen das Subjekt sich spiegelt und die seine eigene Sache sind. Demgegenüber wirkt die Strawinskysche, gleichsam wissenschaftliche Prähistorie älter als die Wagnerische, die bei aller archaischen Triebregung, die sie ausdrückt, nicht über den bürgerlichen Formenschatz hinausgeht. Je moderner, auf desto frühere Stadien wird regrediert. Die Frühromantik hatte es mit dem Mittelalter zu tun, Wagner mit dem germanischen Polytheismus; Strawinsky mit dem Totemclan. Weil aber bei ihm keine vermittelnden Symbole zwischen dem regressiven Impuls und dessen musikalischer Materialisation stehen, ist er darum doch nicht weniger der Psychologie verhaftet als Wagner, sondern vielleicht mehr. Gerade die sado-masochistische Lust an der Selbstauslöschung, die so vernehmlich in seinen Antipsychologismus hineinspielt, ist durch die Dynamik des Trieblebens determiniert und nicht durch Forderungen der musikalischen Objektivität. Es bezeichnet den Menschentypus, dessen Maße Strawinskys Werk nimmt, keinerlei Introspektion und Selbstbesinnung zu dulden. Die verbissene Gesundheit, die sich ans Auswendige klammert und das Seelische verleugnet, als wäre es bereits Krankheit der Seele, ist Produkt von Abwehrmechanismen im Freudischen Sinn. Krampfhafte Hartnäckigkeit im Ausschluß von Beseelung aus Musik verrät die unbewußte Ahnung eines Unheilbaren, das sonst verhängnisvoll zutage träte. Musik gehorcht um so willenloser dem psychischen Kräftespiel, je verbissener sie dessen Manifestationen sich verweigert. Davon wird ihre eigene Gestalt verkrüppelt. Schönberg ist kraft seiner Bereitschaft zum psychologischen Protokoll auf objektiv-musikalische Gesetzmäßigkeiten gestoßen. Bei Strawinsky, dessen Werke in keinem Betracht als Organ eines Inwendigen verstanden werden wollen, ist dafür die immanent-musikalische Gesetzmäßigkeit an sich fast ohnmächtig: die Struktur wird von außen anbefohlen, vom Wunsche des Autors, wie seine Gebilde beschaffen sein und worauf sie verzichten sollen.

Damit aber ist jenes einfache Zurück zu den Ursprüngen ausgeschlossen, das Else Kolliner Werken wie dem »Renard« zuschreibt. Die Psychologie belehrt darüber, daß zwischen den archaischen Schichten in der Einzelperson und ihrem Ich Wände aufgerichtet sind, die nur die mächtigsten Sprengkräfte durchschlagen. Der Glaube, das Archaische liege ohne weiteres zur ästhetischen Verfügung des Ichs bereit, das daran sich regeneriere, ist oberflächlich, bloße Wunschphantasie. Die Kraft des historischen Prozesses, der das feste Ich auskristallisierte, hat sich im Individuum vergegenständlicht, hält es zusammen und trennt es von der Vorwelt in ihm selber. Offenbare archaische Regungen sind mit der Zivilisation unvereinbar. Die schmerzhafte Operation der Psychoanalyse, so wie sie ursprünglich konzipiert war, hatte ihre Aufgabe und ihre Schwierigkeit nicht zuletzt an der Durchbrechung jenes Walles. Unzensuriert kommt das Archaische nur durch die Explosion zutage, der das Ich erlag: im Zerfall des integralen Einzelwesens. Der Infantilismus Strawinskys kennt diesen Preis. Er verschmäht die sentimentale Illusion des »O wüßt ich doch den Weg zurück« und konstruiert den Standpunkt der Geisteskrankheit, um die gegenwärtige Vorwelt manifest zu machen. Während die Bürger die Schule Schönbergs verrückt schelten, weil sie nicht mitspielt, und Strawinsky witzig und normal finden, ist die Komplexion seiner Musik der Zwangsneurose und mehr noch deren psychotischer Steigerung, der Schizophrenie, abgelernt. Sie tritt als strenges, zeremoniellunverletzliches System auf, ohne daß die prätendierte Regelhaftigkeit in sich selbst durchsichtig, rational wäre kraft der Logik der Sache. Das ist der Habitus des Wahnsystems. Er erlaubt es zugleich, allem, was nicht vom System eingefangen ist, autoritär zu begegnen. So wird die Archaik zur Moderne. Der musikalische Infantilismus gehört einer Bewegung an, die als mimetische Abwehr des Kriegswahnsinns allenthalben schizophrenische Modelle entwarf: um 1918 ist Strawinsky als Dadaist angegriffen worden, und die Histoire du Soldat und der Renard zertrümmern alle Einheit der Person pour épater le bourgeois17.

Der fundamentale Impuls Strawinskys, Regression diszipliniert in den Griff zu bekommen, bestimmt die infantilistische Phase mehr als jede andere. Es liegt im Wesen der Ballettmusik, physische Gesten und darüber hinaus Verhaltensweisen vorzuschreiben. Dem bleibt Strawinskys Infantilismus treu. Keineswegs wird Schizophrenie ausgedrückt, sondern die Musik übt ein Verhalten ein, das dem von Geisteskranken ähnelt. Das Individuum tragiert die eigene Dissoziation. Von solcher Nachahmung verspricht es sich, magisch wiederum, doch nun in unmittelbarer Aktualität, die Chance, den eigenen Untergang zu überleben. Daher die kaum spezifisch musikalisch, nur anthropologisch erklärbare Wirkung. Strawinsky entwirft Schemata von menschlichen Reaktionsformen, die dann unter dem unausweichlichen Druck der späten Industriegesellschaft universal wurden. Alles sprach darauf an, was von sich aus, dem Trieb nach dorthin schon wollte, wozu jene Gesellschaft ihre wehrlosen Angehörigen zwang: Selbstdurchstreichung, bewußtlose Geschicklichkeit, Einpassung in die blinde Totalität. Das Opfer des Selbst, das die neue Organisationsform jedem zumutet, lockt als Urvergangenheit und ist zugleich mit dem Grauen vor einer Zukunft besetzt, in der man all das fahren lassen muß, wodurch man der ward, um dessen Erhaltung willen doch die ganze Anpassungsmaschine funktioniert. Die Reflexion im ästhetischen Abbild beschwichtigt die Angst und verstärkt die Lockung. Jenes Moment des Begütigenden, Harmonistischen, der Versetzung von Gefürchtetem in Kunst, das ästhetische Erbe der magischen Praxis, gegen das aller Expressionismus bis zu Schönbergs revolutionären Werken aufbegehrte – dies Harmonistische triumphiert, als Bote des eisernen Zeitalters, in Strawinskys schnödem und schneidendem Ton. Er ist der Jasager der Musik. Sätze von Brecht, wie »es geht auch anders, doch so geht es auch« oder »ich will ja gar kein Mensch sein«, könnten der Soldatengeschichte und der Tieroper als Motto dienen. Von dem Concertino für Streichquartett, also für jene Besetzung, die einmal dem musikalischen Humanismus, der absoluten Durchseelung des Instrumentalen, am reinsten sich angemessen hatte, verlangte der Autor, es solle abschnurren wie eine Nähmaschine. Die Piano Rag Music ist für mechanisches Klavier geschrieben. Angst vor der Entmenschlichung wird umgedeutet in die Freude, diese zu enthüllen, schließlich in die Lust des gleichen Todestriebes, dessen Symbolik der verhaßte Tristan bereitete. Die Empfindlichkeit gegen das Verbrauchte der Ausdruckscharaktere, gesteigert zur Abneigung gegen allen unfiltrierten Ausdruck, die der gesamten streamline-Epoche der Zivilisation eignet, bekennt sich als Stolz darüber, daß man aus Einverständnis mit dem entmenschlichten System den Begriff des Menschen in sich selber negiert, ohne darüber real unterzugehen. Das schizophrenische Gebaren von Strawinskys Musik ist ein Ritual, die Kälte der Welt zu überbieten. Sein Werk nimmt es grinsend mit dem Wahnsinn des objektiven Geistes auf. Indem es den Wahnsinn, der allen Ausdruck tötet, selber ausdrückt, reagiert es ihn nicht bloß, wie die Psychologie es nennt, ab, sondern unterwirft ihn selber der organisierenden Vernunft18.

Nichts wäre falscher, als Strawinskys Musik nach Analogie dessen zu fassen, was ein deutscher Faschist Bildnerei der Geisteskranken nannte. Wie es vielmehr ihr Anliegen ist, schizophrenische Züge durch das ästhetische Bewußtsein zu beherrschen, so möchte sie insgesamt den Wahnsinn als Gesundheit vindizieren. Etwas davon ist im bürgerlichen Begriff des Normalen seit je enthalten. Er verlangt Leistungen der Selbsterhaltung bis zum Widersinn, der Desintegration des Subjekts, unbegrenzter Realitätsgerechtigkeit zuliebe, die Selbsterhaltung gestattet einzig, indem sie das sich Erhaltende kassiert. Dem entspricht ein Scheinrealismus: während das Realitätsprinzip allein entscheidet, wird die Realität dem, der es bedingungslos befolgt, leer, der eigenen Substanz nach unerreichbar, abgetrennt von ihm durch einen Abgrund des Sinnes. Nach solchem Scheinrealismus klingt Strawinskys Sachlichkeit. Das vollends gewitzigte, illusionslose Ich erhebt das Nicht-Ich zum Götzen, aber in seinem Eifer durchschneidet es die Fäden zwischen Subjekt und Objekt. Die beziehungslos stehen gelassene Hülse des Objektiven wird um solcher Entäußerung willen als übersubjektive Objektivität, als die Wahrheit ausgegeben. Das ist die Formel für Strawinskys metaphysisches Manöver wie für seinen sozialen Doppelcharakter. Die Physiognomie seines Werkes vereint die des Clowns mit der des höheren Angestellten. Es spielt den Narren und hält die eigene Grimasse praktisch verfügbar. Hämisch verbeugt es sich vor dem Publikum, nimmt die Maske ab und zeigt, daß kein Gesicht darunter ist, sondern ein Knauf. Der blasierte Dandy des Ästhetizismus von anno dazumal, der die Emotionen satt hat, erweist sich als Kleiderpuppe: der pathisch Abseitige als Modell ungezählter Normaler, die sich untereinander gleichen. Der herausfordernde Schock der Entmenschlichung auf eigene Faust wird zum Urphänomen der Standardisierung. Die totenhafte Eleganz und Verbindlichkeit des Exzentriks, der die Hand dorthin legt, wo einmal das Herz war, ist zugleich die Geste der Kapitulation, der Empfehlung des Subjektlosen ans totenhaft allmächtige Dasein, über das er eben noch sich mokierte.

Der Realismus der Fassade zeigt sich musikalisch im überwertigen Bestreben, sich nach gegebenen Medien zu richten. Realitätsgerecht ist Strawinsky in seiner Technik. Der Primat der Spezialität über die Intention, der Kultus des Kunststücks, die Freude an geschickten Handhabungen wie denen des Schlagzeugs im Soldaten, all das spielt die Mittel gegen den Zweck aus. Das Mittel im wörtlichsten Sinn, das Instrument, wird hypostasiert: es hat den Vorrang über die Musik. Die Komposition läßt es sich angelegen sein, es zum seiner Beschaffenheit gemäßesten Klingen, zum schlagendsten Effekt zu bringen, anstatt daß die instrumentalen Valeurs, wie Mahler es forderte, der Verdeutlichung des Zusammenhangs, der Bloßlegung rein musikalischer Strukturen dienten. Das hat Strawinsky den Ruhm des materialkundigen, unbeirrbaren Könners und die Bewunderung all der Hörer eingebracht, die den »skill« anbeten. Er vollendet damit eine alte Tendenz. Mit der fortschreitenden Differenzierung der musikalischen Mittel um des Ausdrucks willen war stets die Steigerung des »Effekts« verbunden: Wagner ist nicht nur derjenige, der Seelenregungen zu manipulieren wußte, indem er ihnen die eindringlichsten technischen Korrelate fand, sondern auch zugleich der Erbe Meyerbeers, der showman der Oper. Bei Strawinsky schließlich verselbständigen sich die schon bei Strauss überwiegenden Effekte. Sie zielen nicht mehr auf den Reiz, sondern das »Machen« an sich wird gleichsam in abstracto vorgeführt und genossen, ohne ästhetischen Zweck wie ein Salto mortale. In der Emanzipation vom Sinn eines Ganzen nehmen sie ein physisch Materielles, Handgreifliches, Sportliches an. Die Animosität gegen die anima, die das œuvre Strawinskys durchzieht, ist vom gleichen Wesen wie die desexualisierte Beziehung seiner Musik zum Körper. Dieser selbst wird von ihr als Mittel, als exakt reagierendes Ding behandelt; sie hält ihn an zu Höchstleistungen, wie sie im Raubspiel und im Wettkampf der Stämme des Sacre drastisch auf die Bühne kommen. Die Härte des Sacre, das sich gegen alle subjektive Regung so stumpf macht wie das Ritual gegen den Schmerz bei Initiationen und Opfern, ist zugleich die Kommandogewalt, die den Körper, dem es mit permanenter Drohung den Ausdruck von Schmerz verwehrt, zum Unmöglichen trainiert gleich dem Ballett, dem wichtigsten traditionellen Element Strawinskys. Solche Härte, das rituale Seelenaustreiben, trägt bei zum Anschein, das Produkt sei nichts subjektiv Hervorgebrachtes, den Menschen Reflektierendes, sondern ein an sich Daseiendes. Strawinsky hat denn auch in einem Interview, das ihm um seiner vermeintlichen Arroganz willen verübelt ward, das aber seine treibende Idee recht genau wiedergibt, von einem der späteren Werke gesagt, man brauche nicht dessen Qualität zu diskutieren, es sei einfach da wie irgendeine Sache. Das Air des Authentischen wird mit nachdrücklicher Entseelung erkauft. Musik verspricht, indem sie alles Gewicht auf ihre bloße Existenz legt und den Anteil des Subjekts unter ihrer emphatischen Stummheit versteckt, dem Subjekt den ontologischen Halt, den es durch die gleiche Entfremdung verlor, welche die Musik als Stilprinzip wählt. Die auf die Spitze getriebene Beziehungslosigkeit zwischen Subjekt und Objekt surrogiert die Beziehung. Gerade das Irre, Obsessive des Verfahrens, der krasse Gegensatz zum sich selbst organisierenden Kunstwerk, hat ohne Zweifel Ungezählte gelockt.

In diesem System finden die eigentlich schizophrenischen Elemente von Strawinskys Musik ihren Stellenwert. Während der infantilistischen Phase wird das Schizophrene gleichsam thematisch. Rücksichtslos nimmt die Histoire du Soldat psychotische Verhaltensweisen in musikalische Konfigurationen auf. Die organisch-ästhetische Einheit ist dissoziiert. Sprecher, Bühnenvorgang und sichtbares Kammerorchester werden nebeneinander gestellt und damit die Identität des tragenden ästhetischen Subjekts selber herausgefordert. Der anorganische Aspekt verhindert jede Einfühlung und Identifikation. Ihn gestaltet die Partitur selber. Sie erweckt den Eindruck des mit äußerster Meisterschaft formulierten Verstörten: insbesondere durch den Klang, der die üblichen Proportionen der Ausgewogenheit sprengt und der Posaune, dem Schlagzeug, dem Kontrabaß unmäßige Größe zumutet – ein schiefer, aus der akustischen Balance geratener Klang, vergleichbar dem Blick des kleinen Kindes, dem die Hosenbeine eines Mannes mächtig und der Kopf winzig erscheinen. Die melodisch-harmonische Faktur bestimmt sich durch eine Doppelheit von Fehlleistung und unerbittlicher Kontrolle, die der äußersten Willkür etwas Determiniertes verleiht, etwas von der unausweichlichen, unaufhaltsamen Logik des Defekts, welche die der Sache verdrängt. Es ist, als komponierte die Dekomposition vollkommen sich selber. Vom »Soldaten«, dem Zentralstück Strawinskys, das zugleich der Idee eines chef d'œuvre, wie noch das Sacre es war, Hohn spricht, fällt Licht auf seine gesamte Produktion. Kaum einer der schizophrenischen Mechanismen, wie sie die Psychoanalyse, etwa in Otto Fenichels letztem Buch19, abhandelt, der nicht die bündigsten Äquivalente darin fände. Die negative Objektivität des Kunstwerks gemahnt selber an ein Regressionsphänomen. Es ist der psychiatrischen Lehre von der Schizophrenie als »Depersonalisierung« vertraut, Fenichel zufolge eine Abwehrregung gegen den übermächtigen Narzißmus20. Die Entfremdung der Musik vom Subjekt und zugleich ihre Bezogenheit auf Körpersensationen hat ihr pathogenes Analogen in den wahnhaften Körpersensationen derer, die des eigenen Körpers gleichwie eines Fremden gewahr werden. Vielleicht dokumentiert die Spaltung des Strawinskyschen Kunstwerks in Ballett und objektivistische Musik selber das zugleich pathisch gesteigerte und dem Subjekt entfremdete Körpergefühl. Das Körpergefühl des Ichs wäre dann auf ein diesem real fremdes Medium, die Tanzenden, projiziert, die als solche »ich-eigene« und vom Ich beherrschte Sphäre jedoch, die Musik, entfremdet und dem Subjekt als an sich Seiendes gegenübergestellt. Die schizoide Aufspaltung der ästhetischen Funktionen im »Soldaten« hätte ihre Vorform in der zugleich ausdruckslosen und einem ihrem Sinnzusammenhang Jenseitigen, Physischen zubestimmten Ballettmusik. Schon in den früheren Balletten Strawinskys fehlt es nicht an Passagen, wo die »Melodie« in der Musik ausgespart ist, um in der wahren Hauptstimme, der Körperbewegung auf der Szene, zu erscheinen21.

Die Abweisung des Ausdrucks, das sinnfälligste Moment von Depersonalisierung bei Strawinsky, hat in der Schizophrenie sein klinisches Gegenstück an der Hebephrenie, der Gleichgültigkeit des Kranken gegen das Auswendige. Gefühlskälte und emotionale »Flachheit«, wie sie an Schizophrenen durchweg beobachtet wird, ist keine Verarmung der vorgeblichen Innerlichkeit an sich. Sie entspringt im Mangel an libidinöser Besetzung der Objektwelt, der Entfremdung selber, die nicht das Innere sich entfalten läßt, sondern es gerade zur Starrheit und Unbeweglichkeit veräußerlicht. Daraus macht Strawinskys Musik ihre Tugend: Ausdruck, der allemal aus dem Leiden des Subjekts am Objekt hervorgeht, wird verpönt, weil es zum Kontakt gar nicht mehr kommt. Die impassibilité des ästhetischen Programms ist eine List der Vernunft über die Hebephrenie. Diese wird in Überlegenheit und künstlerische Reinheit umgedeutet. Sie läßt sich von Impulsen nicht stören, sondern benimmt sich, als operiere sie im Reich der Ideen. Wahrheit und Unwahrheit darin jedoch bedingen sich wechselseitig. Denn die Negation des Ausdrucks ist nicht einfach, wie es dem naiven Humanismus passen könnte, Rückfall in böse Unmenschlichkeit. Dem Ausdruck widerfährt, was er verdient hat. Nicht nur werden die zivilisatorischen Tabus über den Ausdruck22 in der als Medium bislang hinter der Zivilisation zurückgebliebenen Musik vollstreckt. Es wird zugleich Rechenschaft davon abgelegt, daß gesellschaftlich das Substrat des Ausdrucks, das Individuum, verurteilt ist, weil es selber das destruktive Grundprinzip jener Gesellschaft abgab, die heute an ihrem antagonistischen Wesen zugrunde geht. Wenn seinerzeit Busoni der expressionistischen Schönbergschule neue Sentimentalität vorwarf, so ist das nicht nur die modernistische Ausrede eines, der in der musikalischen Entwicklung nicht mitkam, sondern er spürte, daß im Ausdruck als solchem etwas vom Unrecht des bürgerlichen Individualismus fortlebt; von der Lüge dessen, was doch bloß gesellschaftlicher Agent ist, an und für sich zu sein; von der nichtigen Klage darüber, daß man vom Prinzip der Selbsterhaltung ereilt wird, das man doch eben durch Individuation selber vertritt und im Ausdruck reflektiert. Das kritische Verhältnis zum Ausdruck ist aller verantwortlichen Musik heute gemein. Auf divergenten Wegen haben es die Schönbergschule und Strawinsky gewonnen, obwohl jene auch nach der Einführung der Zwölftontechnik es nicht dogmatisierte. Es gibt Stellen bei Strawinsky, die in ihrer trüben Indifferenz oder grausamen Härte dem Ausdruck und seinem untergehenden Subjekt mehr Ehre antun, als wo es weiter überströmt, weil es noch nicht weiß, daß es tot ist: in solcher Gesinnung führt in der Tat Strawinsky den Prozeß Nietzsche contra Wagner zu Ende23. Die leeren Augen seiner Musik haben zuweilen mehr Ausdruck als der Ausdruck. Unwahr und reaktionär wird die Absage an diesen erst, wenn die Gewalt, die damit dem Individuellen widerfährt, unmittelbar als Überwindung des Individualismus erscheint, Atomisierung und Nivellierung als Gemeinschaft der Menschen. Damit kokettiert die Strawinskysche Ausdrucksfeindschaft auf all ihren Stufen. Hebephrenie enthüllt am Ende auch musikalisch sich als das, was die Psychiater von ihr wissen. Die »Indifferenz zur Welt« kommt auf das Abziehen aller Affekte vom Nicht-Ich, auf narzißtische Gleichgültigkeit gegen das Los der Menschen heraus, und diese Gleichgültigkeit wird ästhetisch als Sinn ihres Loses zelebriert.

Der hebephrenen Gleichgültigkeit, die auf keinen Ausdruck sich einläßt, entspricht Passivität auch dort, wo Strawinskys Musik rastlose Aktivität vorstellt. Seine rhythmische Verhaltensweise kommt überaus nahe dem Schema der katatonischen Zustände. Bei gewissen Schizophrenen führt die Verselbständigung des motorischen Apparats nach dem Zerfall des Ichs zur endlosen Wiederholung von Gesten oder Worten; ähnliches kennt man bereits an vom Schock Ereilten. So steht Strawinskys Schockmusik unter Wiederholungszwang, und der Zwang lädiert weiter das Wiederholte. Die Eroberung musikalisch zuvor unbetretener Regionen wie des vertierten Stumpfsinnes im »Soldaten« verdankt sich dem katatonischen Einschlag. Aber er hilft nicht bloß der charakterisierenden Absicht, sondern der musikalische Verlauf selber wird davon angesteckt. Man hat der von Strawinsky ausgehenden Schule den Namen Motorik verliehen. Die Konzentration der Musik auf Akzente und Zeitabstände bringt die Illusion körperlicher Bewegung hervor. Aber diese Bewegung besteht in der verschiedenen Wiederkehr von Gleichem: der gleichen Melodieformen, der gleichen Harmonien, ja der gleichen rhythmischen Muster selber. Indem die Motilität – Hindemith hat ein Chorwerk »Das Unaufhörliche« genannt – es eigentlich nie weiter bringt, verfällt die Insistenz, die Prätention von Kraft, einer Schwäche und Vergeblichkeit vom Schlage der gestischen Schemata Schizophrener. Alle aufgewandte Energie wird in den Dienst blinden und ziellosen Gehorsams unter blinden Regeln gestellt, an Sisyphusaufgaben fixiert. In den besten infantilistischen Stücken ist aus solchem irren, eingesperrten sich in den Schwanz Beißen die verfremdete Wirkung des nicht aus den Fängen Lassens gezogen. Wie die katatonischen Handlungen starr zugleich und bizarr sind, so vereinen die Wiederholungen Strawinskys Konventionalismus und Beschädigung. Jener erinnert an die maskenhafte, zeremoniale Höflichkeit mancher Schizophrenen. Es bleiben dieser Musik nach gelungener Seelenaustreibung die leeren Gehäuse des Beseelten zurück. Zugleich fungiert der Konventionalismus – aus dem dann, mit leiser ästhetischer Verschiebung, das neoklassische Ideal hervorgegangen ist – als »Restitutionsphänomen«, als Brücke zurück zum »Normalen«. Im Petruschka kamen konventionelle Erinnerungen, die Banalität von Drehorgel und Kinderreimen, als Reizwerte vor. Das Sacre du Printemps hatte sie weitgehend beseitigt: mit den Dissonanzen und all den stilistisch diktierten Verboten schlägt es der Konvention ins Gesicht und ist denn auch durchaus als revolutionär im konventionsfeindlichen Sinn verstanden worden24. Von der Histoire du Soldat an verändert sich das. Das Erniedrigte und Beleidigte, die Trivialität, die im Petruschka als Witz inmitten des Klingens figurierte, wird nun zum einzigen Material und zum Agens der Schocks. So beginnt die Renaissance der Tonalität. Die melodischen Kerne, nach dem Vorbild des Sacre und etwa der drei Quartettstücke, vollends nun entwertet, klingen an die untere Vulgärmusik an, den Marsch, das idiotische Gefiedel, den veralteten Walzer, auch schon die kurrenten Tänze Tango und Ragtime25. Nicht in der Kunstmusik, sondern in den standardisierten und vom Markt degradierten Gebrauchspiècen, die freilich nur vom Komponiervirtuosen transparent gemacht zu werden brauchen, um ihr klapperndes Skelett zu offenbaren, werden die Themenmodelle aufgespürt. Durch Affinität zu dieser Musiksphäre gewinnt der Infantilismus sowohl seinen »realistischen«, wie immer auch negativen Halt an dem, was gang und gäbe ist, wie er Schocks austeilt, indem er die den Menschen vertraute, populäre Musik ihnen so nahe auf den Leib rücken läßt, daß sie von ihr als rein durch den Markt vermittelter, dinghafter, ganz ferner erschreckt werden. Die Konvention überschlägt sich: nur durch sie hindurch leistet Musik die Verfremdung. Sie entdeckt das latente Grauen der unteren Musik in den Fehlleistungen ihrer Interpretation wie in ihrem Zusammengesetztsein aus desorganisierten Partikeln und zieht aus der allgemeinen Desorganisation ihr Organisationsprinzip. Der Infantilismus ist der Stil des Kaputten. Es klingt, wie aus Briefmarken geklebte Bildchen aussehen, brüchige und wiederum ausweglos dicht verklammerte Montage, drohend gleich den ärgsten Träumen. Das pathogene, zugleich kreisend geschlossene und desintegrierte Arrangement verschlägt den Atem. In ihm signalisiert sich musikalisch der entscheidende anthropologische Sachverhalt der Ära, an deren Beginn das Werk steht: die Unmöglichkeit von Erfahrung. Wenn Benjamin die Epik Kafkas als Erkrankung des gesunden Menschenverstands bezeichnet hat, dann sind die schadhaften Konventionen des »Soldaten« die Wundmale alles dessen, was durch das bürgerliche Zeitalter hindurch gesunder Menschenverstand in der Musik hieß. An ihnen erscheint der unversöhnliche Bruch zwischen dem Subjekt und dem, was musikalisch als Objektives ihm gegenüberstand, dem Idiom. Jenes ist so ohnmächtig wie dieses verfallen. Musik muß darauf verzichten, sich zum sei es auch tragischen Bild richtigen Lebens zu machen. Statt dessen verkörpert sie die Idee, daß es kein Leben mehr gibt.

Damit erklärt sich der bestimmende Widerspruch in Strawinskys Musik. Sie ist der Gegenschlag gegen alles musikalisch »Literarische« nicht nur der Programmusik, sondern auch der poetischen Aspirationen des Impressionismus, über welche der Strawinsky intellektuell nahestehende, wenn auch als Komponist unzulängliche Satie sich lustig machte. Indem aber Strawinskys Musik nicht als unmittelbarer Lebensprozeß auftritt, sondern als absolute Mittelbarkeit; indem sie die Desintegration von Leben sowohl wie den verfremdeten Bewußtseinsstand des Subjekts in ihrem eigenen Material registriert, wird sie selber in ganz anderem Sinn literarisch und straft damit freilich die Ideologie der Ursprungsnähe Lügen, die so gerne an sie sich heftete. Das Verbot des Pathos im Ausdruck ereilt die kompositorische Spontaneität selber: das Subjekt, das musikalisch nicht länger etwas von sich aussagen soll, hört damit auf, eigentlich zu »produzieren«, und begnügt sich mit dem hohlen Echo der objektiven musikalischen Sprache, die nicht seine eigene mehr ist. Strawinskys Werk ist, am deutlichsten in der infantilistischen Phase, aber eigentlich durchweg, nach dem Wort von Rudolf Kolisch, Musik über Musik26. An den Rat seines Ästhetikers, ne faites pas l'art après l'art, hat er sich nicht gehalten. Die Konzeption der lädierten Tonalität selber, auf der alle Werke Strawinskys etwa seit dem »Soldaten« beruhen, setzt außerhalb der immanenten Formgesetzlichkeit der Werke stehende, durch Bewußtsein von außen, »literarisch« gegebene Musikstoffe voraus, an denen die Komposition sich betätigt. Sie zehrt von der Differenz der Modelle und dem, was sie damit verübt. Der für die Schule Schönbergs zentrale Begriff eines dem Werk selber innewohnenden musikalischen Materials ist in Strenge kaum auf Strawinsky anwendbar. Seine Musik blickt stets auf andere hin, die sie durch Überbelichtung ihrer starren und mechanistischen Züge »verzerrt«. Die Histoire du Soldat läßt aus der in Trümmer geschlagenen entäußerten Musiksprache durch konsequente Handhabung eine zweite, traumhaft regressive zusammenschießen. Sie wäre vergleichbar den aus Tagesresten gebildeten Traummontagen der Surrealisten. So mag der monologue intérieur beschaffen sein, den die aus Radio und Grammophon-Automaten auf die Städtebewohner losgelassene Musik in ihrem entspannten Bewußtsein führt, eine synthetische zweite Musiksprache, technifiziert und primitiv. Im Versuch, solche Sprache zu erreichen, berührt Strawinsky sich mit Joyce: nirgends kommt er seinem innersten Anliegen näher, der Konstruktion dessen, was Benjamin Urgeschichte der Moderne nannte. Doch hat er sich nicht auf dem Extrem gehalten: schon Stücke wie die beiden Ragtimes verfremden weniger die Musiksprache – nämlich Tonalität – selber durch die Traumarbeit der Erinnerung, als daß sie einzelne deutlich ablösbare Modelle der Gebrauchssphäre in absolut-musikalische Gebilde umdenken. Bei vielen Stücken dieses Typus ließe sich daneben schreiben, wie sie »richtig« lauteten: Polkas, Galopps und vulgäre Salonschlager des neunzehnten Jahrhunderts. Die Beschädigungsaktion verschiebt sich vom Idiom als solchem auf den ohnehin gerichteten Abhub: erstes Einlenken. Der Psychologie zufolge verhält sich der »autoritäre Charakter« ambivalent der Autorität gegenüber. So dreht Strawinskys Musik der unserer Väter eine Nase27. Der Respekt vor der Autorität, der man es antut, anstatt sie in der kritischen Anstrengung der eigenen Produktion aufzulösen, tritt zusammen mit der sonst von Strawinskys Musik gut verdrängten Wut über das renoncement. Solche Gesinnung trifft das neue, autoritäre Publikum auf halbem Wege. Die Lächerlichkeit der Polkas schmeichelt dem Jazzfanatiker; der Triumph über die Zeit in abstracto, über das, was veraltet sich darstellt durch den Wechsel der Mode, ist der Ersatz für den revolutionären Impuls, der sich nur dort noch betätigt, wo er sich bereits von großen Mächten gedeckt weiß. Trotzdem bewahrt der literarische Zug Strawinskys die permanente Möglichkeit des Skandals. Seine Nachahmer unterscheiden sich von ihm auch darin, daß sie, weniger vom Geist angefochten, der Versuchung, Musik über Musik zu schreiben, rasch ledig wurden. Hindemith zumal hat von Strawinsky zwar den neusachlichen Anspruch übernommen, aber die gebrochene Musiksprache nach kurzfristigen Exzessen ins Buchstäblich-Solide übersetzt und eine rückwärtige Verbindungslinie zwischen den Masken und Hohlplastiken und dem »absoluten« Musikideal des deutschen Akademismus gezogen. Der Kurzschluß, der von der Ästhetik Apollinaires und Cocteaus zur Volks- und Jugendmusikbewegung und zu ähnlichen Unternehmungen der organisierten Banausie führte, wäre eines der sonderbarsten Exempel für das Herabsinken von Kulturgut, hätte er nicht sein Gegenstück an der Faszination, die der deutsche Kulturfaschismus international gerade auf jene Intellektuellen ausübte, deren Innovationen durch die Ordnung Hitlerschen Stils pervertiert zugleich und kassiert wurden.

Strawinskys Musik über Musik Machen desavouierte jenen Provinzialismus des guten deutschen Musikers, der für handwerkliche Konsequenz mit amusischer Rückständigkeit zahlen läßt. Indem bei Strawinsky kein musikalisches Ereignis behauptet, es selber, »Natur« zu sein, hat er den Typus des Literaten in der Musik nachdrücklich tradiert und damit soviel Recht auf seiner Seite wie der Literat gegen den Anspruch des Dichters, inmitten der spät industriellen Warenwelt als inspirierter Schöpfer im Walde so für sich hinzugehen. Das schizoide Abgesperrtsein von Natur, das sein œuvre sich zueignet, wird zum Korrektiv gegen ein Gebaren von Kunst, das Entfremdung verkleistert, anstatt ihr die Stirn zu bieten. In der westlichen Musik hat der Literat seine Vorgeschichte am Ideal des Maßhaltens. Das Endliche ist das gut Gemachte. Nur was den metaphysischen Anspruch von Unendlichkeit erhebt, sucht eben damit den Charakter des Gemachten als beschränkend aufzuheben und als Absolutes sich zu setzen. Debussy und Ravel waren literatenähnlich nicht bloß, weil sie gute Gedichte komponierten: zumal des letzteren Ästhetik des gedrechselten Spielzeugs, der gageure, des tour de force beugte sich dem Verdikt des Baudelaire der Paradis Artificiels, der keine »Naturlyrik« mehr schrieb. Keine Musik, die an technologischer Aufklärung teilhat, vermag jenem Verdikt länger sich zu entziehen. Bei Wagner schon hat das technisch souverän Gemachte über die Inspiration, das sich Überlassen ans unbeherrschte Material, in jedem Sinn das Übergewicht. Aber die deutsche Ideologie gebietet, eben dieses Moment zu verdecken: gerade die Herrschaft des Künstlers über die Natur soll selber als Natur erscheinen. Der böse Irrationalismus Wagners und sein Rationalismus in der bewußten Verfügung über die Mittel sind zwei Seiten des gleichen Sachverhalts. Darüber ist die Schönbergschule, blind gegen jene historischen Veränderungen im ästhetischen Produktionsprozeß, welche die Kategorie des begnadeten Sängers vollends außer Kraft setzen, nicht hinausgekommen. Neben der totalen Rationalisierung des Materials in der Zwölftontechnik läuft ein Kinderglaube an den Genius, der schließlich in skurrilen Prioritätsstreitigkeiten, possessiven Ansprüchen auf Originalität kulminiert. Solche Verblendung, vielleicht die Bedingung zur strengen und reinen Durchformung der Sache, bezieht sich nicht bloß auf die als solche gleichgültige Gesinnung der Komponisten. Sie macht sie hilflos allen Fragen der geistigen Funktion ihrer Musik gegenüber. Die äußerster Autarkie zustrebende Wiener Musik hält unschuldig daran fest, literarische Vorwürfe nach musik-dramatischem Schema zu verdoppeln, anstatt von ihnen sich zu distanzieren oder sie antithetisch zu behandeln. Diese Luft hat sich in Strawinskys Werk verzogen. Indem das artifizielle Moment der Musik, das »Machen«, seiner selbst bewußt wird und sich einbekennt, verliert es den Stachel der Lüge, reiner Seelenlaut, primär, unbedingt zu sein. Das ist der Gewinn an Wahrheit, den die Austreibung des Subjekts einheimst. An Stelle des französischen bien fait tritt ein kunstvolles mal fait: die Musik über Musik gibt zu verstehen, daß sie kein in sich erfüllter Mikrokosmos, sondern die Reflexion des Zerbrochenen und Entleerten sei. Ihre berechneten Fehler sind verwandt den offenen, jegliche Geschlossenheit der Bildgestalt dementierenden Konturen legitimer zeitgenössischer Malerei wie Picassos. Parodie, die Grundform der Musik über Musik, heißt etwas nachmachen und durchs Nachmachen verspotten. Solche Haltung gerade, zuerst den Bürgern verdächtig als die des intellektuellen Musikanten, fügt doch bequem der Regression sich ein. Wie ein Kind Spielzeug demontiert und dann mangelhaft wieder zusammensetzt, so benimmt die infantilistische Musik sich zu den Modellen. Etwas nicht ganz Domestiziertes, ungebändigt Mimetisches, Natur gerade steckt in der Unnatur: so mögen Wilde einen Missionar tanzen, ehe sie ihn fressen. Aber der Impuls dazu ist aus dem zivilisatorischen Druck hervorgegangen, der liebende Nachahmung verpönt und Nachahmung nur als verstümmelnde toleriert. Das, nicht der vorgebliche Alexandrinismus steht zur Kritik. Der böse Blick aufs Modell bannt die Musik über Musik in Unfreiheit. Sie verkümmert in der Bindung ans Heteronome. Es ist, als könne sie an kompositorischem Inhalt nicht mehr sich zumuten, als in der Schäbigkeit jener Musik angelegt ist, an deren negativem Bilde sie ihr Glück hat. Die Gefahr des musikalischen Literaten mit all seinen Reaktionsweisen, dem Justament der Music Hall gegen den Parsifal, des mechanischen Klaviers gegen den Rausch der Streicher, eines romantischen Traumamerikas gegen den Kinderschreck deutscher Romantik ist nicht zuviel Bewußtheit, Gebrochenheit, Differenziertheit, sondern die Versimpelung. Sie wird evident, sobald Musik über Musik die Anführungszeichen unterschlägt.

Erinnerungstrümmer werden aneinandergereiht, nicht musikalisch unmittelbares Material aus der eigenen Triebkraft entfaltet. Die Komposition verwirklicht sich nicht durch Entwicklung, sondern vermöge der Risse, welche sie durchfurchen. Die übernehmen die Rolle, die früher dem Ausdruck zufiel: ähnlich wie Eisenstein von der Filmmontage erklärte, der »allgemeine Begriff«, die Bedeutung, die Synthese der Teilelemente des Vorwurfs gehe hervor gerade aus ihrer Nebeneinanderstellung als getrennte28. Damit aber dissoziiert sich das musikalische Zeitkontinuum selber. Strawinskys Musik bleibt Randphänomen trotz der Ausbreitung ihres Stils über die gesamte jüngere Generation, weil sie die dialektische Auseinandersetzung mit dem musikalischen Zeitverlauf vermeidet, die das Wesen aller großen Musik seit Bach ausmacht. Aber die Eskamotierung der Zeit, die von den rhythmischen Kunststücken bewerkstelligt wird, ist keine jähe Errungenschaft Strawinskys. Der seit dem Sacre als Gegenpapst gegen den Impressionismus ausgerufen ward, lernte von diesem musikalische »Zeitlosigkeit«. Der Erfahrung des an deutscher und österreichischer Musik Gebildeten ist von Debussy her enttäuschte Erwartung vertraut. Das arglose Ohr spannt das ganze Stück hindurch, ob »es komme«; alles erscheint wie Vorspiel, Präludieren zu musikalischen Erfüllungen, zum »Abgesang«, der dann ausbleibt. Das Gehör muß sich umschulen, um Debussy richtig wahrzunehmen, nicht als einen Prozeß mit Stauung und Auslösung, sondern als ein Nebeneinander von Farben und Flächen, wie auf einem Bild. Die Sukzession exponiert bloß, was dem Sinne nach simultan ist: so wandert der Blick über die Leinwand. Technisch sorgt dafür zunächst die nach dem Ausdruck Kurt Westphals »funktionslose« Harmonik. Anstatt daß Stufenspannungen innerhalb der Tonart oder modulatorisch ausgetragen würden, lösen sich jeweils in sich statische und in der Zeit vertauschbare harmonische Komplexe ab. Das harmonische Kräftespiel wird durch deren Wechsel ersetzt; der Idee nach gar nicht so unähnlich der komplementären Harmonik der Zwölftontechnik. Alles übrige folgt aus der harmonischen Anschauungsweise des Impressionismus: die schwebende, eine eigentliche »Durchführung« ausschließende Behandlung der Form, das Vorwalten des vom Salon herkommenden Typus Charakterstück auf Kosten des eigentlich Symphonischen selbst in ausgedehnteren Sätzen, die Absenz des Kontrapunktes, die überwertige, den harmonischen Komplexen zugeordnete Koloristik. Es gibt kein »Ende«: das Stück hört auf wie das Bild, von dem man sich abwendet. Bei Debussy hatte diese Tendenz bis zum zweiten Band der Préludes und dem Ballett Jeux sich mit wachsender Atomisierung der thematischen Substanz immer mehr verstärkt. Sein Radikalismus darin brachte einige seiner meisterlichsten Stücke um die Beliebtheit. Der Spätstil Debussys dann ist eine Reaktion dagegen, der Versuch, etwas wie musikalischen Zeitverlauf wieder anzudeuten, ohne das Ideal des Schwebenden darüber zu opfern. Ravels Arbeit ist im Großen umgekehrt verlaufen. Das Frühwerk Jeux d'eau ist eines der entwicklungslosesten, undynamischsten der Schule trotz der Sonatendisposition, aber seitdem hat er sich um Kräftigung des Stufenbewußtseins bemüht. Daher die eigentümliche, von Brahms ganz verschiedene Rolle der Modalität. Die Kirchentonarten geben ein Surrogat für die tonalen Stufen ab. Diese aber werden durch den Fortfall der Kadenzfunktion, den die Modalität begünstigt, entdynamisiert. Der Archaismus der Organum- und faux bourdon-Wirkungen hilft eine Art stufenweisen Fortgangs zu Wege zu bringen und doch das Gefühl des statischen Nebeneinanders zu erhalten. Das undynamische Wesen der französischen Musik mag auf ihren Erbfeind Wagner zurückgehen, dem doch unersättliche Dynamik vorgeworfen wird. Bei ihm schon ist der Verlauf vielerorten ein bloßes Verschieben. Daher leitet sich die Motivtechnik Debussys, entwicklungslose Wiederholung einfachster Tonfolgen. Strawinskys berechnet-karge Melismen sind die unmittelbaren Nachkommen jener Debussystischen gleichsam physikalischen Motive. Sie sollten »Natur« bedeuten, wie viele der Wagnerischen, und Strawinsky ist dem Glauben an derlei Urphänomene treu geblieben, wenngleich er sie gerade durch Aussparung ihres Ausdrucks dazu zu machen hoffte. In der Tat steckt schon in der unermüdlichen und, als ausnahmslose, am Ende sich selbst aufhebenden Wagnerischen Dynamik etwas Scheinhaftes, Vergebliches. »Jedem ruhigen Beginnen folgte ein rasches Aufwärtstreiben. Der darin unersättliche, aber nicht unerschöpfliche Wagner verfiel notgedrungen auf den Ausweg, nach einem erreichten Höhepunkte wieder leise anzusetzen, um sofort von neuem anzuwachsen.«29 Mit anderen Worten: die Steigerung führt eigentlich nicht weiter, dasselbe geschieht noch einmal. Dementsprechend wird, etwa im zweiten Akt des Tristan, der musikalische Inhalt des den Steigerungsabschnitten je zugrundeliegenden Motivmodells von der sequenzierenden Fortsetzung kaum irgend tangiert. Dem dynamischen Element ist ein mechanisches gesellt. Darauf dürfte sich der alte und beschränkte Vorwurf der Formlosigkeit gegen Wagner beziehen. Als Riesenkartons zeigen die Musikdramen Ansätze der gleichen Verräumlichung des Zeitverlaufs, des zeitlich disparaten Nebeneinander, das dann bei den Impressionisten und bei Strawinsky vorherrschend und zum Phantasma von Form wird. Die philosophische Konstruktion Wagners, ungemein homogen der kompositorischen, kennt Geschichte eigentlich nicht sondern nur die permanente Revokation in Natur. Solche Suspension des musikalischen Zeitbewußtseins entspricht dem Gesamtbewußtsein eines Bürgertums, das, indem es nichts mehr vor sich sieht, den Prozeß selber verleugnet und seine Utopie an der Zurücknahme der Zeit in den Raum hat. Die sinnliche tristesse des Impressionismus ist die Erbin des Wagnerischen philosophischen Pessimismus. An keiner Stelle geht der Klang zeitlich über sich hinaus, sondern verschwebt im Raum. Bei Wagner war Entsagung, die Verneinung des Willens zum Leben, die tragende metaphysische Kategorie; die französische Musik, die aller Metaphysik, selbst der pessimistischen, sich begeben hat, spricht objektiv solche Entsagung um so stärker aus, je mehr sie bei einem Glück sich bescheidet, das, als bloßes Hier, als absolute Vergänglichkeit, schon keines mehr ist. Solche Stufen des Resignierens sind die Vorformen der Liquidation des Individuums, die Strawinskys Musik zelebriert. Man könnte ihn, übertreibend, einen zu sich selbst gekommenen Wagner nennen, der dessen Wiederholungszwang, ja selbst der »musikdramatischen« Leere des musikalischen Fortgangs, vorsätzlich sich überläßt, ohne den regressiven Impuls länger durch bürgerliche Ideale von Subjektivität und Entwicklung zu verdecken. Wenn die ältere Wagnerkritik, vorab Nietzsche, den Vorwurf erhob, die Wagnerische Motivtechnik wolle den musikalisch Dummen – den der industriellen Massenkultur zubestimmten Charakteren – die Gedanken einhämmern, so wird dies Einhämmern bei Strawinsky, dem Meister allen Schlagzeugs, zum zugestandenen technischen Prinzip wie dem der Wirkung: Authentizität zur Propaganda ihrer selbst.

Die immer wieder bemerkte Analogie des Übergangs von Debussy zu Strawinsky zu dem von der impressionistischen Malerei zum Kubismus zeigt mehr an als eine vage geistesgeschichtliche Gemeinsamkeit, in der die Musik im üblichen Abstand hinter Literatur und Malerei herhinkte. Vielmehr ist die Verräumlichung der Musik Zeugnis einer Pseudomorphose der Musik an die Malerei, im Innersten ihrer Abdikation. Man mag das zunächst aus der besonderen Situation Frankreichs erklären, wo die Entwicklung der malerischen Produktivkräfte die der musikalischen so überwog, daß diese unwillkürlich Halt bei der großen Malerei suchten. Aber der Sieg des malerischen über das musikalische Ingenium fügt sich dem positivistischen Zug des gesamten Zeitalters ein. Alle Malerei, auch die abstrakte, hat ihr Pathos an dem, was ist; alle Musik meint ein Werden, und dem will sie in Strawinsky durch die Fiktion ihres bloßen Daseins sich entziehen30. Bei Debussy waren die einzelnen Farbkomplexe noch miteinander vermittelt wie durch die Wagnerische »Kunst des Übergangs«: der Klang ist nicht abgesetzt, sondern schwingt jeweils über seine Grenze hinaus. Durch solches Ineinanderschwimmen bildete sich etwas wie sinnliche Unendlichkeit. Nach dem gleichen Verfahren kamen auf den impressionistischen Bildern, deren Technik die Musik absorbierte, durch die nebeneinander gesetzten Farbflecke dynamische Wirkungen, Lichteffekte zustande. Jene sinnliche Unendlichkeit war das poetisch-auratische Wesen des Impressionismus, und ihr galt die Rebellion kurz vor dem ersten Krieg. Strawinsky hat die räumlich-flächenhafte Konzeption der Musik von Debussy geradewegs übernommen, und die Technik der Komplexe ebenso wie die Beschaffenheit der melodischen Atommodelle ist Debussystisch. Die Neuerung besteht eigentlich nur darin, daß die Verbindungsdrähte zwischen den Komplexen durchschnitten, die Überreste differential-dynamischen Verfahrens abgebaut werden. Hart stehen die räumlichen Teilkomplexe gegeneinander. Die polemische Negation des weichen laisser vibrer wird zum Beweis von Kraft gemacht, das Unverbundene, Endprodukt der Dynamik, geschichtet wie Marmorblöcke. Was ineinander tönte, verselbständigt sich als gleichsam anorganischer Akkord. Verräumlichung wird absolut: der Aspekt der Stimmung, in dem alle impressionistische Musik etwas von subjektiver Erlebniszeit festhält, ist beseitigt.

 

Strawinsky und seine Schule bereiten dem musikalischen Bergsonianismus sein Ende. Sie spielen den temps espace gegen den temps durée aus31. Die Verfahrungsweise, die ursprünglich von der irrationalistischen Philosophie inspiriert war, macht sich zum Anwalt von Rationalisierung im Sinn erinnerungsloser Meß- und Zählbarkeit. Musik, irr geworden an sich selbst, fürchtet, angesichts des Anwachsens der Technik im späten Kapitalismus, sonst rückständig ihrem Widerspruch zu jener zu erliegen. Aber indem sie ihm durch einen Tänzersprung entgeht, verstrickt sie sich nur um so tiefer. Wohl hat Strawinsky kaum je auf Maschinenkunst im Sinn des ominösen »Tempos der Zeit« sich eingelassen. Dafür jedoch befaßt seine Musik sich mit menschlichen Verhaltensweisen, die auf die Ubiquität der Technik als Schema des gesamten Lebensprozesses ansprechen: so wie diese Musik soll reagieren, wer nicht unter die Räder kommen will. Keine Musik heute, die etwas von der Gewalt der geschichtlichen Stunde in sich hätte und dabei vom Verfall der Erfahrung, dem Ersatz von »Leben« durch einen von der konzentrierten wirtschaftlichen Verfügungsgewalt gelenkten Vorgang wirtschaftlicher Anpassung unberührt sich zeigte. Das Absterben subjektiver Zeit in Musik scheint so unausweichlich inmitten einer Menschheit, die sich selber zum Ding, zum Objekt ihrer eigenen Organisation macht, daß an den extremen Polen des Komponierens Ähnliches sich beobachten läßt. Die expressionistische Miniatur der Wiener Schule kontrahiert die Zeitdimension, indem sie nach Schönbergs Wort »einen Roman durch eine einzige Geste ausdrückt«, und in den mächtigen Zwölftonkonstruktionen steht Zeit ein durch ein integrales Verfahren, das darum entwicklungslos anmutet, weil es nichts außerhalb seiner selbst duldet, woran Entwicklung sich erproben könnte. Aber zwischen solcher Veränderung des Zeitbewußtseins in der inneren Zusammensetzung der Musik und der veranstalteten Pseudomorphose der musikalischen Zeit an den Raum, ihrer Sistierung durch Schocks, elektrische Schläge, welche die Kontinuität zersprengen, ist aller Unterschied. Dort hängt Musik, in der bewußtlosen Tiefe ihrer Struktur, dem historischen Schicksal des Zeitbewußtseins nach; hier wirft sie sich zum arbiter temporis auf und veranlaßt die Hörer, ihre Erlebniszeit zu vergessen und der verräumlichten sich auszuliefern. Daß es kein Leben mehr gibt, preist sie als ihre Errungenschaft, als Objektivation des Lebens. Dafür ereilt sie die immanente Rache. Der Trick, der alle Formveranstaltungen Strawinskys definiert: Zeit wie im Zirkustableau einstehen zu lassen und Zeitkomplexe wie räumliche zu präsentieren, nützt sich ab. Er verliert die Macht über das Bewußtsein von Dauer: nackt, heteronom kommt diese zum Vorschein und straft die musikalische Absicht Lügen als Langeweile. Anstatt die Spannung von Musik und Zeit auszutragen, schlägt er dieser eine Finte. Darum schrumpfen ihm alle die Kräfte ein, die der Musik zuwachsen, wo sie Zeit in sich aufnimmt. Das manieriert Verarmte, das sich geltend macht, sobald Strawinsky mehr anstrebt als die Spezialität, ist verschuldet von der Verräumlichung. Indem er sich versagt, was immer eigentlich zeitliche Relationen stiften könnte, den Übergang, die Steigerung, den Unterschied von Spannungs- und Auflösungsfeld, von Exposition und Fortsetzung, von Frage und Antwort32, verfallen dem Verdikt alle musikalischen Kunstmittel außer dem einen Kunststück, und es tritt eine Rückbildung ein, die von der literarisch-regressiven Absicht sich rechtfertigen ließ, aber zum Verhängnis wird, wenn der absolut-musikalische Anspruch im Ernst erhoben wird. Die nachgerade von den stumpfesten Ohren bemerkte Schwäche der Produktion Strawinskys während der letzten fünfundzwanzig Jahre ist kein sich Ausschreiben: sie wird von einer Bewegung der Sache bewirkt, welche Musik zum Parasiten der Malerei degradiert. Jene Schwäche, das Uneigentliche der musikalischen Komplexion Strawinskys insgesamt ist der Preis, den er für die Beschränkung auf den Tanz zu entrichten hat, die ihm einmal Garantie von Ordnung und Objektivität dünkte. Sie legte der Komposition von Anbeginn ein Dienendes, den Verzicht auf Autonomie auf. Wirklicher Tanz ist, im Gegensatz zur reifen Musik, statische Zeitkunst, ein sich im Kreise Drehen, Bewegung ohne Fortgang. Im Bewußtsein dessen hob die Sonaten- die Tanzform auf: durch die ganze neuere Musikgeschichte hindurch waren Menuette und Scherzi, außer bei Beethoven, gegenüber erstem Sonatensatz und Adagio, stets fast bequemer und sekundären Ranges. Musik zum Tanzen liegt diesseits, nicht jenseits der subjektiven Dynamik; insofern enthält sie ein anachronistisches Element, das bei Strawinsky in den sonderbarsten Widerspruch zur literarischen Arriviertheit der Ausdrucksfeindschaft tritt. Die Vorvergangenheit wird als Wechselbalg der Zukunft unterschoben. Dafür ist sie geeignet wegen des disziplinären Wesens des Tanzes. Strawinsky hat es wieder hergestellt. Seine Akzente sind so viele akustische Signale an die Bühne. Er hat damit der tanzbaren Musik, unter dem Gesichtspunkt ihrer Brauchbarkeit, eine Präzision verliehen, die sie über den pantomimisch-psychologisierenden oder illustrativen Absichten des romantischen Balletts gründlich eingebüßt hatte. Ein Blick auf die Straussische Josefslegende läßt den drastischen Effekt der Zusammenarbeit von Strawinsky und Djaghilev begreifen, und etwas von ihm ist an seiner Musik haften geblieben, die auch als absolute keine Sekunde an Tanzbarkeit vergaß. Aber indem aus der Beziehung von Tanz und Musik alle symbolischen Zwischeninstanzen ausgeschieden werden, gewinnt auch jenes fatale Prinzip die Oberhand, das die volkstümliche Rede mit Ausdrücken wie nach der Pfeife Tanzen benennt. Der Wirkungszusammenhang, den Strawinskys Musik im Auge hat, ist zwar nicht die Identifikation des Publikums mit vermeintlich im Tanz ausgedrückten Seelenregungen, dafür aber ein Elektrisiertwerden gleich dem der Tänzer.

Mit all dem erweist sich Strawinsky als Exekutor einer gesellschaftlichen Tendenz, des Fortschritts zur negativen Geschichtslosigkeit, zur neuen hierarchisch starren Ordnung. Sein Trick, Selbsterhaltung durch Selbstauslöschung, fällt ins behavioristische Schema der total eingegliederten Menschheit. Wie seine Musik alle die anzog, welche ihr Ich loswerden wollten, weil es in der Gesamtverfassung kommandierter Kollektivität ihrem Ich-interesse im Wege steht, so ist sie einem räumlich-regressiven Hörtyp zubestimmt. Man mag insgesamt zwei solcher Typen unterscheiden, nicht als naturgegeben, sondern als geschichtlichen Wesens und je vorwaltenden Charaktersyndromen zuzuordnen. Es sind das der expressiv-dynamische und der rhythmisch-räumliche Hörtyp. Jener hat seinen Ursprung im Singen, ist aufs erfüllende Bewältigen der Zeit gerichtet und wendet in seinen höchsten Manifestationen den heterogenen Zeitverlauf zur Kraft des musikalischen Prozesses um. Der andere Typ gehorcht dem Schlag der Trommel. Er ist bedacht auf die Artikulation der Zeit durch Aufteilung in gleiche Maße, welche die Zeit virtuell außer Kraft setzen und verräumlichen33. Die beiden Hörtypen weisen auseinander kraft der gesellschaftlichen Entfremdung, welche Subjekt und Objekt voneinanderreißt. Musikalisch ist alles Subjektive unter die Drohung der Zufälligkeit gerückt, alles was als kollektive Objektivität auftritt, unter die der Entäußerung, der repressiven Härte bloßen Daseins. Die Idee der großen Musik bestand in einem wechselseitigen sich Durchdringen beider Hörweisen und der ihnen gemäßen Kategorien des Komponierens. In der Sonate war die Einheit von Strenge und Freiheit konzipiert. Vom Tanz empfing sie das gesetzmäßig Integrale, die Intention aufs Ganze; vom Lied die opponierende, negativ und aus der eigenen Konsequenz das Ganze wiederum erzeugende Regung. Die Sonate erfüllt bei prinzipiell durchgehaltener Identität wenn nicht der wörtlichen Zählzeit, so doch des Tempos die Form mit einer solchen Mannigfaltigkeit rhythmisch-melodischer Gestalten und Profile, daß die »mathematische« und in ihrer Objektivität anerkannte, quasi-räumliche Zeit tendenziell mit der subjektiven Erfahrungszeit zusammenfällt im glücklichen Einstand des Augenblicks. Indem diese Konzeption eines musikalischen Subjekt- dem realen Auseinanderweisen von Subjekt und Objekt abgezwungen ward, wohnte ihr von Anbeginn ein Element von Paradoxie inne. Beethoven, kraft solcher Konzeption Hegel näher als Kant, hat der außerordentlichsten Veranstaltungen des Formgeistes bedurft, um den musikalischen Einstand so bruchlos zu erreichen wie in der Siebenten Symphonie. Er selber hat in seiner späten Phase die paradoxe Einheit drangegeben und, als oberste Wahrheit seiner Musik, die Unversöhntheit jener beiden Kategorien kahl und beredt hervortreten lassen. Wenn irgend der Geschichte der Musik nach ihm, der romantischen sowohl wie der eigentlich neuen, in einem verpflichtenderen Sinn als dem der idealistischen Schönheitsphrase der gleiche Verfall wie der Bürgerklasse nachzusagen ist, dann wäre er bei der Ohnmacht aufzusuchen, jenen Konflikt auszutragen34. Die beiden Erfahrungsweisen von Musik scheiden heute sich unvermittelt und haben, voneinandergerissen, beide mit Unwahrheit zu zahlen. Diese, zugeschmückt in den Produkten der Kunstmusik, wird offenbar in der leichten, deren schamlose Unstimmigkeit desavouiert, was oben unter der Hülle von Geschmack, Routine und Überraschung sich ereignet. Leichte Musik polarisiert sich nach dem »Schmalz«, der von jeder objektiven Zeitorganisation losgerissenen, zugleich willkürlichen und standardisierten Expression, und dem Mechanischen, jenem Gedudel, an dessen ironischer Nachahmung Strawinskys Stil sich schulte. Das Neue, das er in die Musik brachte, ist nicht sowohl der räumlich-mathematische Musiktypus als solcher wie dessen Apotheose, Parodie der Beethovenschen des Tanzes. Der akademische Schein der Synthese wird illusionslos verschmäht. Mit ihm aber, vom Subjekt, das subjektive Element. Wahlverwandt zieht Strawinskys Werk die Konsequenz aus dem Absterben des expressiv-dynamischen Typus. Es wendet sich einzig noch an den rhythmisch-räumlichen, spielerisch-geschickten, der heutzutage mit den Bastlern und Mechanikern aus der Erde wächst, als stammte er aus Natur und nicht aus der Gesellschaft. Ihm tritt Strawinskys Musik als zu bewältigende Aufgabe gegenüber. Er muß ihren Attacken, den unregelmäßigen Akzentstößen, sich aussetzen, ohne dabei aus der Ordnung der immergleichen Zähleinheit sich bringen zu lassen. So trainiert sie ihn gegen jede Regung, die sich dem heterogenen, entfremdeten Ablauf widersetzen könnte. Dabei beruft sie sich, als auf ihren Rechtstitel, auf den Körper – im extremen Fall auf die Regularität des Pulsschlags. Aber die Rechtfertigung durch das vermeintlich Invariante, Physiologische durchstreicht, was Musik erst zur Musik machte: ihre Vergeistigung bestand im modifizierenden Eingriff. Sie ist so wenig auf die Stetigkeit des Pulsschlags als auf ein musikalisches Naturgesetz vereidigt, wie etwa nur die einfacheren Obertonverbindungen als Harmonien wahrgenommen werden könnten: das musikalische Bewußtsein hat den physiologischen Hörvorgang selber von solchen Fesseln befreit. Wohl hat an dem Haß gegen die Vergeistigung von Musik, aus dem Strawinsky seine Energien zieht, die Empörung über die Lüge ihren Anteil, daß Musik implizit behauptet, sie wäre dem Bannkreis der Physis entronnen, sie wäre selber schon das Ideal. Aber der musikalische Physikalismus führt nicht auf den Naturstand, das reine ideologiefreie Wesen, sondern ist eingestimmt auf den Rückfall der Gesellschaft. Die bloße Negation des Geistes spielt sich auf, als wäre sie die Verwirklichung des von ihm Gemeinten. Sie erfolgt unter dem Druck eines Systems, dessen irrationale Übermacht über alle ihm Unterworfenen sich nur zu erhalten vermag, wenn es ihnen die Mucken des Gedankens abgewöhnt und sie zu bloßen Reaktionszentren, zu Monaden bedingter Reflexe reduziert. Das fabula docet Strawinskys ist versatile Fügsamkeit und störrischer Gehorsam, das Muster des heute allerorten sich formierenden autoritären Charakters. Seine Musik kennt nicht mehr die Versuchung, anders zu sein. Die ehemals subjektive Abweichung selber ist als Schock in ein bloßes Mittel übergegangen, das Subjekt zu schrecken, um es desto fester an die Kandare zu nehmen. Dadurch wird die ästhetische Disziplin und Ordnung, die eigentlich kein Substrat mehr hat, leer und unverbindlich, einzig noch Ritual der Kapitulation. Der Anspruch auf Authentizität wird abgetreten an die autoritäre Verhaltensweise. Unbeirrtes Parieren erklärt sich als ästhetisches Stilprinzip, als guter Geschmack, als Askese, die den Ausdruck, das Erinnerungsmal des Subjekts, zum Kitsch degradiert. Die Negation des Subjektiv-Negativen in solcher autoritären Haltung, des Geistes selber, ihr verführerisch ideologiefeindliches Wesen, setzt als neue Ideologie sich fest.

Als bloße Ideologie. Denn die Autorität der Wirkung ist erschlichen: sie folgt nicht aus dem spezifischen Gesetz des Gebildes, seiner eigenen Logik und Stimmigkeit, sondern aus der Gebärde, die es dem Hörer zukehrt. Die Komposition trägt sich sempre marcato vor. Ihre Objektivität ist subjektives Arrangement, aufgespreizt zur übermenschlichen apriorisch reinen Gesetzlichkeit; verordnete Entmenschlichung als ordo. Dessen Schein wird durch eine kleine Anzahl erprobter und unbekümmert um die wechselnde Natur des Anlasses immer wieder durchgeführter Maßnahmen technischer Demagogie hervorgebracht. Alles Werden ist ausgespart, als wäre es die Verunreinigung der Sache selbst. Indem diese der eingreifenden Bearbeitung entzogen ist, prätendiert sie von aller Zutat befreite, in sich ruhende Monumentalität. Jeder Komplex beschränkt sich auf ein gleichsam in wechselnden Einstellungswinkeln photographiertes, aber im harmonisch-melodischen Kern unberührtes Ausgangsmaterial. Der daraus resultierende Mangel an eigentlich musikalischer Form gibt dem Ganzen seine Art des Unvergänglichen: das Fortlassen von Dynamik spiegelt Ewigkeit vor, in welche eben noch die metrischen Teufeleien einige Abwechslung bringen. Der Objektivismus ist Sache der Fassade, weil es nichts zu objektivieren gibt, weil er an keinem wie immer Widerstrebenden sich betätigt, ein Blendwerk von Kraft und Sekurität. Es erweist sich als desto hinfälliger, weil das statisch festgehaltene Ausgangsmaterial, vorweg schon verschnitten, der eigenen Substanz enträt und darum nur im funktionalen Zusammenhang Leben zu gewinnen vermöchte, gegen den Strawinskys Stil sich sträubt. Statt dessen wird ein ganz Ephemeres mit einem Aplomb vorgeführt, der glauben macht, es sei wesenhaft. Durch die autoritäre Wiederholung eines nicht Existenten wird der Hörer zum Narren gehalten. Er meint zunächst, es mit einem keineswegs Architektonischen, sondern in seiner Unregelmäßigkeit sich Wandelnden zu tun zu haben, seinem Ebenbild. Er soll sich identifizieren. Zugleich aber belehrt ihn das stampfende Ganze eines Schlechteren, der Unabänderlichkeit. Er muß sich fügen. Nach diesem Schema wird Strawinskys Authentizität aufgerichtet. Sie ist usurpatorisch. Ein willkürlich Gestiftetes und in seiner Zufälligkeit gerade Subjektives geriert sich, als wäre es bestätigt und allgemein verpflichtend, und die Ordnung, die es umfängt, ist wegen der prinzipiellen Vertauschbarkeit all ihrer sukzessiven Elemente ebenso zufällig. Die überredende Gewalt verdankt sich teils der Selbstunterdrückung des Subjekts, teils der eigens für autoritäre Wirkungen hergerichteten Musiksprache, zumal der emphatischen, schlagend befehlshaberischen Instrumentation, die Knappheit und Vehemenz vereint. So weit ist all das entfernt von jenem musikalischen Kosmos, den der Nachgeborene in Bach vernimmt, wie die von oben her betriebene Gleichschaltung einer atomisierten Gesellschaft von dem Wunschbild geschlossener Kultur, das arglos an Zunftwirtschaft und früher Manufakturperiode sich orientiert.

Verräterisch, daß Strawinsky, sobald er den objektiven Anspruch positiv erhob, seine Armatur sich aus vermeintlich vorsubjektiven Phasen der Musik zusammenstellen mußte, anstatt daß seine Formsprache kraft ihres eigenen Schwergewichts über das inkriminierte romantische Element primär hinausgegangen wäre. Er hat dabei so sich zu helfen gewußt, daß er die Inkonsistenz zwischen den »vorklassischen« Formeln und dem eigenen Bewußtseins- und Materialstand zum Reiz machte und in ironischem Spiel die Unmöglichkeit der Restauration genoß, die er ankurbelte. Unverkennbar ist der subjektive Ästhetizismus des objektiven Gebarens: so gab Nietzsche, um sich zu beweisen, daß er von Wagner geheilt sei, vor, an Rossini, Bizet und dem journalistischen Offenbach all das zu lieben, was seinem eigenen Pathos und seiner eigenen Differenziertheit Hohn lachte. Das Festhalten von Subjektivität durch ihren Ausschluß ist – etwa in den graziösen Untaten der Pulcinella-Suite an Pergolese – das beste Teil des späteren Strawinsky, freilich leise getönt von Spekulation auf die, welche es vertraut und doch modern haben wollen: es deutet die Bereitschaft zur fashionablen Gebrauchskunst sich an, ähnlich der des Surrealismus zur Schaufensterdekoration. Die immer vordringlichere Konzilianz kann sich bei dem Widerspruch von Moderne und Vorklassik nicht beruhigen. Strawinsky sucht auf doppelte Weise auszugleichen. Einmal werden die Wendungen des achtzehnten Jahrhunderts, auf die sich zu Anfang der neue Stil beschränkt und die, aus ihrer Kontinuität herausgebrochen, im wörtlichen und übertragenen Sinn grell dissonieren, ins kompositorische Idiom eingeschmolzen. Anstatt daß sie als Fremdkörper hervorstächen, bildet sich an ihnen der gesamte musikalische Vorrat; sie fallen nicht mehr auf, und mit der Vermittlung ihres Widerspruchs zum modernen Element mildert sich die Musiksprache von Werk zu Werk. Zugleich aber beschränkt sie sich bald nicht mehr auf die zitierten Konventionen des dixhuitième. Die spezifisch unromantische, präsubjektive Beschaffenheit des je mobilisierten Vergangenen entscheidet nicht mehr, sondern nur, daß es überhaupt vergangen und daß es konventionell genug ist, wäre es selbst ein konventionalisiertes Subjektives. Wahllose Sympathie flirtet mit jeder Verdinglichung, bindet sich keineswegs an die imago undynamischer Ordnung. Weber, Tschaikowsky, das Ballett-Vokabular des neunzehnten Jahrhunderts finden Gnade vor den gestrengen Ohren; selbst der Ausdruck darf passieren, wenn es nur kein Ausdruck mehr sondern dessen Totenmaske ist. Die letzte Perversität des Stils ist universale Nekrophilie, und sie läßt bald nicht mehr von dem Normalen sich unterscheiden, an dem sie sich betätigt: dem was in den Convenus der Musik als zweite Natur sich sedimentiert hat. Wie auf den graphischen Montagen von Max Ernst die Bilderwelt der Eltern, Plüsch, Buffet und Luftballon, indem sie jäh als bereits historische erscheinen, Panik erregen sollen, so bemächtigt Strawinskys Schocktechnik sich der musikalischen Bilderwelt des Jüngstvergangenen. Während aber der Schock immer rascher sich abstumpft – heute bereits, nach zwanzig Jahren, klingt Le Baiser de la Fée ehrlich harmlos trotz der Balletteusenröckchen und der Schweizer Touristenkostüme aus Andersens Zeit – glättet zugleich der Zuwachs an zitierbarer Musikware immer mehr die Risse von einst und jetzt. Das am Ende gewonnene Idiom schockiert keinen mehr: es ist der Inbegriff alles in den zweihundert Jahren bürgerlicher Musik Approbierten, behandelt nach dem mittlerweile selber approbierten rhythmischen Trickverfahren. Als revenant wird der gesunde Menschenverstand in sein längst verwirktes Recht wieder eingesetzt. Sind die autoritären Charaktere von heutzutage ausnahmslos Konformisten, so wird der autoritäre Anspruch von Strawinskys Musik ganz und gar auf den Konformismus übertragen. Schließlich will sie ein Stil für alle sein, weil sie mit dem Allerweltsstil zusammenfällt, an den sie ohnehin glauben und den sie ihnen nochmals aufredet. Ihre Indifferenz, die Anämie, die sich einstellt, seitdem sie die letzten aggressiven Impulse gebändigt hat, sind der Preis, den sie dafür zu zahlen hat, daß sie den Consensus als die Instanz der Authentizität anerkennt. Der spätere Strawinsky spart die schizoide Verfremdung als Umweg ein. Der Schrumpfungsprozeß, der seine alten Errungenschaften, selber schon Schrumpfungen, verschwinden macht, ohne daß im Ernst neuen Funden nachgegangen wäre, verbürgt leichte Verständlichkeit und auch, solange der zuschlagende Gestus und die Beimischung einigermaßen schmackhafter Ingredienzien überhaupt noch funktionieren, Erfolg zumindest in der Sphäre des guten Geschmacks. Bald freilich tilgt die Simplifizierung auch das Interesse der gezähmten Sensation, und die es schon so einfach haben wollen, machen es sich noch einfacher und laufen den Strawinsky-Epigonen, bescheidenen Spaßmachern oder jugendlichen Fossilien, zu. Blank schließt sich die ehemals brüchige Oberfläche. War zuvor dem Subjekt der Ausdruck abgeschnitten, so wird jetzt selbst das finstere Geheimnis von dessen Opfer verschwiegen. Wie jene, die von der Verwaltung der Gesellschaft durch unmittelbare Gewaltherrschaft träumen, immerzu die traditionellen Werte im Munde führen, die sie vorm Umsturz retten wollen, so tritt von nun an die objektivistische Musik als bewahrend und genesen auf. Aus der Desintegration des Subjekts wird ihr die Formel zur ästhetischen Integration der Welt; das destruktive Gesetz der Gesellschaft selber, den absoluten Druck, fälscht sie wie mit einem Zauberschlag um ins konstruktive der Authentizität. Der Abschiedstrick dessen, der sonst auf alles Erstaunliche elegant verzichtet, ist die Inthronisierung des selbstvergessen Negativen als des selbstbewußt Positiven.

Während sein ganzes Werk auf dieses Manöver hinaus wollte, wird es zum dezent-hochtrabenden Ereignis im Übergang zum Neoklassizismus. Entscheidend, daß dem rein musikalischen Wesen nach kein Unterschied zwischen den infantilistischen und den neoklassischen Werken sich bestimmen läßt. Der Vorwurf, Strawinsky wäre wie ein deutscher Klassiker aus einem Revolutionär zum Reaktionär geworden, ist nicht stichhaltig. Alle Kompositionselemente der neoklassischen Phase sind in dem, was vorausgeht, nicht bloß implizit enthalten, sondern definieren hier wie dort die ganze Faktur. Selbst das maskenhafte Als ob der ersten Stücke des neuen Stils fällt zusammen mit dem alten Verfahren, Musik über Musik zu schreiben. Es gibt Werke aus den frühen zwanziger Jahren, wie das Concertino für Streichquartett und das Bläseroktett, bei denen es schwerfiele, zu sagen, ob sie der infantilistischen oder neoklassischen Phase zuzurechnen sind, und sie sind besonders gelungen, weil sie die aggressive Gebrochenheit des Infantilismus bewahren, ohne dabei handgreiflich ein Modell zu verunstalten: weder parodieren noch zelebrieren sie. Leicht ließe der Übergang zum Neoklassizismus dem von der freien Atonalität zur Zwölftontechnik sich vergleichen, den Schönberg genau zur gleichen Zeit vollzog: der Verwandlung höchst spezifisch gearteter und eingesetzter Mittel in gleichsam entqualifiziertes, neutrales, vom ursprünglichen Sinn seines Auftretens abgelöstes Material. Aber die Analogie reicht nicht weiter. Der Umschlag der atonalen Ausdrucksträger in den Zwölftonvorrat geschah bei Schönberg aus der kompositorischen Schwerkraft selber und hat darum die Musiksprache sowohl wie das Wesen der einzelnen Kompositionen entscheidend verändert. Nichts davon bei Strawinsky. Zwar wird allmählich der Rückgriff auf die Tonalität bedenkenloser, bis das provokativ Falsche, wie es etwa der Choral der Histoire du Soldat enthielt, zur Würze sich sänftigt, wesentlich aber ändert sich nicht die Musik sondern ein Literarisches; der Anspruch, fast ließe sich sagen: die Ideologie35. Mit einem Mal will sie à la lettre genommen werden. Es ist die götzenhaft fixierte Grimasse, als Götterbild verehrt. Das autoritäre Prinzip des Musik über Musik Machens ist so gewandt, daß allen erdenklichen veralteten Musikformeln die Verbindlichkeit vindiziert wird, die sie historisch verloren haben und die sie erst zu besitzen scheinen, sobald sie sie nicht mehr besitzen. Zugleich wird das Usurpatorische der Autorität zynisch unterstrichen durch kleine Willkürakte, die den Hörer blinzelnd über die Illegitimität des Autoritätsanspruchs informieren, ohne doch von diesem das mindeste nachzulassen. Die alten, ob auch diskreteren Witze Strawinskys mokieren sich über die im gleichen Atemzug ausposaunte Norm: es soll ihr nicht um ihres eigenen Rechtes sondern um der Macht ihres Diktats willen gehorcht werden. Technisch verfährt die Strategie des höflichen Terrors so, daß an Stellen, wo die herkömmliche Musiksprache, insbesondere das vorklassische Sequenzenwesen, gewisse Fortsetzungen als selbstverständlich, automatisch zu verlangen scheint, diese vermieden, statt dessen ein Überraschendes, ein imprévu geboten wird, das den Zuhörer amüsiert, indem es ihn um das betrügt, worauf er spannt. Das Schema herrscht, aber die Kontinuität des Verlaufs, die es verspricht, wird nicht eingelöst: so praktiziert der Neoklassizismus Strawinskys alte Gewohnheit, brüchig getrennte Modelle aneinander zu montieren. Es ist traditionelle Musik, gegen den Strich gekämmt. Die Überraschungen aber verpuffen in rosa Wölkchen, nichts als flüchtige Störungen der Ordnung, in der sie verbleiben. Sie selber bestehen bloß in der Demontage von Formeln. Charakteristische Mittel etwa des Händelstils wie Vorhaltsbildungen und andere harmoniefremde Töne werden unabhängig von ihrem technischen Zweck, dem angespannten Verbindens, ohne Vorbereitung und Auflösung, ja gerade unter deren maliziöser Vermeidung gebraucht. Unter den Paradoxien Strawinskys ist nicht die geringste, daß sein eigentlich neusachliches, funktionalistisches Verfahren Elemente, die ihren Sinn in genauen Funktionen des musikalischen Zusammenhangs hatten, von diesen Funktionen losreißt, verselbständigt, einfrieren läßt. Daher klingen die früheren neoklassischen Arbeiten, als zappelten sie an Drähten, und manche von ihnen, wie das wüste Klavierkonzert, beleidigen mit den in den Gelenken verdrehten Konsonanten kulturgläubige Ohren gründlicher als die Dissonanzen zuvor. Stücke solcher Art, in a-moll, sind, was der common sense dem vorzuwerfen liebte, was ihm atonales Chaos hieß: unverständlich. Denn die beschworenen Floskeln organisieren sich nicht zu jener Einheit musikalisch-logischen Gefüges, die musikalischen Sinn konstituiert, sondern durch deren unerbittliche Verweigerung. Sie sind »anorganisch«. Ihre Einsichtigkeit ist ein Phantasma, bewirkt durch die vage Vertrautheit der aufgebotenen Materialien und die reminiszenzenhafte, auftrumpfende Feierlichkeit des Ganzen, die Draperie des Bestätigten. Die objektive Unverständlichkeit gerade, beim subjektiven Eindruck des Traditionellen, verhält jede widerstrebende Frage des Gehörs eisern zum Schweigen. Der blinde Gehorsam, den autoritäre Musik antizipiert, entspricht der Blindheit des autoritären Prinzips selber. Der Hitler zugeschriebene Satz, man könne nur für eine Idee sterben, die man nicht versteht, wäre als Inschrift übers Tor des neoklassischen Tempels zu setzen.

Die Werke der neoklassizistischen Phase sind von überaus schwankendem Niveau. Soweit beim späten Strawinsky von Entwicklung die Rede sein kann, gilt sie der Entfernung des Stachels der Absurdität. Anders als Picasso, von dem die neoklassische Anregung kommt, hat er bald kein Bedürfnis mehr gefühlt, der fragwürdigen Ordentlichkeit Schaden zu tun. Nur die unentwegten Kritiker suchen immer noch nach Spuren des wilden Strawinsky. Der planvollen Enttäuschung – »sollen sie sich langweilen« – kann einige Konsequenz nicht abgesprochen werden. Sie plaudert das Geheimnis einer Rebellion aus, der es von der ersten Regung an um die Unterdrückung der Regung ging und nicht um Freiheit. Die angedrehte Positivität des späten Strawinsky besagt, daß seine Art von Negativität, die dem Subjekt widerfuhr und jeglichem Druck rechtgab, selber schon positiv war und es mit den stärkeren Bataillonen hielt. Zunächst freilich resultierte die Wendung zum Positiven, zur ungebrochen absoluten Musik, in äußerster Verarmung des absolut Musikalischen. Stücke wie die Serenade für Klavier oder das Ballett Apollon Musagète36 sind darin kaum zu überbieten. Strawinsky hat das denn auch nicht angestrebt, sondern die neu proklamierte Ruhe dazu benutzt, den inneren Umfang der spezialistischen Musik zu erweitern und einiges von den seit dem Sacre geächteten kompositorischen Dimensionen einzuholen, soweit es eben innerhalb der Grenzen möglich war, die er sich steckte. Er duldet gelegentlich neuartige thematische Charaktere, verfolgt bescheidene Fragen der größeren Architektur, bringt komplexere, selbst polyphone Formen. Künstler, die wie er von Parolen zehren, haben stets den taktischen Vorteil, daß sie nur ein Mittel, das sie einmal als hoffnungslos veraltet ausgeschieden haben, nach einer Karenzfrist wieder hervorzuholen brauchen, um es als avantgardistische Errungenschaft zu lancieren. Strawinskys Bemühung um in sich reichere musikalische Gefüge hat Eindringliches gezeitigt wie die drei ersten Sätze des Konzerts für zwei Klaviere – der zweite ist ein durchaus ungewohntes und profiliertes Stück – manches im Violinkonzert oder das bis aufs banalschwungvolle Finale prägnante und farbige Capriccio für Klavier und Orchester. Aber all das ist eher mit Geist dem Stil abgetrotzt, als daß es dem neoklassizistischen Verfahren selber gutzuschreiben wäre. Wohl verwirft Strawinskys einförmig sprudelnde Produktion allmählich die krasseste Schablone gemeißelt-kindischer Kopfmotive, wie noch das Violinkonzert sie vorbringt, ouvertürenhafter Punktierungen, terrassenartiger Sequenzgruppen. So beschränkt jedoch ist sein Komponieren auf den Materialbereich der beschädigten Tonalität, den die infantilistische Phase hinterließ, vor allem auf die durch akzidentelle »falsche« Noten getrübte Diatonik innerhalb der einzelnen Gruppen, daß damit auch die Möglichkeiten der ausgreifenden Gestaltung sich beschränken. Es ist, als hätte die Verdrängung des Kompositionsprozesses durch die Tricktechnik überall sonst Ausfallserscheinungen zur Folge. So widerruft die viel zu kurze, unausgebildete Fuge des Konzerts für zwei Klaviere alles, was vorausging, und die peinlich unfreiwilligen Oktaven in der Engführung am Schluß verhöhnen den Meister des Verzichts, sobald er die Hand nach jenem Kontrapunkt ausstreckt, den seine Klugheit sich versagte. Mit den Schocks büßt seine Musik die Gewalt ein. Stücke wie das Kartenballett oder das Duo für Geige und Klavier und vollends das meiste aus den vierziger Jahren haben etwas kunstgewerblich Mattes, gar nicht so unähnlich dem letzten Ravel. Öffentlich goutiert wird an ihm nur noch das Prestige; spontan gefallen einzig Nebenarbeiten wie das russische Scherzo, bereitwillige Kopien der eigenen Jugend. Er gibt dem Publikum mehr, als des Publikums ist, und darum zu wenig: dem asozialen Strawinsky flogen die kalten Herzen zu, der umgängliche läßt sie kalt. Am schwersten zu ertragen sind die chef d'œuvres des neuen Genres, in denen der kollektive Anspruch geradewegs auf Monumentalität aus ist, also der lateinische Ödipus und die Psalmensymphonie. Der Widerspruch zwischen der Prätention von Größe und Erhobenheit und dem verbissen-kümmerlichen musikalischen Inhalt läßt gerade den Ernst in den Witz herüberschillern, gegen den er den Finger hebt. Unter den jüngsten Werken tritt eines nochmals gewichtig auf, die dreisätzige Symphonie von 1945. Von altertümlichen Bestandteilen gereinigt, gibt sie sich schneidend scharf und befleißigt sich einer lapidaren Homophonie, der der Gedanke an Beethoven nicht ganz fremd gewesen sein mag: kaum je vorher war das Ideal der Authentizität so unverhüllt. Die höchst zielsichere, bei aller Ökonomie nicht um neue Farben wie sprödthematischen Harfensatz oder die Kombination von Klavier und Posaune in einem Fugato verlegene Orchesterkunst ist jenem Ideal gänzlich zu willen. Dennoch wird wiederum bloß dem Hörer suggeriert, was die Komposition zu leisten hätte. Die Reduktion alles Thematischen auf einfachste Urmotive, welche die Exegeten eben als Beethovenisch verbuchen, hat keinen Einfluß auf die Struktur. Diese ist nach wie vor die statische Juxtaposition von »Blöcken«, mit den altgewohnten Verschiebungen. Dem Programm nach sollte das bloße Verhältnis der Teile jene Synthesis stiften, in der bei Beethoven die Dynamik der Form resultiert. Aber die extreme Reduktion der Motivmodelle verlangte deren dynamische Behandlung, Expansion. Durch die übliche Strawinsky-Methode, an die das Werk sich starr hält, wird die planvolle Nichtigkeit seiner Elemente zur Unzulänglichkeit, zur nachdrücklichen Versicherung eines Inhaltslosen, und die Innenspannung, die vordemonstriert ist, stellt sich nicht ein. Ehern gerät bloß der Ton; der Verlauf zerbröckelt, und die beiden Ecksätze brechen ab, wo sie beliebig sich fortsetzen könnten: sie bleiben die dialektische Arbeit schuldig, welche sie diesmal durch den Charakter der Thesis selber versprachen. Sobald Gleiches wiederkehrt, fällt es eintönig ab, und auch die durchführungsähnlichen kontrapunktischen Interpolationen haben keine Macht über das Schicksal des Formverlaufs. Selbst die als tragische Symbole viel akklamierten Dissonanzen stellen sich bei der näheren Betrachtung als überaus zahm heraus: es wird der bekannte Bartóksche Effekt der neutralen Terz durch Kopplung der großen mit der kleinen ausgebeutet. Das symphonische Pathos ist nichts als die finstere Miene einer abstrakten Ballettsuite.

Jenes Ideal von Authentizität, auf das Strawinskys Musik hier wie in all ihren Phasen ausgeht, ist als solches keineswegs ihr Privileg: gerade das möchte der Stil glauben machen. Es leitet, abstrakt genommen, alle große Musik heute und definiert schlechterdings deren Begriff. Aber alles hängt davon ab, ob sie durch Haltung die Authentizität als schon gewonnene reklamiert oder ob sie, geschlossenen Auges gleichsam, den Forderungen der Sache sich überläßt, um sie erst zu gewinnen. Die Bereitschaft dazu macht, bei aller verzweifelten Antinomik, den unvergleichlichen Vorrang Schönbergs über den mittlerweile zum Allerweltsjargon verkommenen Objektivismus aus. Seine Schule gehorcht ohne Ausreden der Gegebenheit eines vollendeten Nominalismus des Komponierens. Schönberg zieht die Folgerung aus dem Zergehen aller verbindlichen Typen in der Musik, wie es im Gesetz von deren eigener Entwicklung lag: der Freisetzung immer breiterer Materialschichten und der zum Absoluten fortschreitenden musikalischen Naturbeherrschung. Er verfälscht nicht, was man in der Bildnerei Erlöschen der stilbildenden Kraft genannt hat, in das zu sich selbst Kommen des bürgerlichen Prinzips von Kunst. Seine Antwort darauf ist ein Wirf weg, damit du gewinnst. Er opfert den Schein von Authentizität als unvereinbar mit dem Stand jenes Bewußtseins, das von der liberalen Ordnung so weit zur Individuation vorgetrieben ward, bis es die Ordnung negiert, die es dahin brachte. Er fingiert, im Stande solcher Negativität, keine kollektive Verbindlichkeit: diese stünde heute und hier dem Subjekt als äußerliche, repressive und, in ihrer Unversöhntheit mit ihm, dem Wahrheitsgehalt nach unverbindliche gegenüber. Er vertraut sich rückhaltlos dem ästhetischen principium individuationis an, ohne seine Verstricktheit in der Situation des realen Untergangs der alten Gesellschaft zu verdecken. Er konzipiert nicht, »kulturphilosophisch«, das Ideal umfangender Totalität, sondern überläßt Schritt für Schritt sich dem, was im Zusammenstoß des seiner selbst bewußten kompositorischen Subjekts mit dem gesellschaftlich gegebenen Material als Forderung konkret wird. Gerade objektiv bewährt er darin die größere philosophische Wahrheit als der freiweg, auf eigene Faust unternommene Versuch der Rekonstruktion von Verbindlichkeit. Sein dunkler Drang lebt von der Gewißheit, daß nichts an Kunst verbindlich gerät, als was vom historischen Stande des Bewußtseins, der dessen eigene Substanz ausmacht, von seiner »Erfahrung« im emphatischen Sinn, ganz gefüllt werden kann. Er wird geleitet von der verzweifelten Hoffnung, daß solche gewissermaßen fensterlose Bewegung des Geistes aus der Gewalt ihrer eigenen Logik jenes Private übersteige, von dem sie ausgeht und das eben jene ihr vorhalten, welche solcher objektiven Logik der Sache nicht gewachsen sich zeigen. Der absolute Verzicht auf die Gebärde der Authentizität wird zur einzigen Anweisung auf die Authentizität des Gebildes. Die intellektuell gescholtene Schule ist in solchem Unterfangen naiv gegenüber der Manipulation des Authentischen, wie sie bei Strawinsky und in seinem gesamten Umkreis gedeiht. Ihre Naivetät hat angesichts des Weltlaufs viele Züge des Rückständigen und Provinziellen: sie traut der Integrität des Kunstwerks mehr zu, als sie in der integralen Gesellschaft vermag37. Während sie damit fast jedes ihrer eigenen Gebilde gefährdet, fällt ihr dafür zugleich nicht bloß dichtere und unwillkürlichere künstlerische Anschauung zu, sondern auch höhere Objektivität als dem Objektivismus, die der immanenten Stimmigkeit sowohl wie der unverstellten Angemessenheit an den geschichtlichen Zustand. Zum Schritt über diesen hinaus in eine sinnfällige Objektivität sui generis, den Zwölfton-Konstruktivismus, wird sie gezwungen, ohne daß doch die Bewegung der Sache vom Subjekt ganz erhellt wäre. Die Naivetät, das Festhalten am branchemäßigen Ideal des deutschen »guten Musikers«, der um nichts sich sorgt als um die gediegene Faktur seines Produkts, findet inmitten der wie sehr auch konsistenten Objektivität ihre Strafe durch den Übergang der absoluten Autonomie in ein Heteronomes, in unaufgelöste, stoffhafte Selbstentfremdung. So entrichtet auch sie, gegen den eigenen Geist von Aufklärung, dem der Heteronomie, der sinnleeren Integration des Atomisierten den Zoll. Eben das geschieht bei Strawinsky willentlich: die Epoche zwingt die Gegensätze zusammen. Aber er erspart sich die qualvolle Selbstbewegung der Sache und behandelt sie als Regisseur. Seine Sprache entfernt darum so wenig sich von der kommunikativen wie vom Jux: Unernst selber, Spiel, aus dem das Subjekt sich draußen hält, Absage an die ästhetische »Entfaltung der Wahrheit« nimmt sich für den Garanten des Authentischen als des Wahren. An dem Widerspruch geht seine Musik zugrunde: der ausgedachte Stil der Objektivität wird dem widerstrebenden Material so gewaltsam und unverpflichtend zugemutet, wie vor fünfzig Jahren der Jugendstil ersonnen ward, von dessen Verwerfung aller ästhetische Objektivismus bis heute zehrt. Stilwille ersetzt den Stil und sabotiert ihn damit. Keine Objektivität dessen, was das Gebilde von sich aus will, wohnt dem Objektivismus inne. Er etabliert sich, indem die Spuren von Subjektivität ausgemerzt, ihre Hohlräume als Zellen wahrer Gemeinschaft proklamiert werden. Der Verfall des Subjekts, gegen den die Schule Schönbergs bitter sich wehrt, wird von Strawinskys Musik unmittelbar als die höhere Form gedeutet, in der das Subjekt aufgehoben sein soll. So endet er bei der ästhetischen Verklärung des reflektorischen Charakters der Menschen heute. Sein Neoklassizismus macht Bilder von Ödipus und Persephone, aber der angestellte Mythos ist schon die Metaphysik der universal Abhängigen, die keine Metaphysik wollen, keine brauchen und ihrem Prinzip hohnsprechen. Damit bestimmt sich der Objektivismus als das, wovor ihm graut und wovor Grauen zu bekunden seinen ganzen Inhalt ausmacht, als eitle Privatbeschäftigung des ästhetischen Subjekts, als Trick des isolierten Individuums, das sich aufspielt, als wäre es der objektive Geist. Wäre selbst dieser heute gleichen Wesens, so würde solche Kunst damit doch nicht legitimiert, denn der objektive Geist einer durch angemaßte Herrschaft gegen seine Subjekte integrierten Gesellschaft ist durchsichtig geworden als unwahr an sich. Das freilich weckt Zweifel an der absoluten Verbürgtheit des Ideals von Authentizität selber. Die Revolte der Schule Schönbergs gegen das geschlossene Kunstwerk in den expressionistischen Jahren hat in der Tat jenen Begriff an sich erschüttert, ohne doch, befangen im realen Fortbestand dessen, was sie geistig herausforderte, seinen Primat dauernd brechen zu können. Er schließt die Grundforderung der traditionellen Kunst ein: daß etwas klingen soll, als wäre es von Anbeginn der Zeiten dagewesen, bedeutet, daß es wiederholt, was die Zeiten hindurch je schon da war, was als Wirkliches die Kraft bewährte, das Mögliche zu verdrängen. Ästhetische Authentizität ist gesellschaftlich notwendiger Schein: kein Kunstwerk kann in einer auf Macht gegründeten Gesellschaft gedeihen, ohne auf die eigene Macht zu pochen, aber damit gerät es in Konflikt mit seiner Wahrheit, mit der Statthalterschaft für eine kommende Gesellschaft, die Macht nicht mehr kennt und ihrer nicht mehr bedarf. Das Echo des Uralten, die Erinnerung an die Vorwelt, von der aller ästhetische Anspruch auf Authentizität lebt, ist die Spur des perpetuierten Unrechts, das sie zugleich im Gedanken aufhebt, aber dem sie doch auch all ihre Allgemeinheit und Verbindlichkeit bis heute einzig verdankt. Strawinskys Regreß auf die Archaik ist der Authentizität nicht äußerlich, mag er auch diese, in der immanenten Brüchigkeit des Gebildes, gerade zerstören. Wenn er Mythologie zubereitet und damit am Mythos fälschend sich vergreift, so tritt darin nicht nur das usurpatorische Wesen der neuen Ordnung hervor, die seine Musik proklamiert, sondern auch das Negative des Mythos selber. An diesem fasziniert ihn als Bild von Ewigkeit, von der Rettung vorm Tode, was in der Zeit durch die Todesfurcht, durch barbarische Unterwerfung zustandekam. Die Fälschung des Mythos bezeugt Wahlverwandtschaft mit dem echten. Vielleicht wäre authentisch erst die Kunst, die der Idee von Authentizität selber, des so und nicht anders Seins, sich entledigt hätte.

 
Gesammelte Werke
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