Zur Dialektik von Heiterkeit
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Der Vers »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst« beschließt den Prolog zu Schillers Wallenstein. Er ist einer Wendung aus den Tristien des Ovid nachgebildet: Vita verecunda est, Musa jocosa mihi. Man wird dem anmutig durchtriebenen antiken Dichter dabei eine Absicht unterschieben dürfen. Er, dessen Leben so heiter war, daß es dem Augusteischen Establishment untragbar dünkte, mochte seinen Gönnern zublinzeln, indem er seine Munterkeit in die literarische der Ars amandi zurückdichtete und reuig des Lebens ernstes Führen als Haltung seiner Person durchblicken ließ. Ihm ging es um Begnadigung. Von solcher lateinischen Schlauheit wollte der Hofpoet des deutschen Idealismus nichts wissen. Seine Sentenz hebt zweckfrei den Zeigefinger. Dadurch wird sie vollends ideologisch, einverleibt dem bürgerlichen Hausschatz, bei passendem Anlaß zitierfähig. Denn sie bestätigt die verfestigte und allbeliebte Zweiteilung zwischen Beruf und Freizeit. Was auf die Qual prosaisch unfreier Arbeit und den im übrigen keineswegs unberechtigten Abscheu vor ihr zurückgeht, sei ein ewiges Gesetz der beiden reinlich getrennten Sphären. Keine soll mit der anderen vermischt werden. Gerade durch ihre erbauliche Unverbindlichkeit wird die Kunst dem bürgerlichen Leben als dessen ihm widersprechende Ergänzung eingefügt und unterworfen. Schon ist die Freizeitgestaltung abzusehen, die einmal daraus wird. Sie ist der Garten Elysium, wo die himmlischen Rosen wachsen, welche die Frauen ins irdische Leben flechten sollen, das so abscheulich ist. Dem Idealisten verdeckt sich die Möglichkeit, es könne real einmal anders werden. Er hat dabei die Wirkung der Kunst im Auge. Bei aller Noblesse der Gebärde nimmt er insgeheim jenen Zustand vorweg, der in der Kulturindustrie Kunst als Vitaminspritze für müde Geschäftsleute verordnet. Hegel war, auf der Paßhöhe des Idealismus, der erste, der wie gegen die auf das achtzehnte Jahrhundert, Kant eingeschlossen, zurückdatierende Wirkungsästhetik so auch gegen jene Ansicht von der Kunst Einspruch erhob mit dem Satz, diese sei kein horazisch angenehmes oder nützliches Spielwerk.
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Dennoch kommt der Platitude von der Heiterkeit der Kunst ihr Maß an Wahrheit zu. Wäre sie nicht, wie immer auch vermittelt, für die Menschen eine Quelle von Lust, so hätte sie in dem bloßen Dasein, dem sie widerspricht und widersteht, nicht sich erhalten können. Das aber ist ihr nichts Äußerliches sondern ein Stück ihrer eigenen Bestimmung. Die Kantische Formel von der Zweckmäßigkeit ohne Zweck spielt, obgleich sie die Gesellschaft nicht nennt, darauf an. Das Ohne Zweck der Kunst ist ihr Entronnensein aus den Zwängen von Selbsterhaltung. Sie verkörpert etwas wie Freiheit inmitten der Unfreiheit. Daß sie, durch ihr bloßes Dasein, aus dem herrschenden Bann heraustritt, gesellt sie einem Glücksversprechen, das sie irgend selbst mit dem Ausdruck von Verzweiflung ausdrückt. Noch vor den Spielen Becketts hebt sich der Vorhang wie vor dem weihnachtlichen Zimmer. Vergebens arbeitet die Kunst, im Bestreben, ihres Scheinhaften sich zu entäußern, daran sich ab, jenes Restes von Beseligendem ledig zu werden, in dem sie den Verrat wittert an die Jasagerei. Die These von der Heiterkeit der Kunst ist indessen sehr genau zu nehmen. Sie gilt für die Kunst als ganze, nicht für die einzelnen Werke. Diesen mag Heiterkeit gründlich abgehen, nach dem Maß des Schreckens der Realität. Das Heitere an der Kunst ist, wenn man so will, das Gegenteil dessen, als was man es leicht vermutet, nicht ihr Gehalt sondern ihr Verhalten, das Abstrakte, daß sie überhaupt Kunst ist, aufgeht über dem, von dessen Gewalt sie zugleich zeugt. Darin bestätigt sich der Gedanke des Philosophen Schiller, der die Heiterkeit der Kunst in ihrem Wesen als Spiel erkannte und nicht in dem, was sie, auch jenseits des Idealismus, an Geistigem ausspricht. Kunst ist a priori, vor ihren Werken, Kritik des tierischen Ernstes, welchen die Realität über die Menschen verhängt. Indem sie das Verhängnis nennt, glaubt sie es zu lockern. Das ist ihr Heiteres; freilich ebenso, als Veränderung des jeweils bestehenden Bewußtseins, ihr Ernst.
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Aber die Kunst, die gleich der Erkenntnis all ihr Material und am Ende ihre Formen von der Realität, und zwar der gesellschaftlichen, empfängt, um sie zu verwandeln, ist dadurch verstrickt in ihre unversöhnlichen Widersprüche. Ihre Tiefe mißt sich danach, ob sie durch die Versöhnung, die ihr Formgesetz den Widersprüchen bereitet, deren reale Unversöhntheit erst recht hervorhebt. In ihren entlegensten Vermittlungen zittert der Widerspruch nach wie im äußersten Pianissimo der Musik das Dröhnen des Schrecklichen. Wo der Kulturglaube ihr eitel Harmonie nachrühmt, wie bei Mozart, bekundet diese die Dissonanz zum Dissonierenden und hat es zur Substanz. Das ist Mozarts Trauer. Nur durch die Verwandlung des gleichwohl als negativ Erhaltenen, Widersprüchlichen vollbringt Kunst, was verleumdet wird, sobald man es zu einem Sein jenseits des Seienden verklärt, unabhängig von seinem Gegenteil. Pflegen die Versuche, Kitsch zu definieren, zu scheitern, so wäre jedenfalls der nicht der schlechteste, der zum Kriterium von Kitsch macht, ob ein Kunstprodukt, und wäre es durch den Nachdruck des Gegensatzes zur Realität, das Bewußtsein des Widerspruchs ausprägt oder darüber betrügt. Unter solchem Aspekt ist von jeglichem Kunstwerk sein Ernst zu fordern. Kunst vibriert zwischen ihm und der Heiterkeit als der Realität Entronnenes und gleichwohl von ihr Durchdrungenes. Allein solche Spannung macht Kunst aus.
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Was es mit der widerspruchsvollen Bewegung von Heiterkeit und Ernst in der Kunst – ihrer Dialektik – auf sich hat, dürfte einfach sich erläutern durch zwei Distichen Hölderlins, die der Dichter wohl mit Absicht nahe zusammenrückte. Das erste, ›Sophokles‹ betitelt, lautet: »Viele versuchten umsonst das Freudigste freudig zu sagen / Hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.« Die Heiterkeit des Tragikers wird nicht im mythischen Inhalt seiner Stücke aufzusuchen sein, vielleicht nicht einmal in der Versöhnung, die er den Mythen angedeihen läßt, sondern darin, daß er es sagt, daß es sich ausspricht; beide Ausdrücke werden in Hölderlins Versen mit Emphase verwandt. Das Glück ist bei der Sprache, die über das bloß Seiende hinausweist. – Das zweite Distichon trägt die Überschrift ›Die Scherzhaften‹: »Immer spielt ihr und scherzt? ihr müßt! o Freunde! mir geht diß / In die Seele, denn diß müssen Verzweifelte nur.« Wo Kunst von sich aus heiter sein will, und damit zu jenem Gebrauch sich schickt, zu dem Hölderlin zufolge nichts Heil'ges mehr taugt, wird sie eingeebnet aufs Bedürfnis der Menschen und ihr Wahrheitsgehalt verraten. Ihre verordnete Munterkeit paßt in den Betrieb. Sie bekräftigt die Menschen darin, ihn weiter über sich ergehen zu lassen, mitzutun. Das ist die Gestalt objektiver Verzweiflung. Nimmt man das Distichon schwer genug, so richtet es alles affirmative Wesen von Kunst. Es hat seitdem, unter dem Diktat der Kulturindustrie, zur Allgegenwart, der Scherz zur grinsenden Fratze von Reklame schlechthin sich entwickelt.
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Denn das Verhältnis des Ernsten und Heiteren von Kunst unterliegt einer historischen Dynamik. Was irgend heiter an ihr genannt werden darf, ist ein Entsprungenes, undenkbar in archaischen Werken oder solchen strikt theologischen Ortes. Das Heitere an Kunstwerken setzt etwas wie städtische Freiheit voraus, nicht erst im frühen Bürgertum wie Boccaccio, Chaucer, Rabelais, der Don Quixote, sondern bereits als das, was späteren Epochen klassisch hieß, von der Archaik sich sondert. Womit Kunst dem finster-ausweglosen Mythos sich entringt, das ist wesentlich Prozeß, keine unveränderlich zugrunde liegende Wahl zwischen ernst und heiter. Im Heiteren der Kunst wird Subjektivität ihrer selbst inne und bewußt. Durch Heiterkeit zieht sie aus dem Verstrickten sich auf sich selbst zurück. Das Heitere hat etwas von bürgerlicher Freizügigkeit, gerät allerdings damit auch in die geschichtliche Fatalität des Bürgertums. Was einmal Komik war, stumpft unwiederbringlich sich ab; die spätere ist verderbt zum schmatzend einverstandenen Behagen. Am Ende wird sie unerträglich. Wer jedoch könnte danach noch über den Don Quixote lachen und den sadistischen Spott über den, welcher vorm bürgerlichen Realitätsprinzip versagt? Was gar an den heute wie damals genialen Komödien des Aristophanes komisch sein soll, ist zum Rätsel geworden, die Gleichsetzung des Derben mit dem Komischen nur noch in der Provinz nachzufühlen. Je gründlicher die Gesellschaft jene Versöhnung schuldig bleibt, die der bürgerliche Geist als Aufklärung des Mythos versprach, um so unwiderstehlicher wird Komik in den Orkus gerissen, Lachen, einst Bild von Humanität, zum Rückfall in die Unmenschlichkeit.
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Seitdem die Kunst von der Kulturindustrie an die Kandare genommen wird und unter die Konsumgüter sich einreiht, ist ihre Heiterkeit synthetisch, falsch, verhext. Nichts Heiteres ist vereinbar mit dem willkürlich Angedrehten. Das befriedete Verhältnis der Heiterkeit zur Natur schließt aus, was diese manipuliert und kalkuliert. Der Unterschied, den die Sprache zwischen Witz und Witzelei macht, legt davon recht präzise Rechenschaft ab. Wo Heiterkeit heute auftritt, ist sie entstellt als anbefohlene, bis in das ominöse Jedennoch jener Tragik hinein, die damit sich tröstet, daß das Leben nun einmal so sei. Kunst, die anders als reflektiert gar nicht mehr möglich ist, muß von sich aus auf Heiterkeit verzichten. Dazu nötigt sie vor allem anderen, was jüngst geschah. Der Satz, nach Auschwitz lasse kein Gedicht mehr sich schreiben, gilt nicht blank, gewiß aber, daß danach, weil es möglich war und bis ins Unabsehbare möglich bleibt, keine heitere Kunst mehr vorgestellt werden kann. Objektiv artet sie in Zynismus aus, mag immer sie die Güte menschlichen Verstehens sich erborgen. Übrigens ist solche Unmöglichkeit von der großen Dichtung, zuerst wohl bei Baudelaire, fast ein Jahrhundert vor der europäischen Katastrophe gespürt worden, dann auch bei Nietzsche und in der Absage der George-Schule an den Humor. Dieser ist übergegangen an die polemische Parodie. Dort findet er temporäre Zuflucht, solange, wie er unversöhnlich verharrt, ohne Rücksicht auf den Begriff der Versöhnung, der einst an den Begriff Humor sich heftete. Nachgerade ist die polemische Gestalt des Humors ebenfalls fragwürdig geworden. Sie darf nicht mehr mit solchen rechnen, die sie verstünden, und wenn irgendeine künstlerische Form, vermag Polemik nicht ins Leere zu zielen. Vor einigen Jahren gab es eine Debatte darüber, ob der Faschismus komisch oder parodistisch dargestellt werden dürfe ohne Frevel an den Opfern. Unverkennbar das Läppische, Schmierenkomödiantische, Subalterne, die Wahlverwandtschaft Hitlers und der Seinen mit Revolverjournalismus und Spitzeltum. Lachen läßt darüber sich nicht. Die blutige Realität war nicht jener Geist oder Ungeist, dessen der Geist zu spotten vermöchte. Das waren noch gute Zeiten, mit Schlupfwinkeln und Schlamperei mitten im System des Grauens, als Hasek den Schwejk schrieb. Komödien über den Faschismus aber machten sich zu Komplizen jener törichten Denkgewohnheit, die ihn vorweg für geschlagen hält, weil die stärkeren Bataillone der Weltgeschichte gegen ihn stünden. Die Stellung des Siegers zu beziehen, ziemt am letzten den Gegnern der Faschisten, welche die Pflicht haben, in nichts denen zu gleichen, die in jener Stellung sich verschanzen. Die geschichtlichen Kräfte, welche das Grauen hervorbrachten, stammen aus der Gesellschaftsstruktur an sich. Es sind keine der Oberfläche und viel zu mächtig, als daß es irgendeinem zustünde, sie zu behandeln, als hätte er die Weltgeschichte hinter sich, und die Führer wären tatsächlich die Clowns, deren Gedalber ihre Mordreden nachträglich erst ähnlich wurden.
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Weil indessen das Moment von Heiterkeit in der Freiheit der Kunst vom bloßen Dasein besteht, die noch die desperaten Werke, und sie erst recht, bewähren, wird das Moment von Heiterkeit oder Komik geschichtlich nicht einfach aus ihnen ausgetrieben. Es überlebt in ihrer Selbstkritik, als Komik der Komik. Die Züge des kunstvoll Sinnlosen und Albernen, die an den gegenwärtigen radikalen Kunstwerken den Positiven soviel Ärgernis geben, sind weniger Rückbildung der Kunst auf ein infantiles Stadium als ihr komisches Gericht über die Komik. Wedekinds Schlüsselstück gegen den Verleger des Simplizissimus führt den Untertitel: Die Satire der Satire. Verwandtes enthält Kafka, dessen Schockprosa manche seiner Deuter, auch Thomas Mann, als Humor empfanden und dessen Verhältnis zu Hasek slowakische Autoren erforschen. Vollends vor Becketts Stücken überantwortet die Kategorie des Tragischen ebenso sich dem Gelächter, wie sie allen einverstandenen Humor abschneiden. Sie bezeugen einen Bewußtseinsstand, der die gesamte Alternative Ernst und Heiter nicht mehr zuläßt und auch nicht das Gemisch Tragikomik. Tragik zergeht vermöge der offenbaren Nichtigkeit des Anspruchs der Subjektivität, die da tragisch sein sollte. Anstelle von Lachen tritt das tränenlose, verdorrte Weinen. Die Klage ist zu der von hohlen, leeren Augen geworden. Gerettet wird der Humor in Becketts Stücken, weil sie anstecken mit dem Lachen über die Lächerlichkeit des Lachens und über die Verzweiflung. Dieser Prozeß verbindet sich mit dem der künstlerischen Reduktion, einer Bahn zum Existenzminimum als dem Minimum von Existenz, das übrig ist. Dies Minimum diskontiert, vielleicht um sie zu überleben, die geschichtliche Katastrophe.
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In der zeitgenössischen Kunst zeichnet ein Absterben der Alternative von Heiterkeit und Ernst, von Tragik und Komik, beinahe von Leben und Tod sich ab. Kunst verneint damit ihre gesamte Vergangenheit, darum wohl, weil die gewohnte Alternative einen zwischen dem Glück des fortdauernden Lebens und dem Unheil gespaltenen Zustand ausdrückt, welches das Medium seiner Fortdauer bildet. Kunst jenseits von Heiterkeit und Ernst mag ebenso Chiffre von Versöhnung wie von Entsetzen sein kraft der vollendeten Entzauberung der Welt. Solche Kunst entspricht sowohl dem Ekel vor der Allgegenwart offener und verkappter Reklame fürs Dasein wie dem Widerstreben gegen den Kothurn, der durch die Überhöhung des Leidens abermals Partei für seine Unabänderlichkeit ergreift. So wenig Kunst mehr heiter ist, so wenig mehr ist sie, angesichts des Jüngstvergangenen, ganz ernst. Zweifel werden wach, ob sie je so ernst war, wie die Kultur den Menschen es einredet. Sie darf nicht mehr, wie Hölderlins Dichtung, die mit dem Weltgeist sich fühlte, das Sagen der Trauer dem Freudigsten gleichsetzen. Der Wahrheitsgehalt der Freude scheint unerreichbar geworden. Daß die Gattungen sich verfransen, daß die tragische Gebärde komisch dünkt und die Komik trübselig, hängt damit zusammen. Tragik verwest, weil sie Anspruch auf den positiven Sinn von Negativität erhebt, jenen, den die Philosophie positive Negation nannte. Er ist nicht einzulösen. Die Kunst ins Unbekannte hinein, die einzig noch mögliche, ist weder heiter noch ernst; das Dritte aber zugehängt, so, als wäre es dem Nichts eingesenkt, dessen Figuren die fortgeschrittenen Kunstwerke beschreiben.