Zur Uraufführung des Klaviertrios von Eduard Steuermann
Wenn wir der Uraufführung des Klaviertrios von Eduard Steuermann, gegen die Kranichsteiner Gepflogenheiten, einige Worte vorausschicken, so geschieht das nicht darum, weil das Werk als solches der Einleitung bedürfe. Aber gerade die reife Meisterschaft, mit der es sich präsentiert, nötigt dazu, dem Phänomen einen Rahmen zu erstellen. Was Sie vernehmen werden, ist das Meisterwerk eines Mannes, von dem die wenigsten von Ihnen gewußt haben, daß er ein Meister ist, und sicherlich viele nicht einmal, daß er komponiert. Mit stolzer Bescheidenheit hat Eduard Steuermann es verschmäht, sein oeuvre im Musikbetrieb auszustellen, und hat sich an der Öffentlichkeit auf seine Funktion als pianistischer Interpret zumal der neuen Musik beschränkt – eine Funktion freilich, die er so überzeugend ausübte, daß sie ihm jene Art heimlicher Autorität, jenen Nimbus des Authentischen, einbrachte, der heute allen Ruhm aufwiegt. Wenn er nun doch dem Bedürfnis folgt, das auch der strengste Künstler nicht verleugnen kann, dem, sein Werk in die lebendige Kommunikation mit Menschen zu bringen, in der Werke erst sich entfalten, so haben wir ihm nicht nur dafür zu danken, sondern es bedeutet für uns eine Verpflichtung. Wir müssen von der ersten Note an dies Werk in all dem Ernst und in all der Verbindlichkeit auffassen, mit der es geformt ward. Es wäre schon ein erbärmliches Stück von Philistertum, wenn man einem Autor aus dem Maß seiner Selbstkritik und Verantwortung auch noch einen Strick drehen und darauf sich zurückziehen wollte, daß es nicht genug von ihm gebe. Steuermann ist nicht unter, sondern über den Standards, nach denen man heute Komponisten im allgemeinen zu definieren pflegt. Zudem ist die Produktion Steuermanns selbst quantitativ beträchtlich: sie schließt Lieder, Klaviermusik, Kammer- und auch Orchestermusik der größten Dignität ein.
Zur Charakteristik des Komponisten Steuermann sei nur soviel gesagt: er steht in der strengsten Schönberg-Tradition, und das will heißen, der Schönbergs selbst, nicht der Bergs oder Weberns. Weder zieht seine Musik rückwärtige Verbindungslinien, noch ist sie, trotz strengster Zwölftonobservanz, im leisesten geneigt, die Behandlung der Reihentechnik als solche als Zweck zu nehmen. Er faßt, ganz wie Schönberg selbst, die Reihen einzig als Mittel zur Verwirklichung der kompositorischen Freiheit auf. Es ist in der vergangenen Woche hier viel von musikalischem Sinn die Rede gewesen. In der zeitgenössischen Produktion gibt es wohl kaum einen, an dem der Begriff des musikalischen Sinns sich eindringlicher demonstrieren ließe, als an Steuermann. Das Trio, vergleichbar am ehesten noch den allerletzten Kompositionen Schönbergs, von denen es sich freilich durch seinen höchst individuierten Charakter sehr unterscheidet, ist so gearbeitet, daß es wirklich keinen toten Ton, keine tote Phrase gibt, daß jeder musikalische Vorgang einem inneren Impuls, einer seelischen Geste entspricht, realisiert mit einer Feinheit und Subtilität, die an Webern gemahnt. Nicht geringer aber ist der Zug des Ganzen, die Fähigkeit zu weitausgreifenden konstruktiven Formen. Die Rückhaltlosigkeit, mit der Steuermann jegliche musikalische Gestalt und den totalen Zusammenhang aus dem musikalischen Impuls entwickelt, ohne sich vom Material irgendetwas vorgeben zu lassen, bringt nicht bloß eine exzeptionelle Originalität der Gestaltung mit sich, sondern wurzelt im Gehalt. Ein Moment von Unbeirrbarkeit, von Widerstand, aber auch von verwundbarer Zartheit und abgründiger Trauer findet zum Ausdruck. Diese Musik hat zuweilen etwas Krauses, Dunkles, etwas von verschlungenen Schriftzeichen, aber auch etwas von Weisheit, vom Erbe des Spätstils. Vertrauen Sie sich mit aller Konzentration, aber auch mit aller Aufgeschlossenheit dem Trio an, das, noch und gerade im Ausdruck der tiefsten Hoffnungslosigkeit, einem etwas wiedergibt von der Hoffnung, daß die neue Musik doch noch nicht gealtert ist; daß sie das nie Gehörte rein zum Gehör zu bringen vermag; daß sie der Utopie treu blieb.