Stimmt nicht. Wer in den Niederlanden durch die Straßen schlendert, kann so mancher Familie ins Wohnzimmer schauen. Viele Wohnungen sind ebenerdig, und oft hängen keine Gardinen vor den Fenstern. Als Grund wird häufig die Geschichte von der Gardinensteuer bemüht, die es früher gegeben habe. Um die Abgabe zu vermeiden, hätte sich der Niederländer lieber den Blicken der Nachbarn ausgesetzt, und der Brauch habe sich bis heute gehalten.
Wenn es um neue Geldquellen geht, ist der Staat erfinderisch – zur Finanzierung der Kriegsflotte etwa führte Kaiser Wilhelm die deutsche Sektsteuer ein, die bis heute erhoben wird. Und in einigen Ländern gab es früher eine Fenstersteuer, eine bequeme Methode, Gebäude zumindest ungefähr entsprechend ihrer Größe zu besteuern: Die Steuereintreiber mussten nur durch die Straßen gehen und die Fenster zählen, man musste keine großen Messungen durchführen und die Häuser auch nicht betreten. Englische Hausbesitzer reagierten, indem sie ein paar Fenster kurzerhand zumauerten. In den Niederlanden gab es von 1821 bis 1896 die Personalsteuer, in die Mobiliar, Diener, Pferde, der Wert des Hauses und eben auch die Zahl der Fenster eingingen. In kleinen Gemeinden kostete ein Fenster 40 Cents, in größeren 1,10 Gulden pro Jahr.
Von Gardinen war in dieser Steuer nicht die Rede. Dass die Holländer quasi im Schaufenster leben, hat wohl andere Ursachen. Es könnte am Calvinismus liegen, der dort weit verbreitet ist: Wer ein rechtschaffenes Leben ohne Luxus und Ausschweifungen führt, hat nichts zu verbergen – und muss keine Gardinen vors Fenster hängen.