Es gab einmal eine Päpstin Johanna
Stimmt nicht. Mit dieser Frage begebe ich mich auf gefährliches Terrain. Seit über 700 Jahren dient die Päpstin Johanna, die im 9. Jahrhundert gelebt haben soll, als Waffe im ideologischen Grabenkrieg, wie die Theologin Elisabeth Gössmann in dem knapp 1000-seitigen Wälzer «Mulier Papa – Der Skandal eines weiblichen Papstes» von 1994 beschreibt. Für die Katholiken konnte nicht sein, was nicht sein durfte, also bekämpften sie die Legende. Für die Reformatoren war sie der Beweis für die Fehlbarkeit der Kirche – also glaubten sie dran. In neuerer Zeit haben Feministinnen sich der Päpstinnen-Legende bemächtigt, weil sie so schön ins Konzept passt, zuletzt verhalf Donna W. Cross der Legende mit ihrem Historienroman «Die Päpstin» zu neuer Popularität.
Johanna von Ingelheim soll angeblich ab 855 als Nachfolgerin von Leo IV. gut zwei Jahre unerkannt das Oberhaupt der christlichen Kirche gewesen sein. Der Schwindel sei aufgeflogen, als die Päpstin bei einer Prozession zu Pferde ein Kind gebar. Sie wurde auf der Stelle gesteinigt, und die Kirche säuberte Geschichtsbücher – sagt die Legende.
Auf das wichtigste Argument gegen die Existenz der Päpstin weist die Theologin Ines Gora von der Universität Tübingen hin: Es gibt keinerlei schriftliche Überlieferungen aus der Zeit selbst. Die ersten Geschichten über Johanna kamen im 13. Jahrhundert auf, fast gleichzeitig mit dem Erscheinen einer Chronik, die auf den Dominikanermönch Martinus Polonus zurückgeht.
Aber was ist mit dem berühmten Stuhl? Bis ins 16. Jahrhundert hinein mussten neu gewählte Päpste auf dem berüchtigten sella stercoraria Platz nehmen – einem Stuhl, der in der Mitte ein Loch hatte, ähnlich wie eine Toilette. Die Verfechter der Päpstinnen-Legende sagen: Mit diesem Stuhl wurde der angehende Papst auf seine männliche Vollständigkeit überprüft, weil die Kirche sich eine derartige «Fehlbesetzung» wie mit Johanna nicht ein zweites Mal leisten wollte. Von der katholischen Kirche wurde das stets abgestritten. Sie behauptet lapidar, der Stuhl sei einfach schön, das Loch habe keine besondere Bedeutung. Auch wenn diese Erklärung nicht sehr befriedigend ist, wage ich an dieser Stelle das vorläufige Urteil «stimmt nicht». Ein Zweifel bleibt, das bestätigt auch Ines Gora.