Stimmt nicht. Vergasung ist, nüchtern-technisch betrachtet, die teilweise Überführung eines flüssigen oder festen Stoffes in ein gasförmiges Endprodukt. Dieser Begriff ist seit dem 19. Jahrhundert im Gebrauch, und auch die Redewendung «bis zur Vergasung» im Sinne von «bis zum Überdruss» führt der einschlägige Duden-Band auf diesen Ursprung zurück. Sie wurde schon vor der Judenvernichtung benutzt. Ein Leser meiner ZEIT-Kolumne schrieb mir, die ursprüngliche Formulierung laute «bis zur kalten Vergasung» – gemeint sei damit die Sublimation, bei der feste Stoffe direkt in den gasförmigen Zustand übergehen, zum Beispiel wenn Eis «wegtrocknet». Dieser Prozess läuft sehr langsam ab, man braucht also viel Geduld.
Die Bedeutung «mit Gas umbringen» erhielt das Wort «vergasen» im Ersten Weltkrieg, als erstmals Giftgas militärisch eingesetzt wurde. Damals tauchte die Redewendung auch erstmals auf Feldpostkarten auf – sie ist also eindeutig vor der Nazizeit entstanden.
Aber darf man mit diesem etymologischen Hinweis seinen gedankenlosen Sprachgebrauch rechtfertigen? Die Debatte wurde in den 60er Jahren schon einmal geführt, als der Sprachwissenschaftler Peter von Polenz in einer Studie behauptete, der Nationalsozialismus habe keine Auswirkungen auf den modernen Sprachgebrauch, «einige überempfindliche Sprachkritiker» sollten sich nicht so anstellen – das war gemünzt auf Leute wie den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der fassungslos beobachtete, dass «Leute, die in deutschen Vorortzügen sitzen», den Ausdruck offenbar ganz naiv benutzten.
Alfred Andersch hat 1971 den Roman «Efraim» geschrieben, in dem der jüdische Icherzähler auf einer Party hört, wie jemand davon redet, er könne die ganze Nacht «bis zur Vergasung» durchfeiern. Efraim stellt den Mann zur Rede, versetzt ihm einen Kinnhaken und argumentiert dann, «dass man kein kompliziertes politisches, sondern ein einfaches moralisches Bewusstsein braucht, um gewisse Wörter zu vermeiden». Und das gilt unabhängig von deren ursprünglicher Herkunft.