Als der Königsberger Philosoph Immanuel Kant 50 Jahre alt wurde, begann die Festrede zu seinen Ehren mit den Worten «Ehrwürdiger Greis …»
Stimmt nicht. Die Anekdote wird immer wieder als Beleg dafür gebracht, dass noch vor 250 Jahren ein 50-Jähriger als alter Mann gegolten habe. Aber sie stimmt hinten und vorne nicht.
Nicht nur, dass es für die Geschichte keinen Beleg gibt, sie ist auch nicht plausibel, sagt Werner Stark, Kant-Forscher an der Universität Marburg. An seinem 50. Geburtstag war Kant gerade seit vier Jahren Professor an der Königsberger Universität. Geburtstagsfeiern für Professoren waren damals nicht üblich, selbst wenn es sich um ein langjähriges Mitglied des Kollegiums handelte. Gefeiert wurden dagegen 50-jährige Jubiläen, etwa das der ersten Publikation. Einen solchen Festakt gab es tatsächlich 1797 für Immanuel Kant, und bei dieser Gelegenheit überreichte Graf Heinrich Lehndorff dem Philosophen im Namen der Königsberger Studenten ein «wohlverfasstes Gedicht». In diesem wird er tatsächlich als «weiser Greis» angesprochen – was angesichts seines Alters von 73 Jahren aber auch nicht verwundert.
In Kants Briefwechsel hat ein Leser meiner ZEIT-Kolumne noch einen anderen Beleg gefunden – in einem Brief, den Kant kurz nach Eintritt des Rentenalters von dem Magister Johann Heinrich Abicht aus Erlangen bekam. Der Brief wurde am 22. April 1789 geschrieben, Kants 65. Geburtstag, und beginnt mit der Anrede: «Wohlgebohrener Herr Professor, verehrungswürdiger Greis». Mit 65 war man damals tatsächlich schon ein alter Mann.
Aber nicht mit 50. Es stimmt, dass die Lebenserwartung im 18. Jahrhundert unter 50 Jahren lag. Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen so viel früher senil wurden – sie starben einfach häufiger an diversen Krankheiten, die wir heute heilen können. Auf die Idee, einen 50-Jährigen als Greis zu bezeichnen, wäre auch damals niemand gekommen.