Stimmt nicht. Nach Naturkatastrophen glauben Überlebende und Helfer oft, in hektischer Aktivität zunächst die Toten «entsorgen» zu müssen. Anders kann man es nicht bezeichnen, wenn etwa nach dem Tsunami in Südostasien 2004 die Opfer zu Tausenden in Massengräbern verscharrt wurden. Nach einem Erdbeben in Indien, das im Jahr 2001 etwa 100 000 Menschen das Leben kostete, wurden gigantische Scheiterhaufen errichtet, um die Leichen zu verbrennen – und nachher fehlte es an Brennholz für Herde und Öfen.
Der Mythos, dass von toten Menschen eine Infektionsgefahr ausgeht, ist falsch. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird nicht müde, das zu betonen, sie hat auch ein entsprechendes Handbuch herausgegeben. «Leichen führen nach Naturkatastrophen nicht zu Epidemien», heißt es darin lapidar. Bei Erdbeben oder Flutwellen sterben die Menschen nicht an Infektionskrankheiten – und selbst wenn sie zum Zeitpunkt ihres Todes eine ansteckende Krankheit hatten, so sterben die Erreger binnen 48 Stunden (das Aids-Virus hält sich einige Tage). Auch das «Leichengift», das sich angeblich in den toten Körpern bildet, ist keines. Das Grundwasser auf Friedhöfen ist oft sauberer als das in der Umgebung.
Der Verlust von Freunden und Angehörigen ist ein schweres psychisches Trauma für die Überlebenden einer solchen Katastrophe. Dieses Trauma verschlimmert man, wenn man ihnen nicht die Gelegenheit gibt, sich gemäß ihrer Tradition von den Toten zu verabschieden, sondern die Leichen anonym vergräbt oder verbrennt. Deshalb ist es wichtig, Vernunft statt Panik walten zu lassen – und sich am Einsatzort als Erstes um die Überlebenden zu kümmern, nicht um die Verstorbenen.