Adenauer sagte: «Was stört mich mein Geschwätz von gestern!»
Stimmt nicht. Der Altkanzler aus Rhöndorf war bekannt für seine lakonischen, manchmal auch drastischen Formulierungen. Und auch dafür, dass seine Meinung durchaus flexibel war, wenn die politischen Umstände es erforderten. Deshalb passt das Zitat eigentlich ganz gut zu ihm.
Aber viele griffige Zitate prominenter Figuren sind einfach nur gut erfunden – oder sagen wir vorsichtiger: nicht belegbar. Der angebliche Adenauer-Spruch wird viel zitiert, aber nirgends findet man eine Quellenangabe. Antje Winter, Leiterin des Adenauer-Archivs in Rhöndorf, ist schon oft danach gefragt worden, und die Museologin ist fest davon überzeugt, dass der Alte den Satz nie gesagt hat.
Für mich ist sie aber ins Archiv gestiegen und hat Belege gefunden für Reden, in denen Adenauer zumindest sinngemäß etwas Ähnliches ausgedrückt hat: nämlich seine Überzeugung, dass jeder das Recht habe, eine als falsch erkannte Meinung zu ändern. Das früheste Zitat stammt aus einer Rede im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlkampf am 12. Oktober 1952: «Sehen Sie, meine Damen und Herren, jeder Mensch, wir alle miteinander und jede Fraktion und jede Partei hat ein Recht, was zu den Menschenrechten gehört, und das ist das Recht, klüger zu werden!» Ein paar Tage später stieß Adenauer auf dem Parteitag der CDU ins selbe Horn: «Ich war bereit – das muss man immer sein –, auch vom politischen Gegner zu lernen; denn jeder von uns hat das Recht, klüger zu werden! Das gilt auch für Parteien; auch für die Sozialdemokratische Partei!» Und schließlich noch ein Satz, der 1958 vor dem Parteivorstand der CDU fiel: «Man muss auch einmal einstecken, was einem sehr unangenehm ist – das tue ich auch von morgens bis abends –, wenn man in der Sache weiterkommt.»
Weise Worte angesichts der bewegten politischen Biographie Adenauers. Als «Geschwätz» hat er seine abgelegten Meinungen von gestern aber wohl nie bezeichnet.