Stimmt nicht. Die Trägheit des Tankers beim Manövrieren und Bremsen ist ja sprichwörtlich, und der Volksmund neigt, wie wir wissen, zu Übertreibungen. Und sicherlich wird die Weisheit auch in so manchem Managementseminar zur Illustration der Unbeweglichkeit großer Organisationen verwendet.
Kapitän Michael Oberländer, der sich beim Germanischen Lloyd speziell mit Schiffssicherheit beschäftigt, rückt die Sache gerade: Es gibt eine Bestimmung der internationalen Schifffahrtsorganisation IMO, nach der jeder Tanker bei der Probefahrt nachweisen muss, dass er innerhalb von 15 Schiffslängen zum Stehen kommt, wenn der «Gashebel», der bei Schiffen Maschinentelegraf genannt wird, von «voll voraus» auf «voll zurück» gestellt wird. Bei sehr großen Schiffen kann der Flaggenstaat eine Stoppstrecke von bis zu 20 Schiffslängen genehmigen. Für 300-Meter-Supertanker heißt das also: Der Bremsweg ist höchstens sechs Kilometer lang. Das ist allerdings immer noch eine ziemlich lange Strecke.
Allerdings ist diese Art zu bremsen kein Standardmanöver. Das Schiff würde dabei nämlich nicht «in der Spur» bleiben, sondern allmählich von der Kurslinie abweichen. Außerdem gibt es – jedenfalls wenn genügend Platz ist, also auf offener See – eine effektivere Methode, den Zusammenstoß mit einem Hindernis zu vermeiden: Man wirft das Ruder herum. Der Wendekreis eines Tankers liegt nämlich bei maximal fünf Schiffslängen. Der Kapitän muss also keinesfalls tatenlos zusehen, wenn vor ihm ein Eisberg oder ein anderes Hindernis auftaucht.