Stimmt nicht. Es handelt sich hier um eine sehr hartnäckige urbane Legende, sehr schön ist vor allem das Detail, wonach es sich um Albinos handeln soll. Die Geschichte geht so: Reisende New Yorker hätten süße kleine Alligatoren aus dem Florida-Urlaub mitgebracht und sie dann, als sie zu groß wurden, ausgesetzt. In der Kanalisation hätten die Reptilien ein neues Biotop gefunden, sich dort sprunghaft vermehrt und wohl aufgrund der Dunkelheit ihre Farbe verloren.
Es ist immer schwer, die Nichtexistenz von etwas zu beweisen – immerhin sind die New Yorker Kanäle insgesamt etwa 10 000 Kilometer lang. Aber man kann wohl sagen, dass die Kanal-Alligatoren ein Produkt der Phantasie sind. Das Archiv der New York Times verzeichnet eine einzige Alligator-Sichtung am 9. Februar 1935 – drei Jungen erlegten das Tier, das seinen Kopf aus einem offenen Gully steckte.
Der meistzitierte «Beweis» für die Existenz der unterirdischen Population ist das Buch «The World Beneath the City» von Robert Daley aus dem Jahr 1959. Darin wird Teddy May, in den dreißiger Jahren oberster Inspektor der New Yorker Unterwelt, mit einer blumigen Alligatorengeschichte zitiert. May erzählte, wie er Hinweisen von Kollegen nachging und sich auf eine Expedition in die Unterwelt aufmachte. Ein Alligator nach dem anderen tauchte im Lichtkegel seiner Taschenlampe auf. Nicht in den Hauptsielen, sondern in den ruhigen Seitensträngen der Kanalisation. «Die Kolonie schien es sich unter den Straßen der geschäftigsten Stadt der Welt gemütlich gemacht zu haben», schreibt Daley.
Ist die Geschichte glaubwürdig? Edward May war zum Zeitpunkt seines Berichts schon 84, und andere Quellen bezeichnen ihn als legendären Geschichtenerzähler. Reptilienforscher sind sich einig, dass die New Yorker Kanalisation im Winter viel zu kalt für die wechselwarmen Tiere ist. Aber hübsch ausgedacht ist die Legende schon.