Die Chinesische Mauer kann man vom Mond aus mit bloßem Auge erkennen
Stimmt nicht. Das Gerücht stammt aus der Zeit der ersten Mondlandungen. Die Apollo-Astronauten, heißt es, hätten ehrfürchtig zu ihrem Heimatplaneten aufgeschaut und mit Erstaunen nicht nur Meere und Kontinente, sondern auch – als einzige vom Menschen gemachte Struktur – die Chinesische Mauer erkennen können.
Schon eine kurze Überschlagsrechnung macht die Abstrusität dieser Behauptung klar: Zwar sieht die Erdscheibe, vom Mond her betrachtet, größer aus als der Mond von der Erde her, aber sie lässt sich immer noch bequem durch eine mit dem ausgestreckten Arm gehaltene Münze abdecken. Und auf einem so kleinen Scheibchen soll man eine Mauer erkennen können, die zwar über 6000 Kilometer lang, aber nur zwölf Meter breit ist?
Das geht nicht. Und der Apollo-11-Astronaut Buzz Aldrin, der 1969 als zweiter Mensch seinen Fuß auf den Mondboden setzte, hat es auch gar nicht versucht: «Der Astronaut kann nicht nach der Chinesischen Mauer Ausschau halten, ebenso wenig wie er in der Lage ist, über den Sinn des Lebens zu philosophieren. Er ist auf seinen Job konzentriert – und der besteht darin, nicht über das Fernsehkabel zu stolpern.»
Während also der Versuch zum Scheitern verurteilt ist, menschliche Bauwerke von der 384 000 Kilometer entfernten Mondoberfläche aus mit bloßem Auge zu erspähen, können die Astronauten des Space Shuttle und der Raumstation «Mir» durchaus Spuren der Zivilisation erkennen. Sie umkreisen den Globus nämlich nur in wenige hundert Kilometer Höhe und haben dabei einen prächtigen Ausblick auf die Erdoberfläche. Dabei können sie etwa städtische Ballungsräume, Straßen und Felder ausmachen. «Wir erkennen deutlich, wie die Menschen die Oberfläche des Planeten verändern», berichtet der Shuttle-Astronaut Jeffrey Hoffman. Und wenn das Sonnenlicht aus dem richtigen Winkel einfällt, ist auch die Große Mauer in China zu sehen.
Nachtrag: Manchmal ist die Mauer aus dem All sogar besser zu erkennen als vom Boden aus. Am 3. Mai 1996 berichtete die Zeitschrift Science, dass es mit Hilfe eines Radarsatelliten gelungen sei, alte Reste der Chinesischen Mauer zu entdecken, die in einer Wüstenregion von Sand verschüttet worden waren.
«Die Mauer ist in einem so verfallenen Zustand», wird der Nasa-Forscher J. J. Plaut zitiert, «dass man sie nicht finden würde, wenn man nicht wüsste, wo man zu suchen hat.»