Manche Menschen können mit Zahnplomben Radio empfangen
Stimmt nicht. Oder sagen wir vorsichtig: Es ist theoretisch nicht ganz ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich. Immer wieder wird von Fällen berichtet, in denen Menschen zu «lebendigen Radioempfängern» geworden seien. So stand 1934 in der New York Times ein Artikel über einen bedauernswerten, in Brasilien lebenden Ukrainer, der sich über ständigen Radioempfang im Kopf beklagte. «In diesen harten Zeiten», so die Times, «in denen viele sich ein Radio wünschen, es sich aber nicht leisten können, sollte dieser Ukrainer eigentlich sehr froh sein» über sein kostenloses Empfangsgerät. Stattdessen klage er über Schlafstörungen und wünsche sich nichts sehnlicher als einen Aus-Schalter.
Auf dieser anekdotischen Ebene bewegen sich die meisten entsprechenden Berichte. Um tatsächlich Rundfunk im Kopf zu empfangen, müssten einige Bedingungen erfüllt werden, deren Zusammentreffen eine astronomisch geringe Wahrscheinlichkeit hat.
Erstens: Man braucht eine Antenne, um die elektromagnetischen Wellen zu empfangen. Körperteile oder Fremdkörper wie Zahnplomben könnten durchaus als Schwingkreise fungieren und die Energie der Strahlung aufnehmen (auch wenn Plomben dazu eigentlich ein bisschen zu klein sind). So berichtet zum Beispiel im Internet ein gewisser David Bartholomew von einem Amateurfunkertreffen, bei dem er dicht neben einem Sender stand. «Plötzlich fühlte sich einer meiner Zähne, der eine schöne Füllung hatte, so an, als würde ein Zahnarzt ohne Betäubung darin bohren.»
Zweitens: Um nicht nur die Energie der Welle zu empfangen, sondern auch das Radioprogramm, braucht man einen «Demodulator». Denn die Radiowellen schwingen ja in einer viel höheren Frequenz als der Schall, das Tonsignal ist ihnen lediglich aufmoduliert – mittels Frequenz- oder Amplitudenmodulation. Irgendwie müsste im Mund eine Art Diode existieren. «Sie könnte durch die Verwendung unterschiedlicher Metalle bei Zahnfüllungen mit halbleitenden Oberflächen entstehen», mutmaßt vorsichtig Professor Olaf Dössel vom Institut für Biomedizinische Technik der Uni Karlsruhe. Aber selbst wenn das der Fall wäre – das dekodierte Signal müsste über irgendeine Art von Lautsprecher wiedergegeben werden. So etwas hat man normalerweise nicht im Kopf. «Zusammengefasst: Radioempfang mit Zahnfüllungen ist so unwahrscheinlich, dass ich nicht daran glaube», sagt Dössel.
Da ist die Chance schon größer, dass durch zufällige Konstellationen von Haushaltsgeräten ein primitiver Radioempfänger entsteht. Das behauptet jedenfalls Walter von Lucadou, der in Freiburg die parapsychologische Beratungsstelle leitet. Er konnte einen Fall angeblicher «Geisterstimmen» auf elektrische Wechselwirkungen zwischen einem Topf und einer Herdplatte zurückführen. Ähnliches berichtet der ZEIT-Leser Klaus Hennig: «Wer im Berlin der späten 50er Jahre sein Radio ausschaltete, konnte die ‹Schlager der Woche› oder Neumanns ‹Insulaner› oft in der Küche weiterhören, wenn er an seinem alten Elektroherd die Backofentür öffnete. Der RIAS Berlin hatte in dieser Zeit seine Sendeleistung auf der Mittelwelle vervielfacht, die in Heizspulen, Alufolien und Stahlblechen ein einfaches Mittelwellen-Radio fand.»