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Clara war dem anderen Wagen über einen langen Waldweg gefolgt. In einigem Abstand, sodass der andere nichts merkte. Manchmal hatte sie befürchtet, die Fährte zu verlieren, falls der Wagen vor ihr plötzlich irgendwo abbog, aber es war ihr gelungen, den Sichtkontakt nicht abreißen zu lassen.

Schließlich hielt der Wagen auf einer Lichtung.

Vor Clara erhob sich ein dunkles Gebäude, das aussah, als hätte es früher irgendeinem Geheimdienst gehört, der dort unerwünschte Personen verschwinden ließ. Und folterte. Oder gleich umbrachte.

Stasi? KGB? NVA?

Clara entsicherte ihre Waffe.

Das gedrungene Gebäude, das sie an eine Festung erinnerte, stand auf einer Lichtung mitten im Wald. Es wirkte wie eine Leiche, die sich langsam, aber beständig aus ihrem feuchten Grab herausarbeitete. Moos wuchs auf den Mauern, dennoch trug das Gebäude nicht die Zeichen des Verfalls, sondern war perfekt in seiner Verkommenheit. Zwar bröckelten die Steine hier und da, aber die Mauer war stabil. So, als sollte niemand, der dieses Gebäude betrat, es jemals wieder verlassen.

Es war schwül. Die Bäume, die um die Lichtung standen, waren in voller Blüte, doch irgendwie hauchte dieser Sommer bereits den Atem des Vergangenen, als würde er geradewegs in den Winter übergehen, ohne Umweg über den Herbst. Der Landstrich hier war so trist wie der graue Beton des Mauerwerks, und ein schwüler, tief hängender Wolkenhimmel kündigte bereits die Schatten des Abends an.

Als Clara sich vorsichtig dem Eingang näherte, lastete ein düsteres, schwer zu beschreibendes Gefühl auf ihr, das aber nicht von poetischen Empfindungen gelindert wurde oder diese erst hervorbrachte wie in vielen Gedichten, die traurig waren, aber dennoch Hoffnung spendeten und einem halfen, sogar Bildern des Trostlosen und Düsteren eine gewisse Schönheit abzuringen. Diesmal halfen ihr kein Byron und kein Shakespeare, wie noch vor Kurzem.

Das Gebäude stand am Rand eines schwarz schimmernden, bedrohlich wirkenden Teiches. Clara blickte in das brackige Wasser. Beinahe rechnete sie damit, Wasserleichen und bleiche Gesichter zu sehen, die sie aus toten Augen vom Grund des Tümpels anblickten, doch sie sah nur das verzerrte Spiegelbild ihrer selbst. Dahinter waren das Gebäude, die grauen Mauern und die blinden Fensteraugen zu sehen, die sie unablässig zu beobachten schienen.

Clara fröstelte unwillkürlich. Noch einmal schaute sie auf die spiegelnde Oberfläche des Teichs.

Was ist wirklich, was ist Traum?, überlegte sie. Was ist Spiegel, was reale Welt? Ist Karl wirklich hier hineingegangen? Und wenn, wen hofft er hier zu finden? Ist er nicht selbst in Gefahr?

Sie hob den Blick, schaute vom Spiegelbild im Teich zum Gebäude, um sicher sein zu können, dass es auch in der Realität existierte.

Ja, es existiert tatsächlich.

Ein bleierner Nebel schwebte über dem Teich. Und es schien Clara, als würden selbst die Vögel hier nicht singen. Wie vor einem Gewitter. Vielleicht zog tatsächlich ein Unwetter auf, denn der Himmel war schmutzig grau. Und vielleicht wäre es gut so, denn ein Gewitter würde die Spannung lösen, die Clara bis zum Zerreißen spürte. Ein Gewitter wäre eine Befreiung, denn dies hier war die Ruhe vor einem Sturm, der niemals kam. Dies hier war wie ein Mann, der mit geladener Pistole hinter ihr stand, ohne jemals abzudrücken, der aber immer in ihrem Rücken blieb.

Die Lichtung, das Gebäude, der Tümpel. Alles war perfekt in seiner Verkommenheit, so wie der drückende, schwüle Tag. Mit der toten Sarah Steffen, die im Krankenhaus starb, mit den anderen Leichen und mit dem Kater, der Clara immer noch zu schaffen machte und der von den Whiskys herrührte, die sie mit MacDeath getrunken hatte. Sie spürte die Nachwirkungen noch jetzt, obwohl es vorgestern Abend gewesen war. Und was in der Nacht darauf passiert war, in MacDeaths Wohnung, war auch nicht ohne Bedeutung, ganz und gar nicht. Bei dieser Erinnerung kam Clara sich ähnlich verdorben vor wie der Tümpel.

Dann sah sie den Riss entlang des Mauerwerks, der scheinbar durch den modrigen Boden bis zum Teich führte und sich ebenfalls im Tümpel spiegelte. Es sah aus, als würde er die Realität spalten und sie, Clara, von einer Welt in die andere führen.

Sie hatte nun die Tür erreicht.

Die Schwelle, dachte sie. Was dahinter liegt, kann ganz anders sein alles, was davor ist. Eine andere Welt.

Sie öffnete die Tür.

Spürte die Dunkelheit dahinter.

Und betrat das Haus.