4.

Es regnete noch immer in Strömen, als Clara um 8.30 Uhr in ihrem Büro eintraf. Der Bericht der Rechtsmedizin lag auf dem Tisch, dazu die Fotos von Jakob Kürten – die des lebenden Jakob und die aus der Rechtsmedizin und vom Tatort, die ihn in seinem jetzigen Zustand zeigten.

Clara stockte, als sie den Bericht las. Es ging um die Käfer. Die Entomologen hatten deren Mägen untersucht und darin Reste der DNA von Jasmin Peters und Jakob Kürten gefunden. Clara sprach sofort mit dem zuständigen Wissenschaftler und erkundigte sich, warum die DNA nach so langer Zeit noch in den Mägen der Käfer zu finden sei.

»Aufgrund der exoskelettalen Struktur dieser Insekten werden manche Eiweißverbindungen nicht sofort verdaut«, erklärte der Wissenschaftler, »sondern in einer Chitinhülle unterhalb des Panzers abgelagert. Chitin besteht aus Kohlenstoffverbindungen, so wie DNA. Das bedeutet, dass ein Teil der aufgenommenen Kohlenstoffverbindungen nicht vollständig verdaut wird, sondern gewissermaßen als Bausubstanz für den Chitinpanzer dient.« Clara stand fasziniert am Fenster, den Telefonhörer in der Hand. »Wenn man Glück hat«, fuhr der Wissenschaftler fort, »ist die DNA noch in einem Zustand, dass man sie identifizieren kann.«

Verrückt, dachte Clara, Totenkäfer als mobile Sammelstelle von DNA. Sie überlegte kurz, ob dies vielleicht eine Chance bot, den Mörder zu identifizieren. Irgendein Gedanke streifte ihr Bewusstsein, doch sie konnte ihn nicht fassen und konzentrierte sich wieder auf den Bericht.

Die IT hatte herausgefunden, dass Kürten sich auf diversen SM-Plattformen herumgetrieben hatte, dass er in Low-Budget-Schwulenpornos als aktiver und passiver Part mitgespielt hatte und dass er sich in einem Chat einmal unter dem Pseudonym »Plaguebearer« gebrüstet hatte, schon zwölf andere Männer mit dem HIV-Virus angesteckt zu haben.

Am Ende, dachte Clara, war er auch so etwas wie ein Serienkiller. Einer, der an einen noch schlimmeren Killer geraten ist.

Jeder Teufel findet irgendwann seinen Meister, sagte Winterfeld immer.

***

Es roch nach Earl Grey.

Martin Friedrich, genannt MacDeath, hatte eine Kanne heißen Tee nebst Tasse und Untertasse auf seinem Schreibtisch stehen und hackte wieder mit verzerrtem Gesicht eine Mail in seinen Computer, als Clara an den Rahmen der offenen Tür in der vierten Etage klopfte.

»Nehmen Sie Platz, bin gleich für Sie da«, sagte MacDeath, heute mit einer burgunderfarbenen Krawatte unter dem blauen Pullunder, und zeigte auf einen der Stühle. Dann hackte er mit dem Zeigefinger so aggressiv auf den Sende-Button wie ein Bussard, der aus der Höhe herabstößt, um eine Feldmaus zu fangen.

Clara hörte das zischende Geräusch, das der Computer von sich gab, wenn eine Mail versandt wurde, während MacDeath sich streckte und zurücklehnte.

»Tja«, sagte er und verschränkte die Hände, »im Kampf Gut gegen Böse hat das Böse stets mehr Spaß.« Er beugte sich vor und blickte auf die Kopie der Ermittlungsakte, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Doch auch wenn ich mich zu den Guten zählen würde, kann ich nicht leugnen, dass hier einiges geboten wird.« Er nahm seine Brille ab und tippte damit auf die Tischoberfläche. »Ich hatte gedacht, der Werwolf wäre schon etwas Besonderes, und der ist erst eine Woche her.«

Clara erkannte mit Erschrecken, dass MacDeath recht hatte. Es war erst am vergangenen Freitag gewesen, als sie diesen Verrückten hochgenommen hatten, in einem Meer aus Blut und Knochen, mit einer zerstückelten Leiche und einer noch lebenden, völlig traumatisierten Geisel. Clara hatte ihn erschossen. Sie hatte dem Bösen direkt ins Auge geblickt und Bernhard Trebcken, genannt der Werwolf, in dem Moment, als das Zischen des Schusses aus dem Schalldämpfer ertönt war, ein One-Way-Ticket direkt in die Hölle verpasst.

»Aber jetzt dieser Typ«, unterbrach MacDeath ihre Gedanken. Sein Blick huschte über einen Ausdruck der Mail, die Clara gestern Abend erhalten hatte. »Der Namenlose.« Er hob die Brauen und trank behutsam einen Schluck heißen Tee. »Ich mache mir den Tee immer selbst«, sagte er. »Earl Grey, so richtig mit Aufguss und allem. Der Tee, den ihr hier habt«, er zeigte mit dem Finger ein Stockwerk nach unten zur Küche im dritten Stock, »ist eine Katastrophe. So in etwa muss der Tee bei der Aum-Sekte geschmeckt haben. Sie wissen schon, diese Verrückten, die den Gasanschlag auf die U-Bahn in Tokio 1995 verübt haben. Die Novizen wurden gezwungen, ihren Tee mit dem Wasser zu kochen, in dem vorher der Oberguru der Sekte gebadet hatte.« Er hob die Tasse. »Darum Earl Grey. Möchten Sie auch?« Clara lächelte und schüttelte den Kopf. Sie hatte bereits ihre Koffein-Infusion gemeinsam mit Winterfeld am offenen Fenster hinter sich. Und zu viel Kaffee war auch nicht gerade das, was der Arzt ihr bei ihrem Magen raten würde – von Whisky und Zigaretten ganz zu schweigen.

»Danke«, sagte sie. »Erst mal nicht.«

»Der Namenlose«, wiederholte MacDeath, offenbar froh darüber, dass die administrative Tee-Frage schnell und ohne Aufwand erledigt worden war. »Überall und nirgends. Immer und niemals. Er ist nur dann sichtbar, wenn er tötet.«

»Wie die U-Bahn, die an der Choriner Straße an die Erdoberfläche kommt«, sagte Clara. »Sie ist immer da, aber nur zu sehen, wenn sie aus dem Dunkeln kommt.«

»Guter Vergleich«, sagte MacDeath und betrachtete abwechselnd die zwei Bilder, die hinter Clara an der Wand hingen. Das Titus-Plakat mit Anthony Hopkins und das Jüngste Gericht von Michelangelo. Dann fuhr er fort: »Robert Ressler hat mal gesagt, dass ein normaler Mensch – und das gilt auch für Profiler – niemals genauso wie ein Serienkiller denken kann, weil er dann selbst einer wäre. Er kann aber die blutigen Schuhe eines solchen Monsters benutzen und einige Zeit darin laufen.«

»Und wenn Sie in solchen Schuhen laufen?«, fragte Clara und schlug die Beine übereinander. »Was sehen Sie dann?«

»Ich sehe zunächst einmal verschiedene Arten von Serienkillern. Es gibt die, die in blinder Raserei irgendwelche Triebe zu befriedigen versuchen und das nur für sich tun. Unser Werwolf war so einer. Ich glaube nicht, dass jemals eine Frau freiwillig Sex mit ihm hatte. Er hat die Frauen entweder vergewaltigt oder bezahlt. Und die allermeisten hat er missbraucht und getötet.«

»Zu diesem Typus gehört unser Mann nicht, würde ich sagen.« Der Namenlose erschien Clara ausgesprochen diszipliniert, von einer eiskalten, sadistischen Ruhe, die fast noch unheimlicher war als die blindwütige Raserei des Werwolfs.

»Ganz bestimmt nicht«, pflichtete MacDeath ihr bei und kaute auf dem Bügel seiner Hornbrille. »Und auch wenn auf den ersten Blick alles nach sexuell motivierter Gewalt aussieht – es ist halt nur der erste Blick. Auch wenn er Frauen umbringt und Sperma von einem anderen Opfer in deren Vagina platziert, um die Ermittler zum Narren zu halten und eine Vergewaltigung vorzutäuschen, hat die Wahl seiner Opfer – homosexuelle SM-Fetischisten und attraktive Frauen – doch etwas Moralisierendes, Anklagendes und Strafendes. Deshalb sind sein Modus Operandi, seine Art zu kommunizieren und seine unglaubliche Geduld das genaue Gegenteil eines triebfixierten, desorganisierten Spontantäters.« Er machte eine kurze Pause, als suche er nach dem richtigen Wort. »Trotz des sexuell konnotierten Milieus, in dem er seine Opfer trifft, zum Beispiel Dating- und SM-Webseiten, hat sein Handeln etwas zutiefst …«

Clara beendete den Satz: »… Asexuelles?«

MacDeath nickte. »Bingo. Und das ist bei Serienmördern sehr ungewöhnlich. Möglicherweise empfindet er Sexualität als etwas Krankes, Schmutziges und Schmerzhaftes, vielleicht aufgrund traumatischer Erfahrungen in der Kindheit.« Er ordnete die Blätter auf seinem Tisch. »Und das bringt uns zur zweiten Gruppe von Serienkillern. Die, nennen wir sie mal so, pädagogischen Serienkiller, die ihr Machwerk als demonstratives Rache-Epos oder auch als Gesamtkunstwerk der Gesellschaftskritik sehen. Die auf irgendetwas hinweisen wollen, was ihnen sehr am Herzen liegt, wobei sie ihre Botschaft nicht direkt übermitteln können, sondern mit Taten unterfüttern müssen, um vor sich selbst nicht als Versager dazustehen.«

»Eine seltsame Form von Pädagogik«, sagte Clara. Vor ihrem inneren Auge blitzte wieder der Film auf der CD auf, das Messer und die millimeterbreite Öffnung in der Kehle, aus der eine Sekunde später das Blut hervorsickerte, zuerst langsam und unsicher, dann schneller.

MacDeath nickte und hantierte an der Höhenverstellung seines Drehstuhls. »Wenn Sie sagen, dass das bizarr klingt, dann ist es auch so. Es gibt diese Typen – nicht viele, aber es gibt sie. Sie kennen die Geschichte von Charles Manson und seiner Helter-Skelter-Bande 1969?«

Clara nickte.

»Manson wollte, dass alle denken, nicht er und seine sogenannte Family hätten Sharon Tate und die anderen ermordet – es sollte so aussehen, als wären es die Schwarzen gewesen. Die Schwarzen, die den rich pigs eins auswischen wollten. Die Weißen denken, es waren die Schwarzen, und es kommt zu einem Bürgerkrieg Weiß gegen Schwarz. Da Charles Manson glaubte, dass die Schwarzen zu dumm seien, den Bürgerkrieg selbst zu führen, hoffte er, dass sie einen Anführer brauchten. Eine Art Führer, der aus der Anarchie des Bürgerkriegs hervorgeht und eine neue Weltordnung erschafft. Und dieser Mann ist Charles Manson. Wer sonst?«

»Klingt nach Drittem Reich«, sagte Clara.

»Das klingt nicht nur so.« MacDeath fuhr sich mit der linken Hand übers Kinn. »Manson war ein großer Fan von Adolf Hitler. Die letzte Schlacht zwischen Schwarzen und Weißen, aus der die Schwarzen unter Mansons Führung als Sieger hervorgehen sollten, nannte er den Helter Skelter. Eine Art Jüngstes Gericht.«

Clara drehte sich kurz zu Michelangelos Jüngstem Gericht um. Von Charles Manson stand nichts in der Offenbarung. In der gegenwärtigen Ermittlungsakte allerdings genauso wenig.

»Und was hat Charles Manson mit unserem Killer zu tun?«

»Mehr als Sie glauben«, sagte MacDeath. »In beiden Fällen ging es nicht um Sex, sondern um Macht.«

»Wo es um Sex geht, geht es doch meistens auch um Macht«, sagte Clara. »Dominanz, Unterwerfung. Viele stehen sogar darauf, unterworfen zu werden.«

»Richtig«, sagte MacDeath, »aber dann ist der Sex das Mittel zur Macht, das Werkzeug. Bei Manson und unserem Killer geht es um etwas anderes, was für beide sehr viel mehr bedeutet als nur die kurzfristige Befriedigung irgendwelcher Triebe.«

Er setzte die Brille auf und fixierte Clara mit festem Blick. Sie ertappte sich dabei, wie sie unruhig auf ihrem Stuhl ruckte. MacDeath fuhr fort: »Manson nutzte die Helter-Skelter-Morde als eine Art Kommunikationsmedium, mit dem er den Weißen sagen wollte: Schaut, was die bösen Schwarzen gemacht haben. Unser Killer«, er lehnte sich zurück, »tut zweierlei. Er legt Rechenschaft ab über das, was er getan hat. Er ist ein wenig wie eine Katze, die ihrem Frauchen ständig tote Mäuse auf die Terrasse legt, ob diese es will oder nicht.«

»Ständig?«, fragte Clara. »Es werden also noch mehr kommen?«

»Mit Sicherheit«, sagte MacDeath, »so traurig das klingt. Immer mehr tote Mäuse. Als wollte er ein Lob dafür.«

»Ein Lob?«

MacDeath nickte. »Er weiß, dass Sie schon einiges gesehen haben. Er kennt vielleicht sogar die Story mit dem Werwolf, auch wenn sie nicht publik gemacht wurde. Aber unser Mann scheint nicht dumm zu sein. Er weiß also, dass er jemandem wie Ihnen einiges bieten muss.« Er schaute kurz aus dem Fenster, bevor er weitersprach. »Wer mit Nicole Kidman ausgehen will, sollte ein bisschen mehr bieten als Cheeseburger und Dosenbier. Unser Killer will Ihnen auch mehr bieten.« Er kniff ein Auge zu.

Toller Vergleich, dachte Clara.

»Und das schafft er«, fuhr MacDeath fort, »indem er Sie zunächst mit diesem grauenhaften Mordvideo schockiert. Der zweite Schock folgt auf den ersten: Der Mord liegt bereits sechs Monate zurück. Sie und die Polizei waren also ein halbes Jahr lang völlig passiv. Und seien wir ehrlich: Wenn der Mörder nichts gesagt hätte, wüssten wir wahrscheinlich auch in einem weiteren halben Jahr noch nichts von dem Mord. Dann versucht er, etwas gutzumachen. Er gibt Ihnen das Gefühl, mehr zu wissen und dem Mörder einen Schritt voraus zu sein. Das Gefühl des Triumphs, das Ihnen sagt: ›Hurra, wir haben den Mörder. Es ist Jakob Kürten, wir wissen, wo er wohnt, und jetzt nehmen wir ihn hoch.‹ Damit will er Ihren Siegeswillen anstacheln, will Sie vorantreiben, will in Ihnen nicht primär einen Gegner, sondern vor allem einen Sparringspartner haben.«

Clara durchlief es eiskalt. »Dann macht er mich also zu einer Art Komplizin?«

MacDeath nickte ungerührt. »Richtig. Gleichzeitig will er die Autorität behalten. Und da sind wir bei der Macht. Reine Macht, die nicht einmal den Umweg über die Sexualität braucht.« Er zuckte die Schultern, während Clara auf dem vorderen Drittel der Stuhllehne saß und angespannt zuhörte. »Denn bevor Sie übermütig werden und ihn unterschätzen, zeigt er Ihnen mit der funkelnden Reinheit des Skalpells, dass Sie unrecht hatten und dass er Sie die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hat. Dass der, den Sie für den Mörder hielten, ebenfalls ein Opfer war.«

Clara atmete aus. Sie fand die Diskussion interessant, aber auch anstrengend. Besonders, weil sie immer ein wenig das Gefühl hatte, dass MacDeath neben dem Killer auch gleich sie noch mit durchleuchtete. »Warum tut er das?«

MacDeath trank wieder mit spitzen Lippen von dem Tee, der eigentlich gar nicht mehr so heiß sein durfte, als dass man dafür die Lippen spitzen musste, und blätterte durch die Unterlagen. »Erinnern Sie sich«, sagte er. »Das Opfer musste einen Text aufsprechen. ›Ich bin nicht die Erste, und ich bin nicht die Letzte.‹ Und: ›Ich bin bereits tot, doch das Chaos geht weiter.‹ Es liegt eine Art Prophezeiung darin und ein gewisser, nennen wir es mal, Verlautbarungscharakter. Und …« Er machte eine bedeutungsschwangere Pause.

»Und?«, fragte Clara.

»Und die Tatsache, dass er das Opfer ausgeweidet und mumifiziert hat, was glauben Sie?« Er schaute über den Tisch. »Warum hat er das getan?«

»Haben wir doch gesehen«, sagte Clara. »Damit die Leichen schnell vertrocknen und keinen Verwesungsgeruch verströmen.« Plötzlich huschte ihr wieder ein Gedanke durch den Kopf, so wie vorhin in ihrem Büro, etwas, von dem sie wusste, dass es wichtig sein könnte, das sie aber nicht zu greifen vermochte.

»Damit die Leichen nicht riechen, richtig«, sagte MacDeath, lehnte sich zurück und faltete die Hände. »Aber es hatte noch einen weiteren Nebeneffekt, der vielleicht nicht unerwünscht war.«

»Nämlich?«

»Er hat die Leichen ausgeweidet, wie wir festgestellt haben.« Er erhob sich und schaute auf Michelangelos Jüngstes Gericht. Clara folgte seinem Blick und sah den heiligen Bartholomäus, der gehäutet worden war und seine eigene Haut mit sich ins Himmelreich trug als Beweis für sein Martyrium.

MacDeath nickte. »Genau wie der heilige Bartholomäus auf diesem Gemälde seine abgezogene Haut mitnimmt, an der auch noch das Gesicht hängt. Übrigens ist es das Gesicht von Michelangelo selbst, als wollte er sich über den Umweg des Bartholomäus den Weg ins Himmelreich erschleichen, ohne Märtyrer zu sein.« Er zeigte auf die Stelle, die auch Clara betrachtete. »Genau wie Bartholomäus seine Haut mitnimmt, nahm der Killer das Blut und die Innereien seiner Opfer mit.« Er ging an dem Bild vorbei und postierte sich in einer Zimmerecke, neben dem Schrank, auf dem die Arzttasche und der Totenschädel standen, und verschränkte die Arme. »Typische Opferrituale. Blut und Innereien wurden seit Menschengedenken den Göttern dargeboten. Manche Organe, wie die Leber, der Magen und vor allem das Herz, hatten eine besondere Bedeutung. Menschliches Blut, das auf dem Altar verbrennt, von einem Menschen, der zu ebendiesem Zweck getötet wurde, ist angeblich in der Lage, verlorene Seelen zu beschwören.«

»Ein okkultistischer Killer?«, fragte Clara. »Ein Geisterbeschwörer oder Satanist?« Sie war sich nicht sicher, ob das zu der kühlen, rationalen Herangehensweise des Mörders passte.

»Das muss nicht sein«, sagte MacDeath, »aber es besteht die Möglichkeit, dass er die Morde zu Ehren eines anderen begeht. Das Filmen des Mordes, der liturgieartige Abschied des Opfers, das Blut und die Innereien, die er mitnimmt … Vielleicht für Gott, vielleicht für Satan, vielleicht für jemand anderen.«

Clara suchte fieberhaft nach dem Gedanken, der ihr vorhin durch den Kopf gegangen war und der nicht wiederkehren wollte, während sie MacDeath mit einem Ohr zuhörte.

»Was ist mit mir?«, fragte sie. »Warum ich?«

MacDeath ging wieder zum Schreibtisch und ließ die rote Ermittlungsakte durch die Finger gleiten. »Ich kenne Ihre Geschichte«, sagte er. »Ich weiß in etwa, was mit Ihrer Schwester passiert ist. Und ich denke, bei allem, was Sie bisher in Ihrer Laufbahn als Kriminalbeamtin durchgemacht haben, ist der Verlust Ihrer Schwester an diesen Kinderschänder Ihr größtes Trauma.« Er tippte auf die Akte. »Und Sie fühlen sich nach wie vor schuldig, nicht wahr?«

Clara spürte ihr Herz schneller schlagen und ballte die Fäuste. »Sie meinen, so wie er sich schuldig fühlt? Deshalb die Opferungen? Die Innereien und das Blut? Aber woran ist er schuldig?«

»Möglicherweise ist das alles Spekulation«, sagte MacDeath. »Leider besitzen wir keinerlei Informationen über den Killer und wissen nicht einmal ansatzweise, wo er herkommt und wie seine Vergangenheit aussieht. Aber vielleicht bringt er aus einem ähnlichen Grund Frauen um und nimmt ihr Blut und die Innereien mit, wie Sie nach dem Verlust Ihrer Schwester beschlossen haben, Serienmörder zu jagen.«

»Sie vergleichen mich mit diesem Killer?«, fragte Clara empört und stand auf. Ihre Hände waren feucht und zitterten.

»Indirekt, ja.« MacDeath setzte sein freundliches Lächeln auf, bei dem man niemals glauben würde, in welche Abgründe seine dunklen Augen schon geschaut hatten. »Er tötet Frauen, um etwas gutzumachen. Sie töten Killer, um etwas gutzumachen.«

Clara verschränkte die Arme vor der Brust, als wollte sie sich vor dieser schockierenden Behauptung schützen. »Sie meinen, man kann den Killer und mich vergleichen?«

MacDeath zuckte die Schultern. »Man kann nicht, man muss.«

Clara wollte gerade wütend das Zimmer verlassen, als der Gedanke, dem sie die ganze Zeit hinterhergejagt war, unvermittelt Gestalt annahm. Mit einem Mal lag er vor ihr, kristallklar, und sie ergriff ihn mit beiden Händen.

»Die Käfer!«, sagte sie.

»Wie bitte?« MacDeath wirkte irritiert.

Clara hatte allen Zorn vergessen. »Sie sagten, der Mörder will irgendetwas gutmachen, genau wie ich etwas gutmachen will. Und unser Problem ist doch, dass wir nicht die geringsten Anhaltspunkte haben, wer dieser Killer ist. Richtig?«

MacDeath nickte. »Richtig.«

»Und er ließ das Opfer etwas sagen.« Clara ging im Zimmer auf und ab, während sie verzweifelt versuchte, den Gedankenstrom nicht abreißen zu lassen. »Er ließ Jasmin sagen, sie sei nicht die Erste und nicht die Letzte.« Jetzt durchbohrte sie MacDeath mit Blicken. »Die Erste! Die Erste!«

Es schien ihm zu dämmern. »Sie meinen, er hat das erste Opfer …«

»Genau. Er hat es vielleicht ebenfalls mumifiziert.« Claras Blick irrte ruhelos durch das Büro. »Vielleicht sogar mit denselben Käfern, je nachdem, wie lange dieser Mord her ist.«

MacDeath stürzte den Tee herunter und schüttelte den Kopf. »Könnte sein, Kollegin! Immerhin haben wir damit eine Spur.«

Clara fuhr fort: »Die Rechtsmedizin muss sofort sämtliche Käfer untersuchen. Wenn wir in einem von ihnen DNA finden, die nicht mit der von Jasmin Peters oder Jakob Kürten übereinstimmt, kann uns das auf die Fährte der früheren Opfer führen, vielleicht sogar des ersten Opfers.«

MacDeath zog grübelnd die Stirn in Falten.

»Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit ist gering. Aber da wir nichts haben, was uns zum ersten Opfer führen könnte, bleibt uns nichts anderes übrig.« Er griff zum Telefon. »Und das erste Opfer ist wichtig. Der erste Mord ist wie der erste Sex.« Er wählte die Nummer der Rechtsmedizin. »Den vergisst niemand. Und jeder Killer kehrt immer wieder an die Stätte seines ersten Mordes zurück. Oder zu seiner ersten Leiche.«

Final Cut, Seelenangst, Todeswächter
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