8

Er beobachte Kevin Bormann, als er von der Toilette kam.

Er ging an ihm vorbei.

Ihre Blicke trafen sich.

Er hatte ihn nicht erkannt.

So, wie es sein sollte.

Bormann machte an der Bar eine Geste, doch der Barkeeper schüttelte den Kopf.

»Du kriegst nix mehr, hast gesoffen wie ’ne Bergziege!«

»Wat?«, knurrte Bormann, »willste keinen Umsatz machen, Dicker? Du lebst doch davon, dass die Leute hier saufen!«

»Das schon«, sagte der Barmann, »aber erst mal lässt du immer anschreiben und machst hier ’nen dicken Deckel. Außerdem kotzt du mir danach das Klo voll. Da kann ich von deinem Saufumsatz gleich die Kosten für die Putze abziehen, wenn die den Dreck aufwischen muss.«

Bormann wandte sich an Günni. »Ich wisch hier gleich mit dem da auf.« Er zeigte auf den Barmann.

»Lass gut sein, Kevin«, sagte Günni. »Du hast echt genug getankt.«

»Ich fass es nicht. Ich krieg hier nichts zu saufen!« Bormann schaute sich um. »Früher hab ich mit jedem dat Treppenhaus tapeziert, der mir nix zu trinken geben wollte. Und wenn ich mit ’ner Ollen zusammen war und die kein Pils und keinen Kurzen im Kühlschrank hatte, bekam die eins verpasst, die Sumpfkuh!«

Der junge Mann atmete tief durch, dann machte er drei Schritte nach vorne.

»Ich bestelle, und du trinkst«, sagte er und schaute Bormann an. »Wie hört sich das an?«

Bormann glotzte ihn mit trüben Augen verwundert an. »Verarschst du mich, Kleiner? Dann häng ich dich zum Trocknen auf!«

»Aber nein«, sagte der junge Mann. »Sie können mit mir trinken. Wie wär’s?«

Günni hatte unterdessen sein Handy gezückt und sprach ein paar Sätze hinein.

»Kevin, ich muss los«, sagte er dann.

»Wat? Wieso?« Bormanns Stimme lallte. Er schaute Günni aus glasigen Augen an.

»Ich muss innen Saunaclub am Ostkreuz. Eine von Carstens Schwalben hat da inne Kasse gegriffen. Fehlen wohl ’n paar Hunnies. Dat müssen wir glattstoßen.«

Bormann zeigte auf den jungen Mann, so unauffällig es ging. »Wat meinste?«, fragte er Günni. »Soll ich mit dem einen zur Brust nehmen? Der Spacko sagt, er zahlt alles.«

Günni lächelte und zeigte zwei Goldzähne. »Nimm, wat du kriegen kannst. Wenn der Schnösel Ärger macht … mit dem Warmduscher wirste ja wohl noch im Koma fertig.«

»Klaro. Dem Weichei zieh ich die Hose über ’m Kopp aus.«

Er kippte sich den Kurzen hinter die Binde.

Der junge Mann sah ihn an. »Noch einen?«

»Aber sichi!«

Er bestellte noch einen Schnaps. Doch jetzt schüttelte der Barkeeper auch bei ihm den Kopf.

»Wieso das denn?«, fragte der junge Mann. »Ich habe doch bestellt. Darf ich nichts trinken?«

Der Barmann blickte ihn eisig an. »Du schon. Aber du gibst es ja alles der alten Saufziege da drüben.« Er zeigte auf Bormann. »Hab keinen Bock, dass er mir wieder das Scheißhaus vollkotzt. Wenn ihr saufen wollt, dann macht das woanders. Schönen Abend noch!«

Er verschränkte die Arme und spannte die Muskeln. Der junge Mann sah die Totenkopf- und Spinnen-Tatoos auf den mächtigen Oberarmen des Mannes.

»Na gut«, sagte er zu Bormann, »das war ein Rausschmiss. Ich habe aber noch Schnaps im Auto.«

»Na, geil! Dann hol den Stoff mal her, Kumpel, und wir saufen bei mir weiter.«

Der junge Mann nickte. Extrem-Alkoholiker wie Bormann bekam man mit solchen Versprechungen immer.

»Wo wohnst du denn?«, fragte der junge Mann draußen vor der Kneipe. Ein getuntes Motorrad fuhr mit lautem Getöse vorbei.

»Ganz inner Nähe.«

»Ich hol die Flaschen aus dem Auto. Wenn man Durst hat, soll man trinken, nicht wahr?«

Bormann legte ihm die Hand auf die Schulter. Dem jungen Mann war, als würde Eiswasser durch seine Schulter fließen. »Du bis’ in Ordnung, Kumpel. Du verstehst mich.«

Der junge Mann nickte. »Ja, wir werden uns sehr gut verstehen.«

Ihre Blicke trafen sich noch einmal.

Bormann hatte ihn noch immer nicht erkannt. Oder wahrscheinlich erst recht nicht.

Der junge Mann lächelte in sich hinein, als er die Flaschen aus dem Auto holte.

Alles war so, wie es sein sollte.