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Der Junge hatte neue Eltern. Es kam ihm so unglaublich vor, dass er durch einen Traum zu wandeln glaubte, als er die Straße mit den hohen Eichen entlangging, an deren Ende das elterliche Haus stand – sein Zuhause, das jetzt endlich ein richtiges Zuhause war. Denn der Mann und die Frau, die das Haus bewohnten und den schönen großen Hund hatten, einen braunen Labrador namens Nimbus, der manchmal so fröhlich kläffte und mit dem Schwanz wedelte, diese beiden waren jetzt sein Papa und seine Mama. Das hatten sie ihm auch schon mehrmals gesagt. Nicht, dass er sie so nennen musste. Aber sie wollten ihm zeigen, dass sie für ihn da waren wie richtige Eltern. Und der Junge musste zugeben, dass sich das richtig anfühlte. Eigentlich alles.

Er lebte jetzt in einem Haus, nicht mehr in einer winzigen Schmuddelwohnung. Der Vater schlug die Mutter nicht, was den Jungen zu Anfang wunderte, denn er kannte es nicht anders. Der Vater trank auch nicht den ganzen Tag. Wenn, dann mal ein Glas Wein, und das auch nur abends.

Seine Schritte wurden schneller, als er in die Straße einbog, in der sein Elternhaus stand. Der frische Wind des Frühlings trug nur noch einen leichten Hauch des Winters mit sich. Es kam dem Jungen so vor, als würde der Wind auch die dunklen Wolken seiner Erinnerungen für immer davontragen.

Die Zeit heilt alle Wunden, hatte mal jemand zu ihm gesagt. Er hatte diesen Spruch nie ernst genommen, doch mittlerweile glaubte er, es könnte wirklich etwas daran sein. Die Narben allerdings blieben. Aber vielleicht taten die Narben irgendwann nicht mehr weh.

Der Frühlingswind wehte ihm die Haare ins Gesicht, während er die Amseln und Spatzen beobachtete, die nach dem langen Winter wieder von Baum zu Baum flogen. Dann glitt sein Blick über die anderen Häuser in dieser Gegend und über die altehrwürdigen Villen hinweg, deren klassizistische Fassaden hinter gepflegten Gärten, hohen gusseisernen Zäunen und alten Eichen zu sehen waren.

Es war nicht das erste Mal, dass der Junge diesen Weg nahm und die architektonische Schönheit der Häuser, die knorrige Wildheit der Bäume und das alte, holperige Kopfsteinpflaster bewunderte, über das nur selten ein Auto fuhr. Doch jedes Mal entdeckte er etwas Neues, wie der Prinz im Märchen. Gleichzeitig kam es ihm vor, als wäre er diesen Weg schon hunderte Male gegangen, als würde er hierhergehören, als wäre es schon immer so gewesen.

In ungefähr hundert Metern Entfernung sah er bereits die Spitze seines Elternhauses, die sich in den blassblauen Frühlingshimmel erhob wie ein Schiff auf endloser See. Ein Vogel flog über den Dachgiebel, eine Schwalbe, die durch das frühlingshafte Panorama glitt. Die Blicke des Jungen folgten ihr, bis sie verschwunden war.

Dann schaute er auf die Baumreihen, auf das Kopfsteinpflaster und die Straße, an deren Ende das hohe Haus stand. Er fühlte sich so glücklich wie lange nicht mehr. Die schwarzen Schatten der Vergangenheit, sein brutaler Vater, seine gedemütigte Mutter, Kevin Bormann, der Mama die Treppe hinuntergestoßen und umgebracht hatte, die ewig lange Nacht mit seiner toten Mama, der Gerichtsprozess – das alles war unter einer so dicken Schicht verborgen, dass der Junge sicher war, dass es nie wieder an die Oberfläche kommen würde.

Er öffnete die Gartenpforte, schloss die Eingangstür auf und betrat den Flur, in dem es sauber und heimelig roch und wo das fröhliche Bellen von Nimbus ihn erwartete.

Ja, dachte er, als er den Schlüssel auf die Ablage legte, ich bin zu Hause. Ich bin endlich zu Hause.