29.

Albert Torino war kurz eingenickt, als ihn das Klingeln seines Blackberrys aus dem Schlaf riss. Er saß an seinem Schreibtisch im Büro an der Friedrichstraße und kam nur langsam zu sich.

Die Nacht war die Hölle gewesen. Jochen und er hatten, so gut es ging, eine Präsentation zusammengestellt, in denen die »Letters of Intent«, die Absichtserklärungen der Sender, aufgestellt waren. Torino hatte es nur unter Zuhilfenahme von Aufputschmitteln geschafft, da er die Nacht zuvor im Flugzeug schon nicht geschlafen hatte und der Jetlag ihm noch zu schaffen machte. Der größte Privatsender war bereit, das Ganze zu senden, sofern es Rückendeckung von Xenotube gab. Pegasus Capital würde noch einmal drei Millionen für eine Riesenkampagne drauflegen, wenn Shebay auf der Landing Page von Xenotube zu sehen war. Und zwei mittelgroße Plattenlabels hatten bereits zugesagt, Joint Ventures einzugehen, um mit den Top-Kandidatinnen Platten zu produzieren. Das Recht, die gemeinsame Nacht von Miss Shebay und dem Bieter zu filmen und möglicherweise als Porno zu verkaufen, behielt Integrated Entertainment, auch deshalb, weil sich weder Xenotube noch Privatsender mit Triple-X-Filmen die Finger und das Image schmutzig machen wollten. Darauf hinzuweisen und sich an den Umsätzen indirekt zu beteiligen reichte schließlich, damit die Kasse klingelte.

Tom Myers und seine Anwälte hatten gesehen, dass die Präsentation ein wenig mit der heißen Nadel gestrickt worden war – was bei Dingen, die nachts um halb vier zusammengehauen werden, wenn man hundemüde ist und telefonisch niemanden mehr erreicht, um sich Rat zu holen, nichts Ungewöhnliches ist –, doch am Ende hatte Myers einer möglichen Absichtserklärung zugestimmt, ohne allerdings 100 Prozent konkret zu werden. Bedingung war eine Beteiligung von 25 Prozent an allen Umsätzen, die Integrated Entertainments mit Shebay in den nächsten zwei Jahren machte, was ausdrücklich die möglichen Porno-Formate und deren Weiterverwertung im Internet mit einschloss – freilich wieder, ohne irgendetwas davon selbst zu zeigen. Xenotube wollte, dass kein Dreck am Dreckwerfer hängen blieb, nur das Geld, das der Dreck produzierte. Ein ganz schöner Knebeldeal, fand Torino, aber wer das Geld hatte, mischte nun mal die Karten. Und wer die Zuschauer hatte, mischte noch mehr – und 10 Millionen Zuschauer waren 10 Millionen Zuschauer.

Torino räusperte sich und nahm den Anruf an. Laut Nummer ein Vorort von Berlin. Könnte Potsdam sein, dachte er. Vielleicht Schweine-Jochen.

»Torino hier.«

»Albert!« Selbst Jochen, sonst ein Fels in der Brandung, schien aufgeregt zu sein. »Rate mal, wer mich eben angerufen hat.«

»Der Weihnachtsmann«, knurrte Torino, der es nicht mochte, wenn Leute es absichtlich spannend machten.

»So ungefähr«, sagte Jochen, offenbar immer noch nicht gewillt, die Katze aus dem Sack zu lassen. »Geschenke gibt es auf jeden Fall reichlich.« Er machte eine kurze Pause, die Torino nutzte, die Füße, die er zum Schlafen auf dem Tisch platziert hatte und die jetzt eingeschlafen waren, herunterzunehmen.

»Hast du morgen schon was vor?«, fragte Jochen, anstatt endlich konkret zu werden.

»Ja.« Torino massierte seinen Fuß, in den allmählich kribbelnd das Leben zurückkehrte. »Ich werde ein paar Leute besuchen und denen ordentlich die Schnauze polieren. Besonders denen, die nie zur Sache kommen.«

»Okay, machen wir’s kurz.« Jochen hatte wohl begriffen, dass langsam »Butter bei die Fische« musste, wie man in seiner Heimatstadt Bremen sagte. »Am Freitag musst du tatsächlich jemandem in die Schnauze hauen. Allerdings nicht mit den Fäusten, sondern verbal, und zwar den Schlampen von Shebay.« Torino setzte sich kerzengerade auf, während Jochen weitersprach. »Der Sendeleiter vom Privatfernsehen hat mich gerade angerufen. Er hat unser Material gesehen. Sie haben um 20.30 Uhr einen Slot frei. Der Moderator von Sport ohne Grenzen ist überraschend krank geworden. Sie haben keinen Ersatz, und zwei Promi-Gäste haben auch abgesagt.«

Torino klemmte den Hörer ans Ohr, klickte in sein Outlook auf seinem Laptop und ging im Kopf bereits die Planungsschritte durch, die bis Freitag erforderlich waren. Das ist morgen, dachte er. Verdammt noch mal, das ist schon morgen!

»Das heißt, die bieten uns einen Slot für Shebay an?«

»So ist es.« Torino konnte beinahe durchs Telefon den Ausdruck der Selbstgefälligkeit in Jochens großen grünen Glupschaugen sehen.

»Wenn die Kiste gut läuft«, fuhr Jochen fort, »bekommen wir einen dauerhaften Sendeplatz und eine eigene Marketingkampagne mit dem Sender.«

»Pegasus Capital wird vor Freude im Dreieck springen«, sagte Torino. Das klang alles gut, fast schon zu gut, denn wenn etwas zu schön klang, um wahr zu sein, dann war es das meistens auch.

»Jetzt mal unter uns Betschwestern.« Torino machte eine kurze Pause. »Wo ist der Haken?«

Zwei Sekunden Stille, bevor Jochen antwortete: »Na ja, die wollen, dass Xenotech auch bereits am Freitag mitsendet. So kriegen sie beide Zuschauergruppen: die Couch-Potatos, die seit zwanzig Jahren vor dem Fernseher liegen, und die Internet-Junkies.« Torino schüttelte sein Bein aus, in das jetzt alles Leben zurückgekehrt war, und kratzte sich am Kopf. Er kannte Xenotech. Die wollten Hahn im Korb sein oder gar nichts. So ähnlich wie er.

»Also, Sendung schon am Freitag volle Pulle«, fasste Jochen zusammen. »Dafür aber Sendung auf Xenotube und gemeinsame Vermarktung im Web mit dem Privatfernsehen. Wenn uns das sofort gelingt, kriegen wir dort einen Dauersendeplatz. Wenn nicht, ist es erst mal Ehe auf Probe. Das musst du Myers irgendwie verklickern. Und wenn uns das gelingt, sind wir die Kings!«

»Und die Miezen müssen wir auch alle noch für Freitag mobilisieren«, sagte Torino. »Wir haben denen nichts davon gesagt, dass die morgen schon wieder strammstehen sollen.«

»Darum kümmere ich mich«, sagte Jochen. »Ich ruf die Mädels gleich an und sag ihnen, dass sie den ganzen Freitag für uns blocken müssen, wenn sie Karriere machen wollen. Anderenfalls können sie sich gleich beim Discounter an die Kasse setzen.«

»Richtig so«, sagte Torino. »Andira ruf ich an, die ist der Star des Abends. Und dann Tom Myers.«

»Jedem das Seine«, sagte Jochen.

Torino legte auf. Adrenalin schoss durch seine Venen, und sein Kopf dröhnte bei dem Gedanken an all die Dinge, die noch vor ihm lagen.

Final Cut, Seelenangst, Todeswächter
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