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Er packte die letzte Umzugskiste aus. Endlich war er fertig. Insgeheim fragte er sich, warum er sich diesen Stress angetan hatte. Er hätte genauso gut bei seinen Eltern im Haus wohnen bleiben und jeden Tag mit der Bahn zur Uni fahren können. Aber er hatte sich ein Zimmer in einer Studenten-WG in Laufnähe zur Universität gewünscht, auch um seiner allzu besorgten Mutter zu entkommen, die sich schwer damit tat, dass ihr kleiner Junge nun erwachsen war. Sein Vater hingegen hatte ihn verstanden und bezahlte ihm sogar das WG-Zimmer.

Beim Duschen dachte er an seine Eltern und lächelte. Inzwischen fühlte es sich an, als wären sie schon immer seine Familie, als wären seine ersten zehn Lebensjahre nur ein schlimmer Traum gewesen, aus dem seine Mutter ihn liebevoll geweckt hatte.

Er trocknete sich ab, zog sich Jeans und T-Shirt an und verließ die WG. Gleich würde er seine Freundin treffen. Nicht irgendeine Freundin, sondern seine neue Freundin, auf die er am Bahnhof wartete.

Sie wollten ins Kino gehen. Und danach noch etwas trinken.

Er war auf dem Weg zum Bahnhof, um sie abzuholen.

Und dann sah er sie.

***

Sie verließ die Bahn und sah sich um. Sonnenstrahlen fielen in warmen Orangetönen durch die Glasfront des Bahnhofs und spielten in Sabines offenen Haaren. Ihre Augen blickten warm und neugierig zwischen den zahlreichen Reisenden hindurch und suchten nach ihm.

Der Zug fuhr weiter, während ihr Mantel im leichten Wind wogte, als sie mit langsamen Schritten den Bahnsteig entlangging.

Er beobachtete sie voller Bewunderung und Zuneigung. Er hatte all die Jahre gar nicht gewusst, dass er etwas wie sie nicht hatte, ja, dass er so etwas Wundervolles vermisst hatte. Es war nicht so, dass ihm etwas gefehlt hätte, nur war mit Sabine jetzt etwas Wichtiges – das Wichtigste überhaupt – hinzugekommen. Etwas Kostbares, das er nie mehr verlieren wollte.

Jetzt, wo er sie vor sich sah, wusste er, dass sein Leben lang eine gähnende Leere in seinem Inneren gewesen war. Eine Leere, die er nicht gespürt hatte, weil er sich ihrer nicht bewusst gewesen war, und weil man eine Leere nicht spüren kann.

Bis zu diesem Augenblick.

All die Erinnerungen an früher waren verblasst. Sein Vater, seine Mutter, der Trinker, der später erschienen war …

Die Zeit heilt alle Wunden, sagte man. Er hatte diesen Spruch immer für eine Ausrede gehalten, mit der sich naive Menschen eine feindliche Welt schönreden. Doch jetzt wusste er, dass der Spruch stimmte. All die bösen Erinnerungen von früher verschwanden wie die Dunkelheit der Nacht, die von der Morgendämmerung vertrieben wird. Jetzt gab es kein Suchen mehr, kein Herumirren, keine Trauer. Es gab einen Fixpunkt. Und das war sie. Sabine.

Durch sie war er wirklich nach Hause gekommen.

Ihre Blicke trafen sich. Sie eilten aufeinander zu, fielen sich in die Arme und küssten sich.