Kapitel 123
Magnificent Mile, Chicago
Am Ende von Ted Gallows’s ausgestrecktem Arm deutete ein Finger hinter Chris und Laura direkt auf Angela Dawson. Mit einer Hand zog sich die Stellvertretende Direktorin eine lange Samtrobe an. In der anderen Hand hielt sie ihre Waffe, mit der sie auf die Agenten zielte.
»Das reicht jetzt, Special Agent Gallows!«, rief sie, die Beretta starr im Anschlag. »Diese Operation ist vorbei.«
»Das ist sie verdammt noch mal nicht!«, brüllte Gallows zurück. Seine eigene Waffe steckte immer noch in ihrem Holster an seiner Brust, und er wusste, er konnte nicht nach ihr greifen, ohne von Dawson einen sauberen Schuss abzubekommen. Er konnte nur ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken. »Da ist ein Mann auf der Spitze des Turms mit einer Bombe. Einer schmutzigen Bombe, Angela. Wenn wir ihn nicht aufhalten, gibt es ein Massaker.«
Von Dawsons gewohnter Selbstbeherrschung war nun nichts mehr zu sehen; ihre Miene war voller religiösem Eifer, und in ihren Augen lag ein leidenschaftliches Glitzern. Es war, als hätte sie mit dem Anlegen der Zeremonialrobe der Sekte auch eine vollkommen andere Persönlichkeit angenommen.
»Keiner von Ihnen kapiert, um was es hier geht. Sie haben so viel Angst vor dem Tod. Keiner von Ihnen erkennt, dass Sie schon tot sind. Diese ganze Welt – tot. Vorbei. Alles, was wir tun können, ist, in etwas Besseres zu flüchten.« Sie machte mit wildem Blick einen Schritt auf Gallows zu.
»Angela, das können Sie nicht ernst meinen«, entgegnete er. Er stand breitbeinig da, die Arme seitlich ausgestreckt, die Handflächen zeigten nach oben. »Das können Sie doch nicht wirklich glauben. Sie können doch nicht bereit sein, sich dem zu verschreiben. Sie reden vom Massenmord an den Bürgern, die zu schützen Sie geschworen haben!«
»Sie haben keine Ahnung, was Hingabe bedeutet. Acht Jahre, Ted! Acht Jahre lang habe ich gearbeitet, und alles war nur für das hier! Der Gemeinschaft mit diesen Leuten beraubt – meinen Leuten –, die mir Liebe und einen Sinn in einer Welt voller Schrecken und Lügen gezeigt haben. Acht Jahre lang habe ich diese Wahrheit in mir verborgen – ein Geheimnis –, damit ich endlich, endlich an etwas Großem mitmachen konnte.«
»Sie sind doch völlig durchgeknallt!«
Dawsons nervöse Spannung führte nun dazu, dass der Lauf der kleinen Pistole bebte, aber sie hielt weiterhin die Waffe auf den Mann gerichtet, der ihr gedient hatte. »Ich wusste, das würden Sie nie verstehen, Ted. Deshalb musste ich lügen, um Sie im Dunkeln zu lassen. Ihre Welt ist am Ende, aber wir werden frei sein!«
Gallows starrte mutig in ihre vom Wahnsinn verzerrten Gesichtszüge. »Das wird nicht passieren, Frau Stellvertretende Direktorin. Ich werde nicht zulassen, dass Sie unschuldige Menschenleben auslöschen.«
Dawson lächelte nur. »Sie haben keine andere Wahl.«
Der Finger ihrer rechten Hand zog den Abzug der Waffe ein Stück weit nach hinten. Noch eine leichte Druckbewegung, und Gallows wäre für die Ziele der Bruderschaft kein Hindernis mehr.
Chris Taylor spürte bei Dawson den Sekundenbruchteil totaler Konzentration – dieses kurze Überlegen, bei dem ein Mensch den ultimativen Akt erwägt, das Leben eines anderen zu beenden – und handelte blitzschnell. Er stieß Laura Marsh zur Seite, um sie zu schützen und um freie Schussbahn zu haben, riss die Waffe von der Hüfte und feuerte zwei Schüsse ab, Angela Dawson direkt in die Brust.
Ihre Augen traten hervor, und sie schwenkte zu ihm herum, doch die Wucht der Kugeln hatte sie bereits aus dem Gleichgewicht gebracht. Dawson fiel nach hinten, auf den Bürgersteig zu; ihre Samtrobe vollzog flatternd die Bewegung mit. Dann schlug sie auf dem Boden auf, mit immer noch irren Gesichtszügen, aber nie wieder würde sie eine Verräterin sein.