Kapitel 26
Britisches Museum, London
Michael brauchte kaum mehr als fünf Minuten, um den CRx Flex-Scanner von General Electric hochzufahren, der zusammen mit seinem angeschlossenen Computerterminal auf der anderen Seite des Raums stand. In den letzten Monaten hatte Michael genug Erfahrung mit dem Gerät gesammelt, als er damit Tonkrüge durchleuchtete und Ritzungen auf Tontäfelchen entzifferte, die aneinandergepresst und wegen ihres Alters zu zerbrechlich waren, um voneinander getrennt zu werden.
Heute würde er mit diesem Apparat und ein bisschen Glück eine Karte finden, die auf einem Blatt mit einem alten Text verborgen war.
Michael betätigte einige Tasten, um den Computer-Radiografie-Scanner hochzufahren, und nahm Einstellungen für die Bilderfassung vor. Dann befestigte er das Manuskript auf einer Phosphorplatte und passte diese auf dem Röntgenbelichter ein.
»Zeit, das hier anzulegen«, sagte er, als er nach einer Bleischürze griff, die an einem Haken neben dem Gerät hing, und sie Emily reichte. Anschließend zog er selbst eine an. Als sie beide geschützt waren, drückte er auf dem Bedienfeld der Seifert Eresco 200-Röntgenröhre einige Knöpfe. Einen Augenblick später begann eine kleine rote Anzeige zu blinken. Millionen Röntgenphotonen strahlten still und unsichtbar durch das Manuskript.
Vierzehn Sekunden später ging das rote Licht aus.
»Das ist alles, mehr ist da nicht zu tun.« Michael zog die Bleischürze aus.
»Wie lange wird es dauern, das Bild zu entwickeln?«, fragte Emily, als sie ihre Schürze wieder an den Haken hängte.
»Das ist das Magische am CRS: Wir entwickeln nicht, wir rechnen.« Michael nahm vorsichtig das Manuskript von der Platte und legte es zurück in die mit Schaumstoff gepolsterte Mappe. Dass er sehr aufgeregt war, konnte man ihm ansehen.
»Der Scanner kann die Platte in ein paar Sekunden einlesen.«
Er ging hinüber zum Scanner, der seine Aufwärmphase nun abgeschlossen hatte und auf Input wartete. Ein waagrechter Schlitz an der Vorderseite des weißen Gehäuses ermöglichte es Michael, die Platte einzulegen, und mit den bereits vorgenommenen Einstellungen erwachte das System nun surrend zum Leben und begann sofort mit dem Scannen.
»Es ist an der Zeit zu sehen, was hier drauf ist.«
Das Gerät gab surrende Geräusche von sich, doch Michaels Schätzung erwies sich rasch als falsch. Fünf Sekunden vergingen, dann zehn.
»Schon gut, schon gut«, sagte er, als er Emilys angespannte Erwartung spürte, »vielleicht hab ich die Geschwindigkeit der Maschine überschätzt. Sie braucht länger als nur ein paar Sekunden.« Sie warf ihm einen besorgten Blick zu und verdrehte die Augen.
Letztendlich dauerte es genau dreiundsiebzig Sekunden. In der vierundsiebzigsten gab der CR-Scanner ein leises Bestätigungspiepen von sich, und der Monitor des Terminals wechselte vom Bildschirmschoner zu einem leeren Fenster. In Sekundenschnelle füllte sich das Fenster mit der Röntgenaufnahme des Manuskripts.
»Heiliger Strohsack«, keuchte Michael. »Du hattest recht.«
Emily stockte der Atem, als sie auf den Bildschirm starrte. Dort waren unter dem ursprünglichen Text des Manuskripts, der beim Röntgen nun verblasst war, deutlich die Linien eines völlig anderen Dokuments zu sehen. Linien und Bögen schufen geometrisch unregelmäßige Formen, die drei Kästchen auf der Seite füllten und die mit kurzen Anmerkungen auf Latein versehen waren.
»Eine Karte«, sagte sie laut. »Die Männer hatten recht.«
Die Mörder von Andrew hatten etwas gewusst, das ihr unbekannt gewesen war. Ihr Cousin hatte dafür den Preis bezahlt.
Michael beugte sich zum Monitor vor, und seine Augen weiteten sich, als er sich die Karte mehrmals von oben bis unten ansah.
»Em, ich kenne diese Karte«, stellte er fest und deutete auf das Display.
Sein Finger zitterte von dem Schock dieser rätselhaften Erkenntnis.
»Und vor allem – du kennst sie auch.«