Kapitel 8
Britisches Museum, London
Das antiquierte Telefon auf Michaels Schreibtisch bebte, als es klingelte, sodass es die herumliegenden Papiere zum Flattern brachte.
»Hallo«, sagte er, als er den Hörer ans Ohr hob, während seine Augen auf einem fotokopierten Artikel haften blieben. Die meisten Anrufe, die Michael im Büro erhielt, waren kurze Routineangelegenheiten, und er hatte gelernt, nebensächliche Aufgaben zu erledigen, ohne sich von seiner eigentlichen Arbeit ablenken zu lassen.
»Ist da Dr. Torrance?«
»Ja.« Er benutzte seine freie Hand, um einen Artikelabschnitt anzustreichen, der ihm aufgefallen war und den er als möglicherweise wichtig einstufte.
»Dr. Torrance vom Britischen Museum?«
»Genau der.« Eine weitere Anstreichung, ein rasch eingekreister Schlüsselbegriff. Umblättern auf die nächste Seite.
»Dr. Michael Torrance, wohnhaft in 46 Hays Mews, Westminster?«
Michael hörte nun doch zu lesen auf. »Ja, ich bin Michael Torrance. Mit wem spreche ich?«
»Ich bin Detective Inspector Joanna Alwell vom Morddezernat. Ich rufe Sie an wegen Ihrer Frau, Dr. Emily Wess.«
Beim Namen seiner Frau schoss Michael auf seinem Stuhl hoch. »Geht es ihr gut?« Panik erfasste ihn.
»Ja, Dr. Torrance, Ihre Frau ist in Sicherheit und wohlauf. Aber bedauerlicherweise gab es in Ihrem Londoner Haus einen Vorfall, in den Ihr Cousin verwickelt war.«
»Was für einen Vorfall?« Augenblicklich überfiel Michael eine Angst, die ihn am ganzen Körper erstarren ließ. Emilys Leben war in den letzten fünf Jahren – seit sie die verlorene Bibliothek von Alexandria entdeckt hatte – alles andere als vorhersagbar und nur selten ortsfest verlaufen. Damals hatten rein historische Forschungen zur Aufdeckung einer weltweiten Verschwörung geführt, die bis nach Washington, D.C., und ins Oval Office reichte – und was im Aufenthaltsraum eines Colleges begonnen hatte, war in einem Nachbesprechungsraum des FBI geendet. Das war Emilys erstes großes »Abenteuer« gewesen, wie sie es gerne nannte. Und es war nicht ihr letztes geblieben.
Auf seine Frage folgte eine längere Pause, und Michael hörte, wie im Hintergrund leise geredet wurde. Schließlich sprach die Ermittlerin wieder zu ihm.
»Dr. Torrance, ich gebe das Telefon jetzt an Ihre Frau weiter.«
Nach einem kurzen Moment kam eine andere Stimme aus der Leitung. »Mike?«
»Emily! Geht’s dir gut? Was ist mit Andrew passiert?«
»Er ist tot«, antwortete sie ausdruckslos, benommen und zu erschöpft für noch mehr Tränen. »Heute Morgen sind zwei Männer bei uns eingebrochen und haben ihn erschossen.«
Michael wankte. Das Gefühl der Panik kehrte zurück.
»Em, es tut mir so leid.« Das Einzige, was ihm einfiel, waren völlig unzureichende Worte, wie ihm sogleich bewusst wurde.
»Da ist noch mehr«, sagte sie. »Als sie ihn erschossen, stahlen sie das Manuskript, das ich gerade erst erworben hatte.«
Michaels Gedanken kämpften mit dem, was ihm berichtet wurde. »Sie töteten ihn wegen deines Manuskripts? Warum sollte das jemand tun? Was für ein Manuskript?« Er versuchte die verschiedenen Möglichkeiten durchzugehen.
»Das eine, das ich bis heute Morgen für nichts Besonderes gehalten habe. Ein Dokument aus dem fünfzehnten Jahrhundert, eventuell eine Fälschung, von der gnostischen Katharer-Gemeinde bei Mont-Louis.«
Als sie das erzählte, drehte sich Michael der Magen um. Nahm man den Bericht im Fernsehen hinzu, den er fünfzig Minuten zuvor gesehen hatte, so war dies das zweite Mal innerhalb von einer Stunde, dass Gewalt und Gnostizismus sonderbarerweise in einem Atemzug genannt wurden.
Was für ein Zufall.
»Bist du noch zu Hause?«, fragte er. Langsam wurde er wieder er selbst.
»Ja. Die Ermittler packen zusammen und sind im Aufbruch begriffen.«
»Rühr dich nicht vom Fleck«, wies Michael sie an, während er sich bereits von seinem Stuhl erhob. »Ich bin bei dir, so schnell ich kann.«