Kapitel 7

Am Ortsrand von Terrasini, Italien

»Das ist die ganze Lieferung? Sind da noch mehr Holzkisten?« Mustafa Aqmal schaute auf die drei Behälter vor ihm, ohne den Kurier eines Blickes zu würdigen.

»Nein, das ist alles.«

Aqmal zog einen großen Kabar aus seiner Scheide an der Hüfte und schnitt mit dem Militärmesser die Schnur am ersten Holzverschlag durch. Er hob den Deckel an und prüfte den Inhalt sorgfältig, um sicherzugehen, dass alles so war, wie er es erwartete; danach senkte er die Abdeckung wieder sanft nach unten. Dies wiederholte er noch zwei Mal an jeder der verbliebenen Kisten, bevor er sich schließlich an den Kurier wandte. Die Zigarette zwischen Aqmals schmalen Lippen untermalte jede seiner Handlungen mit einer Wolke dicken Qualms, der sich um seine mit starkem Akzent gesprochenen Worte zu legen schien.

»Woher hast du die einzelnen Komponenten?«

»Die Hauptbestandteile sind von meiner Quelle in Gattières, in mehr als ausreichender Menge. Das können Sie ja sehen.« Der Akzent des Kuriers war noch stärker als der von Aqmal, der ein leicht afrikanisches Französisch sprach, bei dem das S wie ein weiches Z klang.

»Die abschließenden Elemente für die Reaktion stammen von deren Partner in Deutschland. Genau wie Sie angeordnet haben. Nichts kommt von irgendwo auf der Watchlist.«

Aqmal war sehr deutlich gewesen: Alle Länder, die auf der Terrorismus-Beobachtungsliste standen, waren strikt zu meiden.

»Und das Schaltkreismaterial?«

»Ebenfalls aus Berlin«, bestätigte der Mann. Der Kurier sprach schnell, denn er wollte seinem Käufer gefallen. Auch verspürte er zunehmend den Wunsch, die Auslieferung abzuschließen und so schnell wie möglich wegzukommen. Während ihrer Telefonate hatte ihn etwas am Tonfall dieses Mannes aufhorchen lassen, und jetzt, wo er ihm persönlich gegenüberstand, empfand er wieder dieses Unbehagen. Der Kurier wusste nichts über den Mann vor ihm, aber irgendetwas, was sich nicht greifen ließ, deutete auf etwas Finsteres hin, das er nicht näher durchleuchten wollte. Und der Mann hatte fürchterlich leere Augen, die direkt durch ihn hindurchzustarren schienen. Er wollte, so schnell er konnte, diesen Augen entrinnen.

Aqmal blickte lange auf die drei Kisten. Sie enthielten alles, was seine Auftraggeber bestellt hatten – und zudem aus Quellen, die keinerlei Verdacht erregen würden. Sein Versprechen, für eine effiziente und nicht zurückverfolgbare Lieferung zu sorgen, hatte er bis hierhin erfüllt. Sein Ziel und das ihre waren erreicht.

Fast.

»Wer weiß von der Lieferung?«, verlangte er zu wissen. »Wem ist bekannt, dass diese Materialien hierher gebracht wurden?«

Der afrikanische Kurier, der daran gewöhnt war, ausgefragt zu werden, hatte sich seine Antworten sorgfältig zurechtgelegt. In der Rangordnung der Schwarzmarkttransaktionen war seine Arbeit von entscheidender Bedeutung, aber seine Position in diesem Netzwerk war so niedrig, wie sie nur sein konnte. Um am Leben und im Geschäft zu bleiben – das hatte er schon vor Jahren gelernt –, musste er stets darauf vorbereitet sein, umfassend Rechenschaft abzulegen.

»Ich habe sie selbst hergebracht. Ich nehme das Boot meines Onkels von Toulon nach Cannes, und die letzten vierundzwanzig Stunden fahre ich in dieser Todesfalle« – der Kurier deutete auf einen kleinen Ford Transit, Baujahr 1986, der ein paar Meter entfernt parkte – »nach Genua, dann runter nach Arezzo und vorbei an Rom. Heute Morgen nehme ich die Fähre von Neapel aus. Ich kenne den Kapitän, und für ein bisschen Bares nimmt er mich an Bord – ohne Fragen, ohne Durchsuchung. In Ficarazzi setzt er mich ab, abseits des Hafenverkehrs.« Der Mann beendete seinen Bericht, offenkundig mit sich zufrieden wegen all seiner Mühen. »Dass diese Kisten hier sind«, fügte er hinzu, »ist auf der ganzen Welt nur zwei Männern bekannt: Ihnen und mir.«

Aqmal nickte, eine Kopfbewegung, die den Kurier von der kleinen Bewegung seiner Hände ablenkte.

»Gut. Aber leider hast du dich in dem Punkt geirrt: Die Anwesenheit der Kisten hier an diesem Ort ist nur einem Mann bekannt. Mir.«

Der Kurier war einen Moment lang verwirrt. »Aber ich …«

Und genau da sah er Aqmals rechte Hand, die den Kabar bis in Brusthöhe hob. Diesmal zeigte die Klinge nicht auf die Verpackungsschnüre. Was wenige Augenblicke zuvor noch ein Werkzeug gewesen war, wurde nun als Waffe genutzt; und ein Mann schwang sie, dessen unheimliche Augen sich ohne jede Gefühlsregung direkt in sein Gegenüber bohrten.

Mit einer Gewissheit, die aus zu vielen Berufsjahren in diesem Markt herrührte, sah der Kurier, was kommen würde. Selbst als er zurücksprang, um der Klinge auszuweichen, und seinen Lippen ein hilfloses »Non!« entschlüpfte, wusste er, wohin das letztlich führen würde. Seine Vorahnung bewahrheitete sich, als Aqmals kleine Gestalt plötzlich einen Satz nach vorne machte, um seinen Fluchtversuch gewaltsam zu beenden. Der Araber packte den Kurier mit seiner freien Hand am Oberkörper und stieß das Messer zwischen die Rippen – ohne jedes Geräusch durchbohrte es das Herz.

Als der Kurier langsam zu Boden sank, hatte er seinen letzten Beitrag zu der Lieferung geleistet.

Der verborgene Schlüssel
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