Kapitel 119

Magnificent Mile, Chicago

Emily und Michael befanden sich nun mitten in der Menschenmenge, und im Gehen wanderte Emilys Blick hektisch von einer Person zur nächsten. Sie mussten einerseits nach etwas suchen, das der Apparat der Sekte sein konnte, und andererseits herausfinden, wie diese ihr Gebet und die Gräueltat, die danach folgen sollte, miteinander zu verbinden gedachte.

Das Endziel, das sie anstreben, mag die Befreiung sein, schoss es ihr durch den Kopf, die Loslösung des Geistes vom Stofflichen. Aber sie müssen trotzdem zunächst das Gebet sprechen. Sie können ihre Bombe nicht einfach ohne irgendeine Art von Rezitation zünden.

Immer vorausgesetzt, dass es nur eine Bombe gibt. Ihr Magen verkrampfte sich. Wenn es mehr als eine gab …

Plötzlich stach ihr ein Mann in einem eigenartigen, schlecht sitzenden Poncho ins Auge, der locker an ihm herabhing. Emilys Blick wurde misstrauisch: Darunter konnte sich leicht eine Bombe verbergen – doch in einem plötzlichen Anfall von Patriotismus riss der seltsame Mann beide Arme jubelnd hoch, und unter dem Poncho kam lediglich ein Trikot der Chicago Bears zum Vorschein.

Emily begann von Neuem die Menge mit den Augen abzusuchen.

Bell möchte, dass der »Weggang« seiner Gruppe sichtbar ist, und er möchte, dass die Menge sieht, was geschieht – weiß, was vor sich geht, bevor er sie auslöscht. Das Gebet kann keine private Angelegenheit sein. Die Mitglieder werden es nicht nur für sich selbst sprechen.

Noch ein verdächtiger Mann! Diesmal saß der Betreffende auf einem großen Picknick-Kühler. Zu groß, dachte Emily. Nichtsdestotrotz wechselte sie die Richtung und marschierte auf den Mann zu, doch als sie näher kam, erhob er sich, öffnete den Kühler und holte eine Getränkedose aus einem Haufen Eis und identischer Büchsen hervor. Emily wandte sich von ihm ab und zog Michael hinter sich her. Auch er suchte aufmerksam die Menge ab.

Die Rezitation muss im Zentrum des Geschehens stehen. Sie müssen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Dann folgen die Worte und dann … dann 

Sie erlaubte sich nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Wenn sie Bells Bruderschaft nicht aufhalten konnten, bevor diese die öffentliche Rezitation des Gebets abgeschlossen hatte, wären das Nächste Leid und Tod in einem gewaltigen Ausmaß. In einer so dicht bevölkerten Umgebung würde auch eine schlecht konstruierte chemische Waffe Tausende von Opfern fordern. Und irgendwie glaubte Emily nicht, dass Bells Gruppe eine schlechte Konstruktion gut gefunden hätte.

In diesem Moment erregte das seltsame Aufblitzen eines dunklen Farbtons in ihrem Augenwinkel Emilys Aufmerksamkeit. Im Umdrehen sah sie, wie eine sehr kleine Frau, die wie festgefroren dastand, aus ihrem Rucksack eine lange Samtrobe zog und sie sich umlegte. In ihrer Hand baumelte eine weiße Kordel, und als das Gewand richtig saß, band sie sich diese als Gürtel um.

Dann holte direkt hinter ihr ein größerer Mann, der wie sie auf der Stelle erstarrt war, ein absolut gleich aussehendes Gewand hervor.

Emilys Haut wurde eisig kalt.

Sie drehte sich auf den Zehenspitzen um. Hinter ihr konnte sie drei weitere Personen sehen, die auch solche Roben hervorzogen und sie sich inmitten der riesigen Menschenmenge überstreiften. Emily drehte sich weiter um. Da, noch zwei, dann drei. Als sie den Blick über den weiten Platz kreisen ließ, tauchten überall um sie herum Samtroben auf, in ihrer unmittelbaren Nähe genauso wie in der Ferne. Zehn, dann Dutzende. Mehr, als sie zählen konnte.

O mein Gott. Sie schluckte hart. Es passiert genau in diesem Augenblick.

Der verborgene Schlüssel
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