Kapitel 45
Nag Hammadi, Gouvernement Qena, Ägypten
Wenn Marcianus erwartet hatte, dass Aqmal der Planänderung begeistert zustimmen würde, so wurde er rasch dieser Illusion beraubt. Kaum war der Araber mit dem Wagen losgefahren, um Emily, Michael und Chris aus Kairo hinaus zu folgen, hatte er auch schon begonnen, seinem Unmut Luft zu machen. Seine Unzufriedenheit erreichte nun ihren Höhepunkt, als sie beobachteten, wie das Fahrzeug, das sie verfolgt hatten, in die orangebraunen Wüstendünen fuhr.
»Auf gar keinen Fall!«, verkündete Aqmal schließlich.
Marcianus wandte den Blick vom Auto des Trios ab und schaute Aqmal wütend im Rückspiegel an. »Wie bitte?«
»Das ist nicht das, wozu ich mich bereit erklärt habe«, sagte Aqmal mit Nachdruck und winkte in Richtung des Wagens vor ihnen, der gerade um eine Düne außer Sicht fuhr. »Der Plan war, sie bei der Ankunft in Ägypten umzubringen. Das haben wir bereits verschoben. Doch ich werde diese Strapaze nicht mehr weiter mitmachen.«
Er brachte den Wagen zum Halten und griff nach dem Gewehr, um zu prüfen, dass es geladen und einsatzbereit war.
»Deine Ignoranz verblendet dich«, gab Marcianus zurück, erbost über die Unverschämtheit des Mannes. »Genialität darf man nicht übersehen, nicht mal bei einem Feind. Man muss sie sich zunutze machen. Die drei sollen mich zum steinernen Schlüssel führen.«
»Steinerner Schlüssel?« Aqmal hob eine Augenbraue. Das war das zweite Mal, dass Marcianus den Begriff benutzte. Bis zu diesem Gespräch hatte er noch nie davon gehört.
»Es ist ein … Artefakt.« Marcianus drückte sich einfach aus für diesen Mann, dessen erneute Einbeziehung in ihre Pläne er nun schnell zu bereuen begann. »Ein bedeutendes Artefakt. Alles, was du wissen musst, ist, dass es für mich und meine Leute höchst wichtig ist und Emily Wess weiß, wo es sich befindet.«
Aqmal zog wieder an seiner Zigarette, bevor er sie ausdrückte, seine Bewegungen waren entschieden und wohlüberlegt. Das Gewehr war geladen und einsatzbereit. Er konnte Michael, Emily und Chris aus fünfzig Metern Entfernung aus dem Spiel nehmen, dessen war er sich ziemlich sicher.
»Die Wüste, ein steinerner Schlüssel. Ich hätte es verdammt noch mal besser wissen müssen.« Schließlich wandte er Marcianus das Gesicht zu und starrte ihn mit seinen leeren Augen aus einem recht ungemütlichen Winkel vom Fahrersitz aus an.
»Die Antwort ist Nein. Ich habe mich mit einem kurzen Trip nach Kairo einverstanden erklärt. Rein und raus, als Gefälligkeit für dich. Keine Rede davon, wegen eines nutzlosen Stücks Geschichte in die Wüste zu gehen. Es ist lächerlich, dass ich zugelassen habe, mich von dir so weit mitschleifen zu lassen. Wir machen dem ein Ende. Jetzt.«
Marcianus holte durch weit geöffnete Nasenlöcher tief Luft. Diese völlig verfahrene Lage, in der sie sich gegenwärtig befanden, war ein klassisches Beispiel dafür, warum eine Sache nur einen Anführer haben konnte. Willensstarke Persönlichkeiten konnten nicht gemeinsam handeln. Ihm wurde nun klar, dass Aqmal stur war. Er würde seine Meinung nicht ändern, seine geliebten Pläne nicht umstoßen, um sie der neu aufgetauchten Chance anzupassen, die sich ihnen bot. Das war kein produktives Gespräch mehr.
»Ich möchte dir danken, Mustafa«, sagte er ruhig und atmete tief aus.
Aqmal, der sich eine weitere Zigarette anzuzünden versuchte, wandte den Blick nicht von der Windschutzscheibe.
»Du warst für unsere Sache eine große Hilfe«, fuhr Marcianus fort. »Deine Rolle bei der Beschaffung der Materialien war von entscheidender Bedeutung, und dein arabischer Hintergrund wird sich als hilfreicher erweisen, als du ahnst. Und du hast geholfen, mich hierher zu bringen. Für all dies werde ich dir stets dankbar sein.«
Aqmal grummelte desinteressiert irgendetwas vor sich hin. Er merkte nicht, wie Marcianus leicht seine Sitzposition im Fond änderte, und es entging ihm auch die kleine Bewegung an dessen Taille.
»Aber es tut mir leid, dass dein Standpunkt zu unserem augenblicklichen Kurs so festgefahren ist. Das ist … höchst unglücklich.« Während er sprach, zog Marcianus seinen Gürtel aus der Hose. Er war keine ideale Waffe, aber ein Schuss im Wagen wäre laut und hätte eine Schweinerei zur Folge.
»Was hier auf dem Spiel steht, ist wichtiger als deine Pläne. Und es ist wichtiger als du.«
Bevor Aqmal etwas antworten konnte, beugte Marcianus sich nach vorne und hob den Gürtel über die Rückenlehne vor ihm, dessen Enden er fest in den Fäusten hielt. Rasch legte er die Schlinge Aqmal um den Hals und zog die provisorische Garrotte nach hinten, sodass der gerötete Kopf des Arabers gegen die Nackenstütze schlug. Sofort war Marcianus klar, dass der Gürtel zu breit war, um als Garrotte richtig zu funktionieren; zudem war der Kopf nicht in der richtigen Position, um dem Mann das Genick zu brechen.
Er würde das Leben aus Aqmal herauswürgen müssen.
Marcianus hob das Knie und stemmte es gegen die Rückenlehne, um mit noch mehr Kraft am Gürtel ziehen zu können.
Der Araber zappelte verzweifelt und versuchte, den Gürtel mit beiden Händen zu packen, aber Marcianus’ Griff war zu stark. Als er spürte, wie sein Kehlkopf eingedrückt wurde und seine Sehkraft an Klarheit verlor, starrte Aqmal in heillosem Schrecken in den Rückspiegel.
Marcianus starrte zurück und blickte ein letztes Mal in diese leeren braunen Augen, die ihn so lange nervös gemacht hatten.
»Möge dein Geist frei sein«, sagte er fast im Gebetston. Er zog den Gürtel noch fester nach hinten.
Einen Augenblick später verdrehten sich Aqmals Augen. Er hatte das Atmen vollständig eingestellt und wurde schlaff.
Marcianus lockerte den Griff, und der Kopf des Arabers schlug auf das Armaturenbrett.