Kapitel 32
Hays Mews, London
Die geschmackvolle Einrichtung des Hauses in Westminster hatte sich in etwas vollkommen anderes verwandelt. Jetzt war es ein Durcheinander aus zerbrochenen Möbeln, umgekippten Regalen, aufgerissenen Teppichböden und auseinandergenommenen Schränken.
»Alles!«, rief Michael aus, dessen Schreck immer größer wurde, je länger er die Verwüstung betrachtete. »Sie haben wirklich alles zerstört.«
»Das befürchte ich auch, Sir«, pflichtete ein Polizeibeamter ihm bei und stieg über eine zerbrochene Lampe. »Jedes Zimmer, einschließlich der Garage. Es gibt anscheinend nichts, was die Eindringlinge nicht angefasst haben.« Er versuchte es mit einem tröstenden Blick. Als das nichts bewirkte, entfernte er sich und kümmerte sich um seine Pflichten.
Michael wandte seine Aufmerksamkeit der Couch zu, die jetzt ihrer Kissen beraubt und deren Polsterung aufgeschlitzt war. Seine Mutter hatte ihn auf dieser Couch gestillt. Er erinnerte sich, wie er sich als Kind mit den Kissen Festungen gebaut hatte. Und am frühen Morgen hatte er dort noch gesessen, um seine Frau über den Verlust ihres Cousins hinwegzutrösten.
Emily stand regungslos im hintersten Winkel des Wohnzimmers. Ihre Augen nahmen die Zerstörung wahr mit einem Ausdruck, so als ob sie daran vorbeiblicken würde.
Ein zweiter Beamter stellte sich neben Michael, diesmal ein uniformierter Ermittler.
»All dies tut mir aufrichtig leid, Mr Torrance«, sagte er recht mitfühlend. »Ich weiß, das muss ein Schock sein. Ist Ihr Versicherungsvertrag auf dem neuesten Stand, was ihren Besitz anbelangt?«
»Gewiss, natürlich.« Michael nahm die Frage des Mannes kaum wahr.
»Das ist immerhin schon mal was. Wir können die Sachverständigen anrufen, damit sie beim Aufräumen und Ausfüllen der Anträge helfen, aber das muss noch warten. Zunächst müssen wir uns mit einigen Komplikationen befassen.«
Michaels Aufmerksamkeit richtete sich unwillkürlich auf ein einziges Wort. »Komplikationen?«
»Das ist immer noch der Tatort eines Mordes. Die Spurensicherung hat heute Morgen ihre Arbeit größtenteils erledigt, aber diesen Vorfall hier werden wir als eine Erweiterung des früher geschehenen Verbrechens behandeln müssen.« Der Detective verkniff es sich, allzu sehr ins Detail zu gehen. »Irgendeine Idee, was der Eindringling oder die Eindringlinge gesucht haben könnten – vor allem weil sie noch ein zweites Mal kamen?«
Plötzlich stand Emily neben Michael.
»Das könnte alles Mögliche sein«, sagte sie und gebot Michael mit einem verstohlenen Blick zu schweigen. »Es gibt jede Menge Wertsachen hier. Vielleicht ist ihnen in der Nacht irgendetwas ins Auge gestochen, und sie sind zurückgekehrt, um es sich zu holen.«
Der Ermittler dachte einen Moment darüber nach und nickte dann höflich. »Noch mal, mein Mitgefühl wegen alldem, für Sie beide.« Er wartete respektvoll noch den obligatorischen Moment, anschließend betrat er wieder das Chaos.
Emily packte Michaels Hand und zog ihn in den hintersten Winkel des Zimmers. Sie sprach flüsternd in dem Bemühen, das Gespräch möglichst unbemerkt zu führen.
»Glaubst du mir jetzt?« Mit einer ausholenden Handbewegung wies sie auf die Szenerie vor ihnen. »Andrew ist tot, unser Heim liegt in Trümmern. Wie ich dir schon sagte, Mike, sie werden nicht aufhören, nach der zweiten Hälfte ihrer Karte zu suchen – oder nach dem Objekt, auf das sie in Ägypten hinzeigt.«
Michaels Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Chaos im Haus, in dem er und seine Familie so viel Zeit verbracht hatten. So viele Erinnerungen zerstört. So viel Sicherheit, Stabilität: einfach geraubt.
Seine Frau hatte recht. Diese Männer, wer immer sie sein mochten, würden die Suche nach dem steinernen Schlüssel nicht aufgeben. Im nächsten Augenblick kam ihm jedoch ein Gedanke in den Sinn, der sich wesentlich bedrohlicher anfühlte.
Sie würden auch nicht aufhören, nach Emily zu suchen.
Plötzlich konnte er sich vorstellen, dass Emilys Plan, jenen Leuten stets einen Schritt voraus zu sein, gar nicht so verrückt war, wie er sich im Museum zunächst angehört hatte.
»Ja«, sagte er schließlich und wandte sich zu ihr um. »Ich bin überzeugt. Und einer Sache bin ich mir ganz sicher: Lieber bleibe ich den Kerlen einen Schritt voraus, als ihnen unter Bedingungen wie diesen hier von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.«
Emily drückte ihm fest die Hand.
»Aber«, fuhr Michael fort, »ich bin nicht gewillt, diesen Weg ohne jede Hilfe zu beschreiten.«
»Wer könnte uns bei so etwas wie dem hier möglicherweise helfen?«
Michaels Blick verriet wachsende Zuversicht. Seine Hand glitt bereits in die Tasche seines Jacketts, um sein Handy hervorzuholen. »Da fällt mir nur ein Mensch ein.«