Kapitel 24

Ladbroke Grove, London

Marcianus, dicht umringt von den vier Wissenden, hielt weiter den Blick unverwandt auf die Schale mit der sorgfältig vorbereiteten dritten Lösung gerichtet. Die chemischen Reaktionen, welche die drei Flüssigkeiten ausgelöst hatten, die Rezepte dafür, die mehr als ein Vierteljahrtausend lang innerhalb der Bruderschaft weitergegeben worden waren, hatten gewirkt, und die Details der alten Karte kristallisierten sich vor ihren Augen weiter heraus.

Wenn der Begriff »Apokalypse« im ursprünglichen Sinne »das Heben des Schleiers« bedeutete, dann war dies ein echtes apokalyptisches Ereignis. Die Entschleierung der Karte bedeutete, dass der Ort des verborgenen Schlüssels gerade aus seinem Versteck kam, und bald würde Marcianus in der Lage sein, ihn in Händen zu halten.

Die Jahrhunderte schrien Marcianus geradezu an. In jeder Epoche hatten Männer in Erwartung dieses Ziels gelebt, und während sich nun die Tinte auf dem alten Blatt auflöste und der verborgene Text Gestalt annahm, kam das lange Warten seinem Ende näher. Die Zeit war knapp – die symbolträchtige Bedeutung des 4. Juli, des amerikanischen Unabhängigkeitstages, hatte ihnen das Datum vorgegeben, und alles musste dementsprechend zeitlich festgelegt werden. Das war durchaus machbar. Andere Vorbereitungen waren vor ihrem Termin abgeschlossen worden. Die am frühen Morgen durchgeführte Aktion war allerdings die erste Gelegenheit gewesen, um das Manuskript in die Hand zu bekommen. Und wohin auch immer auf der Welt es deutete, Marcianus würde ausreichend Zeit haben, um den Anweisungen zu folgen und den Schlüssel wiederzubeschaffen, bevor der festgesetzte Augenblick kam.

Während er im Geiste von dem vor ihm liegenden Blatt zu den Implikationen von dessen Entdeckung wanderte, verschwamm ihm leicht die Sicht bei diesen edlen Überlegungen. Als er schließlich seine Gedanken und Augen wieder auf das Dokument fokussierte – sah er es.

Oder vielmehr – er sah es nicht.

Die gerade offenbarte Seite enthielt eine Reihe penibel angefertigter, von Hand gezeichneter Skizzen, eine jede in einem Kasten, die jeweils einen Schritt einer sorgfältig geplanten Route umrissen. Jede einzelne Etappe war mit Beschreibungen der wichtigsten Landmarken, Entfernungsangaben sowie einfachen Reisehinweisen versehen. Aber als Marcianus sich über die Schale beugte und genau hinsah, musste er feststellen, dass der wichtigste Schritt – der Schluss, der Höhepunkt: der tatsächliche Aufenthaltsort des Schlüssels – nicht angegeben war. Die Anmerkungen im letzten Kasten sprachen von »den folgenden Schritten«, aber da folgte nichts. Da war kein Text mehr. Die Anweisungen brachen einfach ab.

Der Große Anführer spürte, wie ihm ob seiner Hilflosigkeit das Adrenalin hochschoss, als er das Dokument aus der Schale holte, es in Augenhöhe hob und jedes Detail mit panischer Eindringlichkeit absuchte.

»Meister, wir sollen es nicht vor Ablauf von weiteren dreißig Sekunden aus der Lösung nehmen«, protestierte der Chemiker, während er beobachtete, wie die pinkfarbene Flüssigkeit von dem Blatt auf den Tisch tropfte. »Die Anweisungen sind da sehr präzise.«

Marcianus überging den Protest. Seine Augen waren vor Ungläubigkeit und Wut weit aufgerissen, als sie die Seite noch einmal absuchten – und dann ein weiteres Mal.

Schließlich legte er das Manuskript nieder und wandte sich den zwei Brüdern zu, die es in ihren Besitz gebracht hatten. Er sprach mit kaum verhülltem Zorn.

»Er ist nicht da!«

Er sah nur leere, verständnislose Blicke.

»Der Aufenthaltsort des Schlüssels ist auf dieser Seite nicht angegeben«, fuhr er fort, wobei er das Dokument hochhob und damit vor den beiden Männern herumwedelte. »Es zeigt nur den Anfang der Reise. Ihr Schwachköpfe habt mir nur die halbe Karte gebracht!«

Jeder der zwei Brüder ließ den Blick zwischen dem Manuskript und dem anderen Gefährten wandern, bevor sie beide es wagten, dem Großen Anführer ins Gesicht zu schauen.

»Seht zu, dass ihr sofort wieder in das Haus kommt!«, schrie Marcianus, bevor sie etwas sagen konnten. »Fahrt dorthin zurück und besorgt mir den Rest meiner Karte!«

Der verborgene Schlüssel
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