Kapitel 74

Amtssitz des Gouverneurs in Springfield, Illinois

In den frühen Stunden eines kalten und dunklen Morgens, noch bevor die Dämmerung eingesetzt hatte, begann das Telefon in den Privaträumen von Gouverneur Aaron Wilson zu klingeln und unterbrach so die Stille. Der Gouverneur, der sich auf der Schwelle zwischen Schlafen und Wachen befand, warf sich einen Augenblick lang hin und her, doch als das Klingeln nicht aufhörte, stand er auf und schritt quer über den hochflorigen Teppichboden seines Schlafzimmers. Er ging auf leisen Sohlen in sein privates Arbeitszimmer, schob die Tür zu und setzte sich ans Tischende, wo ein weißes Telefon mit aufgesetztem antiken Design weiter vor sich hin läutete.

»Hallo«, meldete er sich, nachdem er durch das Abheben des Hörers das metallisch klingende Geräusch zum Schweigen gebracht hatte. »Es ist noch früh.«

»Das tut mir leid, aber ich vertraue darauf, dass Sie ein Christ sind und mir die Störung vergeben.«

Barry Packard. Der Baptistenpriester hörte sich nervös an; Wilson wischte beim Tonfall des Anrufers den letzten Rest von Schläfrigkeit beiseite.

Er brauchte den Priester in ruhiger Verfassung.

»Machen Sie sich deswegen keinen Kopf, ich war schon auf. Welcher Angelegenheit verdanke ich nun den Anruf?«

»Ich möchte nochmals überprüfen, dass auch alles in Ordnung ist. Meine Männer und Mitarbeiter sind für die Einheitsprozession bereit, aber sie sind nur … der eine Teil der Gleichung.«

Packard wählte seine Worte sorgfältig. Zu sorgfältig, dachte der Gouverneur. Die Pausen waren zu lang und viel zu auffällig.

»Ich versichere Ihnen, alles ist in Ordnung«, sagte er schließlich, als der Baptist verstummt war.

»Meine Besucher« – Packard wählte bewusst dieses Wort – »sind bereits in Bewegung, auf dem Weg.« Er zögerte. Er wollte, dass die Zusicherung, die er sich wünschte, etwas direkter ausfiel. »Sagen Sie, Gouverneur, ist das eine sichere Leitung?«

Keine Antwort vom anderen Ende, nur das Geräusch von angetippten Tasten. Dann antwortete Wilson: »Alles sauber.«

»Ich will offen sprechen, Bruder.« Die Nervosität in Packards Stimme war nun stärker. »Ich mache mir Sorgen wegen ihrer Einreise ins Land. Mir wurde gesagt, in Chicago gebe es Terroralarm. Dass die Sicherheit erhöht wurde.«

»Unser Kontakt beim FBI hält mich über Änderungen der Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen auf dem Laufenden«, erwiderte Wilson, »und nicht eine davon wird unsere Arrangements beeinträchtigen. Alles ist in Ordnung. Solange unsere Leute nicht von den vereinbarten Vorgehensweisen abweichen, wird es keine Probleme geben.«

»Werden so viele und so einander ähnelnde Personen nicht Aufmerksamkeit erregen?«

»Darum hat man sich ebenfalls gekümmert«, antwortete der Gouverneur. Er sollte sich eigentlich nicht zweimal erklären müssen.

Schließlich gab der Baptist einen erleichterten Seufzer von sich. »Vergib mir. Ich bin einfach ein bisschen nervös. Du verstehst.«

»Hab keine Angst«, beruhigte ihn Wilson. »Alles läuft bestens, und in vierundzwanzig Stunden werde ich dich sehen. Bis dahin bleib stark.« Er machte eine Pause, dann beendete er das Gespräch auf die gewohnte Weise.

»Mögest du Befreiung finden.«

Einige Augenblicke später hob der Gouverneur zum zweiten Mal den Hörer ab, und diesmal sorgte er dafür, dass die Leitung schon vor dem Wählen sicher war. Sekunden später klingelte das Satellitentelefon von Marcianus in Ägypten.

»Der Exodus ist in vollem Gange«, bestätigte Wilson, als die Verbindung zustande gekommen war.

»Kann ich davon ausgehen, dass er glatt vonstattengeht?«, fragte der Große Anführer vom Fahrersitz seines Kleinwagens aus, während sich draußen die Landschaft allmählich von einer Wüste in die von Menschenhand geschaffene großstädtische Kulisse seines Fahrtziels verwandelte.

»Bei einigen liegen, wie es scheint, die Nerven blank«, entgegnete der Gouverneur.

»Wer?«

»Packard rief gerade an, um sich beruhigen zu lassen.«

»Geht er in die Knie?«

»Das glaube ich nicht.« Wilson sprach leise, fast schon flüsterte er ins Telefon hinein. »Ich habe ihm versichert, dass für Grenzübertritt und Zollformalitäten Vorsorge getroffen wurde. Die Brüder werden ungehindert einreisen können.«

Auf der anderen Seite des Globus nahm Marcianus das Satellitentelefon in die Hand, als er mit dem Wagen auf die Ausfahrt nach Kairo bog. »Halt ihn ruhig, wenn er noch mal anruft. Und tu alles, damit die Planungen für die Prozession auch in den letzten 24 Stunden in den Schlagzeilen bleiben.«

»Sie sind in fast allen Medien das Hauptthema.«

»Gut. Halt mich auf dem Laufenden!«, befahl der Große Anführer.

Die Verbindung wurde mit einem Klicken unterbrochen, und Gouverneur Wilson legte den Hörer auf. Er schob die Tür seines Arbeitszimmers auf und kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo er wieder seinen Platz an der Seite seiner Frau einnahm, um nach außen hin den gewohnten Ablauf am Morgen einzuhalten.

Der verborgene Schlüssel
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