Kapitel 46
Offene Wüste, nordwestlich von Nag Hammadi
Emily, Michael und Chris benötigten eine Viertelstunde, um sich für den Fußmarsch fertig zu machen, der vor ihnen lag. Soweit das in dem SUV möglich war, taten sie es dort: Die Landschaft schillerte in den wellenförmigen Verzerrungen der Hitze, die vom Sand aufstieg, und selbst wenn draußen nicht eine Temperatur von weit mehr als vierzig Grad Celsius geherrscht hätte, wäre der vor ihnen aufragende Steilhang dennoch ein beängstigender Anblick gewesen.
Chris bestand darauf, dass zunächst jeder eine Flasche Wasser trank und sie anschließend die beiden Rucksäcke mit den unbedingt notwendigen Vorräten für den bevorstehenden Fußmarsch packten: Dazu zählten die Wasserflaschen, die schwachen Plastiktaschenlampen – bessere hatte er in dem Kairoer Supermarkt nicht finden können –, der Kompass, Trillerpfeifen, ein Klappspaten, Leuchtpistolen und ein Erste-Hilfe-Set. Er schnallte sich das Becker-Messer an den Gürtel, schwang sich einen der vollen Rucksäcke auf den Rücken und gab Michael dann den anderen. Schließlich streckte er den beiden anderen je einen Sonnenhut mit breiter Krempe hin. Die Hüte waren nicht gerade Outdoor-Modelle. Chris hatte sie in der Abteilung »Hof und Garten« des Carrefour gefunden.
»Damit komme ich mir vor wie jemand, dem du eine Piña Colada servieren müsstest«, zog Michael seinen Freund auf. Bei dem grellen Sonnenschein und mit einer Klettertour und einer Ausgrabung vor Augen – Dinge, die Michaels historisches und archäologisches Interesse weckten –, konnte er nicht verhindern, dass ihn Chris’ unablässig gute Laune ansteckte.
»Entschuldige, Mike. Stand nicht auf meiner Liste. Hättest was sagen sollen.«
Emily schüttelte missbilligend den Kopf, aber selbst sie schaffte es in diesem Augenblick nicht, gegen das heitere Geplänkel Widerspruch einzulegen. Die Karte hatte sie hierher geführt. Jetzt hatte sie das Gefühl, der Entdeckung so nahe zu sein, als wäre sie bereits gemacht. Es bestand Grund zur Hoffnung.
»Kommt schon, ihr zwei«, forderte sie die beiden Männer auf und ging auf deren Tonfall ein. »Ich spendier jedem von euch einen Drink, wenn das hier vorbei ist. Jetzt marschieren wir aber erst mal los.«
Michael lächelte sie an. Dass sie sich von der lustigen Stimmung anstecken ließ, war ein gutes Zeichen.
Die beiden Männer hatten sich einen Moment später neben sie gestellt, und Emily warf noch einmal einen Blick auf die alte Karte.
»Es dürfte nicht weit sein«, sagte sie und kniff die Augen zusammen, um im grellen Sonnenlicht die Karte lesen zu können. »Das ›X‹ steht hier an dem Rand – also genau dort drüben.« Sie deutete nach links, wo ein Spalt im Fels ein Muster aus Licht und Schatten schuf.
Die drei schauten auf die Szenerie vor ihnen. Dann gingen sie ohne langes Federlesen vom Wagen weg und auf eine Felsspalte in dem abweisenden Steilhang zu, die in den letzten zweitausend Jahren kaum ein menschliches Auge gesehen hatte.
Die Wüste brannte heiß, die Sonne versengte den Boden, der Sand war trocken und unwirtlich. Die einzigen Lebensgeräusche, die man hören konnte, waren ihre eigenen. Und in der Weite der öden Sahara waren diese Geräusche fast gleichbedeutend mit dem Nichts.