Kapitel 97
FBI-Außenstelle, Chicago
»Damit bekommt unsere Situation eine völlig neue Dimension«, stellte Chris fest und beugte sich über den Schreibtisch zu Laura Marsh hinüber.
Zehn Minuten lang hatte sie ununterbrochen über die Geschehnisse geredet, die sie in den letzten vierundzwanzig Stunden völlig beschäftigt und in der Ermordung von Agent Scott Lewis gegipfelt hatten.
»Das heißt, Sie haben einen Maulwurf. Jemand innerhalb des FBI, der für diese Kirche arbeitet. Jemand mit genug Einfluss, um eine der größten Operationen des FBI sabotieren zu können.«
»Und wer immer es ist«, fügte Laura hinzu, »er ist sich für einen Mord nicht zu schade – und noch weniger dafür, digitale Aufzeichnungen zu löschen.« Sie schaute Chris in die Augen, ihre Synapsen spielten im Schnelldurchgang die Möglichkeiten durch. »Lewis zu töten … das heißt, es muss jemand sein, der wusste, dass ich ihn zur Unterstützung mit ins Boot geholt hatte.«
»Wem haben Sie das erzählt?«
»Ich habe die Aufgabenzuweisung nur in der Befehlskette nach oben weitergemeldet. Irgendjemanden sonst darüber zu informieren, dazu bestand kein Anlass.«
»Was den Pool potentieller Lecks auf das leitende Personal der Außenstelle eingrenzt.« In Chris’ Stimme schwang ein Hauch Furcht mit. Je weiter oben das Leck war, desto problematischer wurde die Situation.
»So ist es«, pflichtete Laura ihm bei. »Die Namensliste oberhalb der Führer von Squads ist recht kurz. Da sind die Sektionschefs Mayfair, Smith und Gallows und dann nur noch die Stellvertretende Direktorin Dawson.« Sie zögerte. »Ich hatte Unterredungen mit allen.«
»Das ist eine sehr knappe Auswahlliste. Wer von den vieren ist Ihrer Ansicht nach der wahrscheinlichste Verräter?«
»Ich würde es auf die drei Sektionschefs eingrenzen.«
»Dawson nicht?«
Laura schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich denke, die Stellvertretende Direktorin können wir ausschließen. Sie ist seit Jahren eine Respektsperson im FBI. Sie ist maßvoll, rational, passt stets auf ihre Teams auf. Ich sehe sie nicht als Maulwurf und Verräter.«
»Verräter sind nur selten Menschen, bei denen man so etwas für möglich hält«, entgegnete Chris. »Sie stellen sich fast immer als Personen heraus, von denen man glaubte, sie würden nie im Leben in dieses Schema passen.«
Laura ballte die Fäuste und zwang sich, über die Möglichkeit nachzudenken, dass die Stellvertretende Direktorin darin verwickelt war.
»Dawson hat zu allem Zugang. Sie besitzt mit Sicherheit die Macht und die Tatkraft, die dafür notwendig wären.«
»Und uneingeschränkte Autorität über eine Operation dieser Art«, setzte Chris hinzu.
»Aber sie hat ihre Amtszeit dazu genutzt, die Außenstelle aggressiv zu führen. Dawson ist unermüdlich, was den Kampf gegen diesen geplanten Anschlag angeht, und sammelt jede noch so winzig kleine verfügbare Info zu der darin verstrickten Gruppe.« Erneut zögerte Marsh. »Ich glaube wirklich nicht, dass sie es ist. Dawson ist eine von den Guten.«
»Okay, nehmen wir die Stellvertretende Direktorin für den Moment von der Liste. Das heißt, es sind nur noch drei.«
»Mayfair, Gallows und Smith. Sie haben mich alle drei ziemlich hart bedrängt, die Arbeit auf der Straße über den sekundären Weg der Informationsgewinnung zu stellen.«
Da versucht also mehr als nur eine Person zu verhindern, dass andere Ermittlungsrichtungen an Boden gewinnen, vermerkte Chris für sich.
»Und irgendein verdächtiges Verhalten?«
»Himmel, Chris, in der geistigen Verfassung, in der ich in den letzten Stunden war, habe ich angefangen, das Verhalten von allen verdächtig zu finden.« Sie warf frustriert die Hände nach oben. »Die knappe Antwort lautet: Sie sind alle schmallippig und schweigsam. Von den dreien kenne ich nur Ted Gallows einigermaßen gut, und er ist viel zu bemüht und übervorsichtig, um Landesverrat zu begehen.«
Das gab Chris zu denken. »Ich weiß nicht, Laura. Es war Gallows, der mir wegen Bell den Maulkorb verpasst hat. Und er dürfte gewusst haben, dass Sie Agent Lewis damit betraut haben, Ihre Recherchen weiterzuführen.«
Lauras Antwort kam nach nur kurzem Zögern. »Ich hab ihm gesagt, dass ich vorhätte, Lewis ins Boot zu holen«, bestätigte sie, »aber die anderen hätten das auch recht schnell herausfinden können. Und Brian Smith war der aggressivste der Gruppe, als es darum ging, mich von der europäischen Dimension wegzubringen und mich auf Straßensperren und Präventivmaßnahmen zu konzentrieren. Er war nicht gerade ausgesprochen subtil, als er mich daran erinnerte, wo meine Prioritäten liegen sollten.«
»Er hat Sie unter Druck gesetzt?«
»Ziemlich stark.« Sie dachte nach. Dann sprach sie mit mehr Gewissheit weiter. »Wenn ich einen Tipp abgeben müsste, fiele mein Verdacht auf Smith.«
Chris lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Das ist ein Anfang, aber wir brauchen noch etwas Konkreteres. Und bis wir das haben, sollten wir noch niemanden ausschließen. Lassen Sie alle im Pool, bis wir todsicher sind, dass wir wissen, wer die Arbeit des FBI sabotiert hat.«