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Light will now return
and everywhere
life will come back
over the ashes
of the past.
This world was saved.
Okay, es ist nicht Thoreau, sondern nur Turrican - der Abspann, nachdem man den letzten Level überstanden hat. Für einen Moment dachte ich, jetzt wäre der perfekte Moment, die Verse zu zitieren. Doch auf einmal war dieses Verlangen weg, von Sachen zu reden, die schon lange vorbei sind. Ich sehne mich nicht mehr nach dem warmen Gefühl im Bauch, das sich immer dann breitmacht, wenn jemand die alten Games erwähnt oder in Erinnerungen an das Vorabendprogramm schwelgt. Colt Seavers, Jonathan Hart, Remington Steele - die Zeit mit euch war echt schön, aber jetzt ist der Moment gekommen, endgültig Abschied zu nehmen, von der Droge Gestern loszukommen. Die Jugendzeit ist plötzlich so weit weg, so unendlich weit weg, und zum ersten Mal fühlt es sich an, als ob sie uns endgültig losgelassen hätte. Wen interessierts, das ist doch alles schon ewig her. Nick hat den Kopf in den Nacken gelegt und lässt sich genüsslich den NieseIregen über die Stirn laufen, den der Himmel über Tokio uns spendet. Der riesige Space Invader über unseren Köpfen sieht heute Abend nicht bedrohlich aus, sondern eher, als würde er uns zum Abschied zugrinsen. Der Dunst hat um das Neonschild einen roten Heiligenschein gezaubert, genau wie um alle hunderttausend anderen Röhren, Bildschirme, Schriftzeichen. Die Luft über uns glüht, wie ein Wohnzimmer, in dem alle Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet sind.
»Schön, oder«, flüstert Nick.
»la.«
Und weil es so schön ist, bleiben wir einfach stehen, mit den Händen in den Taschen, und starren raus in die Nacht, während um uns herum das Leben pulsiert. Doch es ist nicht unser Leben, nicht unsere Sprache, nicht unsere Stadt. Wir sind nur zwei Fremde auf der Durchreise, die noch einen Moment durchatmen können, bevor ihr neues Leben beginnt. Wie sie John abgekarrt haben, mussten wir Gott sei Dank nicht mit ansehen. Ging gottlob im Chaos unter: Bullen mit Kampfhelmen und kugelsicheren Westen rannten durcheinander, irgendwo jaulte eine Sirene. Shaun steckte uns noch neben der Landebahn in eine Limousine, um uns nach Seattle zu karren. Ich hätte gerne gesagt, dass es der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden könnte, doch es fiel mir noch zu schwer, ihn jetzt ins Team der Guten einzusortieren. Auf der Fahrt packte Shaun jedenfalls die ganze Geschichte aus. Sie war lang und ziemlich detailliert, aber eigentlich hätte man sie in einem Satz zusammenfassen können: Manchmal imitiert das Leben eben doch Jerry Cotton. Alles war genauso abgelaufen, wie es das Kinderhirn souffliert hatte. Tatsächlich muss das National Reconnaissance Office wohl schon vor einigen Monaten die Datacorp kontaktiert haben, weil jemandem durch Zufall aufgefallen war, dass Keyhole 11/9 nicht mehr auf Kommandos reagierte. Große Hektik hatte das in der Company nicht ausgelöst, da so was anscheinend häufiger passiert. Erst kurz zuvor hatten sich wohl die Briten gemeldet, weil sie ihren alten Prospero-Satelliten aus den Siebzigern wieder aufwecken wollten, aber alle Wissenschaftler, die gewusst hätten, wie, schon tot waren. Jedenfalls wurde die Datacorp beauftragt, die letzte Kopie der Steuerungssoftware zu beschaffen. Diese Kopie, gespeichert auf dem antiken IBM-Tape, lagerte in einer geheimen Bodenstation in der Nähe der ehemaligen Zonengrenze. Dort trieb John höchstpersönlich die Datenkassette auf - er hatte den Auftrag zur Chefsache erklärt. Dann jedoch wurde die Sache von einem Tag auf den anderen heiß: Das U.S. Strategic Command - die Jungs, die den ganzen Weltraumschrott im Auge behalten - schlug Alarm: Keyhole 11/9 war auf Kollisionskurs mit »some commercial satellite«, wie Shaun sich ausdrückte, ein Zusammenstoß war nicht mehr auszuschließen. Auf einmal ging es nicht mehr um ein läppisches Software-Update, sondern darum, einen GAU im Orbit zu verhindern. Plötzlich standen Milliarden auf dem Spiel. In diesem Moment entschied sich John, Kasse zu machen. Warum sein Flugzeug im alten Land abgestürzt ist, konnte Shaun nicht so genau erklären, aber anscheinend wollte der Pilot, ein Kollege von der Firma, nicht mitmachen und es gab Streit. Überhaupt klang es so, als wäre die Datacorp immer noch ziemlich baff darüber, wie eiskalt John die Sache durchgezogen hat und wie leicht er zum Beispiel Kollegen gefunden hat, die ihm bei der Geldübergabe helfen wollten. Durch den Alleingang steckte die Firma auf einmal in einer peinlichen Lage: Man musste einen eigenen Topmanager aus dem Verkehr ziehen. Immerhin hatte die Datacorp schnell geschnallt, dass wir nur die ahnungslosen Handlanger in dem Spiel waren.
»Though we had some doubts after the Denver-incident ...«, schäkerte Shaun rum. Damit meinte er natürlich unsere versierte Flucht vor dem Hubschrauber, mit dem sie uns tatsächlich stoppen wollten. Überhaupt gab er sich ziemlich Mühe, gute Stimmung zu verbreiten. Potenziell unangenehme Details, zum Beispiel, ob John wirklich Sabina hat bespitzeln lassen, sparte er elegant aus. Warum, ist natürlich im Land der unbegrenzten Klagemöglichkeiten klar: Nach der Aktion könnten wir die Company wahrscheinlich bis in die Steinzeit zurückklagen. Und je mehr wir wissen, desto mehr könnten wir auch verlangen.
»WeIl, we finally picked up the signal from your phone«, schloss Shaun seine Geschichte ab. Die Company verfolgte also das Signal meines Telefons bis kurz vorm Flughafen, dort riss der Kontakt dann mangels Netz ab. Aber zu dem Zeitpunkt hatte man die Sache ohnehin schon den »authorities« übergeben, wie er sich ausdrückte. Und die Behörden machten mit dem Verräter, der das Homeland erpressen wollte, kurzen Prozess; ein SWAT-Team schwärmte zum Flughafen aus, um John mit allen Mitteln zu stoppen. Mission erfüllt. Dass er mit ansehen musste, wie sein Chef erschossen wurde, schien Shaun nicht sonderlich an die Nieren zu gehen. Nein, alles war wieder cool, Bro! Er sah übrigens genauso scheiße aus, wie wir ihn in Erinnerung hatten: PornodarstellerPferdeschwanz, halb offenes Hawaiihemd, zu allem Überfluss reingesteckt in eine knallenge Jeans. Als Nächstes hat uns unser Liebling noch von Kopf bis Fuß mit Honig eingepinselt; er schleimte rum, wie unglaublich kompetent wir doch vorgegangen seien und so weiter und so toll. Das NRO hätte mithilfe der Ausdrucke -und Nicks Anleitung - Keyhole schon wieder unter Kontrolle gebracht. Der Satellit würde nun »any minute« kontrolliert zum Absturz gebracht - alles nur dank uns. Es hätte nur noch gefehlt, dass er sich auf den Boden wirft und schreit »Ich bin unwürdig, ich bin unwürdig!«
Wirklich schwer zu ertragen, dass er jetzt der Gute sein soll. Shauns Geschleime war natürlich eiskalt kalkuliert. Nach ein bisschen Rumgeeiere kam er dann zur alles entscheidenden Frage, nämlich, wie wir uns unsere Zukunft denn nun vorstellten. An dieser Stelle drehte er richtig auf, faselte was von Bonuszahlung, Vertragsverlängerung und dass wir selbstverständlich eine bezahlte Auszeit in Anspruch nehmen könnten. Was er meinte, war ganz simpel: Wir sollten weiter für die Datacorp arbeiten. Nick reagierte überraschend cool. Er hatte sich das ganze Gesäusel ohnehin nur mit einem Ohr angehört, weil er damit beschäftigt war, die ganze Zeit irgendwelche Nachrichten an Sabina einzutippen. Als Shaun schließlich sein Angebot unterbreitete, sagte er nur, ganz ruhig und ohne hochzugucken: »No fucking way.«
Damit war das Kapitel Datacorp endgültig zu Ende. Und es fühlte sich gut an. But now the warrior needs to rest. Ungefähr eine Minute, nachdem Nick mündlich unsere Kündigung eingereicht hatte, sind wir eingepennt. Shaun ließ uns direkt zum Flughafen in Seattle kutschieren und packte uns da in die Erste Klasse nach Tokio, wegen irgendwelcher »legal issues«, wie er in seinen Dreitagebart nuschelte. Direkt nach Deutschland könne er uns nicht fliegen lassen, weil es da noch ein Problem mit einer »Zelle« gäbe, deutete Shaun an. Vermutlich waren sie noch dabei, Johns Helfer einzukassieren, die Nick damals in die Botschaft verschleppt hatten. Egal. Also erst mal nach Tokio. Immerhin hatte der Beifahrer noch genug Power, Shaun das Versprechen abzuringen, uns im Park Hyatt unterzubringen.
»Nur dann geht beim Übersetzen nichts verloren«, wie er meinte. Ein müder Witz für zwei müde Dudes. All Nippon Airways hat mit uns dann noch einen Super-Schnitt gemacht, weil wir original alle Champagner-Runden und das ganze Sterne-Essen während des Fluges verpennt haben. Am Gate in Tokio schließlich sammelte ein Datacorp-Handlanger unsere ausgelaugten Körper ein, um sie ins Hyatt zu schaffen. Als wir das nächste Mal aufwachten, grüßte uns der japanische Morgen mit Nebel. Dann war die Zeit gekommen, Tokio zu genießen, und wir taten das, was wir immer tun, wenn wir in eine aufregende, pulsierende Metropole voll unendlicher Möglichkeiten kommen: Wir blieben im Hotelzimmer hocken, ließen uns vom Room Service füttern und schauten den ganzen Tag BBC World. Gegen Abend wurde der Beifahrer dann doch etwas unruhig.
»Wir sollten wenigstens nach Aki rüberfahren«, meinte er. Ein absehbarer Vorschlag. Akibahara, kurz Akiba oder noch kürzer Aki, ist die Welthauptstadt der Geeks. Ein Stadtviertel, das sich selbst im besten Jenglish den Titel »Electric Town« verpasst hat, was jeder Sprachnazi natürlich damit kommentiert, dass es eigentlich »Electronic Town« heißen müsste, weil das Viertel ja nur aus Elektronikläden besteht. Egal. Aki ist jedenfalls vollgestopft mit allem, was Spaß macht und wo Strom durchfließt. Es gibt keinen Ort auf der Welt, der bladerunneriger ist. Oder passender wäre für einen Abschied unter Nerds. Nick meinte, unsere Firmen-Kreditkarte würde sicher noch funktionieren - und er lag richtig. Mit einem freundlichen Lächeln zog das halbe Personal des Park Hyatt unser Plastikgeld von der Datacorp durch, aber in Anbetracht der Tatsache, dass uns unser Arbeitgeber streng genommen entführt hatte, hielten sich unsere Gewissensbisse in Grenzen. Und so stehen wir jetzt hier, in einer fetten Pfütze mitten in Tokio, mit den teuersten Sneakers, die man in der Lobby des Park Hyatt kaufen kann, und lassen den Regen gemütlich von unten hochziehen.
»Irgendwie feucht hier«, sage ich.
»Hm«, sagt Nick, und ich höre, ohne hinzugucken, dass er grinst. Wir schauen weiter nach oben und versuchen, im fremden Neonwald irgendwas Bekanntes zu erkennen. Nur ein paar Fetzen Globalesisch gönnt uns der Japaner -Virgin, Video, Duty Free der Rest geht in den Schriftzeichen unter. Aus der Kebab-Bude um die Ecke zieht eine fettige Wolke rüber. Die süßen Bedienungen geben sich Mühe, so hoch wie Anime-Charaktere zu piepsen, wenn sie die Bestellungen aufnehmen, weil sie gemerkt haben, dass es die Jungs mit den Flaumbärtchen dann beim Trinkgeld richtig krachen lassen - bevor sie rot werden und wieder auf ihre Bildschirme runterstarren. In der abgewichsten Pachinko-Bude dudelt jene Art von J-Pop, die auf alte Menschen aus der Alten Welt immer so krankhaft optimistisch wirkt. Zwei Typen mit Halbglatze daddeln in dem Saal weltvergessen vor sich hin, starren auf den Automaten, der so quietschbunt ist, dass ein Regenbogen dagegen nach Graustufen aussieht. Now enjoy the music or press space. Mein Gott, wie viel hätten wir an diesem Ort früher zu tun gehabt. Nick wäre ganz fickrig geworden, allein bei dem Gedanken an die ganzen Raritäten, die er jagen könnte. Wir hätten uns beim Vie de France neben der U-Bahn-Station ein Croissant reingeschoben, und dann wären wir mal wieder losgehastet, um den Heiligen Gral zu finden: die goldene Nintendo World Championships-Cartridge von 1990 für das NES. Ganze sechsundzwanzig Exemplare dieser legendären Spielkassetten existieren angeblich auf dem Planeten Erde, weil es das Game nur bei einem Wettbewerb zu gewinnen gab. Sammler blättern längst fünfstellige Dollarbeträge dafür hin, Nick träumt trotzdem weiter davon, mal so ein Teil auf dem Boden irgendeines Kartons in irgendeiner abgeranzten Elektronikbude aufzuspüren - im Sonderangebot für eine Hand voll Yen. Wie immer würden wir die Blaue Mauritius nicht finden und uns aus Frust mit allem eindecken, was alt und billig ist. Schnell, die letzten Artefakte aus der guten Zeit einsacken, bevor sie von der Gegenwart endgültig überrollt werden, von den PetabyteRechnern, den unfassbaren Telefonen, die schon lange keine mehr sind, und von den Bildschirmen. Bildschirm, das war früher Singular, in Akiba - und bald auf der ganzen Welt - ist es eine Landschaftsbeschreibung. Vom wilden Pulsieren der Metropole ist allerdings nicht mehr viel übrig. Wir sind spät dran, schon nach neun, und die Electric Town ist längst eingenickt. Die Otaku-Horden aus aller Herren Länder haben sich mit ihrer Beute in die Hostels zurückgezogen, die meisten Elektronikläden sind mit schweren Metallrollladen verrammelt. Am Rand des sonst so penibel sauberen Bürgersteigs warten kleine Stapel von Plastiksäcken darauf, von der Müllabfuhr morgen Früh eingesammelt zu werden. Nur die niemals müden Neonschilder glitzern weiter in den Pfützen. Neben uns verteilt ein einsames Mädel Flyer. Sie versucht, noch ein paar verlorene Seelen in ein Maid-Cafe zu locken, wo die anderen Mädchen für ein paar Yen eine Stunde lang so tun, als seien sie deine kleine süße Schwester und dir mit Schokoladensauce eine Hello Kitty auf dein Dessert malen. Von ihrer Zimmermädchen-Uniform sieht man nur das Häubchen und die Kniestrümpfe; der Rest verschwindet in einer dicken rosa Jacke, an die sie unten weiße Plüschbären gehängt hat. Wenn niemand sie anguckt, gähnt sie und trippelt mit leerem Blick von einem Bein aufs andere. Auch sie wäre früher viele Worte wert gewesen. Doch wir sind in Gedanken längst woanders: Nick natürlich zuhause, bei Sabina und der kleinen Gianna. Sie werden ihm einen Kuchen backen, einen Kaffee brühen und so lange vor der Tür stehen, bis sein Taxi in die Wohnstraße eingebogen ist. Morgen Früh geht es für ihn nach Hause. Und selbst auf den Hauklotz Kee scheint am Ende des Tages tatsächlich noch jemand warten zu wollen. Andie hatte angerufen und gefragt, ob ich sie nicht nächste Woche in L.A. besuchen wolle, wenn alles geregelt sei. Sie würde mich auch am Flughafen abholen. Seitdem bleibt im Kopf nicht mehr viel Platz für andere Gedanken als den: Die Schiebetür geht zur Seite, dahinter steht Andie, mit einem Kee-Schild und einem Lächeln. Und während wir da so stehen und die seltsamen Gaijins sind, um die alle herumlaufen müssen, passiert es, einfach so. Zuerst ist es nur ein kleines Licht, nicht heller als das Blinklicht am Ende einer Flugzeug-Tragfläche. Aber plötzlich scheint der Himmel zu brennen, und ein gleißend heller Streifen zieht sich quer über den Horizont, von Hochhaus zu Hochhaus, als ob ein Düsenjäger über Tokio hinwegrast und eine Containerladung Wunderkerzen abwirft.
»Da!«, schreit Nick. Aber noch bevor er den Arm richtig hochreißen kann, ist der Feuerschweif schon wieder verglüht. Für ein paar Sekunden leuchtet er noch auf der Netzhaut nach, dann ist er endgültig verschwunden. Mein Magen krampft sich zusammen, weil er den Knall erwartet, der nach einem Blitz kommt. Doch die Nacht bleibt still.
»Eine Sternschnuppe? Kann ich mir was wünschen?«, kreische ich und versuche, wie ein Kind zu klingen, das seinen Wunschzettel fürs Christkind fertig hat und ihn endlich auf die Fensterbank legen will. Der Beifahrer lacht leise. Viele Wünsche fallen mir allerdings nicht ein. Dass wir noch hier sind reicht eigentlich schon. Nick schluckt laut.
»Machs gut, Keyhole«, flüstert er, mehr zu sich selbst, »und grüß mir die Achtziger.«
Er hält noch einen Moment still, dann vergräbt er seine Hände wieder in der Regenjacke. Es ist Zeit zu gehen. Wir wissen beide, dass es der letzte Abend ist, den wir zusammen verbringen werden, und zwar für lange Zeit. Was nach morgen kommt, ist so dunkel wie der Himmel über Akiba. Totaler Reset, mit leerem Bildschirm und einem blinkenden Cursor hinter dem READY.
»Und - sollen wir noch was kaufen?«, schlage ich vor.
»Gerne«, gibt Nick zurück, höflich wie immer. Doch anstatt loszulaufen, zögert er kurz, so als müsste er noch was Wichtiges entscheiden.
»Aber zur Abwechslung mal was Neues, okay?«
»Auf jeden Fall, Alter.«
Ich haue ihm auf die Schulter, bis er halb lacht und halb hustet. Dann schlängeln wir uns am Flyer-Mädel vorbei und fädeln uns in die dünne Karawane der Verkäufer und Salarymen ein, die sich den Bürgersteig entlangschiebt. Mit hochgeschlagenen Kragen stapfen wir durch die Pfützen, und einer der seltenen Momente ist gekommen, in denen man doch gerne eine rauchen würde. Wegen Boulevard of Broken Dreams natürlich. Das Bild hing ja früher in so ziemlich jedem Jugendzimmer, war kein Foto, sondern gemalt: Jimmy Dean, mit Fluppe im Mund, wie er über den verregneten Times Square läuft. Auf einmal wird Nick langsamer.
»Eine Kleinigkeit noch, Alter.«
Er hält mich mit dem Arm sanft zurück, obwohl das eigentlich nicht nötig wäre. Ich bleibe ohnehin sofort auf der Stelle stehen, weil ich weiß, dass eine Kleinigkeit bei ihm niemals eine Kleinigkeit ist. Niemals.
»Eine Sache ist mir noch aufgefallen, mit Keyhole.«
»Und die wäre?«
Normalerweise würde er jetzt den Bildschirm ganz langsam zu mir rüberdrehen, wie er das schon seit einer halben Ewigkeit macht, immer wenn er mir zeigen will, was für eine ungeheuerliche Entdeckung er im Dickicht der Daten gemacht hat. Stattdessen schaut er nochmal hoch in die Nacht.
»Naja, ich habe keine Ahnung, aber es gab da in dem Programm auf dem Tape etwas, das stimmte nicht richtig.«
Er sieht sehr nachdenklich aus.
»Etwas in den Datensätzen, die die Fluglage des Satelliten bestimmen.«
»Und was?«
Er wendet seinen Blick vom Himmel ab und sieht mir direkt in die Augen, sodass ich mir nicht sicher bin, ob er es ernst meint oder gleich »reingelegt« brüllt und sich vor Lachen wegschmeißt. Doch er verzieht keine Miene, sondern atmet nur tief ein, als ob der folgende Satz die ganze Energie kostet, die in seinem Körper steckt.
»Ich glaube, Keyhole 11/9 war niemals auf die Erde gerichtet.«
* * * * * *
*** ENDE ***