#38 T-2: 07:16

Wenn Nick Sachen sagt, klingen sie immer so logisch, als ob Gott ein gigantisches Flowchart gemalt hätte, durch das sich die Menschen nur durchhangeln müssen. Bei ihm hat alles so eine Zwangsläufigkeit. Deshalb scheint es ihn auch nicht überrascht zu haben, als Joseph uns offenbarte, dass wir Satelliten-Software durch die Gegend karren. Für den Beifahrer stand schon lange fest, dass wir es bei der Datacorp früher oder später mit Weltraumschrott zu tun bekommen würden.

»Ist doch klar, Alter, das größte Computermuseum der Welt kreist eben da«, er tippt an den bordeauxroten Autohimmel.

»von hier aus tausend Kilometer immer nach oben.«

Um bei dieser Schlussfolgerung zu landen, musste ich allerdings erst mal einen zehnminütigen, ultra-detaillierten Kurzvortrag zur Geschichte der EDV in der modernen Raumfahrt durchstehen. Wie üblich hätte es auch nur ein Satz getan: Im Weltraum kreisen keine Schweine, sondern EDV-Antiquitäten. Leuchtet ja auch ein: Wer einen Satelliten hochschießt, will auf Nummer sicher gehen, da muss alles bombensicher funktionieren, und zwar jahrzehntelang. Sind die Sachen erst mal oben, gibt es schließlich keine Möglichkeit, mal schnell 'ne neue Grafikkarte reinzustecken oder so. Deshalb greift der militärisch-industrielle Komplex für Raumfahrttechnik lieber zu bewährten Chips, als den neuesten Prozessor zu nehmen, weil der zwar schneller ist, aber vielleicht noch Macken hat, die noch niemandem aufgefallen sind. Das beste Beispiel ist das Hubble-Teleskop: Um die Jahrtausendwende sollte das Teil einen neuen Prozessor kriegen, doch die Nasa baute damals keinen seinerzeit modernen Pentium ein, sondern ein olles 486er-Modul. Was sich ja dann auch als ziemlich schlau raus gestellt hat, Stichwort: Pentium-Bug. Es gibt aber noch einen besseren Grund dafür, bei Weltraumtechnik gnadenlos auf Retro zu setzen: Alles da oben steht nämlich unter Dauerbeschuss. Jenseits der Stratosphäre brutzelt pausenlos die kosmische Strahlung runter, und die macht vor allem den Chips zu schaffen. Wenn ein Transistor nämlich besonders heftig von einem Strahlungspartikel getroffen wird, kann es sein, dass er einfach so von »0« auf »1« springt - und dann beginnt der Ärger. Zu Beginn des Space Age wusste die Nasa das noch nicht - und plötzlich wunderten sich die Jungs, dass die Uhren ihrer Raumsonden falsch gingen oder sonst was schieflief. Das Strahlungsproblem lässt sich allerdings leicht lösen: Man baut in die Sonden einfach uralte Chips ein. Bei denen drängeln sich nicht so viele Transistoren auf dem Siliziumplättchen, sondern die Schaltkreise sind noch schön groß. So passen zwar nicht so viele Transistoren auf den Chip, aber dafür kann der Prozessor die Strahlung besser ab.

»Außerdem kommt der Chip auf ein spezielles Substrat, Saphir zum Beispiel. Strahlungsgehärtet heißt das dann, oder rad-hard wie der Profi sagt«, klärte mich Sput-Nick auf. Ich kannte bis dato nur »Rage Hard« von Frankie goes to Hollywood. Okay, Strich drunter: Wenn du willst, dass dein Satellit auch in zwanzig Jahren noch funktioniert, lässt du ihn am besten von einem Apple 11 steuern. Netter Exkurs. Aber wie kann er sich so sicher sein, dass auf dem Band wirklich das Steuerungsprogramm für einen Spionagesatelliten ist? Also erst mal ganz in Ruhe ein paar Gegenargumente abfeuern.

»Aber auf dem Tape waren doch nur acht Kilobyte Daten das ist doch superwenig, da brauchte ja jedes Spiel auf dem Brotkasten mehr Speicher«, wende ich ein.

»Alter, wir reden über die Siebziger, da war Speicher halt noch rar, da mussten ein paar Kilobyte reichen. Kannste dich noch an die Voyager erinnern?«

»Nur aus dem schlechten StarTrek-Film.«

Nick verdreht die Augen.

»Oh Mann, stimmt, der war schlecht.«

Er versucht so pseudoernst wie Shatner zu klingen: » Wiiiiiieeedscher. Was für ein Mist. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum die Aliens so einen riesigen Heitzefeitz um die olle Sonde drumrum gebaut haben - aber es nicht für nötig hielten, mal den Dreck vom Namensschild wegzuwischen. Dann hätten sie doch sofort gesehen, dass es nicht V'ger, sondern Voyager heißt. Wie dem auch sei.«

Er schaut nochmal intensiv auf einen der Ausdrucke, schüttelt den Kopf und legt ihn beiseite.

»Zum Thema Datenmenge: Bei der echten Voyager-Sonde haben sie die Software zur Flugsteuerung in vier Kilobyte gequetscht - und einer der Programmierer konnte den ganzen Code sogar auswendig. Der wäre heute der Held auf jeder Demoparty! «

Okay, das Speicherargument zieht nicht. Wir haben also dieses Band, auf dem eine Software abgelegt wurde. Die steuert einen Satelliten, der über unseren Köpfen kreist, seit wir in der Grundschule waren. Wie wäre es mit dem naheliegenden Einwand?

»Aber warum in aller Welt ist dieses Band so wichtig?«

Als ob er nur darauf gewartet hätte, zwinkert der Beifahrer wie ein verhinderter Freibad-Gigolo mit dem rechten Auge .

»Das, mein Freund, ist die große Frage. Deshalb werden wir gleich im Chalet mal ein kleines Telefonat führen.«

Extraleben - Trilogie
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