#01 T-8: 16:07
Vor drei Stunden hatte Nick noch mit ihm gesprochen. Da hätten wir eigentlich schon merken müssen, dass etwas nicht stimmt. Denn John, unser Chef, telefoniert so gut wie nie, synchrone Kommunikation ist total unter seiner Würde. Der schickt höchstens eine Nachricht übers Datacorp-Netz oder -besser noch beauftragt irgendeinen seiner Lakaien damit, die Instruktionen zu uns rüberzuschieben. Meint er natürlich nicht böse, er arbeitet eben nur amimäßig effizient. Doch diesmal nicht, diesmal rief John uns an, diesmal war etwas anders. So gegen zehn riss Nick dann bei mir fast die Klingel ab.
»Notfall - bitte Dienstkleidung!«, krakelte er gut gelaunt in die Gegensprechanlage. Seit Sabina das Kind bekommen hat, kann er überhaupt nicht genug von diesen Alarmeinsätzen kriegen. Als ich runterkam, schubste er mir schon grinsend die Tür seines seelenlosen schwarzen Mittelklasse-Dienstwagens auf.
»Willkommen, Agent 4125.«
Da mein Vorrat an geistreichen Retro-Retourkutschen für diese Woche schon aufgebraucht war, ließ ich ihn abblitzen.
»Dann wollen wir mal hoffen, dass die Mission nicht zu impossible wird. Worum geht's?«
Nick krempelte sich den Kragen seiner roten Multifunktions-Regenjacke hoch, die jede Funktion erfüllt, bis auf cool aussehen.
»Major Tom macht's mal wieder spannend«, erklärte er. Im Auto war es schön warm, und die Scheibenwischer surrten friedlich, während sie den prasselnden Nachtregen zur Seite schoben. Tür zu. Nick gab Gas, leider im zweiten Gang, sodass die Kiste fast absoff. Bei uns intern heißt John nur Major Tom, erstens, weil er aussieht wie so ein perfekter amerikanischer Astronaut-Schrägstrich-Top-Gun-Jetpilot, und zweitens, weil er halt über den Dingen schwebt, manchmal sogar ziemlich weit, sodass für uns nur der lästige Kleinkram am Boden übrig bleibt. Deshalb war ich auch nicht besonders neugierig auf seine neuesten Anweisungen.
»Heißt?«, maulte ich zu Nick rüber. Anstatt zu antworten, fingerte er kurz auf den Knöpfen der Mittelkonsole rum, bis er das Navi-Display endlich dazu kriegte, surrend ins Armaturenbrett abzutauchen. Das bedeutete: Er kennt den Weg, unser Termin würde also ein Heimspiel werden.
»Das Übliche: irgendeine alte Kiste, irgendein staubiges Tape. Wir sollen die Daten rausholen, auf ein modernes System migrieren, fertig«, leierte Nick runter.
»Und jetzt kommt der Hammer: Major Tom wartet in Falkenhain mit dem Kram auf uns - am Flughafen!«
»Echt? Da kann man noch landen?«
Vor Jahrzehnten hatten wir uns den Flughafen mal am Wochenende angeschaut, als Teenies, um das zu tun, was coole Teenager unter keinen Umständen am Wochenende tun: anderen Leuten zugucken, wie sie ihre Modellflugzeuge steigen lassen. Falkenhain wurde im Zweiten Weltkrieg als Notflughafen angelegt. Schon bei unserem Besuch damals wuchs zwischen den Betonplatten der Piste büschelweise Löwenzahn raus. Das ist echt der Arsch der Welt, ohne Tower und so.
»Anscheinend wird die Piste noch benutzt«, sagte Nick und kippte seinen Kopf ein bisschen zur Seite, sodass sein Ohr auf seinen Dienstrechner zeigte, der in der Ablage zwischen den Sitzen steckte -neben zwei gedruckten Stadtplänen, die er dort immer noch als nostalgische Dekoration aufbewahrt.
»Ach ja, und Major Tom sagt, dass wir erst mal unsere Rechner ausmachen sollen«, erklärte der Beifahrer, der an diesem Abend leider der Fahrer war. Ich drehte mich zu ihm um, aber anstatt Johns seltsame Anweisung zu erklären, knirschte Nick nur ein bisschen mit dem Kiefer. Von seinem Begrüßungsgrinsen war nichts mehr übrig.