#04 T-8: 14:59
Jetzt stehen wir also da - neben dem Flugzeugwrack, in dem unser Chef gestorben ist. Jeder andere Schluss wäre reines Wunschdenken. Denn die Blutflecken sind nicht nur auf dem Rechner, sondern überall. Irgendwer muss die halbe Kabine vollgeblutet haben. Mein Kehlkopf krampft sich zusammen, so wie kurz vorm Kotzen -ein ungewohntes Gefühl, wenn man so alt ist, dass man von drei Coronas schon einen Schwips kriegt. Der Beifahrer spielt natürlich weiter den Coolen, schließlich glaubt er, seinen Ruf als abgebrühter Zivi verteidigen zu müssen. Dabei weiß ich genau, dass er auch kein Blut sehen kann und damals allerhöchstens Bettpfannen im Altenheim gewechselt hat. Noch wahrscheinlicher ist, dass seine Kollegen damals nach einer Minute spitzgekriegt haben, was für ein Nerd er ist, und ihn sofort dazu abgestellt haben, alles zu administrieren, wo Strom durchfließt. Der nützliche Computer-Wart - das war schon immer die Rolle seines Lebens. Genug rumgestanden, langsam wird es Zeit, die Sache hier zu Ende zu bringen. Ich atme nochmal tief ein, lehne mich ins Wrack und taste das Innere der Kabine ab. Da liegt nämlich, wofür wir eigentlich hier sind: das Tape. Vorsichtig gleiten die Finger über den Boden. Da ist Teppich, etwas Feuchtes - nicht drüber nachdenken! -, ich spüre Scherben und - Bingo: eine Tüte. Ich quetsche vorsichtig die Finger drunter und ziehe sie raus. Jemand hat das wertvolle Tape tatsächlich einfach in eine schwarze Plastiktüte eingerollt, als ob es eine gefälschte Handyschale vom Polenmarkt wäre oder so, völlig unprofessionell.
»Und? Hast du's?«, keucht Nick, der - solidarisch wie er ist mit seinem Arm auch ein bisschen im Dunkeln herumfuhrwerkt.
»Weiß nicht. Gib mal die Taschenlampe.«
Nick reicht die Maglite rüber. Ich rolle die Tüte vorsichtig ein Stück auf und leuchte schräg von der Seite rein, damit keine Regentropfen reinfallen. Bloß nicht riskieren, dass das Tape noch richtig nass wird. Am Boden der Tüte ist die Datenkassette zu erkennen. Sie steckt in einer Schutzhülle aus halb durchsichtigem Plastik, eierschalenfarbig wie ein billiges Kondom. Keine Kratzer zu erkennen, die Kassette scheint beim Absturz nichts abbekommen zu haben. Ich kann die frohe Botschaft verkünden, auf die wir beide sehnlichst warten.
»Alles klar. Wir können.«
»Alright«, jubiliert Nick, während er seinen Kopf aus dem verbeulten Türrahmen des Cockpits rausschlängelt. Aber war das nicht nur der halbe Auftrag? Ich leuchte nochmal in die Kabine.
»Was ist mit dem Rechner?«
Widerwillig dreht sich Nick wieder um und beugt sich zum Copilotensitz runter. Der Rechner ist ungefähr so groß wie zwei alte VHS-Videorekorder übereinandergestapelt und sieht auch ein bisschen so aus. Auf der Vorderseite, die jetzt zum Boden zeigt, ist ein Schlitz, wo das Tape reinkommt, daneben sind eine Tastatur und ein winziger Röhrenmonitor eingebaut, vom dem nur noch Scherben übrig sind. Die reine Pest, so ein alter Bildschirm, voll mit Cadmium und Blei. Nick lässt seinen Blick noch einmal kurz über den Oldie wandern und setzt zur Diagnose an.
»Wie gesagt: Ein IBM einundfünfzig-zehn, ein -haha - tragbarer Computer aus den späten Siebzigern. Innen drinnen alles handgeklöppeltes Zeug, kein Prozessor von der Stange. Unmöglich, dafür Ersatzteile zu kriegen. Außerdem ist das RAM flüchtig, wie beim C64. Das heißt: Stellste den Strom ab, sind die Daten weg.«
Er schlängelt sich wieder aus der Kabinentür.
»Ne, sorry, es Johnt sich nicht, das Teil mitzunehmen. Damit kriegen wir das Tape niemals ausgelesen.«
Er zeigt auf die Tüte in meiner Hand. „Was da drauf ist, müssen wir mit einer anderen Kiste rausfinden.«
Warum John auch immer diese riskante Reise angetreten hat, es musste was mit dem Tape zu tun haben. Während Nick sich schon wieder Richtung Straße umdreht, schaue ich nochmal in die Kabine. Seltsam: Das Tape hätte im Prinzip jeder bergen können, warum also sollten gerade wir kommen?