#34 T-2: 11:43

Der Beifahrer starrt wie hypnotisiert auf das Warmhalteöfchen, in dem sich zwei Hotdogs müde drehen. Das tun sie scheinbar schon ziemlich lange, denn ihre Haut sieht runzeliger aus als die der Rentnerinnen am Strand von Boca Raton, Florida. Trotzdem rotieren die beheizten Metallstangen, auf denen die Hotdogs liegen, gnadenlos weiter, vermutlich bis sie zu Briketts geworden sind. Fasziniert verharrt Nick vor dem Würstchenballett, sein leerer Blick scheint das Grillgut zu durchdringen. Plötzlich zuckt er zusammen und schlorrt in den nächsten Gang, über dem ein riesiges Schild hängt, das Gourmet Cafe verspricht. Auf dieser Seite des Atlantiks bedeutet das, die Lorke wurde mit Zimt, Haselnussaroma oder Schokolade versetzt und ist für einen Menschen mit Y-Chromosom absolut ungenießbar. Nick stromert weiter, bis er die normale Kaffeemaschine in der hintersten Ecke erreicht hat, und schnappt sich zwei Becher. Während er den Zapfhahn runterdrückt, spult er seine Infos ab: „Okay, die Jungs vom Bruderhof haben den IBM wohl mal in den Siebzigern angeschafft, um eine Bewässerungsanlage zu steuern. Deshalb hat er sogar eine ... «, zufriedener Seufzer, „... V.24-Schnittstelle.«

Nicks Retromanie hat in letzter Zeit einen neuen Höhepunkt erreicht: die Bus-Nostalgie. Beim Anblick eines Firewire-Anschlusses kriegt er schon fast feuchte Augen, und wenn er davon redet, es sich »mit einem leckeren Port« gemütlich zu machen, ist er vermutliche der einzige Mensch auf dem Planeten Erde, der an eine SCSI-Schnittstelle denkt. Alles schön und gut. Aber die V.24-Schnittstelle bringt uns nichts, da wir keinen Rechner dabei haben, auf den wir die Daten vom IBM digital überspielen könnten. Bleibt also nur, den Inhalt des Tapes auf »tote Bäume«, wie Nick immer lästert, auszudrucken. Ein harter Medienbruch, der ihm weh tun wird. Aber hier, in Mutterns Tanke mitten im Nirgendwo, gibt es nun mal keine Computer zu kaufen, und das Äußerste, was an Elektronik im Sortiment ist, sind ein paar 12-Volt-Kabel für den Zigarettenanzünder. Dabei stapeln sich im Wal-Mart ein Kaff weiter die Rechner bis unter die Decke. Doch dahin zu fahren hat der Beifahrer mir gerade erst verboten, weil es da »zu viele Augen« gäbe. Muttern selbst steht hinter der Kasse und hat keine Prozessorleistung mehr frei, um uns oder unsere ausländische Sprache zu bemerken, weil sie auf einem uralten Game Boy zockt. Und zwar auf diese Weise, wie es nur Menschen unseres Alters tun: mit diesem Ausdruck totaler Überforderung im Gesicht. Dieses Gedudel ... jap, sie spielt Super Mario World. Besonders weit ist sie allerdings noch nicht gekommen, es fiept diese orientalische Mucke rüber, das heißt, sie steckt in der dritten World fest, wo alles so pseudoägyptisch ist und man sich immer fragt: Was nervt mehr - das Gedudel oder die Klötze, die von der Decke rieseln? Währenddessen fixiert sie den alten Game Boy angestrengt durch ihre Lesebrille. Ich scanne die Regale. Ein Großteil des Platzes nehmen gefühlte zweihundert Sorten Beef Jerky ein, das sind getrocknete, völlig versalzene Fleischstückchen, typischer Provinzfraß. Wo ich schon in der Essensabteilung bin, packe ich gleich noch zwei eingeschweißte Sandwiches ein, unser Abendessen. Nick drückt gerade den Kleckerschutz auf die Kaffeebecher. Wie immer hat er nicht die richtige Größe erwischt, merkt es aber nicht und lehnt sich auf den Plastikdeckel, damit er sich endlich über den Becherrand stülpt.

»Shit!«

Er hat sich bei seinem Gewürge einen Schluck Kaffee auf die Hand gekleckert. Auf einmal mischt sich Mom ein.

»Can I help you?«

Sie schlurft aus ihrer Kasseninsel raus und zur Kaffeetheke rüber.

»The large ones are over here«, sagt sie und zeigt auf einen weiteren Stapel Kleckerdeckel unter der Theke, die die richtige Größe haben. Sie sieht exakt aus wie alle U.S.-Moms, die schon erwachsene Kinder haben. Dauerwelle, roter Häkelpulli mit aufgenähtem Kram aus Pailletten, untenrum maximal uncoole Bügelfalten-Jeans - diese Sorte nennen die Kids hier schon »Mom-Jeans«, eben weil alle Muttertiere sie tragen. Außerdem hat sie seit ihrer Prom-Night vor dreißig Jahren ein paar Apfelkuchen zu viel gegessen.

»Äh, thanks«, Nick tupft sich hektisch seine Hand ab. Da fällt sein Blick auf den Game Boy in ihrer Hand. Plötzlich setzt er seinen hyperfreundlichen Beamten-und-Mütter-bezirz-Blick auf und legt mit seinem angetäuschten Oxford-Akzent los: »Ma'am: Would you consider selling this?«

Er trägt ordentlich auf, sagt extra britisch »considdaah« - wie immer, wenn er amerikanische Damen mit dem Charme der Alten Welt betören will. Und es klappt: Mom kriegt rote Wangen, das Kästchen gehört schon so gut wie ihm. Zumindest der schlimmste Gadget-Entzug ist abgewehrt.

Extraleben - Trilogie
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