#17 T-6: 01:49
»Eins, zwei oder drei ... «, sage ich.
»Du musst dich entscheiden, drei Felder sind frei«, leiert Nick runter, während er in die Öffnung seines Milchkaffees reinlinst, um zu erkennen, wie viel noch drin ist. Obwohl wir im ganz regulären Bedienungsbereich des Cafes sitzen, haben wir beide Mitnehmbecher mit Kleckerdeckel bestellt, aus reiner Gewohnheit. Nachdem sich der Beifahrer überzeugt hat, dass der Füllstand noch für fünf Minuten reicht, schaut er wieder hoch.
»Gähn, Alter, hast du nichts Besseres auf Lager?«
Okay, das war wirklich zuuuu einfach. Vielleicht was aus der »Next Generation«, irgendwas, das nicht so auf der Hand liegt wie Michael Schanze. Ich lehne mich ein bisschen vor, als würde ich in einen Replikator reinsprechen: »Tee, Earl Grey!«
».... heiß«, feuert Nick sofort zurück. Unser Frühstück läuft exzellent, obwohl es streng interpretiert keins mehr ist, denn wir haben uns erst gegen elf aus der Poofe geschält und am Geldautomaten gegenüber der Pension erst mal Geld gezogen, weil wir ja ab sofort alles bar bezahlen müssen. Jetzt ist es kurz nach zwölf, also eher Mittagszeit. Doch wir waren beide einfach zu erledigt, um früher aufzustehen. So richtig repariert sieht Nick immer noch nicht aus: Seine Haare stehen in alle Himmelsrichtungen ab und über seine Wange zieht sich der Abdruck einer Lakenkante, auf der er anscheinend neun Stunden lang gelegen hat. Die einzige Sache, die er nach dem Aufstehen sorgfältig erledigt hatte, war, die Hülle des Tapes auf Schäden zu untersuchen und es danach in seiner Hosentasche zu verstauen. Unsere ewige Flucht vor allem, was potenziell einheimisch oder hip ist, hat uns in eine Ketten-Bäckerei direkt neben dem Bahnhof getrieben. Sicher, wir hätten uns auch neben die Fahrradtaschen-Heinis setzen können, die in der szenigen Coffeebar Schrägstrich-Buchhandlung um die Ecke über ihren Apfelrechnern kauerten und eifrig Pionierarbeit in der digitalen Arbeitswelt der Zukunft leisteten. Oder in dieses herrlich altmodische Cafe am Hafen, oder oder oder ... Hach, es hätte so viele Optionen gegeben. Und weil es so viele waren, haben wir uns für die erstbeste entschieden: für die seelenlose Ketten-Bäckerei mit ihrer klimatisierten Berechenbarkeit. Hier hocken wir also seit einer Stunde, und weil die Kumpellaune wieder halbwegs hergestellt ist, spielen wir Auto-Ausfüllen. Die Regeln sind einfach: Einer startet mit einem bekannten Satz aus Funk, Film oder Fernsehen, der andere muss ihn korrekt ergänzen - ein Spiel, bei dem nur Menschen gewinnen können, die schon einmal im Hallenbad versucht haben, so zu schwimmen wie der Mann aus dem Meer. Ich bin wieder mit Aufschlag dran. Man muss ihn doch irgendwie aus der Reserve locken können, wenn man nur tief genug im Speicher kramt ...
»Übrigens, ich heiße Max ... «, lege ich vor.
»... ich kümmere mich um die beiden«, pariert Nick. Dann aber bitte alles von vorne!
»Das ist mein Boss, Jonathan Hart ...«, pfeffere ich übers Netz.
»... ein echter Selfmade-Millionär!«, retourniert der Beifahrer.
»Der hat Nerven!« , sagen wir im Chor und müssen lachen. Ich habe erst vor ein paar Jahren so richtig kapiert, was da am Ende jeder Folge von »Hart, aber herzlich« abging, wenn die Eheleute Hart in die Koje stiegen und Jennifer ihrem Jonathan ins Ohr hauchte »Hallo Matrose«.
Klar, man konnte sich vorstellen, was sie danach taten, aber, aber, aber - die waren doch so superalt! Jenny sah ziemlich genau wie Nicks Mom damals aus, mit ihren rot gefärbten Haaren. Oh Gott, ja, bitte einmal gut mit Hirn-Domestos durchspülen. Wir spielen die Runde auf einer Arschbacke zu Ende, dann gehe ich nochmal zur Theke, um eine weitere Runde Kaffee und ein paar Brötchen zu holen, die natürlich nicht »Brötchen« heißen, sondern Namen tragen, die überhitzten Vermarkterhirnen entsprungen sind - Namen wie Crappo, Wuppo oder Bluppi. Wer auch immer das Interieur der Bäckerei stylen musste - er hat sich wirklich streng an Howard Schultz' Handbuch der generischen Gemütlichkeit gehalten. Alles ist vorhanden, was die seelenlose Kette braucht: das dunkle Klickparkett, die unvermeidlichen rostroten Wände, die farblich passenden Polstermöbel anheimelnd und dennoch abwaschbar. Aus den Boxen zirpt dazu unauffälliger Konsens-Jazz, Birth of the Uncool. Alles so wie beim Original mit der Meerjungfrau im Logo, nur eben durch den deutschen Spießerfilter genudelt. Nachdem ich alles zum Platz zurückbalanciert habe, ist die Zeit gekommen, so sanft wie möglich mal das Thema Zukunft anzuschneiden. Wir können ja nicht ewig in dieser Absteige hausen, nur aus Angst davor, dass uns die Company aufspürt, sobald wir was mit Kreditkarte bezahlen.
»Mal im Ernst, Alter: Wie geht's weiter?«
Nick faltet die Hände wie zum Beten und bläst zwischen den Daumen hindurch, bis ein hohles Pfeifen rauskommt und sich die ersten Gäste umdrehen. Nachdem er mit dem Entenlockruf fertig ist, mustert er eine Horde Bankangestellte, die am Schaufenster vorbeisprintet, um sich noch vor dem nächsten Gewitterschauer ihre Mittagspausen-Brötchen zu holen. Er spielt unsere Möglichkeiten durch.
»Lass uns mal logisch vorgehen ...«
Gerne, Mister Spock, gerne!
»... die Typen aus der Botschaft werden nicht locker lassen, bis sie die Daten vom Band haben. Ihnen das Tape einfach zu schicken reicht nicht, weil sie jemanden brauchen, der es ausliest. Auf ein weiteres F2F-Treffen habe ich keinen Bock, nachher schicken sie wieder irgendeinen Psycho, der mit einer Glock rumfuchtelt.«
Der Bruch, den sich Nick damals oben in Washington zugezogen hat, ist nicht gerade spitzenmäßig verheilt. Manchmal humpelt er sogar noch ein bisschen.
»Bedeutet was?«
»Bedeutet ... «
Nick dreht sich wieder zum Schaufenster um und redet Richtung Glas, um den Rest des Satzes besonders abgebrüht klingen zu lassen.
»Bedeutet, dass wir die Sache selbst durchziehen müssen.«
Obwohl er dabei Bruce-Willis-mäßig die Augen zusammenkneift, weiß ich, dass auch er kein gutes Gefühl bei der Sache hat. Zwei Bluppis später steht unser Masterplan, wobei Andie an dieser Stelle zu Recht mit den Fingern zwei Anführungszeichen um das Wort »Plan« herum in die Luft malen würde. Thinking of a masterplan, yeah, von Eric B.; den Drumloop des Songs hat Farian später nochmals für Milli Vanillis »Girl You Know It's True« verbraten, oder? Nick wüsste es sicher, aber er ist gerade damit beschäftigt, weiter Richtung Glasscheibe zu dozieren.
»Also, die erste Regel beim Retrocomputing lautet: Selbst ein perfekt erhaltenes Speichermedium nutzt dir nichts ohne die passende antike Hardware. Also eine fabrikneue Diskette zum Beispiel taugt nichts, wenn du nicht weißt, in welchem Format sie beschrieben wurde und von welcher Art von Laufwerk.«
»Hm, schon klar.«
Wie immer, wenn er sich einer Sache nicht ganz sicher ist, fängt er mit seinem Vortrag bei Adam und Eva an, um Zeit zum Nachdenken zu schinden.
» ... das heißt: Wenn wir das Datentape wirklich auslesen wollen, brauchen wir den gleichen Rechner, mit dem es aufgenommen wurde. Einige Bandlaufwerke beschreiben die Bänder nämlich serpentinenförmig mit Daten, der IBM einundfünfzig-zehn dagegen ...«
»Das kaputte Teil aus dem Flugzeug?«
»Genau. Na, der Rechner beschreibt das Band nämlich in zwei parallelen Spuren ...«
Junge, Junge. Gab's bei den Simpsons nicht mal 'ne Folge, in der die Welt aus der Sicht des Hundes gezeigt wurde? Der sah alles nur schwarz-weiß, und was die Leute sagten, klang völlig unverständlich, so nach schrägen Trompetentönen. Genauso komme ich mir manchmal vor, wenn der Beifahrer schwadroniert. Mal ein bisschen vorspulen ...
»Das heißt, wir brauchen unbedingt so einen alten IBM Rechner, wenn wir ein Band, das damit aufgenommen wurde, abspielen wollen?«, unterbreche ich. Nick zuckt kurz zusammen.
»Äh, genau.«
»Und kennste jemanden, der einen hat?«
Nick reibt sich ein paar einsame Stoppeln am Kinn. So unverschämt voll seine Haare auf dem Kopf immer noch sind, so spärlich war und ist sein Bartwuchs.
»Schwierig. Die Teile haben damals so viel wie 'n Auto gekostet, bis zu 20.000 Dollar, ein klassisches Industrieprodukt halt. Und mit 25 Kilo waren die Kisten auch nicht wiiiirklich tragbar, deshalb hat IBM nicht allzu viele davon verkauft.«
Noch intensivere Bart-Reibung. Alter, davon wird's auch nicht mehr ...
»Also: Ein Einundfünfzig-zehn steht im IBM-Museum, da kommen wir nicht ran. Dann gibt's noch zwei oder drei Typen in Deutschland, die einen haben, der noch funzt. Bei denen könnte man vorbeifahren und das Tape auslesen.«
Er nickt zufrieden.
»Ja, könnte klappen -vorausgesetzt, die sind da und so.«
Unvermittelt springt er von seinem Platz hoch.
»Ich werde gleich mal anrufen. Warteste hier?«
»Ock.«
Zack, und schon ist er zur Tür raus. Als er mit großen Schritten vorm Schaufenster vorbeigeht, sieht man, wie das große Datentape in seiner rechten Hosentasche hin-und herschlackert. Er hat es natürlich nicht in der Pension liegen lassen. Im Grunde genommen ist Nick eine einzige große Indifference Engine: Solange er sein Ding machen kann, geht ihm der Rest der Welt am Arsch vorbei. Deshalb hat er auch so lange ausgeblendet, dass die Datacorp ein semikrimineller Haufen ist, der auf so ziemlich jeden Deal eingeht, mit dem sich etwas verdienen lässt. Solange er seinen Familie-Dienstwagen-Eigenheim-Traum durchziehen konnte, spielte es keine Rolle. Um vor sich selbst bestehen zu können, hat er den Job sogar noch ein bisschen romantisch angepinselt, schwafelte ständig davon, dass wir ja »wie Indiana Jones, nur mit Computern« seien. Früher war er dem Kommerz nicht so zugetan. Nach den 64erJahren auf der Schule fühlte er sich ja zu Höherem berufen und musste unbedingt Informatik anstudieren. Während ich also im Wiwi-Bunker den Nachwuchsmanager mimte, glitt er in die richtig harte Nerd-Szene ab, kiffte mit so Richard-Stallman-Schraten. Ey du, Informationen müssen frei sein und die ganze Informatiker-Folklore. Mit Leuten, die die A20-Line für eine Warteschlange am Flughafen-Gate hielten, redete er gar nicht mehr - mit dem Erfolg, dass er bald noch einsamer war als ohnehin schon.
»Ich bin nicht antisozial, ich bin nur nicht benutzerfreundlich«, lautete sein Lieblingsspruch. Die ganzen Informatiker-Ideale hat er dann aber ziemlich schnell entsorgt, nachdem uns die Datacorp unter ihre Fittiche genommen hat. Eigentlich eine ganz witzige Rochade: Plötzlich war Nick es, der auf Führungskraft machte, mit seinem ganzen Gewäsch von »Deal Breakern« und »Lessons Learned«.
Er ging von Anfang an in dem ganzen Business-Gekaspere voll auf, am liebsten hätte er John sicher mal zum Abendessen nach Hause eingeladen. Die vorzeigbare Trophäen-Gattin beköstigt den Chef - ein Traum. Im Moment scheint die Begeisterung für seinen Arbeitgeber allerdings einen Nullpunkt erreicht zu haben. Mit versteinerter Miene starrt Nick auf seine Füße, während er versucht, beim Gehen keine der Fugen zwischen den Betonplatten zu berühren. Sein Masterplan ist nämlich innerhalb von zehn Minuten den Bach runtergegangen. Nachdem er in einem indischen Call-Shop seine Nerd-Kumpel durchtelefoniert hatte, kam er mit einer niederschmetternden Botschaft ins Cafe zurück: Beide Jungs hatten ihren IBM vorgestern verkauft. Anders als bei der Nasa gilt bei uns halt: Failure is always an option!
»Diese Schweine«, grummelt Nick in sich hinein.
»Wer, die Jungs?«
»Nein, Mann, die Company!«
»Glaubst du echt, dass die Datacorp dahintersteckt? Ich meine -könnte doch auch ein Zufall sein. Du hast selbst gesagt, dass die IBM-Dinger begehrte Museumsstücke sind.«
»Hallo?«
Er klingt richtig zickig.
»Ein Tag. bevor wir einen IBM einundfünfzig-zehn brauchen, taucht bei beiden führenden Retrocomputing-Freaks in Deutschland ein Amerikaner auf, der ihnen die Kisten zu einem totalen Mondpreis abkauft. Komm schon .. «
Schweigend schlurfen wir die letzten Meter zur Pension zurück. Die Gegend ist wirklich vom Allerfeinsten. Wir passieren ein Eros-Center, das Hotpants aus schwarzem Lack für Sie und Ihn ausstellt, gleich dahinter kommt der Eingang zu »32 klimatisierte Einzelkabinen«, in denen der stilvolle Schrubber einkehren kann. Es folgen ein Leihhaus, drei Dutzend Handyshops und ein Penny-Markt. Wir schlorren missmutig weiter, bis man das Neonschild des türkischen Kiosks an der Ecke erkennen kann, mit dem sich unsere Pension die Hausnummer teilt. Jetzt müsste es theoretisch erlaubt sein, über das Abendprogramm nachzudenken, finde ich. Wir haben doch langsam das Zauselalter erreicht, in dem man zum Table Dance gehen kann.
»Alter, was hältst du davon, wenn ...«
Auf einmal reißt Nick seinen Arm aus der Hosentasche und schubst mich mit voller Kraft in den nächsten Ladeneingang.
»Hey, was ...«, versuche ich noch zu protestieren, doch da hat er mir schon die Hand auf den Mund gedrückt. Seine aufgerissenen Augen sagen: Alter, es ist ernst. Also Klappe halten. Vorsichtig schiebt Nick seinen Kopf aus dem Eingang raus und wirft einen Blick um die Ecke. An seinem Hals zuckt nervös eine Ader. Ich versuche, so still wie möglich zu stehen-wie früher, als wir immer auf dem Gelände der alten Ziegelei rumgeschlichen sind und uns vor den Arbeitern verstecken mussten. Endlich, er dreht sich zu mir um und zeigt mit dem Kinn Richtung Straße. Ich quetsche mich an ihm vorbei. So schlecht er auch fährt, an seinen Augen kann es nicht liegen: Das hat er mal wieder verdammt gut gesehen, der Beifahrer. Da steht echt jemand neben unserem Auto -und der kontrolliert nicht das Parkticket. Seelenruhig umrundet der Typ einmal den Wagen, bleibt dann auf der Fahrerseite stehen und hält die Hand ans Fenster, so als wollte er nachsehen, wie viel auf dem Tacho steht. Es ist offiziell: Unser Leben hat einen Allzeit-Tiefpunkt erreicht: Wir, zwei Männer im mittleren Alter, drücken uns vor dem Eingang eines Headshops rum und versuchen, nicht gesehen zu werden. Es ist einfach lächerlich. Wir reiben unsere Hintern genau an jener Art von Schaufenster, vor der sechzehnjährige Dorfdeppen auf Klassenfahrt einen totalen Abgang kriegen - um dann minutenlang so zu tun, als ob sie mit den ganzen Kifferutensilien, die da liegen, schon jahrzehntelange Erfahrung haben.
»Hm«, gelangweilter Blick, »hat der Soundso auch.«
Im Angebot sind ein Bong, so dick wie eine Regenrinne, und Bob-Marley-Batik-T-Shirts. Oh Mann, es lässt sich nicht in Worte fassen, wie total durch dieses Thema ist. Nick ist wieder dran mit Gucken.
»Klare Sache, ist 'n Kollege«, raunt er.
»Meinste echt?«
»Sicher, allein die Klamotten.«
Ich drängele mich nach vorne. Er hat recht: Der Typ hält sich präzise an die Company-Uniform: Anzug, Hemd, keine Krawatte. Doch am meisten fällt auf, dass er nicht in die Gegend passt. Er ist vielleicht 30, glatt rasiert, mit ordentlichem Haarschnitt und glänzenden Lederschuhen. Solche Typen sitzen in der Vielflieger-Lounge am Flughafen und lesen den »Harvard Business Review«, die stehen nicht vorm Pfandleiher, um Omas Schmuck zu verkloppen. Ich kann's nicht glauben.
»Aber woher wissen die, dass wir hier sind?«
Nick runzelt die Stirn und starrt mich vorwurfsvoll an.
»Das frage ich dich!«
Hey, Alter, jetzt mal sachte.
»Ich habe nicht telefoniert, nicht den Rechner angestellt, nicht ...«
Natürlich! Der Geldautomat! Aber das ist doch erst ein paar Stunden her ... Wie immer errät der Beifahrer meine Gedanken. Er lässt seinen Kopf resigniert aufs Brustbein plumpsen und atmet schwer aus; immerhin verkneift er sich, eine Facepalm zu machen. Wie ein Ertrinkender stemme ich mich gegen die reißende Strömung.
»Aber dafür müssten sie Zugriff auf mein Konto ...«, wende ich ein. Nick explodiert.
»Mann, Alter, deine Bankdaten hat die Company doch eh schon«, zischt er, »da brauchen die doch nur unter irgendeinem Vorwand bei der Bank anzurufen, so von wegen >wir haben hier eine Fehlbuchung<, und schon haben sie aus dem Azubi am Telefon deine Umsätze raus-social-engineert. Der erzählt denen sofort, wo du zuletzt Geld gezogen hast -und voila«.
Okay, Widerstand ist zwecklos. Ich stehe neben dem König der Verfolgungswahn-Geplagten wie ein gutgläubiger Stümper da, der tatsächlich glaubte, irgendein elektronisches System auf dieser Erde sei sicher. Viel schlimmer als die Demütigung ist, dass er mir diesen Patzer bis zum letzten meiner Tage unter die Nase reiben wird. Ungefähr so: Arzt: »Er hat noch zehn Sekunden zu leben.«
Nick (in mein Ohr schreiend): »DU HAST DAMALS DAS GELD GEZOGEN! «
Vielleicht vergisst der Beifahrer alles, wenn ich das Thema wechsle und ihn eine Runde in Ruhe dozieren lasse?
»Meinst du, wir können den Wagen noch benutzen?«, flüstere ich und versuche, so unschuldig zu klingen wie ein Elfjähriger, der seinem Vater erklären muss, warum dessen geliebte Rosenbüsche im Garten abgeflämmt sind. Ich konnte damals doch nicht ahnen, wie hoch die Stichflamme ist, wenn man die Köpfe von dreißig Streichholzpackungen abbricht und auf einmal anzündet. Nick verzieht das Gesicht. Er weiß, dass ich weiß, dass die Frage völlig idiotisch ist. Und trotzdem beantwortet er sie. Da ist er wie ein Hund, der schon hundertmal den Knochen geholt hat und trotzdem immer wieder losrennt.
»Nein, lieber Kee«, er überzieht das »Kee« zentimeterdick mit ätzender Missgunst, »wir können den Wagen nicht mehr benutzen.«
Ich schalte auf noch unschuldiger.
»Und warum? Wir haben doch diesen GPS-Störsender installiert.«
»Weil der nichts bringt! Die neueste Generation von Trackern peilt die nächsten Handy-Sendemasten an, trianguliert die Position des Autos und schickt den Verfolgern eine SMS mit deinem Standort. Und wer weiß, wo die Company den Peilsender diesmal versteckt hat? Dafür müssten wir die ganze Karre absuchen.«
Beim letzten Satz versucht Nick so normal wie möglich zu klingen, weil sich gerade ein pickeliger Teenie an uns vorbei in den Headshop quetscht. Dabei mustert er uns von oben bis unten mit einem angeekelten »Diese Schwuchteln«-Blick. Langsam fallen wir ein bisschen auf. Ich schaue um die Ecke. Der Datacorp-Typ ist weg. Sehr schlau von uns, nicht aufzupassen, in welche Richtung er marschiert ist. So können wir ihm jede Sekunde über den Weg laufen, sobald wir unser Versteck verlassen. Langsam gehen uns die Optionen aus: Wir können unseren Dienstwagen nicht mehr benutzen, weil er verwanzt ist. Ein Auto mieten geht auch nicht, weil wir dafür eine Kreditkarte bräuchten. Wir können nicht zurück in die Pension, weil das Haus garantiert überwacht wird. Wir kommen nicht mehr an meinen Dienstrechner ran, weil der im Zimmer steht. Vor allem können wir nicht mehr nach Hause fahren, weil sie da auch bestimmt auf uns warten. Ich schaue den Beifahrer an. Er schaut zurück und grinst süffisant.
»Andererseits gäbe es da noch jemanden, der ganz sicher einen IBM einundfünfzig-zehn hat.«
Wen kann er meinen? Er hat bestimmt wieder ein Ass im Ärmel. irgendjemand, den er bei einem seiner vertraulichen Aufträge kennen gelernt hat.
»Roadtrip?«, schlage ich vor.
»Gerne. Aber wie kommen wir nach drüben?«
»Andie?«
Nick schaut skeptisch.
»Kann man ihr vertrauen?«
»Hundertpro kann man ihr vertrauen«, sage ich mit dem Brustton der Überzeugung, nachdem mein Penis die letzten fünf Prozent aufgerundet hat.
»Aber wie willst du sie kontaktieren? Wenn die Company jemanden abhört, dann bestimmt sie.«
Ich schaue auf die Uhr. Noch ein paar Stündchen, dann stehen die Menschen an der Westküste auf und das bedeutet: Andie wird ihren göttlichen Körper aus dem Bett schwingen, der - mit Chrom überzogen - mindestens so heiß aussähe wie die geairbrushten Roboterfrauen von Hajime Sorayama, die früher in jeder zweiten Jungsbude hingen. Egal, Andie wird sich fertigmachen und dann ihr Frühstück holen gehen. Das könnte meine Chance sein, die Sache mit dem Geldautomaten auszubügeln.
»Kein Problem - hab 'nen Plan«, sage ich so beiläufig wie möglich. Nick zieht die Augenbraue hoch. Tja, Mister Spock, Sie haben kein Monopol auf geheimnisvolle Andeutungen.