LEVEL 14

Hiland Steak Motel Restaurant. Großartig, wo sollte man nach einem langen Tag auf der Straße sonst absteigen als in einem Steak Motel Restaurant? Wir sind stolz auf uns: Trotz Chili-Dog und Asteroids - Stop haben wir vorgestern noch 200 Meilen runtergerissen; gestern ging es quer durch Nevada bis nach Oregon im Norden. Den Staat haben wir auch schon wieder zur Hälfte gefressen und stecken jetzt mitten im Great Sandy Desert fest, einer menschenleeren Gegend direkt hinter den Rockies, wo es nie regnet und niemand hin will. Burns heißt der Stopp heute Abend, und der Name ist Programm, denn hier sieht es tatsächlich aus, als sei schon vor langer Zeit alles abgebrannt. Wieder war über Stunden kein einziger Baum zu sehen. Ein Testgelände haben sie wohl auch um die Ecke, diesmal von der Atomenergiebehörde. Das Hiland Steak Motel Restaurant ist einer dieser fensterlosen Verschläge, die von außen wie eine Auktionshalle für Schweinehälften aussehen. Nach dem Reinkommen brauchen unsere Augen ein paar Sekunden, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, dann tauchen aus dem Schwarz nach und nach die Umrisse von zwei Dutzend Ledersesseln auf. Wir tasten uns bis zum Schild Seat yourself vor, das anscheinend die Empfangsdame ersetzt, folgen dem roten Licht der elektrischen Grableuchten auf den Tischen und sinken in zwei Schalen aus schwarzem Kunstleder. Mühelos gleiten die Sessel auf Rollen über den dunkelroten Teppich. Herrlich.

»Genau das Richtige für jemanden, der achtzehn Stunden auf einem 48-Tonner gesessen hat«, stellt Nick fest. Meine Assoziation: Hier würde Bandit, alias Burt Reynolds in dem Film »Das ausgekochte Schlitzohr«, auch absteigen, um zwei Bierchen zu zischen, und danach vielleicht eine kleine Schlägerei anzetteln - aber nur, wenn jemand seine Lady beleidigt hat.

»Howyadoin'?«

Eine verlebt aussehende Bedienung mit einer schwarzen Bluse, Typ Suzi Quattro, wirft die Menükarten auf den Tisch. Es gibt nur Steak oder Fried Chicken, dazu wahlweise Bier aus der Flasche oder Dose. Wir bestellen zwei Coors light und lehnen uns zurück. Auf einem Werbeschild über der Bar steht no cigars, no foul language . Es war ein verdammt guter Tag auf der Straße, auch wenn wir de facto nichts erlebt haben, wobei es natürlich genau das ist, was ihn so gut gemacht hat. Aus der Jukebox verkündet eine Countrystimme »It could have been me«: es geht wohl um einen Mann, der mitansehen muss, wie seine große Liebe jemand anderen heiratet. Wie üblich um diese Rentnerzeit, es ist noch nicht sechs, sitzt außer uns niemand im Restaurant. Entsprechend schnell kommen unsere Biere, die wir mit einem braven »Thanks« quittieren.

»You're welcome«, murmelt Suzi, »what can I get for you guys?«

Die Frage ist aus unserer Sicht völlig überflüssig, da wir aus Prinzip jeden Abend Steak essen. Nick nimmt das 16-Unzen-Ribeye, ich das 12-Unzen-New-York, medium. Er bevorzugt sein Steak blutig und lässt dabei wie immer den Witz »Barely take the Moo out« - soll nur nicht mehr muhen vom Stapel. Je-des-mal, seit weiß-ich-wie-viel Jahren dieser blöde Text. Noch bevor sich die Kellnerin ein Lächeln abgerungen hat, ist sie schon wieder Richtung Küche verschwunden. Irgendwie muss ich lachen: »Wir werden wie unsere Eltern, oder?«

Nick nimmt einen tiefen Schluck Coors, und beantwortet meine Frage mit einem gedehnten »Aaaah«, Dann schiebt er hinterher: »Alter, wem sagst du das ... Weißt du noch vorhin beim Asteroids zocken? Nicht nur, dass meine Reflexe völlig unterirdisch geworden sind. Nein, dazu kommt auch noch dieser Handschweiß, der den Joystick so glitschig macht. Hatte man früher auch nicht.«

Wir lachen, irgendwie erleichtert, und fangen an, uns auszumalen, welche Sätze wir ab sofort in unser Repertoire aufnehmen müssen. Ich starte mit einem Klassiker meiner Mutter: »Auf dem Wasser ist es kalt, zieh dich warm an.«

Nick kontert mit: »Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur unangemessene Kleidung.«

Wow, er muss echt eine schwere Kindheit gehabt haben. Ich wusste ja, dass sein alter Herr ein Spießer ist, aber dieser Spruch? Hardcore. Außerdem fällt uns noch ein: »Bei heißem Wetter kühlt warmer Tee viel besser als eine kalte Cola« und »Die schlimmsten Sonnenbrände holt man sich bei bewölktem Himmel«.

Langsam wirken die Biere, und wir steigern uns richtig in die Sache rein. Nick ist wieder am Zug: »Jürgen sagt: Restaurants, vor denen Fernfahrer und Polizisten parken, bieten meist qualitativ gutes Essen zu günstigen Preisen an.«

Jürgen heißt sein Vater. Scheint sich um eine typische Väterweisheit zu handeln, denn ich kann mit meinem Dad kontern: »Wenn das Restaurant leer ist, gibt es dafür einen guten Grund.«

Nick grätscht dazwischen: »Genau, dass man um 17Uhr 46 sein Abendessen einnimmt, zum Beispiel. «

Wir lachen noch mal und stoßen mit unseren Longnecks auf Polizisten an, die bei 45 Grad unter bedecktem Himmel eine überteuerte, aber dafür umso kältere Cola trinken. Ohne sich vorher mit Sonnencreme eingeschmiert zu haben, natürlich. Dann folgt wieder eine dieser langen Pausen, in die nur der Mann aus der Jukebox reinjammert. Plötzlich schwingt die Tür auf, und durch die Supernova des Tageslichts kommen die ersten einheimischen Gäste rein. Es ist ein junges Pärchen, sie Kosmetikerin, er Farmer oder Trucker, mit einem schwarzen T-Shirt, auf dem in weißen Buchstaben »GUNS« steht. Nick starrt in seine Bierflasche und guckt hoch, als wollte er irgendetwas sagen. Dann stoppt er, schaut etwas traurig zur Bar rüber. Schließlich setzt er doch an, den Blick halb Richtung Decke gerichtet: »Tja, der Sarge von gestern hat sicher längst den Stecker rausgezogen und unsere Highscores gelöscht.«

Ich verstehe nicht, in welche Richtung die Reise gehen soll, und versuche es mal mit einem Witz auf der Geek-Ebene: »Es sei denn, die haben die Kiste mit Flashrom nachgerüstet. «

Doch an Nicks Gesichtsausdruck sehe ich, dass er mit seiner Bemerkung was anderes, was Wichtiges sagen wollte, deshalb schiebe ich eine ernsthafte Frage hinterher: »Was ist los, Alter, hast du den Blues?«

Das scheint ihm dann wohl doch ein bisschen zu frauenmäßig zu sein, und er wiegelt ab.

»Nee, nee, ich meine nur - was machen wir hier eigentlich?«

»Na, das Gleiche wie seit 15 Jahren.«

Genau damit scheint Nick ein Problem zu haben: »Ja, aber was ist das denn? Wir fahren wochenlang durch die Gegend, um dann vor irgendwelchen Zäunen zu stehen. Und selbst wenn wir uns trauen würden, drüberzuklettern, wäre da bestenfalls irgendein zwanzig Jahre alter Schrott. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber manchmal komme ich mir vor wie Marty McFly, der glaubt, er könne rückwärts in der Zeit reisen, wenn er nur genug Gas gibt.«

Davon abgesehen, dass dieses Bild hinkt und platt ist, bin ich jetzt ziemlich beleidigt - schließlich war es vor allem Nick, der in all den Jahren die Retrofahne hochgehalten hat. Vielleicht etwas zu scharf schieße ich über den Tisch: »War's denn nicht gut?«

Nun ist Nick an der Reihe, einen Schritt zurück zu machen: »Klar, ist ja auch wieder lustig dieses Mal, mit der Datacorp-Geschichte und so. Ich meine nur.«

Er schiebt verlegen die Tabasco-Flasche hin und her und nuschelt »auch egal«, In diesem Moment taucht Suzi mit zwei gigantischen Steaktellern auf, die sie zusammen mit einer ganzen Batterie von Steaksoßen auf die Tischplatte krachen lässt, ehe sie das vorgeschriebene »Enjoy« abspult. Voller Erleichterung darüber, aus dieser deutlich zu emotionalen Situation gerettet worden zu sein, greifen wir zu unseren Steakmessern. Die Dinger sehen verdammt gut aus, aus Nicks Lappen tropft förmlich das Blut. Gerade kein Muh mehr drin, so, wie er es mag - das verfehlt seine Wirkung nicht. Sein Gesicht hellt sich auf, und alles sieht danach aus, als ob der Abend seinen normalen Gang nähme. Schon nach dem ersten Bissen fängt mein Blutsbruder wieder an rumzuspinnen: »Was für nen Wagen würde Bandit wohl heutzutage fahren? Sicher keinen 81er TransAm mehr.«

Wir wägen kurz ab und entscheiden uns für eine Dodge Viper.

»Hm, gut möglich«, urteilt Nick, »jedenfalls keinen Importwagen.«

Extraleben - Trilogie
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