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Jedes neue System ist wie ein Abenteuer, wie ein Adventure. Wir stehen am Ende einer Straße, und um uns herum ist nichts als Wald. Nur dass wir nicht auf ein kleines Backsteinhaus gucken, sondern auf ein Parkplatz-Triptychon. Und so hässlich wie die Aussicht ist, wäre es schön, wenn es ein Text-Adventure sein könnte. Vor dem Baumarkt hievt ein Glatzkopf mit glänzender Stirn Blumentöpfe in seinen Großraum-Van, während seine Frau danebensteht und dem Kind im Einkaufswagen eine Brezel in den Mund stopft. Wir haben die erste Beute des Morgens auf dem Bett ausgebreitet: Stromkabel, Stecker, Lötkolben und eine kleine Rolle Lötzinn. Gebraucht haben wir von diesem Arsenal so gut wie nichts; es war kein Problem, unseren dritten Mann aufzuwecken. Einfach Stromkabel rein und los; die deutschen 220 Volt hat der Grid ohne Murren verdaut. Ein echter Global Player. Jetzt starren wir auf das klitzekleine Display der Maschine und versuchen, Kontakt aufzunehmen. Obwohl der Laptop auf dem Schreibtisch direkt vorm hellen Fenster steht, kann man auf dem Monitor alles gut erkennen. Die Pixel leuchten in einem gleißenden Orange. Bernstein hieß die Farbe früher, oder? Was uns John diesmal aufgetischt hat, lässt sich sehen; allein die Bedienung des Teils ist ein Rätsel für sich. Der Grid hat keine Maus - aber man kann auch keine Textbefehle eingeben. Wie sollen wir das Teil dann bedienen? Nick drückt wahllos auf den Tasten rum - genau wie Scotty in dem einen »Star Trek«-Film. Da, wo er versucht, einen Computer aus der Gegenwart zu bedienen, indem er in die Maus hineinspricht. Ungefähr so hilflos sitzen wir vor dem Grid. Zehn Minuten, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde. Vorm Baumarkt fahren die richtig harten Do-it-yourself-Junkies vor - die mit dem geliehenen Minianhänger. Wir wechseln uns damit ab, im Dunkeln des Rechners rumzustochern. Wie damals in der Zockhalle neben der Schule, wenn es ein neues Game gab: Erst krepel ich eine Mark lang rum und Nick guckt sich ab, was man nicht machen darf. Dann ist er dran, seine Leben zu opfern, um neues Wissen zu gewinnen. Und so ging es weiter, bis wir alles raus gefunden hatten. Und je mehr wir das Game durchschauten, desto heftiger drängelte der andere von der Seite, um auch mal an den Joystick ranzukommen. Mittlerweile kleben wir so eng aneinander vor dem Bildschirm, dass zum Sitzen ein Stuhl ausreicht. Gottseidank sieht uns das Rezeptions-Schneckchen nicht. Immerhin haben wir schon gelernt, ein Programm zu starten: Man zieht mit den Pfeiltasten einen Balken auf eine Datei und drückt Return plus Code-Taste - das war's. Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Malprogramm - alles da. Nur keine Dateien, die der Besitzer selbst erstellt hat. Während Nick die Menüleiste immer wieder hoch-und runterscrollt, murmelt er vor sich hin: »War übrigens der erste Laptop, der in 'nem Space Shuttle mitfliegen durfte.«

»Echt?«

Nasa - immer gut.

»Ja, die Astronauten haben den Grid benutzt, um sich die Position des Raumschiffs auf einer Weltkarte anzeigen lassen. Das Ganze nannten sie dann Shuttle Portable Onboard Computer, oder abgekürzt: SPOC. Beim Start des Programms erschien sogar ein Bild von Nimoy.«

Zur Abwechslung ziehe ich mal die Augenbraue hoch: »Cool. Nerds im Weltraum. Mann muss sie einfach lieben.«

Nichts ist schöner, als ein Nerd zu sein, der sich einbildet, keiner zu sein. Nick prokelt sich weiter durch die Menüs.

»Der Grid war dann auch so ziemlich das Einzige, was sie aus den Trümmern der Challenger rausgezogen haben und noch funktionierte. «

»Was? Und ich dachte, das Magnesium würde leicht brennen ...«

Damit dieser kleine Bruch in seiner Verschwörungstheorie nicht weiter aufreißt, schaufelt Agent 4125 schnell weiter IT-Trivialitäten hinterher: »Sogar die Daten im Speicher waren noch intakt. Im Grid ist nämlich Bubble Memory eingebaut!«

»Nie gehört. Was ist das?«

»Magnetblasenspeicher. Was du da reinsteckst, bleibt auch noch erhalten, nachdem der Strom abgestellt ist. Wie bei einer normalen Speicherkarte halt. War damals ein Riesending und superteuer. Bubble Memory hat sich aber nicht durchgesetzt - zu lahm.«

Da! Nick hat eine Tastenkombination gefunden, die ein Inhaltsverzeichnis aufruft: BUBBLEMEMORY 384 , SYSTEM128 , APPLICATIONS:102 ,DATA16 ,FREE138 »Wow, das ganze Betriebssystem frisst nur 128 Kilobyte!«, platzt Nick raus. Wirklich ein unfassbarer Wert; selbst ein mittelkurzer Geschäftsbrief verbraucht heute mehr Speicherplatz.

»Hach, herrliche Zeiten müssen das damals gewesen sein«, schwärme ich mit. Wir gönnen uns eine stille Minute der OStalgie und denken zurück an die frühen Achtziger, als es eben nicht eins, zwei oder drei hieß - und plop auch stopp bedeutete. Man musste nicht zwischen Apfel, Fenster oder Pinguin wählen. Fast jeder Computerhersteller packte in seine Rechner damals ein eigenes Betriebssystem, und keines davon war mit irgendwas kompatibel. Ach was, das Wort war noch nicht mal erfunden: Kompatibilität - pfui! Jede Maschine war eine Insel, schön von allen anderen abgeschottet durch private Dateiformate und obskure Betriebssysteme, die das Gespräch mit anderen Betriebssystemen strikt ablehnten. Eigentlich wie wir. Jedenfalls gab es Merlin, Pick, Oasis-16, ZDOS, MTOS, AMOS, VersaDOS und noch mindestens dreißig andere. Und GridOS, das unser dritter Mann hier spricht. Wenn es darum geht, dass früher alles besser war, lässt sich Nick natürlich nicht lange bitten.

»Damals war alles noch so schön ...ja ...unprofessionell!«

»Beispiel?«

»Beispiel ...«, er kneift sich in die Stirn, »also, als der Atari ausgeliefert wurde, lag doch eine Startdiskette dabei.«

»Okay.«

Wenn er es sagt.

»Jedenfalls war da nicht nur das Betriebssystem drauf, sondern aller möglicher anderer Kram, zum Beispiel irgendwelche Programmierwerkzeuge, die die Entwickler benutzt haben. Was war passiert? Niemand hat sich die Diskette genau angeschaut, bevor sie ins Kopierwerk geschickt wurde. Da hätten theoretisch die digitalisierten Wichsvorlagen der Programmierer drauf sein können, und die wären dann zehntausendfach an die Kunden rausgegangen.«

»So was gäb's heute echt nicht mehr.«

»Allerdings! Heute hätten sich vorher fünfunddreißig Projektmanager, Six-Sigma-Experten und Kontrolleurs-Kontrolleure die Diskette angeguckt.«

Also kleine fleißige Konzernroboter wie du, mein Freund. Aber vielleicht ist das nicht der richtige Einwand, um den Vormittag entspannt fortzusetzen.

Extraleben - Trilogie
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